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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Quo vadis UNHS? – Multizentrische Screeningdaten der Jahre 2009 bis 2012 ein Jahr vor der Evaluation

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Silke Fabian - Funktionsbereich Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik am Uniklinikum Köln, Köln, Deutschland
  • author Andrea Köhn - Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt an der Medizinischen Fakultät der Otto-von- Guericke Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
  • author Marlis Spormann-Lagodziski - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Funktionsbereich Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik am Uniklinikum Köln, Köln, Deutschland
  • author Anke Rißmann - Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt an der Medizinischen Fakultät der Otto-von- Guericke Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
  • author Manfred Gross - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV6

doi: 10.3205/13dgpp10, urn:nbn:de:0183-13dgpp105

Published: September 5, 2013

© 2013 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Bei Anwendung identischer Definitionen und Auswertungsalgorithmen ermöglicht der Einsatz gleicher Trackingsoftware den Vergleich von Ergebnis- und Qualitätsparametern im universellen Neugeborenenhörscreening (UNHS) über Ländergrenzen hinweg. Ein Jahr vor der Evaluation des UNHS erscheint ein Blick auf den bisher zurückgelegten Weg anhand einer größeren Kohorte sinnvoll, da bislang unklar bleibt, wie „saubere“ Daten zur Beantwortung der Evaluationsfragen erfasst werden können.

Material und Methoden: Die Screeningdaten von 533.150 gemeldeten Kindern der Geburtsjahrgänge 2009 bis 2012 von bis zu 170 Krankenhäusern je Jahr aus Berlin, Brandenburg, Nordrhein, Sachsen-Anhalt und Westfalen-Lippe wurden aus der Trackingsoftware (pathTrack / PATH medical) exportiert und mit dem Auswertungsprogramm NHS-Statistik nach einheitlichen Kriterien pro Krankenhaus aggregiert und anschließend insgesamt und pro Region jahrgangsweise analysiert.

Folgende Variablen werden ausgewertet:

  • Anzahl der Lebendgeburten im Zuständigkeitsbereich
  • Anzahl der Lebendgeburten in den kooperierenden Krankenhäusern
  • Erfassungsrate (bezogen auf den Zuständigkeitsbereich)
  • Anzahl/Anteil der gemeldeten Kinder
  • Anzahl/Anteil der untersuchten Kinder
  • Erfassungsrate (bezogen auf die kooperierenden Krankenhäuser)
  • Anzahl/Anteil der kontrollbedürftigen Kinder
  • Screeningzeitpunkt
  • Anzahl/Anteil der diagnostizierten Schwerhörigkeiten
  • Diagnose- bzw. Versorgungszeitpunkt

Die Daten von Einsendern mit kontinuierlicher Dateneinsendung und mindestens 60 Geburten pro Jahr wurden berücksichtigt. Die Falldefinition erfolgt nach den Vorgaben des Verbandes Deutscher Hörscreening-Zentralen e.V. (VDHZ).

Ergebnisse: Die multizentrische Betrachtung belegt bei regional unterschiedlicher Ergebnisqualität einen insgesamt kontinuierlichen Verbesserungsprozess in der Etablierung des UNHS bei guter Datenqualität. Damit qualifizieren sich die Hörscreening-Zentralen für viele Fragestellungen als geeigneter Partner mit validen Daten in der anstehenden Evaluation.


Text

Hintergrund

Bei Anwendung identischer Definitionen und Auswertungsalgorithmen ermöglicht der Einsatz gleicher Trackingsoftware den Vergleich von Ergebnis- und Qualitätsparametern im universellen Neugeborenenhörscreening (UNHS) über die Grenzen von Hörscreening-Zentralen und Ländern hinweg. Neben der eher methodischen Frage, ob bei aller Unterschiedlichkeit in der Organisation der Hörscreening-Zentralen eine regional übergreifende gemeinsame Auswertung von Screeningdaten möglich ist, erscheint ein Jahr vor der Evaluation des UNHS ein Blick auf den bisher zurückgelegten Weg anhand einer größeren Kohorte sinnvoll, da bislang unbeantwortet bleibt, wie „belastbare“ Daten zur Beantwortung der Evaluationsfragen erfasst werden können.

Methode

In den Hörscreening-Zentralen in Berlin, Brandenburg, Nordrhein, Sachsen-Anhalt und Westfalen-Lippe wird die Trackingsoftware „path Track“ der Firma PATH medical eingesetzt. Einzelbefunde des Hörscreenings und die Informationen der fachärztlichen Nachuntersuchungsstellen werden dadurch nach den gleichen Regeln/Algorithmen zu einem Gesamtstatus pro Kind aggregiert, welche in Tabellenform exportiert werden können.

Die aus der Trackingsoftware exportierten Datensätze wurden anschließend mit Hilfe der Auswertungssoftware NHS-Statistik von Peter Matulat mit einheitlichen und konsentierten Parametereinstellungen in den jeweiligen Hörscreening-Zentralen jahrgangsweise einzelnen Krankenhäusern zugewiesen. Die weitere Verarbeitung der Daten erfolgte mit Hilfe des Statistikprogramm IBM SPSS (Version 20) auf Ebene von Krankenhäusern, da der Gesetzgeber in seinem Beschluss über die Änderung der Kinderrichtlinie zum Neugeborenenhörscreening im Jahr 2009 bezüglich Qualitätssicherung und Dokumentation primär Ziele auf dieser Organisationsebene definiert hat. Bei jedem Kind wurden nur Messungen aus den ersten drei Monaten nach der Geburt in die Auswertung einbezogen.

Weiterhin wurden Daten zur Anzahl diagnostizierter Hörstörungen und zum Diagnosezeitpunkt der gescreenten Kinder in den Jahren 2009 bis 2011 erfasst. Die Falldefinition erfolgte dabei gemäß der Vorgaben des Verbandes Deutscher Hörscreening-Zentralen (VDHZ e.V.).

Folgende Variablen wurden über alle Krankenhäuser ungewichtet insgesamt und jahrgangsweise in ihrem Verlauf ausgewertet:

  • Anzahl der Lebendgeburten in den kooperierenden Krankenhäusern
  • Erfassungsrate (bezogen auf den Zuständigkeitsbereich)
  • Erfassungsrate (bezogen auf die kooperierenden Krankenhäuser)
  • Anteil der gemeldeten Kinder
  • Anteil der untersuchten Kinder
  • Anteil der kontrollbedürftigen Kinder
  • Screeningzeitpunkt
  • Anteil der diagnostizierten Schwerhörigkeiten
  • Diagnose- bzw. Versorgungszeitpunkt

Ergebnisse

621 Jahrgangsdatensätze von bis zu 170 Krankenhäusern im Jahr gingen in die Auswertung ein. Von den 554.645 Neugeborenen in diesen Krankenhäusern wurden 96,1% (N=533.150) an die Hörscreening-Zentralen gemeldet und 92,1% (N=510.582) der Kinder hatten ein Hörscreening erhalten. Im Mittel erfolgte das Erstscreening in den Krankenhäusern nach 4,0 Tagen (SD 1,88). 83,0% (SD 10,88) der ersten Untersuchungen erfolgten vor dem 4. Lebenstag. Der Anteil der kontrollbedürftigen Kinder betrug im Mittel 5,0% (SD 4,34).

Bezogen auf alle Lebendgeburten im Zuständigkeitsbereich der Hörscreening-Zentralen lag die Erfassungsrate über die Jahre bei durchschnittlich 74,6% (SD 25.03), bezogen auf die Lebendgeburten in den mit den Hörscreening-Zentralen kooperierenden Krankenhäusern bei 96,6% (SD 3,16). Bei 2,1 pro 1000 Neugeborenen (N=834) aus den Jahren 2009 bis 2011 wurde eine Hörstörung von mehr als 25 dB und einer Dauer von mehr als drei Monaten diagnostiziert. Die Diagnosestellung erfolgte durchschnittlich im Alter von 4,8 Monaten (N=804/SD 1,47).

Betrachtet man die einzelnen Variablen in ihrem zeitlichen Verlauf, so ergeben sich bei fast allen kontinuierliche Verbesserungen. Der Anteil der untersuchten Kinder erhöhte sich von durchschnittlich 84,9% im Jahr 2009 (N=123) auf 95,3% im Jahr 2012 (N=170), der Prozentsatz der gemeldeten Kinder von 85,2% auf 95,7%. Der mittlere Anteil von kontrollbedürftigen Kindern nahm im gleichen Zeitraum von 5,5% auf 4,8% ab, nachdem er jedoch 2011 (N=168) schon 4,6% erreicht hatte. Durchschnittlich wurden die Neugeborenen in 2009 am 4,1ten Lebenstag gescreent, 2012 erfolgte die Messung im Mittel mit 3,8 Tagen. Der Anteil des primären AABR-Screenings stieg im gleichen Zeitraum von 11,3% auf 27,0%. Der Anteil der diagnostizierten Hörstörungen nahm mit 2,2 von 1000 Neugeborenen in 2009 über 2,1‰ im Jahr 2010 auf 1,9‰ im Jahr 2011 leicht ab.

Diskussion

Diese Untersuchung belegt, dass eine die Hörscreening-Zentralen und Länder übergreifende Auswertung von UNHS-Daten auf qualitativ hohem Niveau möglich ist, wenn die Schnittstellen sowie die Definitionen und Auswertungsregeln vereinheitlicht werden. Der Verband Deutscher Hörscreening-Zentralen hat sich dies zum Ziel gesetzt. Bei 17 Hörscreening-Zentralen mit überwiegend proprietärer Trackingsoftware ist die Datenqualität zentralistischer Hörscreeningsprogramme wie z.B. in England oder den Niederlanden voraussichtlich in unserem föderalen System nicht erreichbar. Dennoch lassen sich unserer Einschätzung nach mit einer geeigneten Methodik valide Belege für den Stand der Umsetzung des UNHS in Deutschland generieren.

Die vom Gesetzgeber geforderten Kriterien werden aktuell noch nicht voll umfänglich erreicht, dennoch belegt die multizentrische Betrachtung bei regional unterschiedlicher Ergebnisqualität einen insgesamt kontinuierlichen Verbesserungsprozess in der Etablierung des UNHS bei guter Datenqualität. Unserer Auffassung nach qualifizieren sich damit die Hörscreening-Zentralen für viele Fragestellungen als geeignete Partner mit validen Daten in der anstehenden Evaluation.

Eine inhaltlich stark erweiterte Fassung dieser Untersuchung wurde bei der Zeitschrift HNO zur Veröffentlichung eingereicht.