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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Evaluation validierter Screeninginstrumente zur Früherkennung von Auffälligkeiten in Sprechen und Sprache in der Vorsorgeuntersuchung U8

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  • corresponding author presenting/speaker Jochen Rosenfeld - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Christiane Kiese-Himmel - Phoniatrisch/Paedaudiologische Psychologie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP1

doi: 10.3205/13dgpp09, urn:nbn:de:0183-13dgpp097

Published: September 5, 2013

© 2013 Rosenfeld et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In den Kinderrichtlinien zur U8 wird vorgegeben u.a. Sprache, Sprechen und Sprechflüssigkeit zu untersuchen. Ziel der Studie war eine Analyse aktueller, deutschsprachiger Screeninginstrumente, um deren Einsatz im Sinne einer Anwenderorientierung und Qualitätssicherung zu optimieren.

Material und Methoden: Es erfolgte eine Literaturrecherche zu aktuellen, validierten, deutschsprachigen Screeninginstrumenten für das Alter bei der Vorsorgeuntersuchung U8. Nach Sichtung derer wurden Ein- und Ausschlusskriterien für die Evaluation festgelegt. Die eingeschlossenen Instrumente wurden hiernach auf der Basis von Konstruktionsmerkmalen und psychometrischen Kriterien sowohl quantitativ als auch qualitativ bewertet.

Ergebnisse: Folgende Instrumente wurden in die Analyse einbezogen: ETS 4-8, KiSS, SSV, TSVK-Screen. Von 15 bewerteten Kriterien erfüllten diese quantitativ zwischen 7 und 12 bei qualitativ teilweise geringen Erhebungsstandards und eher niedriger Güte.

Diskussion: Von einem Screening wird in der Regel eine dichotome Aussage (auffällig – unauffällig) erwartet. Diesbezüglich können die evaluierten Sprachscreenings zur U8 nur mit Einschränkungen empfohlen werden. Für die Praxis bedeutet dies, die vorhandenen Sprachscreenings mit gebotener Vorsicht einzusetzen oder z.B. aufgrund des entwicklungspsychopathologischen Eindrucks in Verbund mit anamnestischen Informationen gleich eine umfassende Sprachentwicklungsdiagnostik zu veranlassen.


Text

Hintergrund

Die nach den „Kinder-Richtlinien“ durchzuführenden ärztlichen Maßnahmen dienen der Früherkennung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen, die eine normale körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden. Dazu zählt u.a. die Untersuchung sprachlicher Leistungen bei der U6 bis zur U9, da Sprach- und Sprechstörungen häufig auftreten und gravierende Beeinträchtigungen z.B. der Kommunikation, der sozio-emotionalen und schulischen Entwicklung zur Folge haben können.

Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen lassen sich definitionsgemäß erst ab dem 3. Geburtstag, also zum Zeitpunkt der U7a diagnostizieren [1]. Bei der U8 (46.–48. Lebensmonat, Toleranzgrenze 43.–50. Lebensmonat) heißt es bezüglich der Entwicklungsbereiche Sprache und Sprechen in den „Kinder-Richtlinien“: altersgemäße Sprache fehlt (z.B. kein Sprechen in Sätzen in der „Ich-Form“), Aussprachestörungen (z.B. Stottern, schwere Stammelfehler, unverständliche Sprache). Dies ist eine sehr ungenaue Beschreibung, umso mehr sind als Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Untersuchung sprachlicher Leistungen Instrumente erforderlich, die darüber eine zuverlässige Aussage machen können [2].

Ziel der vorliegenden Arbeit war eine Erfassung und Bewertung der für die U8 zur Verfügung stehenden aktuellen standardisierten Sprach- bzw. Sprechscreenings hinsichtlich ihrer Konstruktionsmerkmale und psychometrischen Kriterien im Hinblick auf eine Diagnosestellung bzw. Indikation zur Heilmittelverordnung für Maßnahmen der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie.

Material und Methoden

Im Rahmen einer Literaturrecherche wurde nach deutschsprachigen, standardisierten, normierten Screeninginstrumenten zur Erfassung von Auffälligkeiten von Sprache, Sprechen und Sprechflüssigkeit gesucht. Ausgeschlossen wurden veraltete Verfahren, allgemeine Entwicklungstests, Sprachskalen aus allgemeinen Entwicklungsinstrumenten, informelle Verfahren sowie Spontansprachanalysen, weiterhin Instrumente, die vorwiegend im Rahmen einer frühpädagogischen Sprachstandserhebung in Kindertageseinrichtungen (mit der Ableitung der Notwendigkeit von Sprachförderbedarf) eingesetzt werden.

Die Manuale der eingeschlossenen Instrumente (in einem Fall 3 Veröffentlichungen zu psychometrischen Kriterien aufgrund des Fehlens eines Manuals) wurden zunächst quantitativ nach dem Vorhandensein von 15 psychometrischen Kriterien (siehe Tabelle 1 [Tab. 1], Spalte 2) gesichtet und vergleichend betrachtet. Dann erfolgte eine qualitative Bewertung, wobei insbesondere auf Angaben zu Klassifizierungsvalidität (Diagnostische Zuverlässigkeit; Angaben zu Sensitivität und Spezifität) geachtet wurde, da im Rahmen eines Screenings in der Regel eine dichotome Aussage (auffällig – unauffällig) erforderlich ist.

Ergebnisse

Unter Berücksichtigung o.g. Ein- und Ausschlusskriterien wurden folgende Instrumente in die Analyse einbezogen: Entwicklungstest Sprache für Kinder von 4 bis 8 Jahren (ETS 4-8; Angermeier, 2007), Kinder-Sprachscreening (KiSS; Hessisches Sozialministerium, 2010), Sprachscreening für das Vorschulalter – Kurzform des SETK 3–5 (SSV; Grimm, 2010), Test zum Satzverstehen von Kindern - Kurzversion (TSVK-Screen; Siegmüller et al., 2010). Zur Beurteilung von Aussprache und Sprechflüssigkeit fand sich kein Instrument, das den Kriterien genügte.

Tabelle 1 [Abb. 1] zeigt die vergleichende Übersicht zu Angaben der 15 psychometrischen Kriterien in den genannten Quellen der evaluierten Screening-Instrumente. Die quantitative Analyse ergab Angaben zu 7 bis 12 der Kriterien (Abbildung 1 [Abb. 1]). Für Split-Half-, Retest-Reliabilität und faktorielle Validität fanden sich für kein Untersuchungsinstrument Angaben.

Qualitativ zeigten die Angaben teils geringe Erhebungsstandards und eher niedrige Güte. Im ETS 4-8 fehlen beispielsweise Angaben zur konvergenten Validität (prüft, ob der Test tatsächlich das misst, was er zu messen vorgibt). Für das KiSS mangelt es an Informationen zur standardisierten Durchführung (z.B. Abbruchkriterien, detaillierte Auswertungsbeschreibung). Eine Normierung im engeren Sinne (z.B. Umrechnung von Rohwerten in T-Werte) liegt nicht vor. Die Validität des SSV wurde primär in Anlehnung an den SETK 3–5 überprüft. Für die 3-Jährigen sind keine Normen in Halbjahresstufen (wie bei den 4-Jährigen) vorhanden, was zu einer ungenauen Einschätzung der Sprachentwicklung in diesem Altersabschnitt führt. Das Normierungskollektiv für den TSVK-Screen ist unzureichend beschrieben, die Altersgruppen (20 Kinder pro Jahresaltersgruppe) sind klein. Weiterhin wird lediglich eine Modalität (rezeptiv) einer sprachlichen Dimension (Grammatik) geprüft. Angaben zur Klassifizierungs-Validität finden sich für KiSS, SSV und TSVK-Screen. Die Werte für Sensitivität und Spezifität lagen dabei je nach Referenztest im akzeptablen bis guten Bereich [3].

Diskussion und Fazit

Die in der vorliegenden Analyse evaluierten Screenings zur Einschätzung sprachlicher Leistungen zum Zeitpunkt der U8 können lediglich mit Einschränkungen empfohlen werden. Der ETS 4–8 genügt nicht psychometrischen Standards, um mit ausreichender Zuverlässigkeit sprachauffällige und sprachgesunde Kinder zu unterscheiden. Wie KiSS ist er in der U8 nur für 48 Monate alte Kinder anwendbar. KiSS verfügt zwar über viele psychometrische Kriterien, kann aber derzeit (noch) nicht erworben und daher praktisch schwerlich eingesetzt werden. Für das SSV ist die Normierung relativ alt und das TSVK-Screen untersucht nur die rezeptive Modalität einer Sprachdimension bei kleinem und unzureichend beschriebenem Normierungskollektiv.

Um entwicklungspsychologisch den Sprachstatus eine Kindes bei der U8 valide zu erfassen, sind daher weitere psychometrische Überprüfungen der vorhandenen bzw. die Entwicklung neuer diagnostischer Instrumente erforderlich. Für die Praxis bedeutet dies derzeit, die vorhandenen Sprachscreenings mit der gebotenen Vorsicht einzusetzen oder aufgrund eines persönlichen Eindrucks und der anamnestischen Informationen eines Elternteils gleich eine umfassende Sprachentwicklungsdiagnostik zu veranlassen.


Literatur

1.
Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen (SES), unter Berücksichtigung um-schriebener Sprachentwicklungsstörungen (USES). Interdisziplinäre S2k-Leitlinie. 2011. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 049–006. Available from: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/049-006l_S2k_Diagnostik_Sprachentwicklungsstoerungen_2011-12.pdf External link
2.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Früherkennungsuntersuchung auf umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache. Abschlussbericht S06-01. Köln: IQWiG; Juni 2009. Available from: https://www.iqwig.de/download/S06-01_Abschlussbericht_Frueherkennung_umschriebener_Stoerungen_des_Sprechens_und_der_Sprache.pdf External link
3.
Plante E, Vance R. Selection of preschool language tests: A data-based approach. Language, Speech, and Hearing Services in Schools. 1994;25:15-24.