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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Manualtherapeutische Intervention bei zervikogener Dysphonie

Chirotherapy in functional dysphonia

Poster

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  • corresponding author presenting/speaker Nicole Chr. Stuhrmann - Abteilung für Phoniatrie & Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Bonn, Bonn, Deutschland
  • author Götz Schade - Abteilung für Phoniatrie & Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Bonn, Bonn, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppP03

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Published: August 28, 2007

© 2007 Stuhrmann et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Die weitere Abklärung funktionell bedingter Heiserkeiten gehört zu den täglichen Aufgaben in der phoniatrischen Praxis. In der Regel wird hier eine logopädische Therapie eingeleitet.

Material und Methoden: Bei 20 PatientInnen, die sich mit einer Heiserkeit unklarer Genese und endoskopisch unauffälligem Kehlkopfbefund in unserer Abteilung vorstellten, wurde nach gezielter manueller Diagnostik im Bereich der Halswirbelsäule und der Kiefergelenke die Diagnose einer Kiefergelenksstörung und cranio-manidibulären Dysfunktion (CMD) gestellt.

Ergebnisse: Bereits nach jeweils zwei ca. 30-minütigen manualtherapeutischen Behandlungen, die durch Ohrakkupunktur ergänzt wurden, konnten die subjektiven Beschwerden der PatientInnen deutlich gebessert werden. Diese Einschätzungen wurden durch den Priener Adduktionstest (PAT) und den auditiven Befund bestätigt.

Schlußfolgerung: Bei Heiserkeiten unklarer Ursache sollte aus unserer Sicht die manualtherapeutische Diagnostik im Bereich der oberen HWS und der Kiefergelenke zum unverzichtbaren Bestandteil einer phoniatrischen Untersuchung gehören.


Text

Einleitung

Die weitere Abklärung funktionell bedingter Heiserkeiten gehört zu den täglichen Aufgaben in der phoniatrischen Praxis. In der Regel wird hier eine logopädische Therapie eingeleitet. Bei therapieresistenter Dysphonie sollten muskuläre Verspannungen, die bei funktionellen Kopfgelenksstörungen sowie cranio-mandibulären Dysfunktionen vorliegen, mituntersucht werden. Grundlage dieser Zusammenhänge liegen in der Störung des Wirbelsäulenarthrons, welches die kybernetische Einheit eines jeden Wirbelsäulensegmentes darstellt. Jedes Wirbelsäulensegment besteht aus knöchernen und beweglichen Strukturen sowie den „steuernden Elementen“, dem peripheren und zentralen Nervensystem. Eine Bewegungseinschränkung im Gelenk führt einerseits zur Tonusänderung der Muskulatur andererseits auch zu einer Aktivitätsverschiebung der sensiblen und motorischen Nerven. Ein reversibles funktionelles Defizit in einem Arthron äußert sich in diesem Segment durch eine Bewegungsseinschränkung des Gelenks mit eingeschränktem Gelenkspiel (dem sog. „joint play“) und einem Muskelhypertonus der zugeordneten Muskulatur. Tonusänderungen der segmentalen Muskulatur erfolgen auf der Ebene der spinalen Verknüpfung von Hinterhornkomplex und motorischem Vorderhorn. Bezogen auf Stimmstörungen oder auch bei orofazialen Dysfunktionen finden sich Muskelverspannungen im Bereich der Mm. sternocleidomastoideus und trapezius (N.accessorius) sowie der Nacken- und prälaryngealen Muskulatur (Zervikalnerven). Die Stimmbandspannung wird durch die prälaryngeale Muskulatur, die auch auf den supraglottischen Bereich wirkt, beeinflusst, der gesamte Resonanzraum wird ebenso durch die Kaumuskulatur und die Muskulatur im Mundbodenbereich, im Hypo-, Oro- und Nasopharynxbereich variiert. Bereits Hülse hat 2005 den Einfluss der Kiefergelenke und der HWS auf die Muskulatur im Phonationstrakt nachweisen können. Eine Blockierung im Wirbelsäulenbereich lässt in dem Versorgungsbereich der zugehörigen Spinalnerven eine segmentale Störung erkennen. Eine Kiefergelenksstörung und eine „craniomandibuläre Dysfunktion“ („CMD") führt zu einer Störung im Trigeminusbereich mit Hypertonus im Bereich der Kaumuskulatur und typischem Bruxismus. Die Kopfgelenke zwischen Okziput und Atlas sowie zwischen Atlas und Axis nehmen eine pathophysiologische Sonderstellung ein, gerade wegen ihrer sehr engen neurophysiologischen und reflektorischen Verbindungen.

Material und Methode

Bei 20 PatientInnen, die sich mit einer Heiserkeit unklarer Genese in unserer Abteilung vorstellten, wurde nach gezielter manueller Diagnostik im Bereich der Halswirbelsäule und der Kiefergelenke die Diagnose einer Kiefergelenksstörung und cranio-mandibulären Dysfunktion (CMD) gestellt. Die spezifischen Tests zum Nachweis des CMD ergaben sich aus dem Fundus der Untersuchung mit manualmedizinischen Techniken. Es kamen variable Beinlängendifferenz, Priener Hüftabduktionstest (PAT), „Leg-turn-in“-Tests zur Anwendung. Je nach Beteiligung der Kiefergelenke wurden zusätzlich „Applied Kinesiology“ (AK), Bestimmung der Unterkieferposition sowie „Meersseman-Test“ durchgeführt. Der Stimmbefund wurde mittels des „Speech-Studios“ der Firma Laryngograph dokumentiert. Die Larynxdokumentation erfolgte jeweils mit Hilfe der Videolaryngoskopie und Videostroboskopie mit flexiblen und starren Optiken.

Ergebnisse

Bereits nach jeweils zwei manualtherapeutischen Interventionen, die in allen Fällen durch eine isolierte Dauerohrakkupunktur über einen Zeitraum von 10 Tagen ergänzt wurden, besserten sich die subjektiven Beschwerden der PatientInnen deutlich. Diese klinischen Einschätzungen wurden durch jeweilige Verbesserung der durchgeführten manualmedizinschen Techniken unter anderem mit Hilfe der oben erwähnten Testverfahren dokumentiert und durch den auditiven Befund bestätigt.

Schlussfolgerung

Bei Heiserkeiten unklarer Ursache stellt aus unserer Sicht die manualmedizinische Diagnostik im Bereich der oberen HWS insbesondere der funktionellen Kopfgelenke und der Kiefergelenke eine sinnvolle Ergänzung der phoniatrischen Untersuchung dar, die zur Ursachenklärung funktioneller Dysphonien beitragen kann. Wenn die Therapieerfolge einer logopädischen Behandlung bei einer funktionellen Dysphonie ausbleiben sollte, muß an eine zervikale Komponente und/oder an eine CMD gedacht werden. Diese Zusammenhänge sollten gerade auch bei der Behandlung der „Profi-Stimme“ von Sprechern, Sängern und Schauspielern Berücksichtigung finden. Wenn sich die Stimme bei diesen Sprechberufsgruppen ohne ersichtlichen Infekt akut verschlechtert, so muss an eine zervikogene Dysphonie mit funktioneller Kopfgelenksstörung und/oder an eine CMD gedacht werden. Insbesondere bei funktionellen Dysphonien infolge einer so genannten reversiblen „Blockierung" im Bereich der Kiefer- und Kopfgelenke stellt die Manuelle Therapie eine Kausaltherapie zur Verfügung und ist letztlich die Behandlung der Wahl.


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