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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Untersuchung des Raumeinflusses auf die Stimmgebung von Lehrern einer Aachener Hauptschule

Investigation of the relation between room acoustics and phonation of teachers in a secondary school in Aachen

Poster

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppP20

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Published: September 5, 2006

© 2006 Kob et al.
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Zusammenfassung

Eine Verringerung der stimmlichen Leistungsfähigkeit führt bei Lehrern zu einer verschlechterten Vermittlung der Lehrinhalte und kann die Ausübung des Lehrberufs gefährden. In einem Gemeinschaftsprojekt der Aachener Gemeinschaftshauptschule Aretzstraße, des Instituts für Technische Akustik sowie des Lehr- und Forschungsbereichs und der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der RWTH Aachen wurde die Auswirkung der Raumakustik auf die Stimmqualität von 25 Lehrern untersucht. Außer einer Studienanamnese wurden eine phoniatrische Untersuchung, eine audiometrische sowie logopädische Basisdiagnostik und eine Befragung zur Stimmbelastung im Alltag durchgeführt. Der Stimmbefund wurde durch eine Stimmfeldmessung, einen Lesetext und eine Heiserkeitsanalyse von Testlauten ergänzt. Zwei von vier als akustisch schlecht beurteilte Räume der Schule wurden im Rahmen des Projektes akustisch optimiert. Raumakustische Messungen (T20, STI) wurden vor und nach dem Umbau sowie in den nicht veränderten Räumen durchgeführt. Mit stimmakustischen Analysemethoden wurde die Stimmqualität der nach ihrer logopädischen Diagnose in unterschiedliche Gruppen klassifizierten Lehrer verglichen, indem Aufnahmen eines Lesetexts und angehaltener Vokale vor und nach dem Unterricht in den akustisch unterschiedlichen Räumen vorgenommen wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen belegen eine deutliche Verbesserung der Raumakustik durch die baulichen Maßnahmen und ihren Zusammenhang zur Stimmqualität der Lehrer.


Text

Einleitung

Lehrer gehören zur Gruppe der Berufssprecher und sind auf ihre Stimme zum Erhalt ihres Berufs angewiesen. Durch Stimmprobleme sind Lehrer nicht nur in ihrem Berufalltag eingeschränkt, sondern die Stimmprobleme haben auch Auswirkungen auf den Lernprozess der Kinder. Leistungen im Sprachverstehen der Schüler hängen von der Qualität der Stimme der Lehrer ab.

Eine Einschränkung der Belastbarkeit der Stimme kann die Ausübung des Lehrerberufs erschweren oder sogar unmöglich machen.

Studien berichten von einem signifikant häufigeren Auftreten von Stimmstörungen bei Lehrern sowie häufigeren und längeren Ausfallzeiten durch Stimmprobleme [1]. Roy et al. [2] berichten von einer Prävalenz von Stimmstörungen bei Lehrern von 11%. Die Studie mit 2531 Teilnehmern, von denen 50,9% Nicht-Lehrer waren und 49,1% Lehrer, ermittelte dies anhand eines Fragebogens, der telefonisch beantwortet wurde. Die Prävalenz von Stimmstörungen in der Nicht-Lehrer Gruppe ist mit 6,2% signifikant niedriger. Lehrer berichteten mit 57,7% ebenfalls signifikant häufiger, jemals Probleme mit der Stimme gehabt zu haben, als die Nicht-Lehrer mit 28,8%. Weiterhin wurde bisher die Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des Auftretens von Stimmstörungen bei Lehrern untersucht.

Stimmbelastend können am Arbeitsplatz insbesondere auch akustische Faktoren wirken wie Hintergrundgeräusche innerhalb und außerhalb des Klassenraums sowie die Raumakustik selbst durch Verringerung der Sprachverständlichkeit, oft verursacht durch Lärmverstärkung und erhöhten Diffusschall.

Im Rahmen dieser Studie werden Ansätze zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen raumakustischen Parametern von Klassenräumen und dem Auftreten von Stimmstörungen untersucht.

Methode

Für das Projekt haben sich 25 Lehrer einer Ganztagshauptschule in Aachen freiwillig gemeldet. Es fand keine spezielle Vorauswahl der Lehrer statt.

Methoden zur Stimmdiagnostik

Stimmstörungen lassen sich durch eine Vielzahl von Eigenschaften beschreiben. Entsprechend der unterschiedlichen Betrachtung und diagnostischen Methoden ist eine gemeinsame Untersuchung durch Phoniater und Logopäden sinnvoll. Akustische Analyseverfahren stellen hierbei eine Ergänzung dar, mit der objektive Werte für einige spezifische Parameter der Stimme erfasst und dokumentiert werden können. Ein standardisiertes Verfahren zur Stimmdiagnostik existiert noch nicht, die Stimmfeldmessung wurde nach den Empfehlungen der Union der Europäischen Phoniater durchgeführt [3].

Voruntersuchungen

Zur Voruntersuchung kamen die Lehrer in das Universitätsklinikum Aachen in die Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen. Es wurden medizinische, audiometrische, logopädische und akustische Voruntersuchungen durchgeführt. Ebenso wurde von den Lehrern der folgende Fragebogen ausgefüllt:

  • seit wann unterrichtet der Lehrer?
  • wie viele Stunden werden pro Tag bzw. pro Woche durchschnittlich unterrichtet?
  • durchschnittliche Klassengröße
  • sind bereits Stimmprobleme bekannt
  • subjektive Beurteilung der Lautstärke des eigenen Sprechens
  • subjektive Einschätzung der Lautstärke in den Klassenräumen

Die medizinische Voruntersuchung bestand aus einem Anamnesegespräch und der Inspektion von Ohr, Nase, Nasenrachenraum und des orofazialen Bereichs. Ebenso wurde eine Laryngostroboskopie durchgeführt. Eine Einteilung in medizinisch auffällig erfolgte, wenn der Arzt eine Wiedervorstellung der Person empfohlen hat. Ansonsten wurde die Person als medizinisch unauffällig beurteilt.

Zur audiometrischen Untersuchung gehörten ein Tympanogramm und ein Tonaudiogramm. Eine Beurteilung als auffälliger Befund erfolgte, wenn bei mehreren Frequenzen ein Anstieg der Hörschwelle um mehr als 30 dB beobachtet wurde. Ansonsten wurde der Befund als unauffällig eingeteilt.

Die perzeptive logopädische Analyse wurde von einer Logopädin durchgeführt. Hier wurde zum einen die Atmung mit Ausatem- und Tonhaltedauer beurteilt. Ebenso wurde die Sprechstimme anhand verschiedener Parameter wie z.B. Stimmklang, Stimman- und -absatz, Stimmstärke und Sprechtempo perzeptiv beurteilt. Ein auffälliger logopädischer Befund wurde festgestellt, wenn eine logopädische Therapie dringend erforderlich schien. Eine teilweise Auffälligkeit wurde ein Befund bezeichnet, der leichte Auffälligkeiten aufwies, die jedoch keine dringende logopädische Therapie erforderten.

Im Rahmen der stimmakustischen Untersuchung hat eine Logopädin mit dem Phoneto-System [4] ein Phonetogramm bei den Lehrern abgenommen sowie mit dem System OVALA (Online Voice Analysis Laboratory Aachen, [5]) digitale Aufnahmen der Stimme erstellt und ausgewertet. Die zu untersuchenden Lehrer haben den Text „Nordwind und Sonne“ vorgelesen, und es wurden Aufnahmen der Vokale /a:/, /ε:/, /i:/, /o:/ und /u:/ durchgeführt.

Raumakustische Bestandsaufnahme

Als Ergebnis der Lehrerbefragung wurden einige Räume im Altbau der Schule als problematisch identifiziert. Eine Begehung der Räume bestätigte den Eindruck, dass die sprachliche Kommunikation bereits in einer Distanz von wenigen Metern zwischen Sprecher und Hörer durch Nachhall und Geräusche stark beeinträchtigt ist.

Stimmuntersuchung vor/nach Belastung durch Unterricht

Zur Durchführung der folgenden Untersuchungen wurden die Lehrer in vier verschiedene Gruppen unterteilt:

1.
medizinisch und logopädisch unauffällig
2.
medizinisch unauffällig, logopädisch teilweise auffällig
3.
medizinisch unauffällig, logopädisch auffällig
4.
medizinisch und logopädisch auffällig

Aus den ersten drei Gruppen werden jeweils fünf Lehrer ausgewählt, die bereit sind, an einer eine Folgestudie teilzunehmen, bei der sie vor und nach einem Unterrichtstag stimmakustisch untersucht werden. Es werden folgende Stimmaspekte untersucht:

  • Aufzeichung der Befragung des Lehrers im Dialog
  • Subjektive Beurteilung der Stimmqualität durch eine Logopädin
  • Aufnahme eines Lesetextes
  • Aufnahme angehaltener Vokale

Aus den Aufnahmen der Stimmproben werden die bereits bei den Voruntersuchungen im Rahmen der akustischen Untersuchung erhobenen Eigenschaften der Stimmqualität analysiert.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der raumakustischen Analysen vor und nach der Modifikation sind in Abbildung 1[Abb. 1] dargestellt.

Der Sprachübertragungsindex STI lag vor der Modifikation um 0,6 und verbesserte sich durch die Maßnahmen auf ca. 0,7. Die raumakustischen Analysen bestätigen den Eindruck einer verbesserungsbedürftigen Raumakustik in einigen Klassenräumen. Eine signifikante Verbesserung der raumakustischen Situation dieser Räume konnte durch eine gezielte Modifikation der Decken mit Absorberdecken und das Verlegen von Teppichen erreicht werden.

Die medizinische, logopädische, audiometrische und stimmakustische Voruntersuchung der Hälfte des Kollegiums der Schule ergab eine für Berufssprecher typische statische Erhöhung der stimmlichen Auffälligkeit. Eine statistisch gesicherte Aussage über die geschlechterbezogene Häufigkeit der Auffälligkeiten kann wegen der geringen Zahl der untersuchten männlichen Lehrer nicht gemacht werden, jedoch konnte tendenziell eine geringere medizinische und logopädische Auffälligkeit der männlichen Lehrer festgestellt werden. Im Vergleich der Stimmqualität der vor und nach dem Unterricht untersuchten Lehrer konnte eine Veränderung einiger Stimmparameter beobachtet werden, die jedoch noch nicht systematisch ausgewertet wurde.

Der direkte Vergleich der Stimmqualität einzelner Lehrer vor und nach dem Unterricht in den nicht optimierten und optimierten Räumen zeigt, dass die Raumakustik eines Klassenraums über kleine Zeiträume eine Änderung der Stimmqualität bewirken kann.

Diskussion

Als Ergebnis der Voruntersuchungen kann eine erhöhte Prävalenz von Stimmstörungen bei Lehrern der untersuchten Schule bestätigt werden. Die Untersuchung nach phoniatrischen, logopädischen und stimmakustischen Gesichtspunkten zeigt gegenüber subjektiv erhobenen Stimmbeurteilungen in der Literatur einen erhöhten Bedarf an logopädischer Therapie.

Die komplexe Frage des Zusammenhangs zwischen der Raumakustik von Klassenräumen und dem Auftreten von Stimmstörungen bei Lehrern ist allerdings mit den vorgenommenen Untersuchungen nicht zu beantworten. Unsicherheiten bei der Analyse stellen die multifaktoriellen Einflüsse auf die Stimmqualität dar. Nicht nur psychische, soziale und klassendynamische Aspekte bleiben bei der vorgestellten Untersuchung außer Acht, auch die Frage der Aussagefähigkeit der Untersuchungsmethoden und -parameter hinsichtlich der Fragestellung des Raumeinflusses auf die Stimmgebung sind nur sehr schwer abzuschätzen, da für diese Fragestellung noch keine Methoden etabliert oder gar standardisiert wurden.

Der noch durchzuführende Teil der Untersuchung ist daher nötig zur Absicherung der Hypothese, dass eine Verbesserung der Raumakustik die Stimmbelastung von Lehrern reduziert. Die begonnene Analyse der Lehrerstimmen vor und nach dem Unterricht in jeweils zwei akustisch stark unterschiedlichen Klassenräumen soll die akustische Wirkung auf die Qualität der Stimmgebung von Lehrern nachweisen. Eine statistische Absicherung dieser Tendenz ist eines der Ziele weiterführender Untersuchungen. Neben dem beschriebenen Ansatz werden weitere Methoden auf ihre Eignung für den Nachweis des Zusammenhangs zwischen Raumakustik und Stimmqualität bei Lehrern gesucht.


Literatur

1.
Sliwinska-Kowalska M, Niebudek-Bogusz E, Fiszer M, Los-Spychalska T, Kotylo P, Sznurowska-Przygocka B, Modrzewska M. The prevalence and risk factors for occupational voice disorders in teachers. Folia Phoniatr Logop. 2006;58(2):85-101.
2.
Roy N, Merrill RM, Thibeault S, Gray SD, Smith EM. Voice disorders in teachers and the general population: effects on work performance, attendance, and future career choices. J Speech Lang Hear Res. 2004;47(3):542-51.
3.
Schutte HK, Seidner W. Recommendation by the Union of European Phoniatricians (UEP) standardizing voice area measurement/phonetography. Folia Phoniatr (Basel). 1983;35(6):286-8.
4.
Houben D, Heck P, Kob M, Neuschaefer-Rube Ch, Kröger B. Vergleich des Stimmumfangs gesangstrainierter und untrainierter Kinder mit Hilfe eines Stimmfeldmessprogramms. In: Fortschritte der Akustik - DAGA 2005. 2005. p. 73-4.
5.
Kob M, Krämer S, Neuschaefer-Rube Ch. Ein System zur netzwerkbasierten Aufnahme, Analyse und Auswertung von Stimmsignalen. In: 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc 05dgppV33. Online verfügbar unter: http://www.egms.de//en/meetings/dgpp2005/05dgpp092.shtml.