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Klassifizierung laryngealer Bewegungsmuster bei Dysphonie
Classification of dysphonic laryngeal motion patterns
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Published: | September 5, 2006 |
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Zusammenfassung
Zur Unterstützung der klinischen Diagnostik werden objektive Maße zur Quantifizierung der Stimmqualität benötigt. Für die quantitative Bewertung der pathologischen Stimme ist die Analyse der mittels Hochgeschwindigkeitsglottographie gemessenen Stimmlippenschwingungen von zentraler Bedeutung. Eine hierfür entwickelte Optimierungsprozedur ermöglicht die automatische Anpassung der Dynamik eines biomechanischen Modells der Stimmlippen an tatsächliche Bewegungsmuster. Die für die Einstellung der Dynamik zu optimierenden Modellparameter definieren die objektiven Maße zur Quantifizierung laryngealer Bewegungsmuster. In einer Studie wurde die Prozedur auf 15 stimmgesunde Personen und 15 Patienten mit einseitiger Stimmlippenlähmung angewendet. Durch Auswertung der errechneten Modellparameter konnten Wertebereiche zur objektiven Klassifizierung definiert werden. Alle 15 stimmgesunden Fälle wurden als gesund klassifiziert, ebenso zwei der 15 Patienten aufgrund einer nur geringen Stimmstörung. Die restlichen 13 wurden gemäß dem medizinischen Befund als pathologisch klassifiziert. Für drei Patienten lagen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen zu Beginn und Ende einer objektiv belegten positiven Therapie vor. Anhand des beschriebenen Verfahrens konnte dieser positive Therapieverlauf in allen drei Fällen identifiziert werden. Die Anwendung der entwickelten Klassifizierung als objektive stimmdiagnostische Skala soll zukünftig die Grundlage einer Qualitätskontrolle bei der Stimmtherapie bilden.
Text
Einleitung
Eine gesunde Stimme zeichnet sich durch ein reguläres, symmetrisches Bewegungsmuster von Stimmlippen aus. Links/Rechts-Asymmetrien in der Muskelaktivität oder der organischen Beschaffenheit der Stimmlippen führen zu asymmetrischen Bewegungen und damit zu einer verminderten Stimmqualität. Ziel einer objektiven Klassifizierung pathologischer Stimmlippenschwingungen ist, die klinische Diagnostik zu unterstützen. Die Klassifizierung erfordert zunächst die Einführung eines objektiven Maßes zur Quantifizierung der laryngealen Bewegungsmuster. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Analyse von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen (HG-Aufnahmen) der schwingenden Stimmlippen [Ref. 1]. Zur Quantifizierung können die beobachteten Bewegungen mit einem biomechanischen Modell der Stimmlippen nachgebildet werden [Ref. 1]. Um die Modelldynamik automatisch an die realen Bewegungsmuster anzupassen, wurde eine Optimierungsprozedur entwickelt [Ref. 2]. Die für die Einstellung der Dynamik zu optimierenden Modellparameter definieren ein objektives Maß zur Quantifizierung. In dieser Studie wurde die modellbasierte Beschreibung von Stimmlippenschwingungen auf 30 HG-Aufnahmen von stimmgesunden Personen und Patienten mit einseitiger Stimmlippenlähmung angewendet. Es wird gezeigt werden, dass eine modellbasierte Klassifikation von gesunden Stimmen und Stimmen bei einseitiger Stimmlippenlähmung möglich ist.
Methoden
Mit einer digitalen Hochgeschwindigkeitskamera (256x256 Pixel, 4000 Bilder pro Sekunde) wurden je 15 Aufnahmen an stimmgesunden Personen (15 weiblich, Alter 17 bis 21 Jahre) und Patienten mit einseitiger Stimmlippenlähmung (6 männlich, 6 weiblich, Alter 27 bis 55 Jahre) während der Phonation angefertigt. Parallel wurde zu jeder HG-Aufnahme eine apparative Stimmdiagnostik (Dr. Speech 3.0, Tiger DRS Inc.) durchgeführt. Mit dem verwendeten Messprotokoll ergeben sich folgende Grenzwerte für Normalstimmen: Jitter <0,2%, Shimmer <3%, Normalized Noise Energy (NNE) <-10dB [Ref. 3]. Für die Patienten P1 und P2 wurden die Messungen und HG-Aufnahmen vor und nach einer Therapie erstellt. Bei Patient P3 wurden zwei HG-Aufnahmen zum gleichen Stimmbefund angefertigt. Anhand dieser Daten soll die modellbasierte Quantifizierung der Stimmlippenschwingungen auf ihre Plausibilität hin überprüft werden.
Als biomechanisches Modell der Stimmlippen wurde das Zwei-Massen-Modell (2MM) verwendet [Ref. 4]. Jede Stimmlippe wird durch einen gekoppelten Masse-Feder-Oszillator repräsentiert. Durch Variation der Federsteifigkeiten und Massen mit den Optimierungsparametern Q1 und Q2 kann die Modelldynamik beeinflusst werden. Eine vollautomatische Optimierung bestimmt die Modellparameter derart, dass die Modellschwingungen mit den Bewegungen der Stimmlippen zur Deckung kommen [Ref. 2]. Dabei werden sowohl die Form der Stimmlippenschwingungen als auch die bei den pathologischen Fällen auftretenden Asymmetrien der Stimmlippenschwingungen nachgebildet [Ref. 5]. Die Ergebnisse der beiden Optimierungsparameter Q1 und Q2 geben Informationen über den Grad der Asymmetrie der Stimmlippenschwingungen wieder, weshalb zur Klassifizierung die aus der Optimierung resultierende Lage in der Q1Q2-Ebene analysiert wird. Bei der Auswertung symmetrischer Stimmlippenschwingungen ergibt sich Q1≈Q2≈ 1.
Ergebnisse
Abbildung 1 [Abb. 1] fasst die Optimierungsergebnisse für die 15 Normalstimmen (Kreuze) und die 15 pathologischen Fälle (Kreise) in der Q1Q2-Ebene zusammen. Bei den Normalstimmen befinden sich die Ergebnisse aufgrund der symmetrischen Stimmlippenschwingung nahe am Symmetriepunkt (1;1) (mittlere Abweichung 6%). Der schraffierte Kreis in Abbildung 1 [Abb. 1] markiert eine maximale Abweichung von 20% vom Symmetriepunkt und beinhaltet alle Ergebnisse der Normalstimmen. Die Ergebnisse für die pathologischen Stimmen (abgesehen von 2 Fällen) liegen außerhalb des Kreises aufgrund der asymmetrischen Schwingungen (mittlere Abweichung 42%).
Die bei den Patienten gemessenen Perturbationsmaße sind in Abbildung 2 [Abb. 2] zusammengefasst. Die NNE-Werte liegen bei allen Patienten im pathologischen Bereich. Für P1 und P2 ist der Therapieerfolg objektiv an den Perturbationsmaßen ablesbar und spiegelt sich auch in der Q1Q2-Ebene wieder. Der Abstand zum Punkt (1;1) verringert sich von 0,35 auf 0,20 bei P1 bzw. von 0,97 auf 0,30 für P2. Die Ergebnisse zu den Aufnahmen von Patient P3 zeigen in etwa den gleichen Abstand zum Symmetriepunkt. Abhängig von der Phasendifferenz der Stimmlippenschwingungen in den Aufnahmen (linke Seite läuft voraus bzw. läuft hinterher) ergibt sich Q2<1 bzw. Q2>1.
Diskussion
Zur Klassifizierung von gesunden und pathologischen Stimmen kann die aus der Optimierung resultierende Position in der Q1Q2-Ebene verwendet werden. Eine Normalstimme wird hierbei aufgrund ihres geringen Abstand zum Punkt (1;1) als gesund klassifiziert, während pathologische Stimmen ein größeres Abstandsmaß aufweisen. Anhand der Daten zu den Patienten P1 und P2 wurde gezeigt, dass eine spezifischere Klassifizierung der pathologischen Stimme möglich ist. Eine Abnahme der Stimmstörung führt zu einem verringerten Abstand zum Symmetriepunkt. Werden an einem Patienten verschiedene HG-Aufnahmen zu einem unveränderten Stimmbefund ausgewertet muss sich ein nahezu gleiches Abstandmaß ergeben. Die Ergebnisse für die beiden Aufnahmen von Patient P3 belegen, dass die vorgestellte Quantifizierungsmethode diese Stabilitätsforderung erfüllt.
In weiteren Untersuchungen soll untersucht werden, ob die beschriebene Quantifizierung von Stimmlippenschwingungen die Diagnose und Therapieauswahl bei Dysphonie unterstützen kann. Die Anwendung der Klassifizierung auf weitere funktionelle und organische Stimmstörungen erfordert ein erweitertes biomechanisches Modell der Stimmlippen, welches unterschiedliche Gewebesteifigkeiten und Masseverteilungen entlang einer Stimmlippe nachbilden kann.
Literatur
- 1.
- Döllinger M, Hoppe U, Hettlich F, Lohscheller J, Schubert S, Eysholdt U. Vibration parameter extraction from endoscopic image series of the vocal folds. IEEE Trans Biomed Eng. 2002;49:773-81.
- 2.
- Schwarz R, Hoppe U, Schuster M, Wurzbacher T, Eysholdt U, Lohscheller J. Classification of unilateral vocal fold paralysis by endoscopic digital high-speed recordings and inversion of a biomechanical model. IEEE Trans Biomed Eng. 2006;53:1099-108.
- 3.
- Huang D, Kasuya F, Lin S. Measure of vocal function during changes in vocal effort level. J Voice. 1995;9:429-38.
- 4.
- Steinecke I, Herzel H. Bifurcations in an asymmetric vocal fold model. J Acoust Soc Am. 1995;97:1874-84.
- 5.
- Eysholdt U, Rosanowski F, Hoppe U. Vocal fold vibration irregularities caused by different types of laryngeal asymmetry. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2003;260:412-4.