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"Spaltkinder" - Wie stark fühlen sich die Eltern durch Ohr- und Sprachprobleme belastet?
"Children with cleft lip and palate" - Are problems with hearing and speech a burden to the parents?
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Published: | September 5, 2006 |
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Zusammenfassung
Die Eltern von Kindern mit einer Spaltbildung aus dem Formenkreis der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind einer Reihe von psychosozialen Belastungen ausgesetzt und werden darüber hinaus mit Problemen durch Mittelohrbelüftungsstörungen oder/und Sprachschwierigkeiten konfrontiert.
An 140 Elternpaare betroffener Kinder (Alter: 0,5-13 J; ausgeglichene Geschlechtsverteilung) wurde ein Fragebogen zur Evaluierung des individuellen Belastungsgefühls gesendet. Hier berücksichtigt sind nur die Fragen, die Ohr- und Sprachschwierigkeiten betreffen.
88 Fragebögen wurden ausgewertet. Zu einem hohen Prozentsatz (45%) fühlen sich die Eltern durch die Sorge um Sprach- und Sprechprobleme belastet oder sehr belastet aber nur zu 20 bzw. 15% durch tatsächlich vorhandene Sprach- und Sprechprobleme und laufende logopädische Therapie. Ca. 40% fühlen sich durch Paukenröhrchen (PR) und damit verbundene Einschränkungen belastet oder sehr belastet. Mit zunehmendem Alter der Kinder steigt das subjektive Belastungsgefühl signifikant. Insbesondere Gedanken der Eltern bzgl. Erziehung und Zukunft der Kinder kreisen um Hör- und Sprachprobleme.
Es wird eine, in der Rangreihenfolge hoch angesiedelte, individuelle Belastung der Eltern durch PR, Ohr- und Sprachprobleme ihrer Kinder deutlich. Diese Erkenntnisse sollten als Grundlage für eine Verbesserung von Beratung und Unterstützung der Eltern herangezogen werden.
Text
Einleitung
Die Geburt eines Kindes mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte trifft die Eltern in den meisten Fällen unvorbereitet und ist ein einschneidendes Erlebnis. Der Anblick ihres neugeborenen Kindes löst bei den Eltern mannigfache Gefühle von Schock über Wut und Angst bis hin zu Schuldgefühlen aus [Ref. 1]. Es ist daher ausgesprochen wichtig für die Eltern nach der Geburt fachgerecht betreut und aufgeklärt zu werden. Untersuchungen belegen darüber hinaus [Ref. 2], dass das Ausmaß der allgemeinen subjektiven Belastung der Eltern in engem Zusammenhang mit der Häufigkeit psychosozialer Probleme in der späteren Entwicklung der Kinder steht. Gespräche mit Ärzten und Psychologen helfen den Betroffenen, über ihre Ängste und Gefühle zu reden, zu einer realistischen medizinischen Einschätzung der Krankheit ihres Kindes zu gelangen [Ref. 3] und die Mutter-Kind-Beziehung zu stabilisieren [Ref. 4], [Ref. 5].
Ziel unserer Studie war, Einsicht und Klarheit in die Sorgen und Bedürfnisse der Eltern von einem Kind mit einer Spaltbildung aus dem Formenkreis der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zu bringen. Insbesondere sollten hierbei die Belastungssituationen bezüglich der Hör- und Sprachprobleme der Kinder berücksichtigt werden. Diese sollen in der hiesigen Fachabteilung für kindliche Hör- und Sprachprobleme als Anhaltspunkt gelten, für eine frühzeitige und spezifische Betreuung der Eltern und Kinder.
Material und Methode
Es wurde ein Fragebogen konzipiert und an 140 betroffene Familien geschickt.
Der Fragebogen gliedert sich in 3 Teile. Teil A beinhaltet 15 Fragen zu Belastungsinhalten, deren Ausprägung auf einer 5-stufigen Likert-Skala einzuschätzen ist. Teil B beinhaltet 3 Fragen und fragt nach der Erleichterung der Eltern nach der Gaumenoperation. In Teil C werden durch 6 geschlossene Fragen und darauf bezogene Ergänzungsfragen, spaltspezifische Sorgen der Eltern erfragt.
Der Fragebogen wurde auf Eindeutigkeit und Verständlichkeit in einem Vorlauf an 15 Patienten getestet und verbessert.
In der hier vorliegenden Arbeit sind, nach Erstellung einer Rangreihenfolge der Belastung hervorrufenden Faktoren, nur die Fragen berücksichtigt, die gezielt Ohr-, Hör- und Sprachprobleme der Kinder betreffen.
Ergebnisse
93 Fragebögen konnten in die Auswertung eingehen. Das Alter der Kinder lag zwischen 0,5 und 13 Jahren (im Durchschnitt: 5,9 Jahre) bei ausgeglichener Geschlechtsverteilung. Geschlechtsspezifische Unterschiede konnten nicht dokumentiert werden.
Die komplette Rangreihenfolge zeigt sich in Abbildung 1 [Abb. 1]. Bei der näheren Betrachtung der Bereiche, die Hören und Sprache betreffen ergibt sich das folgende Belastungsprofil. 46% der Eltern fühlen sich durch die Sorge um mögliche Sprachprobleme belastet bzw. sehr belastet. 44% der Eltern fühlen sich durch liegende Paukenröhrchen und die damit Verbundene Einschränkung beim Baden, Schwimmen und Haare waschen belastet bzw. sehr belastet und 40% der Eltern fühlen sich durch die Ohrprobleme im Allgemeinen belastet bzw. sehr belastet. Durch die logopädische Therapie bzw. tatsächlich vorhandene Sprach- und Sprechprobleme fühlen sich 22 bzw. 21% der Eltern belastet bzw. sehr belastet. Die individuelle Belastungssituation der Eltern für die Bereiche Ohrprobleme und Belastung durch eine laufende logopädische Therapie steigt signifikant mit zunehmendem Alter der Kinder.
Bei der Auswertung des Fragebogenteils C gaben ca. 50% der Eltern an, dass sie bei ihren Kindern, insbesondere bei der Erziehung, in der Schullaufbahn und im allgemeinen Leben Schwierigkeiten vermuten. Hierbei sehen sie die Probleme insbesondere hervorgerufen durch Sprach- und auch Ohr- und Hörprobleme. Bei der Frage nach Verbesserungsvorschlägen in der Betreuung geben sie wiederholt an, dass sie sich mehr Information und Aufklärung wünschen. Hierbei insbesondere für den Umgang mit ihren Kindern bei liegenden Paukenröhrchen und zu Notwendigkeit und Dauer logopädischer Therapie.
Diskussion
In unserer Untersuchung konnten wir erstmals Ergebnisse an einem ausreichend großen Patientenkollektiv bezüglich der subjektiven Belastbarkeit der Eltern durch die Einschränkung beim Baden, Schwimmen etc. bei liegenden Paukenröhrchen und der empfundenen Einschränkungen durch eine logopädische Behandlung, erheben.
Die Sorge um mögliche Sprachprobleme liegt in der Rangreihenfolge im oberen Drittel. Belastungsgefühle durch die Einschränkungen beim Haare waschen ect. und durch Ohrprobleme im Allgemeinen liegen in der oberen Hälfte bei Betrachtung der Rangreihenfolge. Die Sorge der Eltern ist nicht unbegründet. Für eine gesunde psychische, soziale und kognitive Entwicklung ist sprachliche Kompetenz unabdingbar. Die intellektuellen Fähigkeiten eines Kindes werden darüber hinaus von Außenstehenden, insbesondere auch Lehrern anhand ihrer sprachlichen Fähigkeiten bewertet [Ref. 6]. Eine zusätzliche Hypernasalität wird von der Umwelt mit sehr negativen Charaktereigenschaften und auch mit Minderbegabung in Verbindung gebracht, und kann somit die Ursache für eine Stigmatisierung darstellen [Ref. 3].
Bei Betrachtung des Ausmaßes elterlicher Belastungsgefühle durch wirklich vorhandene Sprach- und Sprechprobleme sowie durch eine laufende logopädische Behandlung zeigt sich ein anderes Bild. Hierdurch fühlen sich nur 21 bzw. 22% der Eltern belastet bzw. sehr belastet.
Es wird deutlich, dass die Sorge der Eltern bezüglich Erziehung und Zukunft ihrer Kinder sehr um Ohr-, Hör- und Sprachprobleme kreist, sich ihre Sorge jedoch, durch gezielte Förderangebote verringern lässt.
Unter Berücksichtigung dieser Befunde und der im freien Fragebogenteil geäußerten Wünsche nach mehr Information Ohrprobleme und Sprachentwicklung betreffend, sollte bei Kindern mit einer Fehlbildung aus dem Formenkreis der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten eine frühzeitige intensive Beratung und Förderung erfolgen. Hierdurch kann auftretenden Hör- und entsprechenden Sprachproblemen frühzeitig begegnet werden und Beeinträchtigungen durch negatives Feedback von außen kann frühzeitig vorgebeugt werden.
Literatur
- 1.
- Young JL, O´Riordan M, Goldstein JA, Robin HN. What information do parents of newborns with cleft lip palate, or both want to know? Cleft Palate Craniofac J. 2001;38(1):55-8.
- 2.
- Pope AW, Tillman K, Snyder HT. Perenting stress in infancy and psychosocial adjustment in toddlerhood: a longitudinal study of children with craniofacial anomalies. Cleft palate Craniofac J. 2005;42(5):556-9.
- 3.
- Dolger-Hafner M, Bartsch A, Trimbach G, Zobel I, Witt E. Parental reaction following the birth of a cleft child. J Orofac Orthop.1997;58(2):124-33.
- 4.
- Krueckeberg SM, Kapp-Simon KA. Effect of parental factors on social skills of preschool children with craniofacial anomalies. Cleft Palate Craniofac J. 1993;30(5):490-6.
- 5.
- Campis LB, DeMaso DR, Twente AW. The role of maternal factors in the adaptation of children with craniofacial disfigurement. Cleft Palate Craniofac J. 1995;32(1):55-61.
- 6.
- Richmann LC. Facial and speech relationsship to behavior of children with clefts across age levels. Cleft Palate Craniofac J. 1997;35:385-90.
- 7.
- Lallh AK, Rochet AP. The effect of information on listeners attitude toward speakers with voice or resonance disorders. J. Speech Lang Hear Res. 2000;43:782-95.