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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Hörstörungen bei Mukopolysaccharidose

Vortrag

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  • author presenting/speaker Ulrike Napiontek - Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Klinik für Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland
  • Annerose Keilmann - Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Klinik für Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV19

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Published: September 9, 2004

© 2004 Napiontek et al.
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Zusammenfassung

Die Mukopolysaccharidosen (MPS) gehören mit einer Erkrankung auf 29000 Geburten zu den seltenen Krankheiten. Die meisten Patienten leiden neben anderem unter Hörstörungen, zumeist Schallleitungsstörungen infolge Tubenfunktionsstörung bei Einlagerung der Speicherstoffe in Adenoide und Pharynxschleimhaut. Deutlich weniger MPS-Patienten leiden an sensorineuralen Schwerhörigkeiten. Wir haben 35 Patienten mit MPS audiologisch untersucht und zeigen die unterschiedliche Verteilung der Schwerhörigkeitstypen in Abhängigkeit vom MPS-Typ. So fand sich nur bei einem von 10 Patienten mit MPS-Typ I eine Innenohrstörung, bei MPS-Typ VI litten 2 von 5 Patienten an einer kombinierten Schwerhörigkeit. Dagegen bestand bei 90% ( n=18) der Patienten mit MPS-Typ II eine Innenohrbeteiligung, in dieser Patientengruppe waren entsprechend relativ die meisten Patienten mit einem Hörgerät versorgt.


Text

Einleitung

Die Mukopolysaccharidosen (MPS) gehören mit einer Erkrankung auf 29000 Geburten zu den seltenen Krankheiten. Inzwischen sind 11 Typen der Erkrankung bekannt, die sich jeweils durch die spezifischen Enzymdefekte unterscheiden.

Entsprechend zeigen sich die Patienten der einzelnen MPS-Typen mit unterschiedlicher Symptomatik (z.B. vergröberte Gesichtszüge, Makroglossie, Hornhauttrübung, Gelenkkontrakturen, Kardiomyopathie, Hepatosplenomegalie). Auch Schwerhörigkeiten sind beschrieben.

Bislang konnten diese Speicherkrankheiten nur symptomatisch behandelt werden. Mit der Möglichkeit, die defekten Enzyme gentechnisch herzustellen, gelang die Einführung der Enzymersatztherapie. Erste klinische Erfahrungen gibt es bei Patienten mit MPS I. Hier konnte eine Rückbildung der Hepatosplenomegalie, eine Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit sowie der Herzfunktion beobachtet werden.

Vorklinische Studien werden bei Patienten mit MPS II und MPS VI inzwischen durchgeführt [1].

Im Rahmen dieser Studien an der Mainzer Universitätskinderklinik (AG Lysosomale Speicherkrankheiten unter Prof. Dr. M. Beck) werden die Patienten auch audiologisch untersucht.

Methode

Im Rahmen einer Anwendungsstudie für das Medikament Aldurazyme® (Fa. Genzyme) werden die Patienten mit MPS I audiologisch untersucht.

Dabei finden die Untersuchungen vor Beginn der Studie, außerdem nach 26 und nach 52 Wochen statt.

Durchgeführt werden Reintonaudiometrie, altersangepasste getrenntohrige Sprachaudiometrie und Tympanometrie, bei Kleinkindern Tympanometrie, Messung otoakustischer Emissionen sowie eine BERA.

Patienten mit MPS II und VI werden im Rahmen einer 2-jährigen vorklinischen Multi-Center-Studie hinsichtlich des natürlichen Verlaufes ihrer Hörstörung audiologisch mit o.g. Methoden untersucht.

Ergebnisse

Im Rahmen der genannten Studien konnten 33 Patienten mit MPS untersucht werden. Hinzu kamen noch 2 weitere Patienten aus unserem Einzugsgebiet, die noch nicht in die Studie aufgenommen sind.

Vorgestellt werden die Ergebnisse der Eingangsuntersuchungen.

Von diesen insgesamt 35 Patienten litten 10 an MPS I, darunter 5 Mädchen und 5 Jungen. 20 Kinder, alles Jungen entsprechend dem X-chromosomalen Erbgang, litten an MPS II, sowie 5 Kinder (4 Mädchen und 1 Junge) an MPS VI. Das Alter der Patienten lag zwischen 8 Monaten und 45 Jahren.

Dabei ergab sich folgende Verteilung der Schwerhörigkeitstypen in Abhängigkeit vom MPS-Typ [Tab. 1]. In Klammern ist die Altersspanne der Patienten verzeichnet. Patienten mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit, die derzeit mit einer Paukendrainage versorgt sind, wurden den kombinierten Schwerhörigkeiten zugeteilt.

Insgesamt waren 15 Patienten mit Hörgeräten versorgt, davon 2 mit MPS I mit einer Schallleitungsschwerhörigkeit (3 J.) bzw. einer kombinierten Schwerhörigkeit (11 J.), 10 mit MPS II sowie 3 mit MPS VI.

Das Ausmaß der Schwerhörigkeit reichte in allen Untergruppen von gering- bis hochgradig. Es bestand jedoch bei keinem Patienten eine Hörrestigkeit und somit keine Indikation zu einer Cochlea Implantation.

Diskussion

Neben den gravierenden Organveränderungen an Herz, Gehirn, Knorpel und Leber, die bei Patienten mit MPS auftreten, spielen auch Schwerhörigkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wir konnten eine Gruppe von 35 Patienten audiologisch untersuchen. Dabei fanden sich in größter Anzahl (n=26) Patienten mit Schallleitungsschwerhörigkeiten oder kombinierten Schwerhörigkeiten. Ursache für die Schallleitungsschwerhörigkeiten sind rezidivierende Paukenhöhlenergüsse, die infolge der Tubenfunktionsstörungen bei Einlagerung der Speicherstoffe in Adenoide und Pharynxschleimhaut auftreten.

Daneben bestand bei 5 Patienten mit MPS II eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Hier ist Genese noch nicht vollständig geklärt. Ohlemiller at al. [2] konnten an einem Mausmodell mit MPS VII nachweisen, dass die Schallempfindungsschwerhörigkeit primär nicht ein Problem der Haarzelldegeneration ist. Vielmehr kommt es zur Einlagerung der Glycosaminoglykane in die Reissnersche und die Basilarmembran. Durch die erhöhte Steifigkeit verändern sich die passiven mechanischen Membraneigenschaften und damit die Schallverarbeitung im Innenohr. Weiterhin fanden die Autoren Einlagerungen im Spiralganglion. Bei älteren Mäusen fanden sich zusätzlich zu den beschriebenen Veränderungen die altersabhängigen Haarzellverluste, wie sie auch bei vergleichbaren Mäusen ohne MPS auftraten.

Die für MPS I inzwischen etablierte Enzymersatztherapie hat nicht nur ein Sistieren der Speicherung, sondern auch einen signifikanten Rückgang der Speichersubstanz und damit eine Verbesserung der Organfunktion, z.B. bei Herz und Gelenken erzielen können. Ob auch Verbesserungen hinsichtlich der Hörleistungen durch die Enzymersatztherapie erzielt werden können, ist bisher nicht bekannt. Hierzu sind mehrjährige Langzeitbeobachtungen erforderlich.


Literatur

1.
Beck, M.: Therapie lysosomaler Speicherkrankheiten, Dtsch. Ärzteblatt 98 ( 2001)
2.
Ohlemiller. K.K. et al.: Inner ear pathology in the mucopolysaccharidosis VII mouse, Hearing Research 169 (2002) 69-84