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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Mutationen im PDS-Gen als Ursache des Pendred-Syndroms

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  • corresponding author Ulrike Napiontek - Klinik für Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum der Johannes Gutenberg-Universität, Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz, Tel. 06131-172473, Fax 06131-176623
  • author Annerose Keilmann - Klinik für Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum der Johannes Gutenberg-Universität, Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz, Tel. 06131-172473, Fax 06131-176623
  • author Joachim Pohlenz - Kinderklinik, Universitätsklinikum der Johannes Gutenberg-Universität, Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz, Tel.06131-172788

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP22

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2003/03dgpp063.shtml

Published: September 12, 2003

© 2003 Napiontek et al.
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Zusammenfassung

Das Pendred-Syndrom, charakterisiert durch das Vorliegen einer Schallempfindungsschwerhörigkeit sowie einer (meist euthyreoten) Struma, gilt als die häufigste syndromale Hörstörung. Die Häufigkeit dieses Syndroms beträgt 5-10% aller hereditären Schwerhörigkeiten. Berichtet wird über eine Familie mit drei Kindern, die alle an einem Pendred-Syndrom leiden. Bei dieser Familie gelang erstmals in Deutschland der Nachweis der Mutation T416P im Pendrin-Gen auf dem Chromosom 7q. Diese Mutation tritt weltweit relativ häufig auf. Weiterführende Studien müssen klären, ob die bei der Familie gefundene Mutation auch bei Betroffenen aus Deutschland häufig ist und somit einen Ansatzpunkt für einen einfachen diagnostischen DNA-Test liefern kann.


Text

Einleitung

Das Pendred-Syndrom wird autosomal-rezessiv vererbt und ist durch das Vorliegen einer Schallempfindungsschwerhörigkeit sowie einer (meist euthyreoten) Struma charakterisiert. Letztere fehlt in etwa der Hälfte der Fälle bzw. bildet sich erst in der zweiten Lebensdekade aus. Bei Vorliegen der typischen Symptomatik wird die Diagnose durch den computertomographischen Nachweis charakteristischer Fehlbildungen des Innenohrs (Mondini-Malformation oder erweiterter vestibulärer Aquädukt) und durch einen pathologischen Jod-Depletionstest infolge eines Organifikationsdefektes gesichert.

In verschiedenen Arbeiten wird von einer Häufigkeit des Pendred-Syndroms von 3-10% aller Fälle mit angeborener Innenohrschwerhörigkeit ausgegangen (Übersicht in [1]). Im Deutschen Zentralregister kindlicher Hörstörungen waren 2002 15 gesicherte Fälle und 2 Verdachtsfälle registriert, dies entsprach einer relativen Häufigkeit von 0,33% [2]. Insofern muss vermutet werden, dass die Mehrzahl der Patienten mit Pendred-Syndrom nicht erkannt wird und bei ihnen eine nicht-syndromale Hörstörung vermutet wird.

Seitdem bekannt ist, dass das Pendred-Syndrom durch Mutationen im Pendrin (PDS)-Gen auf dem Chromosom 7q bedingt ist, das für einen Jodid-/Chlorid-Transporter kodiert, der in der Schilddrüse, dem Innenohr und der Niere exprimiert wird, ist die molekulare Diagnostik des Pendred-Syndroms möglich [3].

Fallbeschreibung

Wir berichten über eine Familie mit 3 Kindern. Die Eltern sind beide normal hörend.

Aus der Familienanamnese ist ein Kropfleiden bei beiden Großmüttern bekannt.

Das erste Kind (weibl., Jg. 1967) wurde in unserer Klinik im Alter von 9 Jahren erstmals wegen einer Schwerhörigkeit vorgestellt. Diese war anderenorts im Alter von 2,5 Jahren diagnostiziert worden. Seit dem 9. Lebensmonat war eine Hypothyreose bekannt, seit dem 3. Lebensjahr wurde eine Hormonsubstitution vorgenommen. 1990 wurde eine Strumaresektion durchgeführt.

Die Patientin ist geistig behindert, es besteht eine audiogene Sprachentwicklungsstörung. Insgesamt ist innerhalb der beobachteten 25 Jahre eine Progredienz der Hörstörung um 20-30 dB eingetreten.

Ein Jod-Depletionstest oder ein Felsenbein-CT wurden nie vorgenommen.

Das zweite Kind (männl., Jg. 75) wurde im Alter von 19 Monaten erstmals vorstellig. Seit dem 3. Lebensmonat war wegen einer Hypothyreose eine Hormonsubstitution vorgenommen worden. Mit 18 Jahren wurde eine subtotale Strumektomie durchgeführt. Es wurde eine Lernbehinderung im Alter von 7 Jahren diagnostiziert. Bis heute besteht eine audiogene Sprachentwicklungsstörung.

Innerhalb der beobachteten 24 Jahre ist keine wesentliche Progredienz eingetreten. Ein Jod-Depletionstest oder ein Felsenbein-CT wurde bis heute nicht durchgeführt.

Das dritte Kind (weibl., Jg. 76) wurde erstmals mit 26 Monaten vorgestellt, ohne dass der Verdacht auf eine Hörstörung seitens der Eltern bestand. Wegen einer Hypothyreose wurde zu diesem Zeitpunkt schon eine Hormonsubstitution durchgeführt. 1981 erhielt das Mädchen wegen einer mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit erstmals Hörgeräte. Die Patientin ist durchschnittlich intelligent, bis auf eine Zischlautstörung bestand eine normale Sprachentwicklung. Innerhalb der beobachteten 23 Jahre kam es zu einer Progredienz der Hörstörung um etwa 30-40 dB. Im 1997 durchgeführten CT fanden sich normale, unauffällige Felsenbeinstrukturen. Ein Jod-Depletionstest wurde bis heute nicht durchgeführt.

Der Verdacht auf Vorliegen eines Pendred-Syndroms, der erstmals 1982 geäußert wurde, beruhte bei dieser Familie darauf, dass die drei Geschwister von einer hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit betroffen waren, die in zwei Fällen progredient verlief. Da die Eltern normal hörend sind, ergab sich der Verdacht auf eine autosomal-rezessiv vererbte Störung. Weiterhin bestand bei allen Kindern eine Hypothyreose, die bei dem älteren Mädchen und dem Jungen auch zu einer operationbedürftigen Struma führte. Der Jod-Depletionstest wurde von den Eltern abgelehnt. Ein Felsenbein-CT ergab bei dem jüngeren Mädchen keine Auffälligkeiten.

Methode und Ergebnisse

Die Eltern und die drei Kinder der Familie wurden molekulargenetisch untersucht, nachdem ein schriftliches Einverständnis hierfür gegeben worden war. Zur Mutationssuche wurden alle 21 Exons des PDS-Gens mittels PCR von genomischer DNA amplifiziert und direkt sequenziert.

Bei den drei Kindern fanden wir eine homozygote Mutation im Exon 10 des PDS-Gens (1246 A>C). Hierdurch kommt es zu einem Aminosäurenaustausch von Threonin nach Prolin in Codon 416 (T416P). Bei den Eltern lag diese Mutation in einem Allel vor.

Diskussion

Bislang wurden in Deutschland vier Familien mit einem Pendred-Syndrom beschrieben, bei denen es gelang, die Mutation im Pendrin-Gen nachzuweisen.

Bei diesen vier Familien kam in jedem Fall die Mutation V138F vor, so dass der Verdacht besteht, dass diese Mutation in unserer Region häufiger vertreten ist [4]. Erstmals wird nun bei der beschriebenen Familie über die Mutation T416P in Deutschland berichtet. Diese Mutation ist eine der weltweit am häufigsten vorkommenden Mutationen im PDS-Gen. Sie wurde bereits in mindestens 17 nicht miteinander verwandten Familien mit Pendred-Syndrom beschrieben [5]. In-vitro Experimente konnten mittlerweile beweisen, dass diese Mutation krankheitsverursachend ist, indem das mutierte Pendrin-Protein im endoplasmatischen Retikulum zurückgehalten wird und so nicht an die Zellmembran gelangt [6].

Ausblick

Weiterführende Studien sollen nun klären, ob die bei der beschriebenen Familie gefundene Mutation auch bei Betroffenen aus Deutschland häufig ist und somit einen Ansatzpunkt für einen einfachen diagnostischen DNA-Test für diese Erkrankung liefern kann.

Bislang erforderte die Diagnose eines Pendred-Syndroms die Durchführung eines Jod-Depletionstestes. Dieser aufwändige Test wurde im wesentlichen dann indiziert, wenn ein Patient durch eine erhebliche Progredienz seiner Hörstörung auffiel. Mit der molekulargenetischen Diagnostik steht uns jetzt eine Methode zur Verfügung, die mit relativ geringem Aufwand eine Diagnose hinsichtlich des Pendred-Syndroms schon im Rahmen der Erstuntersuchungen zur Genese der Hörstörung erlaubt.

Wir untersuchen im Rahmen der Diagnostik der bei uns vorgestellten Kinder mit angeborenen Schallempfindungsschwerhörigkeiten deshalb jetzt alle Kinder, bei denen keine Mutation im Connexin 26-Gen nachgewiesen werden kann, anschließend auf eine Mutation im Pendrin-Gen.


Literatur

1.
Biesalski HK, Gross M (1979) Zur Differentialdiagnose und Pathogenese des Pendred-Syndroms. Sprache-Stimme-Gehör 3: 99-103
2.
Lange K, Gross M, Spormann-Logodzinski E (2002) Pendred-Syndrom. Med Genetik 14:23-27
3.
Scott DA, Wang R, Kreman TM, Sheffield VC, Karnishki LP (1999) The Pendred syndrome gene encodes a chloride-iodide transport protein. Nat Genet 21: 440-443
4.
Borck G, Roth C, Martiné U, Wildhardt G, Pohlenz J (2003) Mutations in the PDS Gene in german Families with Pendred's Syndrome: V138F Is a Founder Mutation. J Clin Endocrinol Metabol. 88(6): 2916-2921
5.
Campbell C, Cucci RA, Prasad S, Green GE, Edeal JB, Galer CE, Karnishki LP, Sheffield VC, Smith RJ (2001) Pendred´s syndrome, DFNB4, and PDS/SLC26A4 identification of eight novel mutations and possible genotype-phenotype correlations. Hum Mutat 17 (5):403-411
6.
Rotman-Pikielny P, Hirschberg K, Maruvada P, Suzuki K, Royaux IE, Green ED, Kohn LD, Lippincott-Schwartz J, Yen PM (2002) Tetention of pendrin ion the endoplasmatic reticulum is a major mechanism for Pendred syndrome. Hum Mol Genet 11 (21) : 2625-2633