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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Dysphagie auf der Intensivstation

Vortrag

  • José Carmelo Pérez Álvarez - HNO-Universitätsklinik Regensburg, Phoniatrie, Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93047 Regensburg, Tel. 0941-944-9471, fax -9472
  • Till Oliver Seidler - HNO-Universitätsklinik Regensburg, Phoniatrie, Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93047 Regensburg, Tel. 0941-944-9471, fax -9472
  • Tamás Hacki - HNO-Universitätsklinik Regensburg, Phoniatrie, Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93047 Regensburg, Tel. 0941-944-9471, fax 0941-944-9472

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocHT03

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Published: September 12, 2003

© 2003 Pérez Álvarez et al.
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Zusammenfassung

Ca. 80% der Patienten auf einer Intensivstation werden künstlich ernährt. Die Deckung ihres metabolischen Bedarfes erfolgt in der Regel durch eine Magensonde oder einen ZVK. Die Oralisierung dieser Patienten muss im vorhinein kritisch überprüft werden, da eine Aspiration zu fatalen Folgen führen kann. Die Dysphagie-Diagnostik ist hierbei unentbehrlich. Herabgesetzte Vigilanz und Compliance, schlechter pulmonaler Status, Veränderung des Schlucktraktes durch Schleimhautreize nach Langzeitintubation und Tracheotomie sind Faktoren, die eine Aspiration begünstigen. In der Zeit von 01/2002 bis 01/2003 haben wir eine prospektive Studie bei Patienten auf den neurochirurgischen, internistischen- und anästhesiologischen Intensivstationen betreffs ihrer Dysphagieprobleme durchgeführt. Ziel dieser Studie war, ein verbessertes Management der Dysphagie bei Intensivpatienten anbieten zu können. Die häufigsten Fragestellungen ergaben sich hinsichtlich der Oralisierung, der Indikation zur PEG, zur Tracheotomie, zum Tracheostomaverschluss sowie zum Einsatz einer Sprechkanüle. Untersuchungsmethoden, deren Beurteilung unddie verschiedenen Strategien der Dysphagietherapie auf der Intensivstation werden ausführlich dargestellt.


Text

Einleitung

Fast alle Patienten einer Intensivstation werden künstlich ernährt. Die Deckung ihres metabolischen Bedarfes erfolgt in der Regel über eine nasogastrale Sonde oder parenteral mittels ZVK. In Rahmen der Rekonvaleszenz stellt sich der betreuende Arzt die Frage, ob eine Oralisierung des Patienten möglich ist. Diese muss sehr kritisch überprüft werden, da eine Aspiration der Nahrung in dem bereits geschwächten Zustand des Patienten zu fatalen Folgen führen kann. Die Dysphagie-Diagnostik ist hierbei unentbehrlich. Sie gehört zu den konsiliarischen Leistungen des Phoniaters.

Beim Intensivpatienten bestehen bezüglich des Schluckablaufes verschiedene Besonderheiten, welche eine Dysphagie begünstigen: dazu gehören ein schlechter Allgemeinzustand mit Minderung von Vigilanz und Compliance sowie eine verminderte Motilität der oralen und pharyngealen Muskulatur mit gestörter Boluskontrolle bzw. Bolustransport. Außerdem treten häufig neurogene Defizite aber auch durch die nasogastrale Sonde bzw. die Tracheotomie bedingte Sensibilitätsstörungen und Schleimhautschwellungen auf.

Unsere Absicht war, systematisch zu erfassen, welche Fragen seitens der Konsil-anfordernden an den Phoniater gerichtet wurden und welche für uns relevanten, d.h. die Schluckfunktion beeinflussenden Befunde bei den untersuchten Patienten vorlagen.

Unter der Zielsetzung einer Systematisierung des Managements einer Dysphagie bei intensivpflichtigen Patienten haben wir eine prospektive Studie auf den verschiedenen Intensivstationen unserer Klinik in der Zeit von 01.02 bis 12.02. durchgeführt.

Patienten

Insgesamt wurden 66 Patienten im Alter von 17 bis 87 Jahren untersucht. Die Verteilung nach Geschlecht ergab 40% Frauen und 60% Männer.

21% der Untersuchten entstammten dem Patientengut der Anästhesie-Intensivstation, 12% der Chirurgischen-, 50% der Inneren-Intensivstation , 17% der Neurochirurgie.

16,5% der Patienten waren bei der Erstuntersuchung bereits oralisiert, 79% waren mit Magensonde versorgt. Lediglich ein Patient wurde vollständig via ZVK ernährt, zwei Patienten waren bereits aufgrund einer bekannten Schluckstörung mit einer PEG versorgt.

Bereits 30% der Patienten waren zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung tracheotomiert. Alle Patienten wiesen in der Vorgesichte eine Intubation (enoral bzw. transnasal) auf. Die Extubation oder Tracheotomie lag mindestens 4 Tage zurück.

Untersuchungsroutine

Die „conditio sine qua non", eine Schluckdiagnostik durchführen zu können, war die adäquate Vigilanz des Patienten. Wir strebten deshalb eine Untersuchung am Vormittag an, wobei der Patient nicht sediert werden sollte.

Die Untersuchung wurde am Bett des Patienten in annähernd aufrechter Rumpfhaltung möglichst nach Entfernung der Trachealkanüle durchgeführt.

Voraussetzungen für die Untersuchung auf Station waren das Monitoring des Patienten (Pulsoxymetrie, EKG, Herzfrequenz), die Anwesenheit des behandelnden Intensivmediziners sowie ein funktionstüchtiges Absauggerät.

Unser Schluckdiagnostik-Equipment bestand aus einem starren Endoskop (90 Grad), einem flexiblen Endoskop, verschiedenen Nahrungskonsistenzen (Götterspeise, Wasser), Eindickungsmittel, zwei Nahrungsmittelfarben (blau und gelb) und, falls das Tracheostoma nicht epithelialisiert war, einem Killian-Spekulum.

Als Untersuchungsmethode hat sich besonders die retrograde Beobachtung des Schluckens bewährt, d.h. die Beurteilung von Glottisschluss bzw. Aspirationen bei direkter Betrachtung des subglottischen Raumes durch das Tracheostoma.

Die Indikation zur P.E.G wurde abhängig vom Zeitfaktor, dem Allgemeinzustand des Patienten und dem Funktionsbefund gestellt:

Bei voraussichtlich über den Zeitraum von 3-4 Wochen notwendiger Sondenernährung musste eine PEG-Anlage diskutiert werden. Die Entscheidung für eine P.E.G. trafen wir bei ungenügender Vigilanz und Compliance des Patienten, einer oralen bzw. oropharyngealen Transportstörung, einer Penetration mit ungenügender Clearance oder einer Aspiration von Nahrung und Speichel.

[Abb. 1]; [Abb. 2]

Ergebnisse

Die häufigsten Fragestellungen betrafen

a) die Überprüfung bzw. Indikation zur Oralisierung (97%), b) die Indikation zur PEG-Anlage (25%), c) die Indikation zur Tracheotomie wegen anhaltender Aspiration (4,5%) bzw. insbesondere die Frage des Tracheostomaverschlusses (13%) sowie d) den Einsatz einer Sprechkanüle (7%).

a) Eine möglichst baldige Oralisierung und Entfernung der nasogastralen Sonde wurde angestrebt, wenn eine aspirationsfreie Nahrungseinnahme der meisten Konsistenzen auch unter kompensatorischen Maßnahmen möglich war.

Eine Oralisierung und Entfernung einer vorhandenen Magensonde konnte lediglich bei 48% der vorgestellten Patienten eingeleitet werden. 52% der Patienten konnten dagegen aufgrund der aufgetretenen Aspiration (37%), Penetration bei ungenügender Clearance (7,5%) oder Transportstörung (3%) bzw. schlechter Compliance (4,5%) nicht oralisiert werden.

Bei den zum Untersuchungszeitpunkt bereits oralisierten Patienten (n=11) wurde in immerhin zwei Fällen aufgrund von Aspirationen die bereits begonnene orale Nahrungsaufnnahme verboten.

b) In unserer Studie waren zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung 2 Patienten mit einer PEG versorgt. Zusätzlich wurde die PEG-Anlage bei 6 weiteren Patienten indiziert, die auf absehbare Zeit (mehr als 3-4 Wochen) nicht oral ernährt werden konnten.

c) Der Tracheostomaverschluss wurde abhängig von der pulmonalen Situation bzw. der Prognose des Krankheitsverlaufs angestrebt.

Ein probatorisches Abstöpseln der Tracheal-Sprechkanüle unter Monitoring des Patienten über 24-48 Std. wurde zur Überprüfung der Indikation durchgeführt.

Wir konnten bei regelrechter Schluckfunktion und pulmonalem Status 5 Patienten dekanülieren.

d) Das Einsetzen einer Sprechkanüle wurde immer dann angestrebt, wenn der Patient keine geblockte Kanüle, z.B. aufgrund einer Aspirationsneigung oder der Notwendigkeit einer Beatmung, benötigte und eine Dekanülierung zum Untersuchungszeitpunkt nicht möglich war. Durch den Einsatz einer Sprechkanüle wurden zwei wichtige Ziele erreicht: die Phonation und damit verbesserte Kommunikationsfähigkeit des Patienten einerseits, andererseits die Verbesserung der Nasenbelüftung und der Schleimhautsensibilität durch die Reize des Luftstroms bei der Ausatmung. In unserer Serie konnten wir bei 15% der Patienten eine Sprechkanüle einsetzen, auch wenn eine Oralisierung nicht möglich war.

Die enge Zusammenarbeit mit den Intensivsmedizinern hat uns den hohen Stellenwert der phoniatrischen Betreuung der Dysphagie für die intensivmedizinische Behandlung des Patienten gezeigt. Die oben angeführten Daten verdeutlichen die Notwendigkeit einer eingehenden Dysphagiediagnostik auch für die verbesserte Lebensqualität von Patienten auf der Intensivstation.