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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Die interperiodische Irregularität ist unabhängig von der "closed-phase-control"

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV20

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Published: September 12, 2003

© 2003 Schwemmle et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Elektroglottgraphie hat sich als glottographisches Verfahren zur Beurteilung der Stimmlippenschwingungsregularität bewährt. Mit anerkannten Verfahren kann der jeweilige periodendauerbezogene RAP berechnet werden. Es ist bisher allerdings nicht bekannt, ob intraperiodische Irregularitäten mit den interperiodischen Abweichungen eines Zielwertes übereinstimmen. Material und Methoden: In der vorliegenden Studie wurde querschnittlich bei über 100 Patienten mit einseitiger Rekurrensparese der Irregularitätsindex, bezogen auf die Periodendauer (Ifreq), mit dem Irregularitätsindex, bezogen auf den Geschlossenanteil (Icq), verglichen. Ergebnisse: Anhand von ausgewählten Beispielen kann gezeigt werden, dass trotz stabilem Ifreq z.T. deutlich differente Icq gemessen werden können. Diskussion: Die Spannungskontrolle der Stimmlippen ist eine der Voraussetzungen für geringe RAP - Werte. Die hier vorgestellten Ergebnisse lassen vermuten, dass auch hohe Icq - Werte bei regelrechten Ifreq Werten möglich sind. Die „closed-phase control" wird vermutlich ebenfalls von der Spannungskontrolle determiniert. Weitere Untersuchungen werden klären müssen, inwieweit hohe Icq - Werte zum auditiven Eindruck der Rauhigkeit beitragen.


Text

Hintergrund

Die Frequenz der periodischen Öffnung bzw. Schließung, d.h. die Anzahl der Schwingungszyklen der Glottis in einer Zeiteinheit, bestimmt die Grundfrequenz. Der Grundton wird vom Kehlkopf als biologisches System allerdings nicht als gleichbleibendes Signal produziert. Vielmehr kann bei einer Stimmanalyse eine „natürliche" Störung, das heißt eine wechselnde Dauer glottaler Schwingungszyklen, selbst bei intendierter Tonhöhenkonstanz, registriert werden. Dieser Störanteil (oder „natürliche" Jitter bzw. Shimmer) der Grundfrequenz ist ein Charakteristikum der natürlich klingenden Stimme. Hohe Jitterwerte korrelieren mit dem Eindruck einer rauhen Stimme.

Die mittlere Grundfrequenz sowie die entsprechende Streuung dieser Grundfrequenz (Jitter) - bzw. der Shimmer - kann generell entweder anhand der fließenden Sprache, z.B. während des Vorlesens einer Textprobe, anhand gesungener Vokale oder beim Phonieren gehaltener Töne (in der Regel Vokallaute) analysiert werden.

Die Auffassung über den Signalgenerator Glottis bzw. die Vorgabe einer Phonationsaufgabe determiniert zwangsläufig den Charakter der Bestimmungsmethoden. So kann die Grundfrequenzanalyse einerseits als Bestimmung des zeitlichen Tonhöhenverlaufs erfolgen (z.B. wird im Gesang durch die vorgegebenen Tonfolge der zeitliche Tonhöhenverlauf determiniert), andererseits können die sukzessiven momentanen Zyklusfrequenzen (Momentanfrequenzen) analysiert werden. In diesem Fall wird die Frequenzfolge mit statistischen Methoden beschrieben, wobei der statistische Charakter der Folge geprüft werden kann. Somit nimmt die Beschreibung der zufälligen Schwankungen der Grundfrequenz bei konstant gehaltener Grundfrequenz eine Stellung zwischen der Bestimmung zufälliger und der Bestimmung determinierter Frequenzvariationen ein.

Unter der Bezeichnung Glottographie werden alle Verfahren verstanden, mit denen man den zeitlichen Ablauf darstellen kann. Unter „Öffnungs- und Schließungsfunktion der Glottis" versteht man, vereinfacht ausgedrückt, die Art und Weise, wie die Stimmlippen sich bewegen, um die Stimmritze während der Erzeugung stimmhafter Laute zu öffnen und zu schließen.

Die Öffnungsfunktion wird charakterisiert durch den Öffnungsquotienten, der dem Anteil der Öffnungszeit zur Gesamtperiodendauer entspricht, und durch den Geschwindigkeitsquotienten, der dem Anteil der Öffnungsbewegung an der Gesamtöffnungszeit bzw. der Offenzeit entspricht. Die Öffnungszeit variiert mit der Tonhöhe und der Lautstärke: Bei steigender Frequenz nimmt der Öffnungsquotient zu, bei erhöhter Lautstärke verkürzt sich die Öffnungszeit und der Öffnungsquotient nimmt ab, der Geschwindigkeitsquotient nimmt dagegen zu.

Mit den verschiedenen glottographischen Verfahren sollen mehrere Ziele erreicht werden:

- die Regelmäßigkeit der Stimmlippenschwingungen soll untersucht werden,

- anhand der Messung von Parametern wie Öffnungsquotient und Geschwindigkeitsquotient, also analog den Parametern zu der Beschreibung der Öffnungs- bzw. Volumengeschwindigkeitsfunktion, soll zumindest ein Eindruck von der Stimmlippenspannung bzw. der Glottiseinstellung gewonnen werden

- sie sollen über den für das akustische Ergebnis wichtigen Charakter der Öffnungsfunktion informieren.

Bei der von Fabre 1957 entwickelten Methode der EGG (Elekroglottographie) wird über zwei Elektroden, die am Hals auf Höhe der beiden Schildknorpel platziert sind, ein hochfrequenter Wechselstrom transversal durch den Kehlkopf geleitet; der Hals mit dem Kehlkopf stellt einen komplexen elektrischen Widerstand dar. Durch die Stimmlippenbewegungen wird dieser elektrische Widerstand amplitudenmoduliert und kann z.B. oszilloskopisch dargestellt werden.

Über die korrekte Deutung der EGG-Kurve wurde lange Zeit diskutiert. Mittlerweile hat sich die Ansicht von Fourcin und Abberton durchgesetzt, dass mit der Elektroglottographie Aspekte der Größe der Kontaktflächen der Stimmlippen bei Phonation gemessen bzw. dargestellt werden können, da der transversale Widerstand des Kehlkopfes in reziproker Relation zu der Größe der Stimmlippen-Kontaktfläche stehen könnte.

Im klinischen Alltag hat man sich bisher, überwiegend aufgrund von praktischen Erwägungen, darauf konzentriert, Grundtonabweichungen so zu bestimmen, dass Pertubationen von „Mittelwerten" berechnet werden. Die Vorgabe von Mittelwerten (eine sukzessive Periode oder zwei bzw. mehrere sukzessive Perioden) bestimmt dann den Grad der RAP (relative average pertubation). Hierfür verwendet man typischerweise Aufsprechmaterialien, die durch die gehaltene Phonation von Vokalen gewonnen werden.

Nachteil dieser Methode ist, dass der auditiv empfundene Grad der Rauhigkeit bei gehaltener Phonation insbesondere bei Dysphonien deutlich different zum Grad der Rauhigkeit beim normalen Sprechen ist. Dies kann u.a. dadurch erklärt werden, dass bei gehaltener Phonation nur ein Glottiseinschwingvorgang erforderlich ist. Nach erfolgtem Einschwingen sind gemäß der myoelastischen Theorie nur noch Stell- und Haltekräfte notwendig, um einen gleichförmigen Grundton zu produzieren, während bei normalem Sprechen bzw. beim Lesen eines Textes dagegen vielfache Ein- und Ausschwingvorgänge erforderlich sind. Außerdem erfordert gerade die prägnante Artikulation der meisten Konsonanten nicht eine gleichförmige (i.S. eines gleichbleibenden Grundtones) Phonation, sondern eine physiologische, konsonantenspezifische Grundton- und Formantenangleichung (Koartikulationsphänomene).

Von Fourcin und Abberton wurde deshalb vorgeschlagen, dass Pitchunregelmäßigkeiten bei normalem Sprechen respektive beim Lesen eines Textes unter Berücksichtigung der genannten, „physiologischen Grundtonirregularität" ermittelt werden sollten. Hierfür schlugen sie vor, die jeweilige Periodendauer zweier sukzessiver Stimmlippenschwingungen zu bestimmen. Für einen definierten Sprechprobenabschnitt können dann diese Werte bestimmt und die Streuung als Irregularitätsindex (Ifreq) berechnet werden.

Dieses Verfahren ist zwar in der Lage, interperiodische Irregularitäten zu detektieren, hat aber den Nachteil, dass intraperiodische Irregularitäten, d.h. Irregularitäten während einer Bezugsperiode im Vergleich zu einer nachfolgenden Periode bei identischer Periodendauer nicht erkannt werden. Um diese intraperiodischen Irregularitäten zu erkennen, bietet es sich an, die jeweiligen Schwingungszyklen in Teilkomponenten zu zerlegen. In der hier vorliegenden Studie werden die Geschlossenphasen als solche Teilkomponenten bewertet und analog zum Ifreq der Irregularitätsindex für die Geschlossenphasen jeweils zweier sukzessiver Perioden bestimmt.

Für den IQx liegen bisher keine klinischen Daten bzw. Erfahrungswerte vor. Aufgrund theoretischer Überlegungen kann vermutet werden, dass Ifreq und IQx nicht notwendigerweise miteinander korrelieren. Dies wäre nur dann der Fall, wenn Störungen des glottalen Schwingungssystems nicht nur eine interperiodische, sondern auch eine intraperiodische Irregularität verursachen würden. In der hier vorliegenden Studie wurde die Korrelation zwischen Ifreq und IQx untersucht.

Material und Methoden

In einer retrospektiven Studie wurden digital aufgezeichnete Aufsprechproben von über 100 Patienten mit einseitiger Rekurrensparese analysiert. Die Aufsprechproben wurden im Rahmen der klinischen Untersuchung bei Patienten, die die Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der MHH aufsuchten, aufgezeichnet. Zur Bewertung der zugrundeliegenden Krankheitsbilder wurden diese Aufsprechproben off-line analysiert. Die Speicherung erfolgte routinemäßig für spätere Vergleichszwecke sowie zur notwendigen Dokumentation der Leistungserbringung.

Der Irregularitätsindex, bezogen auf die Periodendauer (Ifreq), wurde mit dem Irregularitätsindex, bezogen auf den Geschlossenanteil (Icq), verglichen. Anhand von ausgewählten Beispielen kann gezeigt werden, dass trotz stabilem Ifreq z.T. deutlich differente Icq gemessen werden können.

Diskussion

Die Spannungskontrolle der Stimmlippen ist eine der Voraussetzungen für geringe RAP - Werte. Die hier vorgestellten Ergebnisse lassen vermuten, daß auch hohe Icq - Werte bei regelrechten Ifreq - Werten möglich sind. Die „closed-phase control" wird vermutlich ebenfalls von der Spannungskontrolle determiniert. Weitere Untersuchungen werden klären müssen, inwieweit hohe Icq - Werte zum auditiven Eindruck der Rauhigkeit beitragen.