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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Zur stimmlichen Situation von sogenannten Frau-zu-Mann Transsexuellen: Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und akustische Daten zur Geschlechtsdarstellung

Vortrag

  • corresponding author David Scheidt - Matthiashofstr. 17, 52064 Aachen, Tel.: 0241/1606337
  • author Malte Kob - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen des Universitätsklinikums Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen, Tel.: 0241/ 8088956, Fax. 803388956
  • author Christiane Neuschaefer-Rube - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen des Universitätsklinikums Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen, Tel. 0241/ 8088954, Fax. 8082513

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV03

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Published: September 12, 2003

© 2003 Scheidt et al.
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Zusammenfassung

In der vorliegenden Studie wurde untersucht, wie als „Frau-zu-Mann transsexuell" diagnostizierte Menschen, denen während unterschiedlicher Zeiträume Testosteron verabreicht wurde, ihre Stimme in Bezug auf ihre Geschlechtsdarstellung wahrnehmen, welches Geschlecht diesen Stimmen von Zuhörern zugeschrieben wird und welche akustischen Eigenschaften dieser Stimmen sich messtechnisch ergeben. Die Untersuchung (N=14) umfasste ein ausführliches Gespräch, die Erfassung der mittleren Grundfrequenz und ihrer Variabilität beim Lesen sowie die Bestimmung der ersten drei Formanten der Vokale /a/, /i/ und /u/. Zur genaueren Erfassung der Fremdwahrnehmung dieser Stimmen bzgl. der Geschlechtszuschreibung sowie des empfundenen Grades von Maskulinität bzw. Femininität wurden aufgezeichnete Leseausschnitte des Standardlesetextes von den Probanden und je 7 biologischen Frauen und Männern einem Beurteilerkollektiv vorgespielt und deren Bewertungen in Relation zu den weiteren Untersuchungsergebnissen analysiert. Auf den verschiedenen Skalen wurden 70-90% der Transidentenstimmen zuverlässig als „männlich" wahrgenommen. Dabei wurden die Stimmen der Probanden, die Testosteron länger als 1 Jahr verabreicht bekamen, signifikant häufiger als „männlich" wahrgenommen und mit höheren Maskulinitätswerten beurteilt als die derjenigen mit kürzerer Hormonbehandlung. Im Vergleich zu den Stimmen der Kontrollpersonen bestanden signifikante Unterschiede nur zur Gruppe der biologischen Frauen.


Text

Einleitung

In der vorliegenden Studie wurde untersucht, wie als „Frau-zu-Mann transsexuell" diagnostizierte Menschen („Transmänner"), denen während unterschiedlicher Zeitdauern im Rahmen der gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung Testosteron verabreicht wurde, ihre Stimme in Bezug auf ihre Geschlechtsdarstellung wahrnehmen, welches Geschlecht diesen Stimmen von Zuhörern zugeschrieben wird und welchen Zusammenhang es zwischen diesen perzeptuellen Urteilen mit Messungen von Grundfrequenz und Formanten gibt.

Methode

14 Personen im Alter von 19 bis 42 Jahren wurden logopädisch untersucht, die sich mit ihrem primären Geschlechtseintrag „weiblich" falsch oder unvollständig beschrieben fühlen und die ärztlicherseits inzwischen als „transsexuell" diagnostiziert wurden. Die Untersuchung umfasste zum Einen ein ausführliches Anamnesegespräch mit gezielten Fragen zur empfundenen Geschlechtsidentität sowie zur Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung der Stimme im Alltag. Zum Anderen wurden die Stimmen mithilfe der Sofware „praat" (Download unter www.praat.org) akustisch analysiert und im Hinblick auf einige Parameter ihrer Geschlechtsdarstellung ausgewertet. Berücksichtigt wurden die mittlere Grundfrequenz und ihre Variabilität beim Lesen („Nordwind und Sonne") sowie die ersten drei Formantfrequenzen der isoliert gehaltenen Vokale /a/, /i/ und /u/. Zur genaueren Erfassung der Fremdwahrnehmung dieser Stimmen im Hinblick auf ihre Zuschreibung zu einer der beiden Geschlechtskategorien sowie des empfundenen Grades von Maskulinität bzw. Femininität (Bewertung anhand einer 7er-Skala: mit 1 = sehr feminin und 7 = sehr maskulin) wurden aufgezeichnete Ausschnitte des Standardlesetextes von den Probanden und von je 7 biologischen Frauen und Männern einem Beurteilerkollektiv (N=34) vorgespielt und deren Bewertungen in Relation zu den weiteren Untersuchungsergebnissen analysiert (siehe auch [1]).

Ergebnisse

Trotz unterschiedlicher Beschreibung ihrer empfundenen Geschlechtsidentität hatten die meisten der untersuchten Personen den Wunsch, anhand ihrer Stimme als Männer wahrgenommen und angesprochen zu werden. Auf den verschiedenen Einschätzungsskalen gelang dies zum Zeitpunkt der Untersuchung bei 70-85% der Probanden zufriedenstellend [Abb. 1]. Bei Betrachtung der ermittelten Selbstwahrnehmung nahmen 11 Probanden ihre Stimme als „männlich" wahr, 2 Probanden bewerteten ihre Stimme als zwischengeschlechtlich. Lediglich der Transmann, der zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht mit der Hormonbehandlung begonnen hatte, nahm seine eigene Stimme als weiblich wahr, eine Einschätzung, die mittels Fremdbeurteilung bestätigt wurde. Eine weitere Stimme wurde bzgl. der Geschlechtszuschreibung als uneindeutig beurteilt (54,4 % „männliche", 45,6 % „weibliche" Geschlechtszuschreibung). Die anderen 12 Probandenstimmen der Transmänner wurden meistens oder immer als „männlich" fremdbeurteilt.

Bezüglich der Grundfrequenzmessungen zeigte sich, dass 10 der 14 Probanden mit ihrem Mittelwert innerhalb des Normbereichs für biologische Männer lagen (98-131 Hz) [2]. Diese Stimmen wurden in 100% der Beurteilungen als „männlich" klassifiziert. Abweichungen in Bezug auf eine in Relation zur empfundenen Geschlechtsidentität als „zu feminin" empfundene Geschlechtsdarstellung der Stimme fanden sich insgesamt besonders häufig in der Gruppe, die kürzer als 1 Jahr mit Testosteron behandelt wurde (Tm1) [Abb. 1]. Ihnen gegenüber wurden die Stimmen der Transidenten, die Testosteron länger als 1 Jahr verabreicht bekamen (Tm2), in der Fremdbeurteilung signifikant häufiger als „männlich" wahrgenommen und mit höheren Maskulinitätswerten beurteilt. Bezüglich der akustischen Maße zeigten sich diese Unterschiede in einer zahlenmäßig niedrigeren mittleren Grundfrequenz sowie einer geringeren Variabilität der Grundfrequenz (Standardabweichung der Grundfrequenz in Halbtönen [HT]) in der Gruppe der Tm2, jedoch ohne statistische Signifikanz. Der Vergleich der Formantfrequenzwerte ergab keine systematischen Unterschiede zwischen den Transidentengruppen. In Bezug auf die Stimmen der Kontrollpersonen bestanden signifikante Unterschiede zwischen der Gruppe der Transmänner und den biologischen Frauen bzgl. aller Perzeptionsmaße sowie der Grundfrequenzwerte. Zu der Gruppe der biologischen Männer konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.

Die Berechnung von Korrelationen in Bezug auf die Gruppe der Transmänner und der biologischen Frauen (N = 21) zwischen akustischen Maßen und Perzeptionsurteilen ergab eine hohe Korrelation zwischen mittlerer Grundfrequenz und der Geschlechtszuschreibung sowie den Maskulinität-Femininitätsurteilen. Demgegenüber war der ermittelte Zusammenhang zwischen der Variabilität der Grundfrequenz und den Perzeptionsmaßen nur als gering bis mittelgradig einzustufen. Hinsichtlich der Formantanalyse war ein mittel- bis hochgradiger Zusammenhang lediglich zwischen den ersten Formanten der Vokale und den Geschlechtsurteilen festzustellen (Beispiele: [Abb. 2]).

Diskussion

Die Verabreichung von Testosteron scheint eine geeignete Methode zu sein, die Geschlechtsdarstellung der Stimmen von Transmännern in einem Zeitraum von etwa einem Jahr so zu verändern, dass sie von Zuhörern zuverlässig als „männlich" wahrgenommen werden und sich auch messtechnisch von den Stimmen von biologischen Frauen unterscheiden. In unserer Studie kam der mittleren Grundfrequenz der Sprechstimme gegenüber den anderen untersuchten Parametern der stimmlichen Geschlechtsdarstellung (Variabilität der Sprechmelodie und Formantanalyse) die größte Bedeutung zu. Gegenüber den Stimmen von biologischen Männern unterschieden sich die Stimmen der Transmänner weder messtechnisch noch wurden sie von Beurteilern bzgl. der Geschlechtszuschreibung oder des empfundenen Grades der Maskulinität bzw. Femininität abweichend wahrgenommen.

Vor allem vor und während des ersten Jahres der Hormonbehandlung von Transmännern wird eine logopädische Untersuchung und Beratung empfohlen, um den Leidensdruck, der durch die Diskrepanz zwischen der individuell empfundenen Geschlechtsidentität und der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Stimme entsteht, möglichst abzumildern und Versuchen, die Stimmlage „mit Gewalt" abzusenken, vorzubeugen. Weitere Untersuchungen zur stimmlichen Situation von Transmännern (siehe als einziges Beispiel [3]), gerade auch im Hinblick auf die Veränderung der Leistungsfähigkeit ihrer Stimmen infolge der Hormonbehandlung [4], wären wünschenswert, um die Beratung und Therapie der Betroffenen zu verbessern und um für die in der Stimmarbeit Tätigen mehr Informationen über diese Personengruppe zugänglich zu machen, die in der Literatur in der Regel unberücksichtigt bleibt (siehe z.B. [5], [6]).


Literatur

1.
Gelfer MP, Schofield KJ (2000) Comparison of acoustic and perceptual measures of voice in male-to-female transsexuals perceived as female versus those perceived as male. Journal of Voice 14 (1), 22-33
2.
Böhme G (1997) Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen: ein Lehrbuch. Stuttgart: Fischer, S. 113
3.
Van Borsel J, De Cuypere G, Rubens R, Destaerke B (2000) Voice problems in female-to-male transsexuals. International Journal of Language and Communication Disorders 35 (3), 427-442
4.
Scheidt D (2003) Diagnostik und Therapieplanung für die logopädische Stimmarbeit mit Transgenders am Beispiel der sogenannten Frau-zu-Mann Transsexualität. Diplomarbeit an der Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen des Universitätsklinikums Aachen (in Vorbereitung)
5.
Oates J, Dacakis G (1983) Speech pathology considerations in the management of transsexualism - a review. British Journal of Disorders of Communication 18 (3), 139-151
6.
Oates J, Dacakis G (1997) Voice change in transsexuals. Venerology 10 (3), 178-187