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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Ruktusstimme im Cockpit: stimmliche Rehabilitation eines Piloten

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  • corresponding author Jörg Sandmann - Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitäts-HNO-Klinik Charité, Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin. Telefon: 030 / 450 555 024, Telefax 030 / 450 555 931
  • author Dirk Verges - Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitäts-HNO-Klinik Charité, Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin. Telefon: 030 / 450 555 024, Telefax 030 / 450 555 931
  • Jürgen Kressin - Dorfplatz 9, 12526 Berlin. Telefon 030 / 676 72 45, Telefax 030 / 676 98 03

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP01

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2003/03dgpp003.shtml

Published: September 12, 2003

© 2003 Sandmann et al.
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Zusammenfassung

Es zählt zu den außergewöhnlichen Fällen, dass einem Piloten, der allerdings sehr erfahren war und ohne besondere fliegerische Vorkommnisse gearbeitet hatte, nach Laryngektomie die Fliegertauglichkeit bescheinigt wurde. Der Flugzeugführer, der vor mehr als 10 Jahren operiert und dann durch Wendler sowie Kressin untersucht worden war, verfügte über eine flüssige und gut verständliche Ruktusstimme. Er durfte aus Sicherheitsgründen zunächst für 2 Jahre als zweiter Pilot tätig sein. Die Entscheidung gründete sich u.a. auf ausführliche Beurteilungen der Sprachverständlichkeit sowohl unter Studiobedingungen (Marburger Satztest) als auch unter Fluglärm einschliesslich der Phraseologie für Berufspiloten in deutscher und englischer Sprache. Ausserdem wurde der reale Funksprechverkehr zwischen Cockpit und Tower getestet. Wir berichten in einem Kurzvortrag über die aktuelle Sprachverständlichkeit im Vergleich mit den früher erhobenen Befunden, die sich aufgrund einer flüssigeren und klangvolleren Stimme verbessert hatte. Der Patient ist noch immer in seinem Beruf tätig und arbeitet jetzt sogar als erster Pilot, auch im Passagierverkehr. Kurze Hörbeispiele verdeutlichen die Resultate.


Text

Einleitung

Es zählt zu den außergewöhnlichen Fällen, dass einem Piloten, der allerdings sehr erfahren war und ohne besondere fliegerische Vorkommnisse gearbeitet hatte, nach Laryngektomie die Fliegertauglichkeit bescheinigt wurde. Der Flugzeugführer, der vor mehr als 10 Jahren operiert und dann durch Wendler sowie Kressin untersucht worden war, verfügte über ein flüssiges und gut verständliches Ruktussprechen. (Die Untersuchungsergebnisse von Wendler [1] wurden dann von Stoll und Delank 1994 [2] publiziert.)

Es stellte sich die Frage, ob der Patient trotz der naturgemäß bestehenden stimmlichen und sprecherischen Einschränkungen seinen Beruf als Pilot weiterhin ausüben kann. Durch Nachweis einer ausreichenden stimmlichen Leistung im Störschall bis 80 dB und der erforderlichen Sprechverständlichkeit (im Satztest 88%) war 1992 unter Beachtung der Richtlinien zur Feststellung der Flugtauglichkeit [3] des Luftfahrtpersonals der Bundesanstalt für Flugsicherung sowie durch Bestätigung im Rahmen eines Gutachtens von Kressin eine Tauglichkeit der Stufe II bestätigt worden.

Methodik

Sowohl im Rahmen der postoperativen Untersuchung des Patienten 1992 sowie während einer 2003 erfolgten Untersuchung wurden Sprechproben aufgezeichnet und miteinander verglichen. Dabei las der Patient jeweils Sätze aus dem bekannten Marburger Satzverständnistest nach DLN 45621 vor, die unter Studiobedingungen mittels DAT-Rekorder aufgezeichnet wurden und für Hörbeurteilungen zur Verfügung standen. Außerdem erfolgte eine Einschätzung nach den Kriterien Verständlichkeit, Klang, Höranstrengung und Gesamteindruck jeweils in einer fünfstufigen Skala [4]. Da die Bandaufnahmen ausgesteuert worden waren, ließ sich das Kriterium Lautstärke nicht verwenden. Die Abstufungen waren folgendermaßen vergeben:

Verständlichkeit

(5- alle Wörter verständlich, 4- Wörter zum großen Teil verständlich, 3- Wörter etwa zu 50% verständlich, 2- Wörter zum größten Teil unverständlich, 1- alle Wörter unverständlich)

Klangqualität

(5- äußerst wohlklingend, 4- angenehm, 3- unauffällig, 2- unangenehm, 1- irritierend, störend)

Höranstrengung

(5- vollständige Entspannung, 4- Aufmerksamkeit nötig, keine Anstrengung, 3- mäßige Anstrengung erforderlich, 2- beträchtliche Anstrengung erforderlich, 1- trotz aller Anstrengung unverständlich)

Gesamteindruck

( 5- ausgezeichnet, 4- gut, 3- ordentlich, 2- dürftig, 1- schlecht)

Fünf normal hörenden Versuchspersonen wurden jeweils unterschiedliche Satzgruppen aus den Jahren 1992 und 2003 unter „Wohnzimmerakustik" mit 70 dB wiedergegeben. Der Wortlaut des Satztestes war den Hörern nicht bekannt.

Ergebnisse

Die 5 Testpersonen nahmen folgende Einschätzungen vor:

[Abb. 1]: Einschätzungen nach Aufnahmen von 1992

[Abb. 2]: Einschätzungen nach Aufnahmen von 2003

Bei der Hörbeurteilung der Aufnahme aus dem Jahr 1992 wurde die Verständlichkeit von drei der fünf Teilnehmer mit 50 % und darunter eingeschätzt. Die beiden anderen urteilten günstiger (alle Wörter bzw. Wörter zum größten Teil verständlich). Die Stimme wurde einhellig als unangenehm eingestuft. Vier Teilnehmer gaben beträchtliche Höranstrengung an, für einen war der größte Teil der Sprache trotz aller Anstrengung unverständlich; nur einer empfand eine mäßige Höranstrengung. Die Gesamtbewertung lag bei dürftig bis schlecht.

In der anschließenden Beurteilung der Bandaufnahmen von 2003 verstanden fünf Teilnehmer die Wörter überwiegend, in einem Fall sogar hunderprozentig. Die Klangqualität wurde weiterhin überwiegend als unangenehm empfunden. Für vier der Teilnehmer war nur Aufmerksamkeit erforderlich, jedoch keiner musste sich beträchtlich anstrengen. Drei Versuchspersonen schätzten den Gesamteindruck mit ordentlich oder gut ein, lediglich zwei mit dürftig.

Diskussion

Gaben bei der Beurteilung der Aufnahmen von 1992 noch drei der fünf Teilnehmer eine Sprachverständlichkeit von 50 % oder schlechter an (Kategorien 1-3), so verstehen bei der Beurteilung der Aufnahme von 2003 vier der fünf Teilnehmer den überwiegenden Teil (Kategorien 4 und 5). Bei zuvor überwiegend beträchtlicher Höranstrengung war in den späteren Aufnahmen für vier der Teilnehmer nur noch Aufmerksamkeit erforderlich (Kategorie 2). So verfügt der Patient 2003 über ein im Gesamteindruck als wenigstens ordentlich empfundenes Sprechvermögen.

Nicht im Einklang mit diesen Ergebnissen steht die gute Satzverständlichkeit unter Störschall, die 1992 erhoben worden war. Als Erklärungsmöglichkeit ergibt sich, dass bei den gegenwärtigen Beurteilungen subjektiven Faktoren einen grösseren Spielraum hatten.

Zweifellos ist die Verbesserung der Klangqualität und der Sprechflüssigkeit bei dem Laryngektomierten auf die jahrelange Anwendung des Ruktussprechens unter besonderen beruflichen Anforderungen einer intensiven Kommunikation zurückzuführen. Die frühzeitig aufgenommenen Übungen haben zum Aufbau neuer motorischer Sprechmuster geführt, mit denen Oesophagusdruck, Spannung des Oesophagusshinkter und Artikulationsvermögen effektiv koordiniert werden.

Im Resultat nutzt der Patient eine zwar als unangenehm empfundene, aber gut verständliche Stimme, die ihm nach anfänglich nur eingeschränkter Zulassung im Luftverkehr als Copilot seit 1995 auch wieder das Führen von Verkehrsmaschinen als erster Pilot ermöglicht.


Literatur

1.
Wendler J, Seidner W, Kittel G, Eysholdt U (1996): Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. Thieme-Verlag, Stuttgart
2.
Stoll W, Delank W (1994): Fliegertauglichkeit trotz Laryngektomie.Laryngo-Rhino-Otol. 73, 654-655
3.
Bundesanstalt für Flugsicherung: Richtlinien zur Feststellung der Flugtauglichkeit. (1996) 33. Jahrgang. Frankfurt/Main
4.
Preminger J E, van Tasell DJ (1995): Quantifiying the relation between speech quality and speech intelligibility. JSpeech Hear. Res. 38 714-724