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Die Bedeutung der molekulargenetischen Abklärung frühkindlicher Hörstörungen
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Published: | March 1, 2023 |
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Mindestens 2/3 der Fälle frühkindlicher Hörstörungen sind genetisch bedingt, also durch Mutationen in einem einzelnen Gen verursacht. Durch neue Methoden der Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung (next-generation sequencing, NGS) ist eine umfassende molekulargenetische Diagnostik trotz der ausgeprägten genetischen Heterogenität monogener Hörstörungen seit einigen Jahren möglich. NGS-basierte Diagnostik hat eine hohe Abklärungsquote und sollte eigentlich fester Bestandteil der Ursachenabklärung eines auffälligen Neugeborenenhörscreening oder einer Hörstörung in der späteren Kindheit sein – tatsächlich ist dies wohl noch eher die Ausnahme. Dabei ist gerade bei kindlichen Hörstörungen die Bedeutung der genetischen Abklärung für die Betreuung des einzelnen Patienten von großer Bedeutung: 30% der Patienten entwickeln später zusätzliche Auffälligkeiten i.S. eines Syndroms. Ob es sich um eine isolierte oder um eine syndromale Hörstörung handelt, ist durch die genetische Untersuchung feststellbar. Eine Mutation in einem syndromalen Gen bedeutet, dass der Patient nicht nur HNO-ärztlich, sondern auch von Fachärzten anderer Gebiete mitbetreut werden muss. Im extremen Fall des Jervell und Lange-Nielsen-Syndroms kommen Herzrhythmusstörungen in Form eines Long-QT-Syndroms hinzu, die bis zum plötzlichen Herztod klinisch unbemerkt sein können. Bei 10% der Patienten liegt ein Usher-Syndrom, bei dem sich eine fortschreitende Netzhautdegeneration entwickelt, vor. Anhand von Beispielen wird erläutert, welche diagnostischen, prophylaktischen und zukünftig vermutlich auch kausal-therapeutischen Implikationen syndromale Diagnosen bei kindlichen Hörstörungen haben. Die Feststellung einer eindeutigen genetischen Ursache einer Hörstörung schließt zudem andere, oft weniger klar zu fassende potentielle Ursachen (Infektionen, Hyperbilirubinämie etc.) aus und klärt mit dem Vererbungsmodus auch das Wiederholungsrisiko (bei weiteren Kindern oder bei zukünftigen Nachkommen des betroffenen Kindes). Eine fachärztliche humangenetische Beratung sollte gewährleisten, dass die Ergebnisse einer molekulargenetischen Diagnostik verständlich an die Eltern kommuniziert und schriftlich dokumentiert werden.