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58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

26.09. - 28.09.2024, Würzburg

Adipositasberatung für die Hausarztpraxis – Stand 2024 – Stigmatisierung, Leitlinien und GLP-1-Analoga

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Til Uebel - Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Allgemeinmedizin, Würzburg, Deutschland
  • Christoph Allerlei - Praxis Dr. med. Christoph Allerlei, Deutschland
  • Maike Krauthausen - Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Allgemeinmedizin, Würzburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Würzburg, 26.-28.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocSYM-02-01

doi: 10.3205/24degam302, urn:nbn:de:0183-24degam3025

Published: September 23, 2024

© 2024 Uebel et al.
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Outline

Text

Namen der Moderierenden sowie der Vortragenden: Dr. med. Til Uebel

Dr. med. Christoph Allerlei

Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie)

Prof. Dr. med. S. C. Bischoff, Universität Hohenheim/Stuttgart – angefragt

Einzelbeiträge: Symposium 2x 90 Minuten

Einleitung: T. Uebel (Moderation): Einführung in das Thema

1 a) Studienvorstellung: T. Uebel: Stigmatisierungstendenzen deutscher Hausärztinnen und Hausärzte – .eine Erhebung zu zwei Zeitpunkten mit dem Antifat Attitudes Test, Skala Weight Control/Blame (Hilbert, Rief & Brähler, 2008) in Stuttgart in 2017 und in Bayern in 3–7/2024 (bis dato unveröffentlichte Daten).

1 b) Verhältnisprävention, was ist möglich? Beispielhaft werden ältere und aktuelle Studien zur Verhältnisprävention sowie „der Nutriscore“ vorgestellt. (Inhalte: Umsiedelung von Schwangeren, Effekte eines Tombola-Versuchs der Wohnumsiedlung, der Nutriscore – was kann er den Konsumenten sagen?)

2) Die S3-Leitlinie Adipositas. C. Allerlei: Das Kapitel „Stigmatiserung“. Teile der S3-Leitline 2024 sind zwischen den Fachgesellschaften schon in 2023 konsentiert worden. Dazu gehört auch das zum Zeitpunkt der Abstracteinreichung noch nicht veröffentlichte Kapitel „Stigmatisierung“. Dieses gibt eine aktuelle Übersicht über Stigmatisierung in Deutschland und sich daraus ableitenden Empfehlungen für beratende Berufe.

3) Fatshaming/Bodyblaming – Stigmatisierungserfahrungen von Dicken: M. Krauthausen (Literatur/praktische Beispiele): Fatshaming, das Beschämen dicker Menschen ist trotz der negativen Folgen für Betroffene gesellschaftlich akzeptiert. Sowohl bewusste als auch unbewusste Vorurteile gegenüber übergewichtigen Patienten sind auch im Gesundheitssystem verbreitet. Oft handelt sich hierbei um eine Köperwahrnehmung, die als Blaming auch als Täter-Opfer-Umkehr beschrieben wird. Dabei wird den Betroffenen selbst die Schuld zugewiesen. Nicht selten findet sich darüber hinaus auch eine Selbststigmatisierung. Empirisch werden Stigmatisierungserfahrungen Adipöser und ihre Bewältigungsstrategien vor allem mithilfe psychologischer Ansätze aufgearbeitet.

4 a) Die S3-Leitlinie Adipositas: T. Uebel: Zusammenfassung der Definitionen:

  • Prävention
    • Verhältnisprävention
    • Verhaltensprävention
  • Ziele
    • Gesamtgesellschaftliche Ziele
    • Individuelle Ziele
    • Ziele das Gewicht betreffend
    • Ziele die Gesundheit betreffend
    • Ziele die Akzeptanz betreffend
  • Gewichtsreduktion
    • Kurzfristige Effekte (>1–2 Jahre)
    • Mittelfristige Effekte (2–5 Jahre)
    • Langfristige Effekte (>5 Jahre)
    • Intention to treat-Analysen der Studien
  • Gewichtsstabilisierung

4 b) aktuelle Ernährungs-Empfehlungen der DAG/DGE, die Leitlinie 2024, angefragt ist C. Bischoff, Universität Hohenheim. Effekte/Langzeiterfahrungen konventioneller Ernährungsempfehlungen sind selten Gegenstand randomisierter kontrollierter Studien und werden sehr selten entlang ausreichend langer Beobachtungszeiten erhoben, so dass Effekte auf Morbidität oder gar Mortalität beschrieben werden könnten.

Entlang der Empfehlungen der aktuellen Leitlinie werden durch den Moderator Fragen an den geladenen Gast gestellt und mit den zu Grunde liegenden Studien beantwortet.

5. T. Uebel: GLP-1-Analoga/Double und Tripple-Agonisten und Bariatrische Operationen – aktuelle Studienevidenz, Darstellung in der S3-Leitlinie: Vortrag/praktische Beispiele

In mindestens zwei Studien haben sich Vorteile für besondere Gruppen von Menschen mit Adipositas gezeigt. In der LEADER-Studie von 2015 konnte eine Mortalitätssenkung für Patienten mit Diabetes und Adipositas aufgezeigt werden, in der SELECT-Studie von 2023 konnte das gleiche für Menschen, die an Adipositas und manifester KHK leiden gezeigt werden. Die Gewichtsreduktion, die mit dieser Substanzgruppe erreicht werden kann, ist unterschiedlich ausgeprägt. Langjährige Sicherheitsaspekte sind noch nicht ausreichend geklärt.

6. C. Allerlei: Die Leitlinienempfehlungen der DEGAM 2024: Die Leitlinienempfehlungen und Sondervoten werden skizziert und vorgestellt. Es folgt ein Workshop: Wie sollte die hausärztliche evidenzbasierte Praxisempfehlung aufgebaut sein? Für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen besteht die Möglichkeit in die derzeit in Entstehung befindliche Leitlinie mit Änderungsvorschlägen einzugreifen.

Ziele: Die Leitlinien „S3-Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie“ war 2019 abgelaufen. Die Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ war 2022 abgelaufen. Seither bemühen sich die Fachgesellschaften um evidenzbasierte Empfehlungen.

Den Symposiumteilnehmern soll die schwer zugängliche Gemengelage, die Adipositas als Stigmatiserungsursache, als potentielles metabolisches/kardiovaskuläres Risiko und Streitobjekt in der Wissenschaft darstellt und aufgezeigt werden. Gemeinsam werden konsentierte Leitlinienempfehlungen sowie umstrittene Empfehlungen, deren Folge für die Betroffenen und für die hausärztliche Praxis diskutiert. Zusammen mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen soll in einem abschließenden Workshop die möglichst optimale Darstellung der Kernbotschaften erörtert werden, um die die Handlungsempfehlung der DEGAM zu diskutieren.

Diskussion: Übergewicht und Adipositas werden national von der Bundesregierung wie weltweit von der WHO als Problem adressiert. Die Ursachen für erhöhtes Körpergewicht sind komplex, da es um individuelle, genetische und gesellschaftliche Faktoren geht. Schwerere Formen der Adipositas erhöhen das Risiko für verschiedene Erkrankungen. Allerdings gelingt die Abgrenzung von gesundem zu ungesundem Körpergewicht nur bedingt. Die Behandlung von Übergewicht und Adipositas muss nach Alter, Komorbidität und Sozialstatus differenzieren: Nur unter Berücksichtigung dieser Variablen kann eine Aussage zum individuellen Risiko getroffen werden. Die andauernde Diskussion über geeignete Maßnahmen zur Gewichtsreduktion verläuft teilweise kontrovers. Parallel dazu entwickelt sich die Therapieoption mit GLP-1-Agonisten als gesellschaftlicher Hype, der zu Lieferschwierigkeiten derselben Substanzen für Menschen mit Typ-2-Diabetes führt. Erstmals sind mit diesen Substanzen aber tatsächlich Medikationen vorhanden, unter denen zumindest zwei auch Folgeerkrankungen verhindern können und die ähnlich effektiv sind, wie baraitrische Operationen, ohne jedoch deren Invasivität zu haben. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist erheblich.

Take Home Message für die Praxis: Die konventionelle Definition von einem „Zuviel an Gewicht“ (ungünstige Fettverteilung und erhöhter BMI) und die Graduierung der Adipositas-Gesellschaften wird zunehmend verlassen und Adipositas als ein nicht allzu einfach zu beeinflussender Risikofaktor für insbesondere kardiovaskuläre Erkrankungen und damit als Teil eines Gesamtrisikokonzepts gesehen. Diese multifaktoriell, polygenetische und von epigenetischen und Umweltfaktoren getriggerte „Störung der Energiebilanzregulation“ ist eine lebenslang vorhandene oder auch im Laufe des Lebens erworbene Entität. Neu ist die medikamentöse Option der Therapie mit GLP-1-Analoga. In der Gesellschaft, aber auch bei Ärztinnen und Ärzten ist eine Stigmatisierungstendenz zu beobachten und wissenschaftlich nachgewiesen. Es wird noch dauern, bis das Gesundheitswesen und die Gesellschaft Adipositas und das, was man dagegen tun kann, nicht der Willensschwäche der Betroffenen zuschreiben.