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58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

26.09. - 28.09.2024, Würzburg

Brauchen lesbische Frauen spezifische hausärztliche Versorgung? Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie in Berlin und Brandenburg

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Anna Sophia Wittenstein - Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Berlin, Deutschland
  • Judith Stumm - Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Deutschland
  • Sebastian Melz - Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Berlin, Deutschland
  • Wolfram Joachim Herrmann - Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Würzburg, 26.-28.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP-08-07

doi: 10.3205/24degam241, urn:nbn:de:0183-24degam2419

Published: September 23, 2024

© 2024 Wittenstein et al.
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Hintergrund: Lesbische Frauen, machen knapp 1,3% (2020) der deutschen weiblichen Allgemeinbevölkerung aus. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Vorurteile, ihrer sexuellen Orientierung gegenüber, internalisierte Homophobie, Diskriminierungserfahrungen und Gewalterfahrungen. Dies kann zu gesundheitlichen Problemen („minority-stress-model“, Meyer et al. 2003), bis hin zur Suizidalität führen. In Deutschland gibt es große Wissenslücken über die Gesundheitsversorgung lesbischer Frauen. Insbesondere über die hausärztliche Versorgung ist wenig bekannt.

Fragestellung: Welche Erfahrungen machen lesbische Frauen in der hausärztlichen Versorgung und welche Erwartungen haben sie?

Methoden: Es wurden 22 episodische Interviews mit lesbischen Frauen im Raum Berlin-Brandenburg geführt. Sie wurden audiodigital aufgenommen und anschließend transkribiert. Die Datenanalyse erfolgte anhand des thematischen Kodierens nach Flick.

Ergebnisse: Insgesamt 22 lesbische Frauen wurden interviewt. Die Befragten berichten über mangelnde Sensibilität im Umgang mit nicht-heterosexuellen Lebensformen, beispielsweise im hausärztlichen Anamnesegespräch. Ein Erklären-müssen, der eigenen, nicht-normativen Lebensweise, kann Widerstände im Kontakt mit Behandelnden auslösen. Sorge vor Ablehnung, bis hin zu offener Diskriminierung, nach Selbstoffenbarung der sexuellen Orientierung, wird als Belastung empfunden und kann das Vertrauen in die hausärztliche Versorgung negativ beeinflussen. Lesbische Frauen geben dadurch eventuelle gesundheitsrelevante Informationen nicht preis. Hierdurch ergibt sich unter anderem der Bedarf, nach offenen Fragen in der Sozialanamnese, die alle sexuellen Orientierungen und Identitäten inkludiert.

Diskussion: Lesbische Frauen erleben sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in der Primärversorgung wie im Gesundheitssystem allgemein Unkenntnis und Ablehnung ihrer sexuellen Orientierung gegenüber. Besonders in der Gesundheitsversorgung, die initial von einem Machtgefälle zwischen Behandelnden und Patient:innen geprägt ist, kann eine zusätzliche Sorge vor Ablehnung zu psychischen Belastungen führen. Entsprechend dem „minority-stress-model“ zeigen die Interviewergebnisse, wie wichtig es ist, den Minderheitenstatus und auch die konkreten Belastungen lesbischer Frauen zu kennen, um adäquate Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Take Home Message für die Praxis: Hausärztliche Versorgung sollte als Primärversorgung die individuellen Lebenskonzepte der Patientinnen offen eruieren und in eine ganzheitliche Betrachtung als ein Einflussfaktor, im Sinne des bio-psycho-sozialen Modelles, mit einbeziehen.