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53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Erlangen, 12. - 14.09.2019

Gründe für Geschlechterunterschiede bei der Diagnose und Therapie der Herzinsuffizienz

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Gabriella Marx - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Sarah Koens - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • Colette Gras - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Olaf von dem Knesebeck - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
  • Martin Scherer - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland

53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Erlangen, 12.-14.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocP01-02

doi: 10.3205/19degam119, urn:nbn:de:0183-19degam1198

Published: September 11, 2019

© 2019 Marx et al.
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Text

Hintergrund: Obwohl die Herzinsuffizienz (HI) bei Frauen häufiger diagnostiziert wird, ist die Sterberate höher als bei Männern. Es ist bekannt, dass Männer eher leitliniengerecht behandelt werden.

Fragestellung: Inwiefern unterscheiden sich hausärztliche Diagnose, Diagnosesicherheit und Medikation nach Geschlecht der Patient*innen in der Hausarztpraxis und welche Gründe liegen vor?

Methoden: Faktorielles Design; standardisierte und qualitative Interviews mit 128 Hausärzt*innen nach Vorlage von acht hinsichtlich Alter (55/75), Geschlecht (m/w) und türkischem Migrationshintergrund (mit/ohne) verschiedenen, jedoch ansonsten exakt gleichen Fallvignetten. Statistische und qualitativ-thematische Analyse.

Ergebnisse: Dreiviertel der Studienteilnehmer*innen (77,3%) nannten die Verdachtsdiagnose HI. Häufigste Gründe waren die für die HI typischen geschilderten Symptome. Zusätzlich beriefen sich die Befragten auf die eigene ärztliche Erfahrung.

Die Diagnosehäufigkeit unterschied sich nach Geschlecht in der Vignette (w 85,9%, m 68,8%; p 0,02), wobei Geschlecht in der Begründung nicht explizit genannt wurde.

Die Diagnosesicherheit unterschied sich leicht zwischen den Geschlechtern (Mittelwert: m 45,2%, w 56,5%, p 0,06). Die Priorisierung gründete außer auf Symptomen vor allem auf dem Leitsatz „häufig ist häufig und selten ist selten“; Bauchgefühl und eigene Erfahrung waren wichtige Richtungsgeber. Auftreten und Leidensdruck der Patient*innen waren zusätzlich relevant für die ärztliche Entscheidung.

Die am häufigsten genannten Medikamente bei bestätigter HI waren Diuretikum (91,7%), ACE-Hemmer (76,9%) und Beta Blocker (62,0%) ohne signifikanten geschlechterbezogenen Unterschied. Leitlinien sehen Ärzt*innen eher als Orientierung denn als Vorgabe.

Übergreifend zeigten sich bei der Entscheidungsfindung geschlechterspezifische Vorurteile, z.B. ‚Dissimulierung wegen des Geschlechts‘, ‚Frauen schildern Symptome nicht lehrbuchhaft‘.

Diskussion: Analog zur Literatur wird HI auch in dieser Studie bei Frauen häufiger diagnostiziert, beide Geschlechter jedoch leitliniengerecht behandelt. Da die Befragung zu Gründen keinen expliziten Hinweis auf geschlechterspezifisches Vorgehen zeigte, ist zu vermuten, dass unbewusste Mechanismen, z.B. Vorurteile bei der Therapie, handlungsleitend sind.

Take Home Message für die Praxis: Ärzt*innen sollten ihre Begründung der therapeutischen Entscheidung im Einzelfall kritisch hinterfragen und mögliche geschlechterbezogene Vorurteile (Sexismen) berücksichtigen.