gms | German Medical Science

53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Erlangen, 12. - 14.09.2019

Eine kognitive Dissonanz in Theorie und Praxis zwischen statistischer Big Data / EbM und individueller Therapie

Meeting Abstract

Search Medline for

  • presenting/speaker Theodor Dierk Petzold - Med. Hochschule Hannover, Allgemeinmedizin, Hannover, Deutschland; Zentrum für Salutogenese, Deutschland

53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Erlangen, 12.-14.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV72-03

doi: 10.3205/19degam106, urn:nbn:de:0183-19degam1067

Published: September 11, 2019

© 2019 Petzold.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Es besteht eine kognitive Dissonanz zwischen dem statistischen Wissen bezogen auf von Krankheitsbehandlungen (EbM/BigData) und der individuellen Kooperation mit einem Patienten zu dessen Gesundung. Grundannahme für die empirische Forschung zur Wirksamkeit von Therapien ist, dass eine Bekämpfung der Krankheit die Gesundung des Patienten bewirkt. In einem statistisch erfassbaren Umfang trifft dies zu.

Das Dilemma im Kontakt mit Patienten hat zweierlei Gründe: Unser Nichtwissen, zu welcher statistischen Gruppe er gehört, und dass bei ihm ggf. eine andere Strategie als die Bekämpfung der Krankheit erfolgreicher oder zusätzlich angezeigt ist (z.B. eigene Aktivitäten).

Dies Problem verschwindet nicht durch die „individualisierte Medizin“; dabei werden nur die statistischen Kollektive kleiner.

In der Praxis ist das Dilemma, dass wir z.B. 20% unserer Patient*innen ein Medikament verschreiben, was bei ihnen zwecklos ist und/oder bei 15% eins verschreiben, das ihnen schadet. Statistisch begründete Behandlung erscheint als Glücksspiel.

Fragestellung: Wie können wir diese kognitive Dissonanz zwischen statistischem Wissen und individueller Behandlung und zwischen evidenzbasierter Krankheitsbekämpfung und menschlichem Gesundheitsstreben lösen?

Methoden: Reflexion der Grundannahmen der EbM unter salutogenetisch orientierten systemischen Aspekten: In welchem Verhältnis steht die gesunde Entwicklung von Menschen zu statistischen Wahrscheinlichkeiten von krankheitsbezogenen Therapien?

Ergebnisse: Lösungswege erfolgen durch Integration der individuellen Eigenkompetenz des Patienten in die Praxis der Therapieentscheidung und dieser in die Theorie der AM.

Unter diesem Aspekt kommt den Individuen, die auf eine Therapie nicht ansprechen oder eine ablehnen, die Bedeutung eines „besonderen Falles“ zu. Aus ihren Heilungsverläufen können wir womöglich Neues lernen und die statistischen Ergebnisse verbessern.

Diskussion: Die EbM sieht die Beachtung des individuellen Falles bei aller statistischen Evidenz vor. Reicht das nicht?

Take Home Message für die Praxis: Eine gelingende individuelle Kooperation und Integration mit den unterschiedlichen Rollen von Fach- und Eigenkompetenz kann womöglich die Dissonanz auflösen und das Behandlungsergebnis besser machen als die statistische Vorhersage.