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50. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

29.09. - 01.10.2016, Frankfurt am Main

Komplementärmedizin, Wissenschaftlichkeit und hausärztliche Praxis – eine qualitative Studie

Meeting Abstract

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  • A. Ostermaier - Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Institut für Allgemeinmedizin, München
  • N. Barth - Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Institut für Allgemeinmedizin, München
  • K. Linde - Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Institut für Allgemeinmedizin, München

50. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Frankfurt am Main, 29.09.-01.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. Doc16degam185

doi: 10.3205/16degam185, urn:nbn:de:0183-16degam1851

Published: September 19, 2016

© 2016 Ostermaier et al.
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Hintergrund: Quantitative Erhebungen zeigen, dass zahlreiche Allgemeinärzte Therapien verwenden, die aus wissenschaftlicher Sicht problematisch bzw. inakzeptabel erscheinen (komplementäre/alternative Verfahren, Placebos und unspezifische Therapien). Nur eine Minderheit scheint völlig ohne solche Therapien auszukommen.

Fragestellung: Ziel der Studie ist es, besser zu verstehen, welche Vorgehensstile Allgemeinärzte für die Bewältigung unbestimmter Situationen (d.h. Situationen, in denen keine eindeutige, aus wissenschaftlicher Sicht richtige Therapieoption vorhanden bzw. eine Therapie nicht unbedingt notwendig ist) verwenden und wie sie diese legitimieren.

Methoden: Mit Hilfe einer zielgerichteten Samplingstrategie wurden erfahrene Hausärztinnen und Hausärzte in Kassenarztpraxis rekrutiert, die möglichst unterschiedliche Haltungen zu komplementärmedizinischen Therapien haben sollten. Die Vorgehensweise bei den Einzelinterviews war primär narrativ orientiert. Die Auswertung erfolgt nach Methoden der grounded theory.

Ergebnisse: Bis Ende April 2016 wurden 18 Interviews durchgeführt, ca. 3 weitere sind noch geplant; die Auswertung befindet sich in der Frühphase. Unabhängig vom Behandlungsstil berichteten die Teilnehmer/innen, dass die Fähigkeit des abwartenden Offenlassens über die Jahre deutlich besser wurde und dass „jeder Arzt die Patienten hat, die er verdient.“ Komplementärmedizinische Verfahren werden von Anwendern als Erweiterung der anamnestischen und therapeutischen Möglichkeiten empfunden; je nach Umfang der Anwendung wird eine Verschiebung der Patientenklientel wahrgenommen. Mit Ausnahme einzelner skeptischer Ärzte ist die individuelle Wahrnehmung von Therapieerfolgen zentral für die therapeutische Schwerpunktsetzung. Ein Konflikt mit dem eigenen Anspruch an Wissenschaftlichkeit wird in der Regel nicht empfunden.

Diskussion: Vor dem Hintergrund der theoretischen Debatte um Wissenschaftlichkeit innerhalb der Medizin, verspricht dieser Beitrag einen empirischen Einblick in die Logik der hausärztlichen Praxis. Die Interviews verdeutlichen den enormen Pragmatismus erfahrener Hausärzte.