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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Die Vermischung der Rolle von Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer in der NAKO Gesundheitsstudie: Auswirkungen auf Governance und Wettbewerb

Mixing up financial sponsorship and beneficiary status in the NAKO health study: what does it mean for governance and competition?

Originalarbeit

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  • corresponding author Henrik Becker - Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen, Ludwigsburg, Deutschland
  • Karl-Heinz Jöckel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE), Universitätsklinikum Essen, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2020;16(3):Doc11

doi: 10.3205/mibe000214, urn:nbn:de:0183-mibe0002147

Published: December 1, 2020

© 2020 Becker et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Der Gestaltung der Governance von wissenschaftlichen Großforschungsprojekten wird häufig wenig Bedeutung beigemessen. Organisatorische Hemmnisse, welche sich aus der gewählten Struktur ergeben, werden hingenommen, obwohl längst Methoden zur Analyse der Governance von Organisationen existieren. Die vorliegende Arbeit nutzt diese Methoden, um Störungen zu identifizieren und daraus Rückschlüsse für die Gestaltung künftiger Großforschungsprojekte zu gewinnen.

Als Untersuchungsobjekt dient dabei beispielhaft die Governance der NAKO Gesundheitsstudie, bei der eine Vermischung der Rollen von Zuwendungsgeber und -nehmer vorliegt. Eine Untersuchung mit den Methoden der Governance-Analyse nach Benz et al. zeigt deutlich, dass die Governance-Form des (politischen) Wettbewerbs durch diese besondere Konstellation gestört wird. Auch sind Auswirkungen auf die Praxis identifizierbar, die für andere Großforschungsprojekte von Bedeutung sein können.

Schlüsselwörter: Epidemiologie, Governance-Analyse, Großforschungsprojekt, Projektförderung, Wettbewerb

Abstract

The governance of large-scale scientific research projects often attracts little attention. Organisational obstacles resulting from the chosen structure are accepted, although methods for analysing the governance of organisations have long existed. This paper uses these methods to identify these obstacles and to draw conclusions for the design of future large-scale research projects.

The governance of the NAKO health study, in which the roles of the sponsor and the recipient of funding are mixed, serves as an example. We performed a governance analysis according to Benz et al. which revealed a serious disturbance of the (political) competition. This and other adverse effects additionally identified could be of possible significance also to other large-scale research projects.

Keywords: epidemiology, governance-analysis, large-scale research project, project funding, competition


1 Einleitung

Wissenschaftliche Studien erfordern ab einer gewissen organisatorischen Größe den Aufbau von Governance-Strukturen. Dies gilt insbesondere, wenn verschiedene institutionelle Akteure beteiligt sind. Im Regelfall wird hierbei auf scheinbar bewährte Organisationsformen, wie beispielsweise die Gründung eines Vereins, zurückgegriffen. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten in der Durchführung des Projekts werden oftmals hingenommen. Auch bei der Finanzierung des Projekts durch öffentliche Zuwendungsgeber wird hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung kaum auf organisatorische Belange Rücksicht genommen.

Dies führt in der Praxis mitunter dazu, dass die theoretisch klare Trennung zwischen Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer nicht durchgängig gewährleistet werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die NAKO Gesundheitsstudie, deren Governance die Besonderheit aufweist, dass die an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren sowohl in der Rolle der Zuwendungsgeber als auch der Zuwendungsnehmer agieren. Die durch diese Konstellation auftretenden Konflikte sind offensichtlich, werden jedoch hingenommen.

Die Sozialwissenschaften stellen wissenschaftliche Methoden zur Governance-Analyse bereit, mit denen sich die Strukturen eines Projekts, die vorhandenen (Eigen-)Interessen der Akteure und die vorgesehene Steuerung der Organisation in ihrer Gesamtheit erfassen lassen. Diese Methoden zur Analyse einer bestehenden Struktur eines Großforschungsprojekts heranzuziehen, kann mögliche Inkonsistenzen sichtbar machen und Hilfestellung leisten, diese bei der Konzeption künftiger Projekte zu vermeiden. Insbesondere ein Modell, das durch den Politikwissenschaftler Arthur Benz gemeinsam mit anderen Autoren vor etwa zehn Jahren entwickelt wurde, scheint hierfür aufgrund seiner Stärken im analytischen Bereich besonders geeignet.

Die vorliegende Arbeit untersucht daher beispielhaft mit den von Benz entwickelten Methoden, wie sich die Vermischung der Rolle als Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer auf die Governance-Form des Wettbewerbs der NAKO Gesundheitsstudie auswirkt.

Hierzu sollen zunächst nochmals – in der gebotenen Kürze – die wissenschaftlichen Ziele der NAKO Gesundheitsstudie, die zur Durchführung der Studie geschaffene Infrastruktur sowie die strukturellen Besonderheiten der NAKO Gesundheitsstudie dargestellt werden. Eine genauere Definition, was unter dem Begriff „Governance“ verstanden werden muss, führt schließlich zur Eingrenzung der Fragestellung.

1.1 Die NAKO Gesundheitsstudie

1.1.1 Wissenschaftliche Ziele und Infrastruktur

Die NAKO Gesundheitsstudie (kurz: NAKO) ist „ein gemeinsames interdisziplinäres Vorhaben von Wissenschaftlern aus der Helmholtz-Gemeinschaft, den Universitäten und anderen Forschungsinstituten in Deutschland. Ihr Ziel ist es, die Entstehung der wichtigsten chronischen Krankheiten (Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems und der Lunge, Diabetes, Krebs, neurodegenerative/-psychiatrische und Infektionskrankheiten), ihre subklinischen Vorstufen und auftretende funktionelle Veränderungen zu untersuchen“ ([1], S. 783). Die Untersuchung findet im Rahmen einer Langzeitbevölkerungsstudie, genauer gesagt einer prospektiven Kohortenstudie, statt (vgl. [2], S. 175). Dabei handelt es sich um ein epidemiologisches Forschungsdesign, bei dem eine definierte Gruppe von Personen über einen längeren Zeitraum begleitet und beobachtet wird ([3], S. 816).

Um eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der Daten zu ermöglichen, orientiert sich das Studienprogramm der NAKO an bereits etablierten Kohortenstudien ([4], S. X). Es unterscheidet sich allerdings von der Mehrzahl vergleichbarer Studien dadurch, dass zugleich eine Nachuntersuchung aller Teilnehmer geplant ist ([5], S. 374), ein sehr großes Spektrum an Bioproben gesammelt und gelagert wird ([5], S. 376) sowie die Möglichkeiten der Magnetresonanztomografie von Beginn an genutzt werden, um Bilddaten zu gewinnen ([4], S. VI).

Insgesamt werden 200.000 Personen, jeweils zur Hälfte männlich und weiblich, im Alter zwischen 20 und 69 Jahren untersucht ([5], S. 373). Die Studienteilnehmer werden per Zufallsstichprobe von den Einwohnermeldeämtern ausgewählt, wobei die Konzeption der Studie von einer Response-Rate in Höhe von etwa 50% ausgeht, sodass mehr als 400.000 Menschen kontaktiert werden müssen ([4], S. 62).

Die Untersuchung findet in 18 Studienzentren, verteilt über ganz Deutschland, statt ([4], S. VI). Jeder der 200.000 Teilnehmer durchläuft dort ein Studienprogramm, welches aus einem persönlichen Interview, physiologischen und medizinischen Untersuchungen und einem Fragebogen besteht ([4], S. VI). Des Weiteren werden Bioproben gewonnen, die aliquotiert zunächst eingelagert werden ([4], S. VI). Dieses Studienprogramm wird als „Level 1“ bezeichnet ([4], S. VI). Eine Subgruppe von 20% aller Studienteilnehmer, also insgesamt 40.000 Probanden, nimmt an einer weitergehenden Untersuchung teil, die als „Level 2“ bezeichnet wird ([4], S. VI). Mindestens 40.000 der eingeladenen Teilnehmer werden einer Magnetresonanztomografie unterzogen ([4], S. 103). Hierbei findet eine Ganzkörperuntersuchung mit Sequenzen zu Gehirn, Thorax, Abdomen, dem kardiovaskulären System sowie dem Muskel- und Skelettsystem statt, die es ermöglichen soll, morphologische und funktionelle Risikomarker zu identifizieren ([4], S. 103–107).

Ein zentrales Datenmanagement, welches aus einer unabhängigen Treuhandstelle, dem Integrationszentrum, dem MRT-Bilddatenmanagement und dem Laborinformationssystem besteht, soll die Sicherheit der persönlichen Daten der Studienteilnehmer gewährleisten ([4], S. 145f).

Die von den Studienteilnehmern gewonnenen Bioproben werden in einer zentralen Biobank, dem Biorepository, gelagert, das sich im Helmholtz-Zentrum München befindet ([4], S. VII). Jeweils ein Drittel der von den Studienteilnehmern gewonnenen Bioproben wird zudem dezentral in den Studienzentren als Backup eingelagert ([5], S. 379). Eine Sammlung von Tumorgewebeproben soll diese Standorte mittelfristig ergänzen ([4], S. VII).

Die durch die Durchführung der NAKO gewonnenen Daten und Bioproben sollen eine möglichst breite wissenschaftliche Nutzung erfahren ([6], Einleitung).

1.1.2 Strukturelle Besonderheiten der NAKO Gesundheitsstudie

Die Struktur der NAKO Gesundheitsstudie weist drei Besonderheiten auf:

1.
Die an der Studie beteiligten Institutionen, inzwischen 27 [7], haben sich zum Verein NAKO e.V. zusammengeschlossen. Die Mitglieder setzen sich aus Universitäten, Universitätsklinika, Mitgliedern der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft sowie der Ressortforschung zusammen [7].
Der Verein NAKO ist mit der Durchführung des Projekts betraut ([8], § 1 Satz 2). Der Vorstand des Vereins fungiert nach dem Projektmanagement-Konzept der Studie zugleich als Projektleitung ([9], S. 11). Die Studienzentren, in denen die Untersuchungen an Teilnehmern durchgeführt werden, und die wissenschaftliche Infrastruktur werden von Mitgliedern des Vereins betrieben ([10], § 2 Abs. 2 Nr. 1).
Die Mitglieder des Vereins befinden sich somit in einer Doppelrolle. Sie bilden einerseits das höchste Organ, die Mitgliederversammlung, und bestimmen in dieser Funktion den Vereinsvorstand, welcher zugleich die Projektleitung innehat. Andererseits sind sie auch ausführende Instanz innerhalb des Projekts und als solche der Projektleitung untergeordnet.
2.
Trotz seiner geplanten Langfristigkeit wird die NAKO Gesundheitsstudie ausschließlich als Projekt finanziert – also nicht im Wege einer institutionellen Förderung oder Zuweisung. Zuwendungsgeber sind dabei der Bund und 14 Bundesländer sowie die am Projekt beteiligten Helmholtz-Zentren ([8], § 2 Abs. 2). Wie innerhalb der Projektfinanzierung oftmals vorgesehen, werden zusätzlich von allen Projektpartnern Eigenanteile eingebracht ([8], § 2 Abs. 5).
Die an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren besitzen somit ebenfalls eine Doppelrolle. Sie treten sowohl als Zuwendungsgeber als auch als Zuwendungsnehmer in Erscheinung. Ihr Finanzierungsanteil liegt bei 85 Millionen Euro, während Bund und Länder 171 Millionen Euro einbringen ([8], § 2 Abs. 2).
3.
Die Koordinierung der Zuwendungsgeber findet auf Ebene der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) statt ([8], [11]). Zu diesem Zweck wurde ein Fachausschuss NAKO eingerichtet, der die Umsetzung des Projekts begleiten soll ([8], § 4 Abs. 1 Satz 1). Mitglieder des Fachausschusses sind der Bund und die beteiligten Bundesländer – nicht jedoch die beteiligten Helmholtz-Zentren, obwohl sie als Zuwendungsgeber angesehen werden.
Dieser Fachausschuss soll die Zusammenarbeit mit dem Verein NAKO e.V. sicherstellen und verfügt dabei „über abschließende Entscheidungskompetenz“ ([8], § 4 Abs. 1 Satz 2 und 3).
Daneben verfügt der Fachausschuss über umfangreiche Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verein, insbesondere in Form eines Genehmigungsvorbehalts in „strategischen und wesentlichen finanziellen, organisatorischen und personellen Fragen mit Auswirkungen auf die Förderung der NAKO Gesundheitsstudie“ ([8], § 4 Abs. 4). Aufgrund der ausdrücklichen Regelung in der Bund-Länder-Vereinbarung ist dies Bedingung für die Förderung der NAKO Gesundheitsstudie. Des Weiteren wurde hinsichtlich der Vereinssatzung festgeschrieben, dass der Bund und alle Länder dieser zustimmen müssen ([8], § 6).
Der GWK-Fachausschuss NAKO stellt somit innerhalb der Finanzierungsstruktur das oberste Entscheidungsgremium dar. Er ist zwar nicht mit direkten Durchgriffsrechten in den Verein NAKO e.V. ausgestattet, verfügt aber über Vetorechte in Form von Genehmigungsvorbehalten.

1.2 Governance

1.2.1 Der Begriff „Governance“

Der Begriff „Governance” wird in der Praxis in vielfältiger Weise gebraucht und soll dabei verschiedenste organisatorische Zusammenhänge beschreiben. Benz und Dose ([12], S. 25f), deren Analyse-Modell diese Untersuchung anwendet, kommen nach einer Rückschau auf Governance-Konzepte der vergangenen Jahrzehnte zu dem Schluss, dass sich in allen diesen Forschungsrichtungen trotz vorhandener Unterschiede ein Begriffskern finden lässt, der durch vier Aussagen bestimmt ist:

1.
Governance meint Steuerung oder Koordination mit dem Ziel, die gegenseitigen Abhängigkeiten von – zumeist in handlungsfähigen Zusammenschlüssen organisierten – Akteuren zu managen ([12], S. 25).
Dies bedeutet, dass Governance Prozesse lenkt, aber auch Zusammenarbeit organisiert. Governance arbeitet dabei im Kontext mehr oder weniger institutionalisierter Gruppen, eher nicht mit dem einzelnen Individuum. Und Governance wird dort beschrieben, wo gegenseitige Abhängigkeiten vorhanden sind.
2.
Governance greift für diese Steuerung oder Koordination auf verschiedene institutionalisierte Regelungssysteme zurück, die nahezu immer miteinander kombiniert sind und das Handeln der Akteure lenken sollen ([12], S. 25).
Hier wird deutlich, dass sich Governance im Rahmen von organisierten Strukturen abspielt. Dies können Unternehmen sein oder Verwaltungen, aber auch Vereine und Forschungsverbünde. Wichtig ist jedoch, dass sich Governance nicht auf eines dieser Systeme beschränkt, sondern den Zusammenhang und das Zusammenwirken verschiedener Systeme untersuchen will.
3.
Governance umfasst auch den Bereich der Handlungsformen und Interaktionsmuster, die sich im Rahmen der Institutionen ergeben, ohne von ihnen strukturell vorgesehen zu sein ([12], S. 25).
Damit ist gemeint, dass Governance nicht nur die Strukturen beschreiben will, sondern auch die Art, wie die Akteure innerhalb dieser Strukturen miteinander agieren. Sei es, dass sie sich in Netzwerken organisieren, Koalitionen bilden, Tauschbeziehungen eingehen oder sich im Wettbewerb wechselseitig aneinander anpassen ([12], S. 25).
4.
Governance überschreitet mit diesen Prozessen des Steuerns oder Koordinierens und den Interaktionsmustern Organisationsgrenzen ([12], S. 26). Also ist Governance nicht auf eine einzelne Organisation begrenzt. Sie arbeitet nicht isoliert, sondern bezieht andere Strukturen und ihre Umwelt mit ein, wo dies geboten ist. Sie findet in einem weiten Raum statt, nicht in einem in sich geschlossenen System.
1.2.2 Definition der Governance der NAKO Gesundheitsstudie

Die Governance der NAKO Gesundheitsstudie im Hinblick auf diese Untersuchung lässt sich definieren, indem die abstrakten Begriffe den konkreten Gegebenheiten der NAKO Gesundheitsstudie zugeordnet werden:

1.
Die Governance der NAKO Gesundheitsstudie beschreibt die Steuerung des Projekts und dabei insbesondere die Koordination der Abhängigkeiten der Mitgliedsinstitutionen und der Zuwendungsgeber, aber auch der Forscher, der Einrichtungen der Infrastruktur und des Vereins NAKO e.V., zueinander.
2.
Die Governance der NAKO Gesundheitsstudie bedient sich der Struktur eines Vereins und hat um diesen eine Infrastruktur aufgebaut, die im Rahmen eines Projektmanagements vorgegebenen Regelungen folgt. Daneben ist das Projekt in eine Finanzierungsstruktur eingebunden, die ebenfalls Regelungen bestimmt und somit Teil seiner Governance ist.
3.
Die Governance der NAKO Gesundheitsstudie umfasst auch den Wettbewerb zwischen den Mitgliedsinstitutionen und den Zuwendungsgebern jeweils untereinander sowie die Vertretung von Interessen durch die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, der Gruppe der Universitäten und durch Fachgesellschaften.
4.
Die Governance der NAKO Gesundheitsstudie umfasst nicht nur die Organisationsstruktur des Vereins NAKO e.V., sondern auch Teile der Organisationsstrukturen ihrer Mitgliedsorganisationen und der Zuwendungsgeber.

1.3 Eingrenzung der Fragestellung

Die vorliegende Untersuchung beschreibt die Governance der NAKO Gesundheitsstudie im Hinblick auf die Vermischung der Rolle von Zuwendungsgebern und Zuwendungsnehmern. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, ob diese Konstellation zu Störungen innerhalb der Governance führt und wie sich diese auf den Wettbewerb innerhalb des Projekts auswirken.

Die Beantwortung dieser Fragestellung soll dazu dienen, Erkenntnisse für die organisatorische Konzeption künftiger Großforschungsprojekte zu gewinnen, um identifizierte Inkonsistenzen und Störungen möglichst zu vermeiden.


2 Methoden

Die Untersuchung wurde mit den von Benz et al. entwickelten Methoden der Governance-Analyse [12], [13] durchgeführt. Die Entscheidung für diese Governance-Theorie ist, wie bereits zuvor angemerkt, in ihrer Stärke im analytischen Bereich begründet. Dort hat sie ihren Schwerpunkt und hierfür bietet sie ein Instrumentarium an, welches interdisziplinär ausgerichtet und dennoch in sich geschlossen ist.

2.1 Begriffe

Benz et al. verwenden die Begriffe „Governance-Mechanismus“, „Governance-Form“, „Governance-Modus“ und „Governance-Regime“, die zunächst genauer definiert werden müssen.

Governance-Mechanismus bezeichnet die Art und Weise, wie Akteure ihre Handlungen koordinieren ([14], S. 13). Benz verwendet hierfür – unter Hinweis auf Hedström und Swedberg (vgl. [15]) – den Begriff der sozialen Mechanismen, die in Struktur-Prozess-Zusammenhängen angelegt sind und Handlungen so kausal verknüpfen, dass gemeinsames Handeln erreicht wird ([14], S. 13).

Die Governance-Form wiederum beschreibt nach Benz die Regeln der Interaktion und der Machtverteilung ([14], S. 13). Innerhalb der Governance-Form kommen Governance-Mechanismen zur Anwendung. Während der Mechanismus die Art der Aktion beschreibt, gibt die Form die Regeln vor.

Die Kombination aus Governance-Form und Governance-Mechanismus bestimmt den Governance-Modus ([14], S. 13). Dieser beschreibt also das Zusammenwirken der Governance-Mechanismen innerhalb verschiedener, sich möglicherweise auch überlagernder ([14], S. 19) Governance-Formen.

Treffen mehrere Governance-Formen aufeinander und vermischen sich, entsteht ein Governance-Regime ([12], S. 27). Durch eine Beschreibung des Governance-Regimes ist es somit möglich, die Governance eines Untersuchungsobjekts im Gesamten zu erfassen.

2.2 Governance-Formen und ihre Mechanismen

Benz differenziert zwischen sechs verschiedenen Governance-Formen. Dabei handelt es sich um die Formen Hierarchie, Netzwerk, Verhandlung, Markt, politischer Wettbewerb und Gemeinschaft ([14], S. 14–19).

Diese Governance-Formen bedienen sich jeweils eines Governance-Mechanismus. Im Einzelnen sind dies Zwang, Vertrauen, Vereinbarung, Tausch, Anpassung/Nachahmung und Gemeinsame Werte/Identität ([14], S. 19).

Auch verfügen die verschiedenen Governance-Formen über eine unterschiedliche Machtverteilung, die sich jeweils aus dem Zusammenspiel zwischen Form und Mechanismus ergibt. Des Weiteren unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Austrittskosten, das bedeutet hinsichtlich „Kosten“, die einem Akteur entstehen, sofern er sich den Mechanismen der Governance-Form zu entziehen versucht ([14], S. 13).

Die Governance-Formen lassen sich hinsichtlich ihrer Mechanismen, Regeln, der Machtverteilung und der Austrittskosten wie in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammenfassen ([14], S. 19).

2.2.1 Politischer Wettbewerb

Die Untersuchung konzentriert sich auf die Governance-Form des politischen Wettbewerbs. Sie soll daher eingehender beschrieben werden.

2.2.1.1 Merkmale des politischen Wettbewerbs

Der politische Wettbewerb stellt eine besondere Form des Wettbewerbs dar. Laut Benz ist er durch die soziale Interaktion zwischen Akteuren geprägt, die ein Gut oder ein Ziel anstreben ([16], S. 56). Die Besonderheit liegt in der Art des Erstrebten: dem Erwerb von Macht und Ämtern, soziale Anerkennung oder die Qualität von Leistungen ([16], S. 56).

Benz skizziert, dass der Wettbewerb auf den ersten Blick als durch Konflikte dominierter Prozess erscheinen könne, der wenig mit der Koordination von Handlungen und somit mit Governance zu tun habe ([16], S. 54). Bezugnehmend auf Bartolini (vgl. [17]) geht er jedoch davon aus, dass die eigentlich unabhängig voneinander agierenden Akteure zumindest unterbewusst ein gemeinsames Ziel anstrebten ([16], S. 54). Daher könne der politische Wettbewerb sehr wohl auch als Governance-Modus angesehen werden ([16], S. 54).

Benz weist darauf hin, dass politischer Wettbewerb den Vorteil einer gewissen Dynamik der Interaktionen aufweise, der ihn von anderen Governance-Formen wie Hierarchie, Verhandlung und Netzwerk unterscheide ([16], S. 66). Er sei also immer dort von Vorteil, wo Stillstand unerwünscht sei ([16], S. 66).

2.2.1.2 Elemente des Wettbewerbs im Allgemeinen

Wettbewerb im Allgemeinen setzt nach Benz sieben Elemente voraus ([16], S. 54–56):

1.
Die Akteure müssen um das Ziel oder Gut konkurrieren ([16], S. 54f).
2.
Die Akteure handeln, weil sie sich durch die Erlangung des Ziels oder Guts einen Vorteil gegenüber einem Mitbewerber erhoffen – und zwar in Relation zu dem, was die Mitbewerber erreichen könnten ([16], S. 55).
3.
Die Bewertung des Wettbewerbs erfolgt nicht nach selbst definierten Maßstäben, sondern durch eine Instanz, die über Gewinne oder Niederlagen entscheidet – dies kann durch Wahlen und Abstimmungen, aber auch in Form einer Evaluation erfolgen ([16], S. 55).
4.
Die Akteure passen ihre Handlungen aneinander an, ohne direkt miteinander zu kommunizieren; vielmehr beobachten sie sich wechselseitig und reagieren nach einem Vergleich auf erfolgreiche oder erfolgversprechende Handlungen der Konkurrenten mit gesteigerten eigenen Anstrengungen ([16], S. 55).
5.
Das Ergebnis des Wettbewerbs kann nicht vorhergesagt werden, sondern hängt von den durch die Konkurrenz stimulierten Anstrengungen der Beteiligten ab ([16], S. 56).
6.
Es entsteht ein doppelter Koordinationseffekt, der zur Folge hat, dass durch die Konkurrenz der Akteure sowohl deren individuelle Leistung gesteigert, als auch im Gesamten die bestmögliche Leistung erreicht wird ([16], S. 56).
7.
Ein Mindestmaß an Regeln wird vorausgesetzt: Neben den Maßstäben des Vergleichs sind Mess- oder Bewertungsmethoden festzulegen, die Voraussetzung zur Teilnahme am Wettbewerb müssen definiert sein, Chancengleichheit ist zu gewährleisten und Verhaltensregeln, die „verhindern, dass dessen [des Wettbewerbs; Anm. d. Verf.] Wirkung verzerrt und der Mechanismus gestört wird“, sind einzuhalten ([16], S. 56).

Diese sieben Elemente gelten auch für den politischen Wettbewerb, mit der Besonderheit, dass dort „vergleichende Bewertungen immer begründungspflichtig sind“ ([16], S. 56).

2.2.1.3 Spezielle Formen des politischen Wettbewerbs

Nach den beteiligten Akteuren und dem Gegenstand der Konkurrenz beschreibt Benz mehrere spezielle Formen des politischen Wettbewerbs, von denen hier auf drei näher eingegangen werden soll, da diese für die vorliegende Untersuchung von Relevanz sind: der Wettbewerb um Ämter, der Anbieterwettbewerb und der Leistungswettbewerb.

Der „Wettbewerb um Ämter“ beschreibt das Auswahlverfahren, welches die Vergabe politischer Ämter an Personen oder Parteien durch Wahlen organisiert ([16], S. 57). Nach Schumpeter (vgl. [18]) konkurrieren „politische Unternehmer“ um Wählerstimmen mit dem Ziel, Parlamentssitze und damit Regierungsmacht zu erlangen ([16], S. 58). „Der Wille des Volkes werde also in der Konkurrenz der Politikangebote definiert und zeige sich letztlich in dem Angebot, das in Wahlen die Mehrheit der Stimmen erhalte.“ ([16], S. 58) Downs (vgl. [19]) hingegen geht davon aus, dass die Wähler im Sinne einer Nutzenmaximierung agieren ([16], S. 58). „Das Ergebnis des Politikwettbewerbs [sei] auch von der ‚Nachfrage‘ nach politischen Programmen bestimmt […].“ ([16], S. 58)

Unter „Anbieterwettbewerb“ versteht Benz beispielsweise die Vergabe öffentlicher Aufträge im Vergabeverfahren oder in Form einer Auktion ([16], S. 61). Als problematisch betrachtet er dabei, Wegener folgend (vgl. [20]), dass ein funktionsfähiger Wettbewerb zwar weiterhin Voraussetzung bleibe, jedoch tatsächlich oft nur begrenzt vorhanden sei ([16], S. 61f). Diese Entwicklung habe ihren Ursprung im Charakter öffentlicher Aufgaben, da Konkurrenten bei langfristigen Vergaben während der Laufzeit ausgeschaltet seien ([16], S. 62).

Der „Leistungswettbewerb“ zeichnet sich laut Benz dadurch aus, dass bereits erbrachte Leistungen bewertet werden ([16], S. 62). Gegenstand des Wettbewerbs sind somit nicht Ämter, Positionen oder Ideen für die Zukunft, sondern bereits vorliegende Ergebnisse. Es handelt sich um ein Modell des Benchmarkings, bei dem die Ergebnisse verschiedener Akteure zueinander in Relation gesetzt werden ([16], S. 62).

Leistungswettbewerbe können nicht ohne die Organisation einer externen Instanz entstehen ([16], S. 63). Auch erfordere die Bewertung eine Evaluierung, da die Bewertungsmaßstäbe „nicht auf der Hand“ lägen ([16], S. 63). Schließlich träten Probleme auf, wenn die Bewertungsmaßstäbe und die Erwartungshaltungen der Akteure zu weit voneinander abwichen ([16], S. 63).

Dennoch bewertet Benz den Leistungswettbewerb grundsätzlich positiv: „Die koordinierende Wirkung von Leistungswettbewerben wird dadurch begünstigt, dass sie Positivsummenspiele darstellen […]. Gewinner nehmen Verlierern weder Chancen noch Ressourcen weg, vielmehr gehen sie als Vorbilder aus dem Vergleich hervor, denen andere Akteure oder Organisationen nacheifern.“ ([16], S. 64)

2.2.2 Störungen der Governance

Wie bereits dargelegt, bilden Governance-Formen gemeinsam mit den jeweiligen Governance-Mechanismen den Governance-Modus kollektiven Handelns. Dabei kann es zu einer Überlagerung verschiedener Governance-Formen kommen, den sogenannten „mixed modes of governance“ ([14], S. 19). Die Akteure innerhalb dieser komplexen Systeme seien durchaus in der Lage, sich der Situation anzupassen und die verschiedenen Mechanismen miteinander zu kombinieren ([14], S. 20). Dies könne sogar dazu führen, dass die verschiedenen Systeme sich gegenseitig unterstützen.

Gleichwohl sei es aber auch möglich, dass die Koordination der Handlungen durch die Überlagerung der Governance-Formen gestört werde ([14], S. 20). Benz unterscheidet dabei zwischen drei Typen der Störung: „Zum einen können Entscheidungen durch inkompatible Mechanismen verhindert, verzögert oder inhaltlich beeinträchtigt werden (Effektivitätsdefizit). Zum zweiten können einander entgegenwirkende Governance-Formen dazu führen, dass Entscheidungen nicht oder nicht in der erforderlichen Weise vollzogen werden (Implementationsdefizite). Schließlich kann es an der erforderlichen Zustimmung zu Entscheidungen fehlen (Legitimationsdefizite).“ ([14], S. 20)

2.3 Vorgehensweise

Um das Governance-Regime der NAKO Gesundheitsstudie im Gesamten zu analysieren, müssen zunächst die Governance-Formen der Studie erfasst werden. Dies geschieht durch die Identifikation der vorhandenen Mechanismen, aus welchen sich auf die jeweilige Form schließen lässt. Aus dem Zusammenwirken der identifizierten Governance-Formen ergibt sich schließlich das Governance-Regime.

Für die hier vorliegende Fragestellung genügt es jedoch, die Governance-Form des politischen Wettbewerbs zu identifizieren. Diese kann sodann hinsichtlich ihrer Besonderheiten und Störungen, welche sich aus der Vermischung der Rolle der Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer ergibt, beschrieben werden.


3 Ergebnisse

Die Analyse der Governance der NAKO Gesundheitsstudie ergibt, dass innerhalb der Governance-Form des politischen Wettbewerbs Störungen auftreten. Diese lassen sich auf die Vermischung der Rolle von Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer durch die an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren zurückführen.

3.1 Die Governance-Form des Wettbewerbs innerhalb der NAKO

Innerhalb der NAKO Gesundheitsstudie findet sich die Governance-Form des politischen Wettbewerbs sowohl in Form von Anbieterwettbewerb und Leistungswettbewerb als auch Ämterwettbewerb.

3.1.1 Anbieterwettbewerb im Zuwendungsverfahren

Das Zuwendungsverfahren zur Projektförderung stellt eine besondere Form des Anbieterwettbewerbs dar. Zwar finden hier kein Ausschreibungsverfahren und keine Auktion statt, bei denen sich verschiedene Anbieter um die Erfüllung einer zuvor vom Nachfrager eindeutig definierten Leistung bewerben, aber dennoch ist ein vergleichbarer Sachverhalt gegeben. Denn die Antragsteller stehen hier in einem Wettbewerb mit anderen Antragsstellern um das nur begrenzt zur Verfügung stehende Gut der Projektförderung. Das bedeutet, die Zuwendungsgeber treten hier in der für Anbieterwettbewerbe typischen Doppelfunktion als Nachfrager und als Entscheidungsinstanz, die sich bei der Entscheidung selbst gegebenen Regularien unterwirft, auf. Somit sind die grundsätzlichen Elemente eines Anbieterwettbewerbs gegeben. Auch die Tatsache, dass der Wettbewerb von vornherein auf bestimmte Konkurrenten begrenzt ist, spricht für diese Einordnung.

Die innerhalb des Projekts zuvor stattfindende Auswahl, welche Einrichtungen der zentralen Infrastruktur von welchem Projektpartner betrieben werden sollen, stellt ebenfalls einen Anbieterwettbewerb dar. Denn sofern mehrere Institutionen ihr Interesse anmelden, muss eine Entscheidung getroffen werden, wer dafür im Antrag zur Projektförderung berücksichtigt wird. Nachfrager ist in diesem Fall der Verein. Die Entscheidungsinstanz bildet sein oberstes Organ, die Mitgliederversammlung. Die einzelnen Mitglieder, die sich um den Betrieb einer zentralen Einrichtung bewerben, sind die Anbieter. Auch hier liegen somit die grundsätzlichen Elemente eines Anbieterwettbewerbs vor.

3.1.2 Leistungswettbewerb durch wissenschaftliche Evaluation

Eine regelmäßige wissenschaftliche Evaluation gemäß der Bund-Länder-Vereinbarung ist Voraussetzung zur Förderung der NAKO ([8], § 6). Die Evaluationen dienen dazu, die Konzeption und Umsetzung der Studie im wissenschaftlichen Kontext zu bewerten. Es handelt sich also um eine besondere Form des Leistungswettbewerbs, da zwar die „Leistung“ in Form der Konzeption bewertet und mit Wettbewerbern – nämlich anderen prospektiven Kohortenstudien – verglichen wird, dies aber nicht mit dem Ziel, einen „Gewinner“ zu ermitteln. Daher stellt eine solche Evaluation kein klassisches Benchmarking dar, bei dem das Ergebnis eine Rangliste wäre.

Allerdings wird die NAKO Gesundheitsstudie verglichen und bewertet – mit dem Ergebnis, dass sie aktuellen wissenschaftlichen Standards entspricht, welche sich auch im Vergleich zu anderen Studien definieren.

3.1.3 Ämterwettbewerb bei den Vorstandswahlen

Die Wahlen zum Vorstand des NAKO e.V. sind ein Ämterwettbewerb innerhalb der Governance der NAKO Gesundheitsstudie.

Der Vorstand ist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 der Satzung des NAKO e.V. [10] das Geschäftsführungsorgan. Er wird nach Absatz 2 von der Mitgliederversammlung für zwei bis drei Jahre gewählt, wobei lediglich eine zweimalige aufeinanderfolgende Wiederwahl zulässig ist.

Wie bereits im Einleitungsabschnitt dargelegt, nimmt der Vorstand die Funktion der Projektleitung innerhalb der NAKO Gesundheitsstudie ein.

3.2 Störungen des Wettbewerbs

Der Wettbewerb innerhalb der NAKO Gesundheitsstudie wird durch die Vermischung der Rollen von Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer gestört. Dabei ist zwischen direkten und indirekten Auswirkungen auf den Wettbewerb zu unterscheiden.

3.2.1 Direkte Auswirkungen

Die Doppelfunktion als Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer wirkt sich störend auf den Wettbewerb innerhalb des Projekts aus, da die an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren der Analogie des Marktes folgend zugleich Anbieter und Nachfrager desselben Gutes sind.

Nach Benz et al. erfolgt die Bewertung eines Wettbewerbs nicht nach eigenen Maßstäben, sondern setzt eine Instanz voraus, die über Gewinne oder Niederlagen entscheidet ([16], S. 55). Im Zuwendungsverfahren wären dies also die Zuwendungsgeber.

Wenn nun ein Wettbewerber zugleich dieser Instanz angehört, ist ein grundlegendes Element des Wettbewerbs verletzt. Ein Zuwendungsnehmer, der sich um eine Zuwendung bewirbt, die er – zum Teil – selbst als Zuwendungsgeber zur Verfügung stellt und über deren Vergabe er damit mitentscheidet, ist innerhalb des Wettbewerbs systemgefährdend.

Die Vermischung der Rollen von Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer stellt einige Grundlagen des Wettbewerbs infrage. Insbesondere ist die Chancengleichheit gefährdet, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Zuwendungsnehmer seine zugleich vorhandene Position als Zuwendungsgeber zu seinem Vorteil nutzt. Daraus folgt, dass nicht auszuschließen ist, dass der doppelte Koordinierungseffekt des Wettbewerbs ([16], S. 56) beeinträchtigt wird, wenn aufgrund des Zweifels an der Chancengleichheit nicht mehr die bestmögliche Leistung erreicht werden kann. Und schließlich könnte bei Leistungswettbewerben das Problem auftreten, dass die Erwartungshaltungen der Akteure zu weit voneinander abweichen ([16], S. 63). Im schlimmsten Falle würde diese zumindest partielle Identität von Anbieter und Nachfrager sogar zu einem Marktversagen führen.

3.2.2 Indirekte Auswirkung: Effizienzdefizit

Die gleichzeitige Funktionszuschreibung der an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren als Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer kann zu einem Effizienzdefizit führen, das Entscheidungen verhindert, verzögert oder inhaltlich beeinträchtigt. Dies kann sich zumindest indirekt auf den Leistungswettbewerb im Rahmen des Zuwendungsverfahrens auswirken.

Würde beispielsweise die Mitgliederversammlung in der Vorbereitung des Antragsverfahrens zur Projektförderung – sei es zu Beginn der Studie oder bei einer geplanten Verlängerung – mit der Mehrheit der Stimmen einen Beschluss fassen wollen, der bei Bewilligung zu einer höheren Projektförderung führen würde, wäre dies nicht zwangsläufig im Interesse der beteiligten Helmholtz-Zentren. Die Erhöhung der Fördersumme zieht nämlich auch eine Erhöhung ihres Beitrags als Zuwendungsgeber nach sich. Dies wäre für sie nur annehmbar, wenn sie zugleich in ihrer Rolle als Zuwendungsnehmer zumindest den gleichen Betrag wieder zurückerhalten würden.

Sofern diese Bedingung nicht gegeben ist, wäre die logische Konsequenz dieses Beispiels, dass die beteiligten Helmholtz-Zentren den Versuch unternehmen würden, eine derartige Entscheidung bereits in der Mitgliederversammlung zu verhindern.

Im Prinzip führt die Vermischung der Rollen also in diesem Beispiel dazu, dass im Verhandlungsgremium der Zuwendungsnehmer die Interessen der Zuwendungsgeber vertreten werden. Diese inkonsistente Konstellation wird noch dadurch gestützt, dass die an der Studie beteiligten Helmholtz-Zentren nicht Teil des Verhandlungsgremiums der Zuwendungsgeber, also des GWK-Fachausschusses NAKO, sind. Da sie dort ihre Interessen nicht als Verhandlungspartner vertreten können, weichen sie auf den Verhandlungsort der Zuwendungsnehmer aus.

Das Ergebnis wäre jedenfalls, dass eine Entscheidung der Mitgliederversammlung aufgrund der Vermischung zweier eigentlich unvereinbarer Rollen innerhalb der Governance verhindert oder inhaltlich beeinträchtigt würde.


4 Diskussion

4.1 Folgen für die Praxis

Die aktuelle Governance ist vermutlich zu einem großen Teil der Finanzierungsstruktur des Projekts geschuldet. Auch spielt die Entstehungsgeschichte der NAKO Gesundheitsstudie, an der Helmholtz-Forscher maßgeblich beteiligt waren (vgl. z.B. [21], S. 643), sicherlich eine nicht unbedeutende Rolle. Die offensichtliche Privilegierung der Helmholtz-Zentren ist unter diesem Aspekt durchaus nachvollziehbar.

Dennoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, welche Folgen für die Praxis sich daraus ergeben. Zwar führen die beschriebenen Störungen der Governance nicht zwangsläufig zu einem Stillstand des gesamten Systems. Wie von Benz et al. beschrieben, passen sich die Akteure den „mixed modes of governance“ an und können mit den Inkonsistenzen durchaus auch konstruktiv umgehen. Der aktuelle Stand der NAKO Gesundheitsstudie bestätigt dies, denn das Projekt ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vom Scheitern bedroht.

Zwei Entwicklungen lassen sich allerdings bereits beobachten:

1.
Die Helmholtz-Zentren haben ihre Position innerhalb der Projektleitung, die in der aktuellen Governance mit einem Vorstandsamt verbunden ist, gestärkt. Drei der fünf Vorstandsämter sind durch Vertreter dieser Gruppe besetzt [22]. Dies ist umso verwunderlicher, da für die Universitäten und Universitätsklinika aufgrund der Mehrheitsverhältnisse eine breitere Präsenz möglich gewesen wäre, werden doch zehn der 18 stimmberechtigten Studienzentren ausschließlich von Universitäten oder Universitätsklinika betrieben ([4], S. IIf). Die beteiligten Leibniz-Institute sind im Vorstand gar nicht mehr vertreten [22].
Möglicherweise ist dies ein Ergebnis der gefährdeten Chancengleichheit. Folgt man Schumpeters und Downs Vorstellungen über den Ämterwettbewerb, könnte das „Angebot“ der Helmholtz-Zentren aufgrund der gefährdeten Chancengleichheit auch schlicht in dem Sinne „besser“ gewesen sein, dass die Mitglieder des Vereins sich durch die Wahl von Helmholtz-Vertretern innerhalb der bestehenden Governance eine Nutzenmaximierung erhofften.
2.
Des Weiteren zeigt sich, dass der Verein, der doch eigentlich die zentrale Institution des Projekts sein sollte, nicht einmal im unmittelbaren Besitz der von ihm gewonnenen Daten und Bioproben ist. Denn diese lagern in Einrichtungen der Mitgliedsinstitutionen, stets unter Beteiligung von Helmholtz-Zentren: Das zentrale Datenmanagement beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ([23], S. 29), das Biorepository beim Helmholtz-Zentrum München ([23], S. 37).
Der Verein NAKO e.V. mag rein rechtlich der Eigentümer der Daten und Bioproben sein, faktisch befinden sie sich im Besitz anderer Institutionen. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, da eine Deckung der laufenden Kosten über den Verein, der wie bereits dargelegt lediglich über eine Projektförderung finanziert wird, kaum möglich sein dürfte.
Im internen Wettbewerb um den Betrieb der strategisch wichtigen Infrastruktur-Einrichtungen konnten sich also die am Projekt beteiligten Helmholtz-Zentrum durchsetzen. Möglicherweise hat sich auch hier bereits der gestörte Wettbewerb ausgewirkt.

4.2 Problem Projektförderung

Die Vermischung der Rolle von Zuwendungsgeber und Zuwendungsgeber der an der NAKO Gesundheitsstudie beteiligten Helmholtz-Zentren hängt unmittelbar mit der Projektfinanzierung der Studie zusammen. Wäre stattdessen der Weg einer institutionellen Förderung der Grundinfrastruktur der Studie innerhalb des Vereins gewählt worden, hätten sich die beschriebenen Störungen und ihre Auswirkungen auf die Praxis nicht ergeben. Denn der Verein NAKO e.V. wäre alleiniger Zuwendungsnehmer gewesen und die beteiligten Helmholtz-Zentren hätten nicht als Financier einer dauerhaften institutionellen Förderung auftreten können.

Macht schon allein diese Erkenntnis es schwer nachvollziehbar, weshalb die Finanzierung der NAKO Gesundheitsstudie überhaupt in Form einer Projektförderung erfolgt, sprechen auch grundsätzliche Überlegungen dagegen. Die Studie hat eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren, in der Teilnehmer untersucht werden. Anschließend sollen die gewonnenen Daten und Bioproben zur wissenschaftlichen Forschung genutzt werden, was voraussetzt, die aufgebaute Infrastruktur – mit Ausnahme der Studienzentren – in jedem Falle noch über diese Laufzeit hinaus zu finanzieren. Somit war bereits vor Beginn der Studie offensichtlich, dass das Projekt eine zeitliche Perspektive von bis zu 30 Jahren besitzt. Im wissenschaftlichen Idealfall wird eine Kohortenstudie sogar mit immer neuen Untersuchungen solange fortgesetzt, bis weitere Generationen an Teilnehmern hinzukommen. Davon ausgehend erweitert sich die Perspektive ins Unendliche.

Trotz dieser intendierten Langfristigkeit wurde die Entscheidung getroffen, die NAKO Gesundheitsstudie im Wege der Projektförderung zu finanzieren.

Der Bundesrechnungshof hat zu einem ähnlich gelagerten Fall in seinem Jahresbericht 2016 bereits klar festgestellt, dass eine langfristige Finanzierung eines Vorhabens mit Projektmitteln die engen zeitlichen und sachlichen Grenzen einer zulässigen Projektförderung überschreitet ([24], S. 505). Dem ist im Hinblick auf die NAKO Gesundheitsstudie nichts hinzuzufügen.


5 Fazit

Eine Analyse der Doppelrolle der an der NAKO Gesundheitsstudie beteiligten Helmholtz-Zentren als Zuwendungsgeber und Zuwendungsnehmer mit Methoden der Governance-Analyse zeigt deutlich, dass die Governance-Form des Wettbewerbs beeinträchtigt wird. Dies führt freilich nicht zu einem „Totalversagen“ der Organisation, jedoch zu Störungen, die sich durch eine andere Gestaltung der Governance hätten vermeiden lassen. Insbesondere eine Finanzierung in Form einer institutionellen Förderung hätte hierzu beitragen können.

Die Untersuchung zeigt auch, dass sich mit den aus der Politikwissenschaft stammenden Methoden der Governance-Analyse konkrete Erkenntnisse für eine sinnvolle Gestaltung der Organisation von Großforschungsprojekten gewinnen lassen. Bei der strukturellen Konzeption künftiger Vorhaben sollte dies nicht außer Acht bleiben. Eine weitergehende Analyse der Governance der NAKO Gesundheitsstudie, die das gesamte Governance-Regime der Studie analysiert, erfolgte bereits im Rahmen eines Promotionsprojekts [25].

Solche Analysen könnten in Zukunft bereits vor der Schaffung der Strukturen eines Großforschungsprojekts durchgeführt werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse würden dazu dienen, eine möglichst störungsfreie Governance zu entwerfen. Die wissenschaftliche Basis, welche durch die Verwendung wissenschaftlicher Methoden sichergestellt ist, sollte dazu genutzt werden, eine sachorientierte Diskussion der ansonsten möglicherweise eher (wissenschafts-)politisch dominierten Überlegungen zur Struktur des Großforschungsprojekts zu ermöglichen.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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