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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Statistik-Unterricht für Masterstudenten in Afrika – ein Erlebnisbericht mit Hintergründen

Teaching statistics for Master Students in Africa – background and experiences

Kurzbeitrag

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  • corresponding author Arne Ring - medac GmbH, Wedel, Germany; University of the Free State, Bloemfontein, South Africa

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2019;15(1):Doc01

doi: 10.3205/mibe000195, urn:nbn:de:0183-mibe0001951

Published: January 21, 2019

© 2019 Ring.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

AIMS (African Institute of Mathematical Sciences) fördert die universitäre Mathematikausbildung von afrikanischen Studierenden durch postgraduelle Studiengänge. Anhand des eigenen Erlebens möchte ich Dozenten und Lehrkräfte dazu motivieren, Kurse oder Abschlussarbeiten für das AIMS anzubieten.

Schlüsselwörter: Hochschulausbildung, Statistik, Afrika

Abstract

The AIMS (African Institute of Mathematical Sciences) supports the higher mathematical education of African Master students by providing postgraduate courses, which are taught by lecturers from both local and international institutes. This report reflects the author’s own experience; it aims to motivate lecturers to offer courses or supervision of research topics for AIMS students.

Keywords: higher education, statistics, Africa


Statistik-Unterricht für Masterstudenten in Afrika – ein Erlebnisbericht mit Hintergründen

Als ich im Jahr 2015 zum ersten Mal von der Möglichkeit hörte, in Afrika Mathematik-Studierende unterrichten zu können, war ich sofort begeistert. Die Royal Statistical Society (RSS-UK) hatte die Patenschaft für die Ausbildung von AIMS Tansania übernommen, und warb für Lehrende, die sich dort engagieren wollen. Nachdem ich mittlerweile zwei Mal selbst in Ruanda tätig war, möchte ich auch im deutschsprachigen Raum Interessierte ansprechen, die sich eine Unterstützung vorstellen können.

Hintergrund

AIMS – das African Institute of Mathematical Sciences – wurde im Jahr 2003 von Prof. Neil Turok (University of Cambridge) gegründet, mit dem Ziel, die Mathematikausbildung in Afrika auf ein höheres Niveau zu heben. Als Fernziel wurde ausgegeben, die Tiefe und Breite der Ausbildung so umfangreich zu gestalten, dass man „den nächsten Einstein in Afrika findet“. Dies spiegelt sich auch im Namen des „Next Einstein Forums“ wieder, welches als Dachorganisation weitere Initiativen in Afrika koordiniert.

Nachdem AIMS in Südafrika begonnen wurde, gibt es mittlerweile in 4 weiteren Ländern AIMS-Zentren: Kamerun, Ghana, Senegal und Ruanda. Auch in Tansania befand sich zwischenzeitlich ein AIMS-Zentrum, das jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten vorübergehend geschlossen werden musste.

Jedes Zentrum betreut ca. 30–50 Studierende, die sich aus allen afrikanischen Ländern bewerben können. Voraussetzung ist ein Master-Abschluss in Mathematik oder angrenzenden Fächern. Es gibt meist eine lokale Einstellungsquote (ca. 1/3 Studierende aus dem Land des AIMS-Zentrums) sowie die Anforderung, mindestens ein Drittel Frauen einzustellen. Ausbildungskosten fallen nicht an, und die Studierenden bekommen ein kleines Stipendium. Studierende und Dozenten wohnen im Internat (meist ehemaligen Hotels), in welchem sich auch die Vorlesungsräume befinden; mittelfristig sollen in den meisten Ländern eigenständige AIMS-Bauten errichtet werden.

Innerhalb von AIMS erwerben die Studierenden mit einer einjährigen Ausbildung als Zusatzqualifikation einen „Structured Master“ in Angewandter Mathematik.

Das Ausbildungsjahr unterteilt sich in drei Phasen: Die Skills-Phase (Sep–Okt) besteht aus Basiskursen, wie beispielweise „Mathematical Problem Solving“ und Einführungen in Latex und Python. In der Teaching-Phase (Nov–März) wählen die Studierenden in 6 Blöcken von Lehrveranstaltungen jeweils zwei von drei angebotenen dreiwöchigen Kursen aus, die ein breites mathematisches Fachangebot abdecken. Beispielsweise gibt es Kurse zu Gewöhnlichen Differentialgleichungen, Funktionalanalysis, Quantenmechanik, Algebra und Kryptography, künstliche Intelligenz oder Regressionsrechnung in R. Die meisten dieser Kurse werden von externen Dozenten gehalten, von denen viele aus den USA oder dem westlichen Europa kommen.

Pro Zentrum unterstützen ca. 8 Tutoren die Studierenden. Tutoren sind in der Regel ehemalige Absolventen anderer AIMS-Zentren und gewährleisten, dass die Übungen zu den Vorlesungen durch intensive Betreuung in Kleingruppen erfolgreich sind.

In der abschließenden Research Phase (April–Juni) verfassen die Studierenden ein Essay mit einem externen Betreuer.

Mein Beitrag

Das Unterrichten eines dreiwöchigen Kurses kam für mich zunächst nicht in Frage. Deshalb konzentrierte ich mich darauf, die „Research-Phase“ zu unterstützen, in der die Studierenden innerhalb von gut zwei Monaten einen Essay zu einem wissenschaftlichen Thema abfassen. Zu Beginn dieser Phase ist eine intensive Betreuung notwendig, um die Studierenden an das Thema heranzuführen, während sie anschließend eigenständig das Thema entwickeln. Gut zwei Monate sind dabei natürlich eine vergleichsweise kurze Zeit, was man bei der Wahl des Themas berücksichtigen sollte.

Anfang 2017 hatte ich mich zunächst auf der AIMS-Webseite als Betreuer beworben. Da ich außerdem auf einer Konferenz eine AIMS-Doktorandin aus Uganda kennengelernt hatte, konnte ich einen direkten Kontakt zum AIMS-Zentrum in Ruanda aufbauen, und es meldeten sich drei AIMS Studierende bei mir. Ihr Interesse lag auf dem Gebiet der Statistik mit Schwerpunkt Epidemiologie – wobei dies weniger ihr bisheriges Arbeitsgebiet als vielmehr die ihnen am besten bekannte statistische Forschungsrichtung in Afrika darstellte. Dies ist verständlich, wenn man an die vorherrschenden relevanten Krankheiten wie Malaria und HIV sowie ihre Bekämpfung und Prävention denkt.

Die ersten Kontakte zu den Studierenden gestalteten wir mit Skype-Gesprächen, doch es war für mich klar, dass ich zu Beginn der Research-Phase direkte Unterstützung vor Ort geben sollte, weil Statistik in der (mathematisch sehr breit gefächerten) AIMS-Ausbildung eher zu den Randthemen gehört. Für mich war es auch wichtig, mit den Themen an die aktuelle Forschung heranzuführen, und nicht nur Bekanntes aufzuarbeiten. Auch deshalb waren umfangreiche Erklärungen zur Einarbeitung notwendig.

Ein Schwerpunkt meiner Themen waren Untersuchungen zur „Assurance“, dem Bayesianischen Pendant zur Teststärke. Dieses Konzept hat in den letzten Jahren in der pharmazeutischen Industrie an Bedeutung gewonnen, da es erlaubt, die Unsicherheit der vorhandenen Informationen in der Studienplanung zu berücksichtigen. Die Studierenden sollten die bestehende Literatur nachvollziehen und eigene Simulationsuntersuchungen in R durchführen und diskutieren.

Nach meiner Ankunft in Ruanda musste ich jedoch zunächst feststellen, dass selbst Grundlagen der statistischen Testtheorie kaum vorhanden waren. Doch hier kam mir sowohl die Neugier der Studierenden entgegen, als auch ihre positive Art, Fragen zu stellen. Mit Hilfe von aufeinander aufbauenden Aufgaben, aber auch mit Selbststudium und Diskussionen untereinander, entwickelten wir in wenigen Tagen die nötigen Grundlagen. Nebenbei erfolgte zusätzlich eine Einarbeitung in R, da mein wichtigstes Ziel war, das Assurance-Konzept durch ein Vielzahl von Abbildungen zu illustrieren, die von den Studierenden selbstständig erstellt und interpretiert werden sollten.

In den 10 Tagen meines Aufenthaltes war die wichtigste Aufgabe der Studierenden, die ersten 10 Seiten des Essays zu entwerfen, welche das erste Drittel ihres Projektes abdecken soll, so dass der Hintergrund des Themas und die Methodik der Herangehensweise geklärt war. Das war anspruchsvoll, aber unbedingt notwendig, damit die Orientierung für die weiteren Wochen der Bearbeitung sichergestellt wurde.

Darüber hinaus diskutierte ich die Ziele der Essays mit den AIMS-Tutorinnen. Während der Forschungsphase ist die Aufgabe der Tutoren, die Studierenden während der Forschungsarbeit zu begleiten, sie zur selbständigen, kritischen Recherche im Internet anzuhalten, und zur strukturierten Abfassung des Essays anzuleiten. Inhaltlich ist jedoch ausschließlich der externe Betreuer verantwortlich, da die Tutoren in der Regel nicht die fachlichen Details der Arbeit beherrschen.

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland bearbeiteten die Studierenden das Thema in den folgenden 8 Wochen weiter. Dabei blieben wir per Email und Skype in Kontakt. Ich erhielt etwa wöchentlich eine aktuelle Version der Arbeit und konnte Vorschläge für weitergehende Erörterungen oder Verbesserungen geben. Die AIMS-Tutoren halfen in dieser Phase vor Ort, einerseits um die Motivation hoch zu halten, andererseits um dabei zu unterstützen, dass die notwendige Struktur des Essays eingehalten wurde.

Zu Abschluss der Research-Phase erhielt ich die endgültigen Essays und ich sollte innerhalb weniger Tage zu jeder Arbeit ein formalisiertes Gutachten (bestehend aus 6 Fragen und einer Punktebewertung) einreichen.

Nach etwa einer weiteren Woche verteidigten die Studierenden ihre Arbeit durch jeweils 20-minütige Vorträge am AIMS. Diese Verteidigung erfolgte vor dem akademischen Direktor von AIMS Ruanda und einem Beisitzer, ohne dass die Betreuer anwesend sein mussten.

Mit der inhaltlichen Aufarbeitung der Forschungsthemen und der Struktur der Essays war ich durchweg zufrieden. Auf Grund der Kürze der Zeit und der geringen Erfahrung der Studierenden mussten jedoch Abstriche an der sprachlichen Gestaltung der Essays hingenommen werden. Insgesamt haben alle drei Studenten sehr gute oder gute Bewertungen erhalten. Tatsächlich konnte ich einige Ergebnisse unmittelbar in meiner Firma nutzen bzw. auf ihnen aufbauen.

In diesem Jahr war es ähnlich; ich hatte wieder drei Studierende betreut (Abbildung 1 [Abb. 1]), wobei die letztjährigen Arbeiten teilweise als Basis für weiterführende Essays dienten. Dadurch kam insgesamt genügend Material zusammen, sodass wir derzeit zwei Manuskripte zum Thema „statistische Assurance“ erstellen und in Fachzeitschriften einreichen wollen.

Während der Research-Phase war ich als einziger Betreuer in Ruanda vor Ort. Dies lag hauptsächlich daran, dass die meisten Studierenden bereits während der Teaching-Phase Kontakt zu Lektoren aufgenommen hatten, die dann Betreuer wurden. Oft konnten diese Essays auch an die Vorlesungsthemen anschließen. Nach der bisher erfolgreichen Zusammenarbeit könnte auch ich mir in der Zukunft vorstellen, eine dreiwöchige Statistik-Vorlesung anzubieten, und dabei schon frühzeitig mögliche Forschungsthemen vorzustellen.

Erlebnisse und Empfehlungen

Ruanda ist für seine jüngste Historie, dem Genozid an den Tutsis, weltweit bekannt und geht sehr offensiv mit diesem Thema um. Jährlich wird Anfang April daran erinnert – also gerade zu der Zeit, wenn die Essay-Phase beginnt, so dass ich einige Veranstaltungen besuchen konnte. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Hintergründe dieses Konflikts zu erfahren.

Heute ist Ruanda ein sicheres Land. Nachdem mir zunächst die Studierenden die nähere Umgebung des AIMS-Zentrum gezeigt hatten, war ich anschließend fast täglich mehrere Stunden allein durch die verschiedenen Viertel Kigalis jeweils unterwegs und wurde überall freundlich aufgenommen. Für Mathematiker ist Kigali ohnehin optimal, da die meisten Straßen durch einen Nummerncode (wie „KK 318“) gekennzeichnet sind. Schon mit einer einfachen Karte kann man sich praktisch nicht verlaufen, denn auch abseits der großen Straßen finden sich überall Straßenschilder.

Dass Ruanda das „Land der tausend Hügel“ ist, merkt man sehr schnell, denn es gibt kaum horizontale Wege, so dass zur Erkundung der Stadt durchaus etwas Zeit eingeplant werden sollte. Dies ist aber auch ein wichtiger Vorteil Ruandas: Das Land liegt nahezu vollständig oberhalb einer Höhe von 1.000 m, so dass die Temperatur trotz der Lage am Äquator immer zwischen 15°C in der Nacht und 30°C am Tag beträgt, und in den Regenzeiten noch etwas darunter. Es ist auf jeden Fall spannend, einerseits zur Mittagszeit die Sonne im Zenit über sich zu sehen, andererseits keine übermäßige Hitze ertragen zu müssen, wie man es in anderen Teilen Afrikas erwarten würde.

Die bekannten „Moto-Taxis“ – die wirklich sehr zahlreich sind – habe ich nicht benutzt, aber auch mit den öffentlichen Bussen kommt man sehr gut durch Stadt und Land. Und auch das Essen machte mir keine Schwierigkeiten: Reis und Kartoffeln gab es zu jedem Mittag- und Abendessen, dazu noch verschiedenes Gemüse (wie Bohnen und Spinat) und Salate aus Möhren, Gurken und Tomaten. Fleisch wurde als einziges zugeteilt, war jedoch ausreichend. Ein besonderes Highlight war es für mich, auf den Märkten frische Ananas zu kaufen.

Finanziell ist das Projekt für mich im Rahmen der Erwartungen: Die Flüge nach Ruanda wurden vollständig erstattet. Als Dozent wohnt man im ehemaligen Hotelgebäude in einem sehr großen, zweckmäßig eingerichteten Zimmer. Für die im ersten Jahr notwendigen Impfungen kam meine Krankenkasse auf. Pro Betreuung erhält man eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 USD. In Bezug auf AIMS erscheint mir dies angemessen, zumal ich kaum weitere Kosten hatte.

Fazit

Wenn ich früher Kontakt zu anderen Kommilitonen hatte, die in Afrika beispielsweise medizinische Hilfe leisteten, hätte ich nicht gedacht, dies jemals in meinem Fachgebiet tun zu können. Meine Erfahrungen zur Zusammenarbeit sind sehr positiv: Auch wenn es zu Beginn der Betreuung durchaus anstrengend ist, können sich die Ergebnisse sehen lassen. In diesem Jahr werden wir auf Grundlage der Essays zwei wissenschaftliche Publikationen einreichen. Außerdem konnte ich den Kontakt zur zu Beginn genannten ugandischen Doktorandin halten. Sie hat mittlerweile ihre Forschung auf einem Kongress in den USA vorgestellt, bei der sie für einen studentischen Posterpreis nominiert war. Sie wird außerdem im kommenden Jahr mit Hilfe eines DAAD Stipendiums zur Weiterführung ihrer Forschung nach Hamburg kommen.

Zusammenfassend: Wer sich vorstellen kann, Vorlesungen für AIMS zu geben, oder Essays zu betreuen, kann sich direkt auf der AIMS-Webseite für die einzelnen Standorte bewerben. Man kann sich sicher sein, dass die Bewerbung von den AIMS Zentren positiv aufgenommen wird, denn sie sind sehr daran interessiert, eine abwechslungsreiche Ausbildung anbieten zu können.

Alternativ besteht die Möglichkeit, Themen für AIMS Kamerun in der britischen Initiative vorzuschlagen.

Websites:

In den kommenden Wochen werde ich bei der gmds und der Deutschen Mathematiker-Vereinigung anregen, auch eine deutsche Patenschaft für ein AIMS Zentrum aufzubauen.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Giogi E. Career highlights: Emanuele Giorgi on teaching in Africa. Significance. 2018;15(1): 41. DOI: 10.1111/j.1740-9713.2018.01111.x External link
2.
Schrader C. Einstein aus Afrika. Wissenschaft als Entwicklungshilfe. Süddeutsche Zeitung. 17. April 2017. Available from: https://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaft-als-entwicklungshilfe-einstein-aus-afrika-1.3462424 External link