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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Serious Games for Health – ernstzunehmende didaktische Konzepte in der medizinischen Ausbildung?

Serious Games for Health – serious didactic concepts for medical education?

Originalarbeit

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  • corresponding author Daniel Tolks - Lehrstuhl für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
  • Martin R. Fischer - Lehrstuhl für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2013;9(1):Doc03

doi: 10.3205/mibe000131, urn:nbn:de:0183-mibe0001317

Published: January 31, 2013

© 2013 Tolks et al.
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Zusammenfassung

Es liegen bisher wenig Daten und unterschiedliche Ansichten vor, ob und im welchem Ausmaß Serious Games in der medizinischen Ausbildung eingesetzt werden, und es herrschen ebenfalls unterschiedliche Ansätze und Meinungen darüber, welche Spiele geeignet sind, in das bestehende medizinische Curriculum integriert zu werden [1], [2], [3], [4], [5]. In diesem Beitrag werden Kriterien für die Auswahl und den Einsatz von Computerspielen in der medizinischen Ausbildung entwickelt und angewandt. 29 Serious Games for Health (Spiele im gesundheitlichen Themenbereich) wurden anhand dieser Kriterien auf ihre Eignung zur Ausbildung von Ärzten getestet. Von den 29 Spielen erscheinen sechs geeignet, um in das medizinische Curriculum integriert zu werden.

Abstract

There is not a lot of data available yet in which way Serious Games are integrated in medical education. A lot of different opinions and concepts are discussed concerning in which way Serious Games can be effectively integrated in the medical curriculum. In this article we developed criteria for the implementation of Serious Games for Health in the medical education. 29 Serious Games for Health were tested to their applicability for undergraduate medical education. Six games seem to be suitable to be integrated into the medical curriculum.


Hintergrund

Serious Games haben sich zu einem eigenen Marktsegment in der Video- und Computerspielindustrie entwickelt [6], [7] und im akademischen Bereich sind dazu steigende Forschungsaktivitäten zu verzeichnen [8].

Serious Games werden aus unterschiedlichen Gründen bislang sehr unterschiedlich definiert [9]. Michael und Chen definieren Serious Games wie folgt: “A serious game is a game in which education (in its various forms) is the primary goal, rather than entertainment” ([10], S. 17). Es handelt sich dabei um eine sehr weit gefasste Definition. Zyda integriert in seiner Definition den pädagogischen Aspekt von Serious Games: “Serious games have more than just story, art, and software, however. (…) They involve pedagogy: activities that educate or instruct, thereby imparting knowledge or skill. This addition makes games serious.” ([11], S. 26). Aus den oben genannten Zitaten lässt sich ableiten, dass es sich bei Serious Games um Spiele handelt, die primär auf Bildung und nicht auf Unterhaltung abzielen. Diese Eigenschaft ist notwendig, aber noch nicht hinreichend, denn erst der tatsächliche Einsatz eines solchen Spiels in einem didaktischen Setting macht aus dem Game ein „Serious“ Game [12]. Damit steht die Definition im engen Zusammenhang mit den Lernzielen, die notwendigerweise in einem didaktischen Kontext vorhanden sind.

Daraus resultieren folgende Kriterien, die ein Serious Game definieren:

  • Intention des Spieles ist die Vermittlung von Inhalten, die nicht primär der Unterhaltung dienen.
  • Das Spiel muss einen pädagogischen Inhalt besitzen.
  • Der pädagogische Inhalt muss sich dem Unterhaltungsfaktor unterordnen.
  • Das Spiel muss auf mindestens ein Lernziel abzielen.

Serious Games for Health

Nach Ritterfeld et al. [8] werden ca. acht Prozent aller entwickelten Serious Games im Bereich Gesundheit entwickelt. Hier unterscheidet man zwischen Computerspielen, die gesundheitsrelevante Informationen und Ansichten im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung vermitteln sollen, Computerspiele, die zu therapeutischen Zwecken bei psychischen und physischen Erkrankungen eingesetzt werden und Serious Games, die in der medizinischen Aus-, Weiter und Fortbildung angewandt werden [13]. Die Wirksamkeit konnte bereits in einigen Studien nachgewiesen werden [14].

Serious Games in der Medizin/in der medizinischen Ausbildung

In der medizinischen beruflichen Weiter- und Fortbildung sind eine Reihe von angewandten Spielen entwickelt worden. Im praktischen Arbeitsumfeld werden diese für das Verstehen, Einüben und Trainieren von praktischen und theoretischen Fertigkeiten und Arbeitssituationen genutzt (Betriebliches Management, Notfallmanagement) [13]. Viele dieser Spiele stammen aus dem Bereich populärer Quiz- und Karten-Formate [15].

Die bekannteste Studie über den positiven Effekt von Computerspielen auf medizinische Fertigkeiten stellt die Untersuchung von Rosser et al. [16] dar. Die Forscher postulierten die Theorie, dass Videospieler im Vergleich zu ihren Kollegen ohne Videospielerfahrung bessere Fähigkeiten im Einsatz von laparoskopischen Instrumenten hätten. Wenn auch diese Studie nur eine kleine Stichprobe (n=33) untersucht hat, konnten damit bereits mögliche Vorteile des Einsatzes von Computerspielen in der medizinischen Ausbildung herausgearbeitet werden:

  • Kosteneffiziente Plattform für Ausbildung und Entwicklung von Fertigkeiten
  • Weitreichende Verfügbarkeit und Übertragbarkeit von Videospielen
  • Zukünftige Personalbeschaffung aus der Videospiel-Generation
  • Vermeidung und Reduzierung von Fehlern

Bislang gibt es keine Daten dazu, ob und wie Serious Games in die Curricula für Medizinstudenten integriert werden. Im Rahmen dieser Studie wurden die bekanntesten Serious Games darauf hin geprüft, ob sie in das Medizinstudium eingebaut werden könnten.


Fragestellung

Welche Serious Games lassen sich im Hinblick auf diese Definition im Gesundheitsbereich (Serious Games for Health) finden und wie lassen diese sich didaktisch sinnvoll in die Ausbildung an medizinischen Fakultäten integrieren?


Methoden

In Bezugnahme auf die didaktische Zielstellung wurden Kriterien entwickelt, die die wichtigsten Lernziele beim Einsatz von Serious Games beinhalten. Die Lernziele, die Serious Games verfolgen, wurden nach Anderson et al. [17] klassifiziert (kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele). In Abhängigkeit davon können Serious Games zur Informationsvermittlung, Einstellungsbildung und zu Trainingszwecken genutzt werden. Nach diesen drei Kriterien wurden Serious Games daraufhin getestet, ob ihre praktische Einbindung in eventuelle Lehr-Lernszenarien an medizinischen Fakultäten möglich ist. Es wurden folgende Kriterien identifiziert, die einen Einsatz in der medizinischen Ausbildung sinnvoll erscheinen lassen:

  • Digitales Format
  • Spielerische Komponenten müssen vorhanden sein (keine Simulationen, die nur Spieltechnologien, aber keine Spielinhalte/-dynamiken nutzen)
  • Die Thematik muss sich in den Fächerbereichen der Approbationsordnung wieder finden (Klinische Themen oder Themen der Querschnittsbereiche)
  • Das vermittelte Wissen bzw. die Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen für die Ausbildung der Mediziner relevant sein
  • Der Einsatz des jeweiligen Serious Games muss innerhalb des Curriculums praktisch einbindbar sein
  • Orientierung an mindestens einem Lernziel

Im Folgenden wurden Serious Games for Health, die von ihren Entwicklern als solche definiert wurden, miteinander verglichen. Zur Auswahl wurden als Quellen die folgenden Web-Sites genutzt: http://www.socialimpactgames.com/; http://www.gamesforhealth.org/ sowie die Publikationen von Susi et al. 2008 [7], Lampert et al. 2009 [9], Breuer 2010 [18] sowie Ritterfeld et al. 2010 [8]. Weiterhin wurden eigene Recherchen und Testspiele durchgeführt. Folgende Serious Games wurden auf ihre mögliche Einbindung in die medizinische Curricula getestet:

Ben’s Game, Biohazard / Hazmat, Bronkie the Bronchiasaurus, Catch the Sperm, Ditto’s Keep Safe Adventure, Earthquake in Zipland, Escape from Diab, Feed the Monster, Free Dive, Glucoboy, Heart Sense, Hungry Red Planet, Immune Attack, Interactive Nights Out, Outbreak at Water´s Edge, Nanoswarm, Packy & Marlon, Personal Investigator, Pulse!, Re-Mission, Rex Ronan, Shagland, The Journey to Wild Divine, Fatworld, Mogi, D.M. Dinwiddie, Mystery of the Rash Outbreak, Smoke Attack, Spacebar.


Ergebnisse

Im Folgenden werden die Serious Games dargestellt, die theoretisch in der medizinischen Ausbildung eingesetzt werden könnten (Tabelle 1 [Tab. 1], Anhang 1 [Anh. 1]).

Es handelt sich dabei um drei Simulationen, zwei Adventure- und ein Strategiespiel. Uro Island und Pulse!! stellen momentan die einzigen Serious Games dar, die direkt relevante Themen in der medizinischen Ausbildung adressieren. Von den Spielen sind nur drei frei verfügbar. Es lässt sich weiterhin feststellen, dass bei keinem der Spiele psychomotorische Lernziele vermittelt werden.

Es zeigt sich, dass bislang nur wenige Serious Games für den Einsatz in der medizinischen Ausbildung entwickelt wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass einige der entwickelten und für die medizinische Ausbildung relevanten Serious Games nicht frei verfügbar sind.


Schlussfolgerung und Ausblick

Nimmt man die sich aus den primären Lernzielen abgeleiteten Kriterien zur Einteilung und Definition von Serious Games, dann ergeben sich brauchbare Lehr-Lernszenarien zur Einbindung dieser Medien in die Medizinerausbildung an Hochschulen.

Potentielle weitere Anwendungsfelder innerhalb der curricularen Ausbildung in der Medizin könnten Spiele in den Querschnittsfächern Prävention und Gesundheitsförderung (Q10), Ethik (Q2) und Immunologie (Q 4) darstellen. Auch könnten Grundlagenfächer wie Biologie durch den Einsatz von Serious Games vermittelt werden. Im Bereich der stationären Versorgung eröffnen sich Übungsmöglichkeiten von Versorgungsabläufen, leitlinienbasierten Simulationen und handlungsorientierte Forschung. Für den Bereich der Patientenversorgung können ernsthafte Inhalte in bekannte Spielprinzipien (Egoshooter, Strategiesimulation) transportiert werden. Dafür können auch praktische Bewegungsübungen (Exergaming mit der Wii) in die Spiele einbezogen werden.

Es besteht ferner die Möglichkeit, bereits bestehende Computerspiele in die medizinische Ausbildung zu integrieren, indem man diese durch so genannte Mods verändert. Eine Mod (auch der oder das Mod; Abk. für engl. Modification oder deutsch Modifikation) ist eine üblicherweise kostenlose, meist von Hobby- oder selten auch beruflichen Spieleentwicklern erstellte Erweiterung bzw. Veränderung eines bereits veröffentlichten Computerspiels. In engerem Sinne bezeichnet Mod eine bestimmte Kategorie von Computerspielmodifikationen [19].

Die Curriculumsverantwortlichen sollten prüfen, ob die Implementation eines Serious Game in dem jeweiligen Kontext eine sinnvolle Alternative darstellt und solche Einsätze bzgl. Prozess und Ergebnisvariablen evaluieren. Erst wenn solche Daten vorliegen, lässt sich empirisch unterlegen, worin der Mehrwert dieser Anwendungen für die medizinische Ausbildung liegt.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Akl EA, Sackett K, Pretorius R, Erdley S, Bhoopathi PS, Mustafa R, Schünemann HJ. Educational games for health professionals. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Jan 23;(1):CD006411. DOI: 10.1002/14651858.CD006411.pub2 External link
2.
Akl EA, Gunukula S, Mustafa R, Wilson MC, Symons A, Moheet A, Schünemann HJ. Support for and aspects of use of educational games in family medicine and internal medicine residency programs in the US: a survey. BMC Med Educ. 2010 Mar 25;10:26. DOI: 10.1186/1472-6920-10-26  External link
3.
Akl EA, Pretorius RW, Sackett K, Erdley WS, Bhoopathi PS, Alfarah Z, Schünemann HJ. The effect of educational games on medical students' learning outcomes: a systematic review: BEME Guide No 14. Med Teach. 2010 Jan;32(1):16-27. DOI: 10.3109/01421590903473969 External link
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Sostmann K, Tolks D, Fischer M, Buron S. Serious Games for Health: Spielend lernen und heilen mit Computerspielen? [Serious Games for Health: Learning and healing with video games?]. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2010;6(1): Doc12. DOI: 10.3205/mibe000112 External link
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