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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Die unerträgliche Geschichte der Gesundheitskarte in Deutschland

Kurzmitteilung

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  • corresponding author Harald G. Schweim - Lehrstuhl für Drug Regulatory Affairs der Universität Bonn, Bonn, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2007;3(1):Doc04

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mibe/2007-3/mibe000052.shtml

Published: March 15, 2007

© 2007 Schweim.
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Die unerträgliche Geschichte der Gesundheitskarte in Deutschland

Die Gesundheitskarte ist ein Vorhaben, das von Anfang an funktionieren muss."
G. Schröder, Bundeskanzler, CEBIT 2004

Diese Zusammenstellung stützt sich wesentlich auf Fakten aus Meldungen von heise-online.de aus den Jahren 2003-2006: http://www.heise.de. Auf diese Literatur wird im Einzelnen nicht erneut verwiesen. Alle letzten Zugriffe im Internet waren, soweit nicht dezidiert vermerkt, am 11.10.06.

Prolog

Zusätzlich zur massiven Kritik an der Gesundheitsreform sieht sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) neuen Vorwürfen ausgesetzt. Auslöser ist ein Bericht der Unternehmensberatung Booz, Allen, Hamilton, dem zufolge die Kosten des ohnehin in Zeitverzug geratenen Großprojekts der elektronischen Gesundheitskarte mit 3,9 bis 7 Mrd. Euro um ein Vielfaches über den bislang geschätzten rd. 1,6-1,8 Mrd. Euro liegen werden. Grund: Schmidt habe entschieden, dass die für das elektronische Rezept und andere geplante Anwendungen erforderlichen Daten auf der Karte und nicht auf einem zentralen Server gespeichert würden. Dadurch verteure sich nicht nur die Karte massiv, es seien auch teure Parallelstrukturen erforderlich, da der Server weiter für Update-Strukturen nötig sei. Im November 2005 haben Schmidts Beamte faktisch die Leitung der gematik übernommen. „Seit diesem Zeitpunkt sind Konzepte und technische Lösungen mehr und mehr überfrachtet worden“ (http://www.silicon.de/enid/cio/22390). Die Beitragszahler und die Ärzte werden die großen Verlierer der Einführung der e-GK sein. 2000 bis 10.000 Euro kostet die Investition in die neue Technik jede Arztpraxis (http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E25680F40D8F64DDBBEC8C2D6EE459853~ATpl~Ecommon~Scontent.html). Nach neueren Berechnungen halten sich in zehn Jahren Kosten und Nutzen mit insgesamt gut 14 Milliarden Euro gerade mal die Waage (http://www.faz.net/s/Rub6B15D93102534C72B5CF6E7956148562/Doc~E0885FFA5F17E435FA1C8E62B080E4A11~ATpl~Ecommon~Scontent.html).

Hauptteil

Die elektronische Gesundheitskarte (e-GK) ist eines der größten IT-Projekte der Welt und außerdem mittlerweile ein Prestigeprojekt der Großen Koalition. Aber so recht kommt die e-GK nicht voran. Eine flächendeckende Versorgung wird frühestens Ende 2008 bis 2009 erwartet. Die technischen Spezifikationen für die intelligenten Chipkarten ebenso wie für die Kartenterminals sind noch nicht fertig. Die e-GK muss sich (lt. SGB V) nicht nur äußerlich durch das Foto des Inhabers von der alten Krankenversichertenkarte (KVK) unterscheiden. Aber selbst um diese gesetzliche Festlegung wird noch gestritten. Sie ist im Gegensatz zur alten KVK nicht nur eine Speicher-, sondern auch eine Prozessorkarte. Von Anfang an soll sich die Europäische Krankenversichertenkarte (EHIC) als Sichtausweis auf der Rückseite der e-GK befinden. Dies ersetzt den bisher bei Krankheitsfällen im Ausland üblichen "Auslandskrankenschein" in Europa und ermöglicht den Versicherten so eine unbürokratische medizinische Behandlung. Möglicherweise soll die Rückseite ein Unterschriftenfeld und einen Magnetstreifen bekommen, damit die Karte noch länger mit alten Lesegeräten kompatibel ist. Die e-GK ist nur Teil einer komplexen Infrastruktur. Weitere wesentliche Bausteine sind der elektronische Heilberufsausweis (HPC), mit dem sich Ärzte und Apotheker beim Zugriff auf medizinische Daten ausweisen, ein Kommunikationsnetz, das 123.000 niedergelassene Ärzte, 65.000 Zahnärzte, 2200 Krankenhäuser, 21.000 Apotheken und rund 270 Krankenkassen miteinander vernetzt sowie die zugehörigen Netzwerksserver. Die e-GK sollte eigentlich bereits seit Anfang 2006 an alle 82 Millionen privat und gesetzlich Versicherten in Deutschland ausgegeben sein. Die Gesamtkosten des Projekts wurden damals mit rund 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro angegeben. Auf jede Praxis und Apotheke kämen unter dieser Kostenschätzung Ausgaben von etwa 2500 bis 3500 Euro zu, sagten Vertreter von Ärzteverbänden (Die Welt, 08.12.2005). Eine im Frühjahr 2004 veröffentlichte Analystenstudie von Soreon Research hat die verschiedenen Gratifikationsmodelle für die deutsche Gesundheitskarte durchgerechnet. Die Analysten kamen zu der mit einer guten Amortisationschance bezeichneten Empfehlung, den Ärzten und Apothekern auf 10 Jahre hinaus 28 Cents für das e-Rezept zu vergüten und gleichzeitig bei den Versicherten eine Kartengebühr von 5 Euro pro Quartal zu erheben. Diese Gebühr sollte nach den Empfehlungen der Studie über die ersten drei Jahre nicht erhoben werden, um die Einführung der Gesundheitskarte nicht zu gefährden.

Zur Erinnerung: Die Chipkarte hat bis spätestens zum 1. April 2006 gemäß Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (V) §291 ein Foto des Versicherten zu enthalten und muss geeignet sein, Angaben für die elektronische Übermittlung ärztlicher Verordnungen (z. B. Rezepte) aufzunehmen (SGB V, §291a Absatz 2 Nr. 2).

Die e-GK für alle Bürger war Ende 2003 mit der von Regierung und Opposition gemeinsam erarbeiteten Gesundheitsreform beschlossen worden. Anlass war der Lipobay-Skandal 2001. Ziel der Karte sollte es sein mehr Transparenz in den Versorgungs- und Abrechnungsabläufen zu schaffen. Sie sollte die KVK ablösen, wesentlich mehr Daten enthalten, fälschungssicher sein und die Einführung des elektronischen Arzneimittelrezeptes sowie die Aufnahme des Notfallausweises ermöglichen. Ulla Schmidt setzte dabei auf das Roland-Berger-Konzept vom August 1997 (http://www.gesetzeskunde.de/Medizin-Infos/Telemedizin/perspektiven.htm). Dies ("Telematik im Gesundheitswesen") empfahl dringend eine bundesweite "Gesundheitsplattform".

Sts Klaus Theo Schröder vom BMG schwärmte von den Vorteilen der neuen Karte: "verbesserte Behandlungsqualität", "Stärkung der Patientenautonomie", "effiziente und nachhaltige integrierte Versorgung", "Einsparungen von mehr als einer Milliarde Euro". Außerdem erwarte man von ihr "eine Initialzündung für die Industrie mit positiven Auswirkungen auf den Export" (Die Welt vom 03.11.2003).

Klang schon damals zu schön, um wahr zu werden: Im Gesundheitswesen der Zukunft sterben weniger Menschen, weil riesige Datenbanken jede Unverträglichkeit von Verordnungen aufdecken. Ärzte erhalten im Notfall blitzschnell lebensrettende Informationen. Die Kosten sinken, und die Qualität steigt trotzdem. Teure und unnötige Doppeluntersuchungen fallen weg, weil jeder Arzt besser informiert ist als jemals zuvor. Das gilt auch für die Patienten, die ihre Gesundheits- und Krankheitsdaten erstmals selbst bestimmt verwalten können.

Die Fakten

Mit 11 Milliarden Transaktionen pro Jahr und einem Datenaufkommen von mindestens 23,6 Terabyte pro Jahr (ohne Bilddaten) gehört der Schritt in die Digitalisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland zu den anspruchsvollsten IT-Projekten der Welt.

Seit 01.01.2006 hätten 71 Millionen GKV-Versicherte ihre Karte erhalten müssen, auf denen zunächst nur die Grunddaten stehen, auf die dann aber mindestens bei 12 Millionen Versicherten die möglicherweise lebensrettenden Notfalldaten aufgebracht werden sollen. Mit 890 Millionen e-Rezepten pro Jahr soll sich das Kartenprojekt in wenigen Jahren durch die erzielten Einsparungen im Gesundheitswesen amortisieren. Etwa ab 2012 sollten nach Angaben des bIT4Health-Konsortiums jährlich 350 Millionen e-Arztbriefe und 1,24 Milliarden e-Patientenakten über die Gesundheitskarte abgewickelt werden. Auf diese Patientenakten soll der mündige Patient Zugriff haben, entweder nach dem 4-Augen-Prinzip beim Arzt oder über eine Datenbankabfrage, für die er zusätzlich eine qualifizierte digitale Signatur besitzen muss.

Vom Start weg müsste das System Millionen von Anfragen der Apotheker und Ärzte verkraften können. Allein das e-Rezept sorgt dafür, dass tagsüber 8500 Zugriffe in der Minute erfolgen, was eine extrem leistungsfähige Backend-Struktur voraussetze.

Bislang gibt es wenig mehr als die Einschätzung von IT-Experten, die für Deutschland von einer Installation ausgehen, die um den Faktor Sieben größer als das österreichische System ausfällt, das auf 10 Millionen Karten ausgelegt ist.

Der Informatiker Paul Schmücker machte auf eine "vergessene" Dimension der Gesundheitskarte, die Langzeitarchivierung medizinischer Daten über mindestens 30 Jahre hinweg, aufmerksam. Allein in den Krankenhäusern werde pro Jahr und Bett ein laufender Meter an Dokumentationsakten produziert. Zusammen mit den Arztbriefen und den Dokumentationen der Ärzte seien dies 2,2 Milliarden Dokumente jährlich, die langfristig aufbewahrt werden müssten, während Schlüsselalgorithmen und Zertifikate kurzfristig verfallen können.

Deutschlands Mediziner stellen jährlich rund 700 Millionen Papierrezepte aus, die für die Abrechnung mühsam per Hand in den Computer eingegeben werden müssen. Auch Überweisungen trägt der Patient als Gedrucktes zum nächsten Facharzt oder ins Krankenhaus. All diese Prozesse sind nicht nur umständlich, sondern kosten Zeit und Geld.

Obwohl das Ausstellen des elektronischen Rezeptes nur marginal vom papierbasierten Rezept abweichen soll, ist die Beratungszeit mit der e-GK nach entsprechenden Untersuchungen erheblich gestiegen (Nach einer Mitteilung des Nachrichtendienstes Facharzt.de: Die Fachhochschule Flensburg hat 2005 eine Umfrage unter 116 Ärzten durchgeführt, die in der Modellregion Flensburg mit einer frühen Version der Gesundheitskarte arbeiten). Die Ärzte mit der notwendigen Technik müssten durchschnittlich 16 Gesprächsminuten pro Patient in die Information über die Karte und ihre Funktionen investieren. Während der Arzt ein Papierrezept in 2,13 Sekunden unterschreibe, benötige er bei der Gesundheitskarte 24 Sekunden. Bezogen auf eine durchschnittliche Praxis mit 1600 Rezepten im Monat kommen monatlich 27 Stunden allein für das Unterschreiben von Rezepten zusammen, im papierbasierten System jedoch nur eine Stunde.

Wie viele Daten zusätzlich gespeichert werden und wer sie lesen darf, soll der Patient selbst bestimmen. Um künftig Patientendaten einsehen zu können, benötigt das medizinische Personal die so genannte HPC als elektronischen Schlüssel. Insgesamt sollen 406.000 Ärzte und Apotheker eine HPC-Karte bekommen, mit der sie sich künftig für die Nutzung der medizinischen Telematik authentifizieren. Diese Zahlen berücksichtigen jedoch nur die in Kammern organisierten Berufe: Tatsächlich werden nach Schätzungen des NRW-Gesundheitsministeriums wohl 1,79 Millionen HPC-Karten ausgegeben werden müssen, weil auch Berufsgruppen wie Rettungsassistenten, Hebammen, Krankengymnasten und Gesundheitsingenieure eine Karte mit abgestuften Zugriffsrechten benötigen. Nicht zuletzt brauchen auch Wartungstechniker, die EDV-Systeme in Arztpraxen betreuen, für Testläufe eine solche Karte.

Neben den Pflichtdaten soll die e-GK auch mehrere "Fächer" enthalten, in denen die allgemeinen Patientendaten, Daten zu Untersuchungen, Arzneimittelverordnungen, Impfungen sowie Notfalldaten aber auch Wirkstoff-Unverträglichkeiten auf einer multifunktionalen Mikroprozessorkarte gespeichert sind. Die Karte soll auch Daten auf Servern speichern und einlesen können. Das Speichern kompletter Krankenakten sei allein aus technischen Gründen nicht möglich. Weiterhin ist angedacht, den Organspendeausweis und die Patientenverfügung auf der Karte zu führen. Doch schon bei einem weiteren Eckstein der Gesundheitskarte, der elektronischen Patientenakte, ergibt sich das Problem, dass für umfangreiche Datensammlungen der Speicherplatz nicht ausreicht. Speicherintensive Daten sollen außerhalb der Karte auf Servern der Krankenkassen im Internet bereitgehalten werden, wobei die Karte selbst als Zugangsschlüssel dient. Während bei einer serverbasierten Lösung für die elektronische Patientenakte der Zugriff durch die Krankenkassen problemlos realisierbar ist, haben diese bei der dezentralen Lösung wenig Möglichkeiten, die Akten einzusehen.

Etliche Medizininformatiker warnen, dass eine verteilte Datenhaltung der „Nagel zum Sarg der Datenqualität“ sein kann. Trotz dieser m.E. als Binsenweisheit zu bezeichnenden Tatsache wurde dies vom Ministerium und der gematik nicht zur Kenntnis genommen. Ein Problem ist lt. Spiegel (Der Spiegel, „Gelenkte Demokratur“, 26, 118-119 (2206)) Sts Schröder: „Bis ins Detail mischt Schröder beim Standard mit“.

Selbst diese scheinbar einfache Angelegenheit wie das erforderliche Passbild auf der Karte, das den teuren Missbrauch beenden soll, könnte immense Probleme bereiten. Die e-GK erfordert die HPC. Beide Karten sollen mit einem Foto personalisiert sein. Allein der logistische Aufwand, die Fotos von rd. 71 Millionen GKV-Versicherten und bis zu 1,8 Mio Heilberuflern zu besorgen und anzubringen, ist enorm. Denn wer soll mehr als 71 Millionen Menschen, darunter Bettlägerige, schwere Pflegefälle oder aus religiösen Gründen Verschleierte, fotografieren? Wer soll Identitäten überprüfen, und wo werden die Foto-Daten gespeichert, die auf die Karten gedruckt werden? Wie sollen z.B. die Fotos zu den Kartenherstellern gelangen und wie die Karten und die zugehörigen PI-Nummern sicher ausgegeben werden?

Die Erfahrungen, dass Fotos auf Kredit- und Bankkarten kaum dazu beitragen, den Kartenmissbrauch zu reduzieren, haben die deutschen Banken bereits hinter sich, seitdem solche Karten vor einigen Jahren getestet wurden. "Schon nach kurzer Zeit konnten wir feststellen, dass es keinen merkbaren Unterschied zwischen Karten mit und ohne Foto gab, was die durchschnittlichen Missbrauchszahlen anging. Der Ansatz erwies sich streng gerechnet sogar als kontraproduktiv – und die Produktion der Karten mit Foto ist natürlich teurer“. Als Konsequenz sind die Karten mit Foto heute nicht mehr verbreitet (http://www.heise.de/newsticker/meldung/52815).

Das mit der Rahmenplanung zur e-GK ursprünglich beauftragte Konsortium von IBM, SAP, InterComponentWare, Orga und dem Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation hatte die erste „Solution Outline“ erarbeitet. Dort heißt es: "Die e-GK enthält zum Zeitpunkt der ersten Ausgabe kein Schlüsselmaterial zur Authentifizierung, Verschlüsselung oder elektronischen Signatur. Dennoch ist sie mit ihrer ersten Ausgabe technisch geeignet, Authentifizierung, Verschlüsselung oder elektronische Signatur zu ermöglichen. Ein Migrationsweg zur Etablierung einer PKI für die e-GK ist dargestellt. Insbesondere ist ein nachträgliches optionales Aufbringen von entsprechendem Schlüsselmaterial von ausgegebenen Karten vorzusehen und zu testen." Ohne Authentifizierungsfunktion werden aber einige der mit der e-GK angedachten Prozesse nicht durchzuführen sein. So soll die elektronische Patientenakte nur dann einsehbar sein, wenn sich der Patient gegenüber dem Server ausweisen kann.

Das härteste Urteil in den Kommentaren zur Solution Outline kam von Sun Microsystems: "Aus unserer Sicht liest sich der Solution Outline wie ein Dokument, welches von IBM geschrieben wurde, mit dem Ziel, IBM-Produkte zu platzieren und möglichst viele Dienste in zentralen Rechenzentren neu zu erstellen."

Diese Vertragsgemeinschaft wurde dann gesetzlich durch die bereits im Januar 2005 gegründete gematik ersetzt, die in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH mit den Selbstverwaltungsorganisationen als Gesellschaftern künftig alle Beschlüsse zur Telematik-Infrastruktur mit Ausnahme der Finanzierung treffen soll. Für die Beschlussfassung wurde anstelle des Einstimmigkeitsprinzips nur noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangt.

"Wir werden mit der Karte etwas nach vorne bringen, von dem andere Länder noch etwas lernen können."
Andreas Köhler, Vorsitzender des gematik-Verwaltungsausschuss

Wirklich? Beispiele:

In Taiwan wurde im Jahr 2003 flächendeckend für ca. 23 Mio. Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Die Ärzte und Apotheker haben, wie in Deutschland geplant, mit einer HPC Zugriff auf die Patientendaten. Derzeit wird die taiwanesische Gesundheitskarte jedoch, ähnlich wie die in Deutschland bereits 1993 eingeführte Krankenversichertenkarte, lediglich für administrative Daten (Name, Geburtsdatum etc.) genutzt.

In Österreich wird die e-Card derzeit ausgeliefert. Herzstück des österreichischen Systems sind zwei Rechenzentren, die in verschiedenen Bezirken von Wien stehen und über mehrere Glasfaserleitungen miteinander verbunden sind. Jedes Rechenzentrum arbeitet mit einem IBM-Server "unter einem mächtigen Unix-Betriebssystem" mit 96 Prozessoren, der als 34 logische Server partioniert ist und 10 Terabyte Plattenplatz verwaltet. Die Server verarbeiten derzeit unter AIX 5.3 mit Oracle 8 täglich 300.000 bis 400.000 Zugriffe der angeschlossenen Ordinationen. Das System erzielte als bisherigen Rekord gleichzeitige 450.000 Zugriffe. Ärzte, die für den GIN-Anschluss 32,70 Euro im Monat bezahlen, können gegen jeweils 5 Euro Aufpreis e-Mail und Web-Zugriff anmieten, die über ein spezielles Gateway laufen.

Die e-Card ist der zweite Anlauf der Österreicher, den Einstieg in die medizinische Telematik mit einer kartenbasierten Lösung zu schaffen. Im Unterschied zur deutschen Gesundheitskarte enthält die e-Card keine Fächer zur Speicherung von Patientendaten und Rezepten. Wie ihr deutsches Pendant ist aber auch die e-Card auf der Rückseite mit der Europäischen Krankenkarte ausgestattet und für die digitale Signatur vorbereitet. Die dafür notwendigen Signatur-Zertifikate soll jeder Bürger nach eigenem Gusto kaufen können. Zusätzlich müssen die Gebühren für die neue Chipkarte bezahlt werden: Die e-Card kostet 10 Euro pro Jahr.

In Frankreich ist die „carte vitale 2“ im Gegensatz zur deutschen e-GK nicht mit Speicherfächern für das elektronische Rezept ausgestattet, sondern hostbasiert werden alle Informationen über eine zentrale Patienten- und Rezeptdatei im Internet zugänglich gemacht, wie es alle ernst zu nehmenden Medizininformatiker auch für die e-GK empfehlen. Der Speicher auf der französischen Karte dient allein der Aufnahme biometrischer ID-Merkmale, die wie im europäischen Reisepass aus Fingerabdruck und Gesichtserkennung gewonnen werden sollen. Damit soll die neue carte vitale fälschungssicher werden und die schnelle Authentifizierung des Patienten auch bei nicht vorhandener Internet-Verbindung gestatten. Ab 2007 können Ärzte alle Daten der Patienten zu Krankheiten, Diagnosen und Behandlungen abfragen. Die deutsche Variante dem Patienten Verfügungsgewalt über die hostbasierte elektronische Patientenakte zu geben (dies soll ab 2012 eingeführt werden), wurde in Frankreich verworfen.

Statt internationale Standards zu übernehmen hat Ulla Schmidt neue Standards teuer entwickeln lassen - wohl um der deutschen Industrie Aufträge zu sichern. Damit habe sie auch die Chance verringert, die Karte international zu vermarkten (Zitiert nach HANDELSBLATT, Dienstag, 19. September 2006).

Epilog

Eigentlich sollten die Bundesbürger die Karte längst in den Händen halten. Zum 1. Januar 2006, so steht es im Gesetz, war der Start für das große Telematik-Projekt geplant. Doch das ging gründlich schief:

Zunächst erstellte ein Industriekonsortium (bIT4Health) ein Konzept, dann folgte eines von Fraunhofer. Beide sind auf jeweils tausend Seiten nachzulesen und kosteten 7,4 Millionen Euro. Bewirkt aber haben sie wenig. Dann ist eine neue Gesellschaft entstanden, mit Namen gematik, und durfte pro Jahr rund 33 Millionen Euro ausgeben. Ergebnis: Das größte IT-Projekt der Welt ist jetzt wieder fest in der Hand des Staates. Nach der Androhung entsprechender Maßnahmen erfolgte am 27. September 2005 die "Ersatzvornahmemöglichkeit durch Rechtsverordnung mit vorgeschaltetem Weisungsrecht" durch das damalige BMGS. Mit dieser Ersatzvornahme haben die Gesellschafter der gematik, die Krankenkassen und Ärzteorganisationen keine Möglichkeit mehr, Beschlüsse für die Ausgestaltung des IT-Projektes zu fällen.

Weil alles nicht richtig vorankam, ordnete Gesundheitsministerin Schmidt an, man möge möglichst schnell mit den Tests beginnen. Das Ministerium legte auch die konkreten Regeln dafür fest. Und das bedeutet: Die Verantwortung für das Mammut-Projekt liegt seitdem allein bei der Ministerin.

Ihr in der Angelegenheit federführender Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder soll dafür verantwortlich sein, dass die für das elektronische Rezept und andere geplante Anwendungen erforderlichen Daten auf der Karte, und nicht auf ausschließlich einem zentralen Server gespeichert würden, wie es die in anderen europäischen Ländern verwirklichten Lösungen (u. a. Frankreich, Österreich) klugerweise vorsehen. Dadurch verteuere sich nicht nur die Karte massiv, es sind auch teure Parallelstrukturen erforderlich, da der Speicherplatz auf der Karte für die weiteren geplanten Funktionen ohnehin nicht ausreicht und der Server für diese Funktionen erforderlich ist.

Die Einführung der e-GK könnte sich weiter verzögern als bislang bekannt: Die Karte soll probehalber zunächst nur im offline-Betrieb genutzt werden, wie die bisherigen Krankenversichertenkarten auch. Über entsprechende Anweisungen des BMG sind die beteiligten Informatikfirmen offenbar am 18.09.06 unterrichtet worden. Demnach werden alle bislang entwickelten Vernetzungssysteme noch nicht benötigt und die Daten der Versicherten sollen zunächst nur auf der Karte gespeichert werden. Die neue Gesundheitskarte soll vorerst keine Fähigkeiten oder Datensätze besitzen, die sie von den derzeitigen Versichertenkarten unterscheidet. Lediglich das Abfragen von Versichertenstammdaten über multifunktionale Kartenterminals in den Praxen steht im Mittelpunkt der Tests (http://www.facharzt.de/content/red.otx/187,50874,0.html?sID=1965be82118678671c645d6116ae81c5 vom 26.09.06; Registrierung notwendig).

Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im BMG erklärte zur Eröffnung der CeBIT-Sonderveranstaltung 2006:
"Wir wollen schrittweise mit den Pflichtanwendungen beginnen, dann aber schnell auf die elektronische Patientenakte hinsteuern, als Endpunkt, mit dem das gesamte Potenzial der Reform realisiert wird." Unter diesem Aspekt dürfte die "elektronische Fallakte das wichtigste Bindeglied zwischen Gesundheitskarte und Patientenakte werden, gewissermaßen ein zwischengeschalteter Turbolader für die gesamte Gesundheitsreform.“

Und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, gleichfalls auf der Cebit 2006, die elektronische Gesundheitskarte zum technologischen Paradebeispiel des modernen Staates.

Dem ist wohl nichts hinzu zu fügen. Es ist ein Paradebeispiel für das, was inkompetente Politiker anrichten.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Keine angegeben.