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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Dokumentation, Kalkulation und Prozessanalyse im DRG-Zeitalter: Softwareunterstützung im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

Documentation, Calculation and Process Analysis in the age of DRGs: Computerized Support in the Hospital "Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck"

Originalarbeit

  • corresponding author Josef Ingenerf - Institut für Medizinische Informatik, Universität zu Lübeck, Deutschland
  • author Frederik Gerdsen - Institut für Medizinische Informatik, Universität zu Lübeck, Deutschland
  • author Bettina Seik - Institut für Medizinische Informatik, Universität zu Lübeck, Deutschland
  • author Siegfried J. Pöppl - Institut für Medizinische Informatik, Universität zu Lübeck, Deutschland
  • author Raphael Schreiber - Medizin und Pflege Controlling, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck, Deutschland
  • author Anne-Kathrin Heinemeier - Medizin und Pflege Controlling, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck, Deutschland
  • author Karsten Köppe - Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck, Deutschland
  • author Hans-Peter Bruch - Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2005;1(1):Doc01

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mibe/2005-1/mibe000001.shtml

Published: April 7, 2005

© 2005 Ingenerf et al.
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Zusammenfassung

Mit der Einführung der G-DRGs (German Diagnosis Related Groups) im Jahre 2002 und dem sukzessiven Einsatz als pauschaliertes Abrechnungssystem ab dem Jahr 2005 stehen die Krankenhäuser vor großen organisatorischen und informationstechnischen Herausforderungen. Die Qualität der Basisdokumentation im Sinne von Vollzähligkeit, Vollständigkeit, Korrektheit und Rechtzeitigkeit ist sicherzustellen, denn die definierten DRG-Basisdaten legen die DRG-Fallgruppe und den assoziierten Erlös fest. Aus wirtschaftlicher Sicht interessieren die mit der Leistungserbringung entstandenen Kosten eines Behandlungsfalles. Diese werden mit einer Kostenträgerrechnung ermittelt, die neben den Patienten- und Falldaten zusätzlich auf korrekt ermittelte Leistungs- und Kostendaten angewiesen ist. Alle diese Daten stehen in einem verteilten heterogenen Krankenhausinformationssystem zur Verfügung und müssen über geeignete Mechanismen technisch, syntaktisch und semantisch zusammengeführt werden.

Mit Berücksichtigung der IT-Infrastruktur im Klinikum Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck wurden zur Unterstützung der genannten Aufgaben geeignete Softwaresysteme entwickelt und in diesem Aufsatz anhand eines durchgängigen Beispiels vorgestellt. Aufgrund der hohen Änderungsdynamik rund um das G-DRG-System sind hausintern entwickelte Werkzeuge insbesondere für das Controlling erforderlich, solange die kommerziell angebotenen funktionell eingeschränkt oder zu unflexibel sind, insbesondere hinsichtlich Schnittstellen zu anderen Systemen. Neben den bislang im Vordergrund stehenden Werkzeugen zur Kostenanalyse, wurde für Mediziner das VIKAP-System zur Prozessanalyse entwickelt. Basierend auf den extrahierten Leistungsdaten können individuelle Abläufe von der Aufnahme bis zur Entlassung mit ihren in Anspruch genommen Ressourcen visualisiert und analysiert werden. Behandlungsfälle können „beliebig" aggregiert und über interessierende Merkmale mit dem „InEK"-Datenkörper, d.h. mit bundesweit übermittelten, gruppierten und kalkulierten Datensätzen, verglichen werden. Eine solche Kenntnis von IST-Prozessen ist eine sinnvolle Voraussetzung für die Definition von SOLL-Prozessen im Sinne von Behandlungspfaden.

Schlüsselwörter: Diagnosis-Related Groups, Dokumentation, Krankenhausinformationssystem, Krankenhausökonomie, Behandlungsergebnis- und Prozessbeurteilung

Abstract

The introduction of the G-DRGs (German Diagnosis Related Groups) in the year 2002 and the gradual use as a reimbursement system beginning from 2005 forces hospitals to meet enormous challenges with respect to organizational and IT-issues. The quality of the basic data set in terms of case and data completeness, accuracy and timeliness has to be ensured because with that the DRG case group and hence, the associated revenue is determined. From the economic point of view the costs of providing the corresponding health care services are of interest. These are determined by cost-unit accounting based on the mentioned patient and case related data and furthermore, on performance and cost data. Especially the latter data is available in a distributed and heterogeneous hospital information system and has to be integrated technically, syntactically and semantically by suitable mechanisms.

Considering the IT infrastructure of the hospital "Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck" suitable software systems supporting the mentioned tasks have been developed that are described in this paper, referring to one continuous example. As the G-DRG-system is subject to running modifications self-developed software regarding house-specific knowledge is needed. This is true as long as commercial supplied software systems are functionally unsatisfying and not flexible enough, especially with respect to interfaces to other software systems. Usually tools for analyzing costs are in the focus of financial controllers. The same data can be used by physicians for analyzing the delivery of healthcare. Based on the detailed data underlying the cost accounting the individual healthcare process from admission to discharge can be analyzed, e.g. what is done for the patient diagnostically and therapeutically? The case data can be aggregated and can be compared with available grouped and calculated data on a national basis; the data set of the German DRG institute (InEK). An insight into the characteristics of the own actual health care processes can improve the next step of defining target processes or clinical paths.

Keywords: Diagnosis-Related Groups, Documentation, Hospital Information Systems, Economics, Hospital, Outcome and Process Assessment


1. Einleitung

Mit der Einführung des pauschalierten Entgeltsystems „G-DRGs" (German refined Diagnosis related Groups) für die stationäre Krankenversorgung in Deutschland stehen die Krankenhäuser vor einer Reihe von Herausforderungen. Zunächst können nur mit einer ausreichenden Dokumentationsqualität - insbesondere der Kodierung von Diagnosen und Prozeduren - die Erlöse eines Krankenhauses sichergestellt werden. Nach einer solchen DRG-orientierten Definition der „Leistungseinheiten" des stationären Geschehens eines Krankenhauses folgt mit der verursachungsgerechten Erfassung, Zusammenführung und Umlage von Einzelleistungs- und Kostendaten eine Fallkostenkalkulation zur Darstellung und Analyse der Wirtschaftlichkeit des Hauses. Schließlich kann der mit der Kalkulation entstandene Datenkörper verwendet werden, um IST-Leistungsprozesse für einzelne und kumulierte Behandlungsfälle zu visualisieren und zu analysieren. Damit ergibt sich für die Leistungserbringer eine gute empirische Ausgangssituation für eine Definition von SOLL-Prozessen bzw. „klinischen Behandlungspfaden" zur Verbesserung der Abläufe und der Behandlungsqualität.

Für all die genannten Aufgabenstellungen existieren mit Blick auf die hausinterne IT-Infra-struktur Verfahrensweisen und entsprechende Softwarelösungen, um die beteiligten Mitarbeiter bei der Umsetzung zu unterstützen. Allerdings zeigen sich unter anderem aufgrund der extremen Änderungsdynamik der gesetzlichen Rahmenbedingungen Defizite und Lücken bei Werkzeugen, die für verschiedene DRG-relevante Aufgabenstellungen insbesondere für Kliniker benötigt werden. Nach einer Einführung werden zunächst entwickelte Lösungen für Dokumentations- und Kalkulationsaufgaben aufgezeigt. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt dann in einer Vorstellung des für Kliniker entwickelten VIKAP-Systems (Generische Visualisierung kalkulierter Patientenfalldaten: Grundlage zur Analyse DRG-orientierter Behandlungsprozesse), welches ermöglicht, aus den Fallkalkulationsdaten die darunter liegenden klinischen Prozesse eines oder mehrerer Behandlungsfälle zu visualisieren und zu analysieren.


2. DRG-relevante Aufgabenstellungen

Mit dem G-DRG-System wird ein bundesweit einheitliches Fallklassifikationssystem eingeführt, welches ausgehend von einer festgelegten Menge von Basisdaten (insbesondere kodierte Diagnosen und Prozeduren) die Abbildung von allen stationären Behandlungsfällen in medizinisch sinnvolle, kostenhomogene und schweregrad-adjustierte Leistungsgruppen - man könnte auch sagen „Produkte" - eines Krankenhauses definiert [3]. Mit der Güte der Basisdokumentation inkl. der Kodierung werden die Erlöse sichergestellt (siehe Kap. 3). Die DRG-Fallgruppierung motiviert danach, eine Kostenträgerrechnung nach einem einheitlichen Kalkulationsschema durchzuführen, d.h. die krankenhausinternen Kosten verursachungsgerecht auf die Kostenträger, d.h. den Behandlungsfällen bzw. kumuliert auf DRG-Ebene zuzuweisen. Eine Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse und eine detaillierte statistische Analyse von einzelnen Kostenmodulen gemäß patienten- und fallspezifischer Merkmale erlaubt eine Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung. Dieses geschieht i.a. vor dem Hintergrund des Case-Mixes (gemittelter DRG-Schweregrad) der interessierenden Fallpopulation (siehe Kap. 4). Insbesondere die Kliniker interessieren sich jedoch für die hinter den Kosten sich verbergenden realen Leistungsprozesse für einzelne und kumulierte Behandlungsfälle, inkl. der Patienten- und Fallmerkmale, der wesentlichen Ereignisse und der in Anspruch genommenen Personal- und Sachmittel. Die Kenntnis der empirisch gestützten IST-Prozesse kann dann eine Ausgangsbasis für die Definition und Umsetzung von SOLL-Prozessen oder klinischen Behandlungspfaden sein (siehe Kap. 5). Die im Folgenden zusammengefassten Aufgabenstellungen stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang und werden in Abbildung 1 [Abb. 1] graphisch dargestellt. Diese Abbildung enthält auch Bezüge zu der jeweils benötigten bzw. in unserer Arbeitsgruppe entwickelten IT-Infrastruktur, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen wird [13], [14]. Im Gegensatz zum § 301-Datensatz, der elektronisch den Kassen übermittelt wird, und dem § 21 KHEntgG-Kalkulationsdatensatz, der elektronisch dem InEK-Institut übermittelt wird (in dem allerdings die Leistungsdaten auf Kostenmodule verdichtet sind), steht für die kompletten Falldaten zur Visualisierung im VIKAP-System kein Kommunikationsstandard zur Verfügung, siehe Kapitel 5. Das erschwert seine Anwendung für Datenkörper anderer Häuser.

1) Sicherstellung der Dokumentations- und Kodierqualität

qualitativ-hochwertige Basisdokumentation, d.h. DRG-gerechte Erfassung und Kodierung bzw. Zusammenführung von Patientendaten,

2) Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit

verursachungsgerechte Erfassung und Zusammenführung von Leistungs- und Kostendaten und anschließende DRG-orientierte Fallkostenkalkulation,

3) Sicherstellung der Behandlungsqualität

DRG-orientierte Analyse von IST-Leistungsprozessen, Visualisierung von Abläufen, Fallmerkmalen und in Anspruch genommenen Ressourcen, Definition von SOLL-Prozessen.


3. DRG-gerechte Basisdokumentation

Im Handbuch „Medizinische Informatik" haben Zaiß et al. [15] u.a. die Grundzüge einer Basisdokumentation dargelegt. Es handelt sich dabei um eine standardisierte Dokumentation weniger, jedoch besonders wichtiger Merkmale aller Behandlungsfälle. Sie dient zur Unterstützung zahlreicher Aufgaben in den Bereichen Patientenversorgung, Abrechnung und Steuerung in der Krankenhausadministration, Qualitätssicherung sowie Forschung und Lehre. Dabei sind gesetzliche Vorschriften zu beachten, die detaillierte Verpflichtungen zur Dokumentation, Datenübermittlung und zum Berichtswesen enthalten. Hier ist insbesondere der § 301 SGBV zu nennen (s. http://www.bmgs.bund.de), der die elektronische Datenübermittlung zur Abrechnung mit den Krankenkassen regelt und folgende Merkmale spezifiziert (siehe http://www.dkgev.de):

• wesentliche Patientendaten (PID, Alter, Geschlecht),

• minimale Falldaten (Aufnahmedatum, Entlassungsdatum, Verweildauer, Fachabteilung, Entlassungsart),

• Diagnosen (Aufnahme-, Verlegungs-, Entlassungsdiagnosen), die nach der aktuell gültigen Klassifikation zu verschlüsseln sind, d.h. momentan nach der „ICD-10-GM Version 2004", (siehe http://www.dimdi.de zu ICD-10-GM und OPS-301),

• besonders wichtige medizinische Maßnahmen (diagnostische und/oder therapeutische Prozeduren), die nach dem „OPS-301 Version 2004" zu verschlüsseln sind, sowie ggf. ergänzt um

• weitere Merkmale des Behandlungsfalls (Aufnahmegewicht, Beatmungszeit).

Die zweite für diese Arbeit wesentliche gesetzliche Bestimmung ist der § 17b KHG zur Einführung des pauschalierten DRG-Entgeltsystems [8] (siehe http://www.bmgs.bund.de). Es existiert ein definierter zeitlicher Fahrplan zur Einführung des aus Australien adaptierten DRG-Systems mit folgenden kontinuierlich zu bearbeitenden Aufgabenstellungen (siehe http://www.g-drg.de):

• Anpassung der ICD-10- und OPS-301-Klassifikationen hinsichtlich ihrer Eignung zur Ansteuerung der DRG-Fallgruppen,

• Bereitstellung deutscher Kodierrichtlinien mit einem allgemeinen Teil (u.a. Definition von Haupt- und Nebendiagnosen, Prozeduren) sowie einem speziellen Teil für fachspezifische Details zur Gewährleistung einer einheitlichen, DRG-gerechten Kodierung,

• Kalkulation der Relativgewichte der Fallgruppen, die multipliziert mit dem Basisfallwert das Entgelt bestimmt und Definition von Zu- und Abschlägen je nach Verweildauer des Falls,

• Anpassung des eigentlichen deutschen G-DRG-Fallgruppensystem sowie

• Anpassung des Gruppierungsalgorithmus basierend im wesentlichen auf den oben genannten Merkmalen und Zertifizierung von Grouper-Softwaresystemen.

Mit einer DRG-orientierten Basisdokumentation inkl. der Kodierung von Haupt- und Nebendiagnosen und von Prozeduren wird somit für jeden Fall eine DRG-Fallgruppe und damit der Erlös festgelegt [11]. Die DRG-Fallgruppen sind außerdem Grundlage für Managementaufgaben wie Kontrolle, Steuerung und Planung des Leistungsgeschehens (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Ein kontrovers diskutiertes Thema betrifft den im Fachgebiet geforderten Grundsatz, einmal im klinischen Kontext erhobene Primärdaten aus der (elektronischen) Patientenakte für die verschiedenen Sekundär-Zwecke, u.a. auch für die Abrechnung wiederverwenden zu können. Damit könnte eine Mehrfacherfassung und eine damit einhergehende Qualitätsminderung vermieden werden. Die Realisierung einer solchen idealen Lösung hängt u.a. von der organisations- und informationstechnischen Umsetzung der Dokumentation ab und soll hier nicht weiter diskutiert werden. Auf alle Fälle muss die Basisdokumentation in regelmäßigen Abständen auf ihre Qualität überprüft werden, d.h. die Vollzähligkeit, Vollständigkeit, Richtigkeit und Rechtzeitigkeit muss über geeignete Instrumente sichergestellt werden. Folgendes durchgehende Beispiel zeigt in Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2] einen DRG-Datensatz und sein Gruppierungsergebnis.

Die oben genannten Qualitätsmerkmale für eine solche Basisdokumentation lassen sich u.a. durch geeignete integrierte Softwaresysteme unterstützen. Üblicherweise werden relevante Daten in unterschiedlichen Anwendungssystemen etwa für das administrative Patientendatenmanagement, klinische Stationsmanagement oder auch in klinischen Leistungsstellen wie dem OP, die Endoskopie oder Radiologie erhoben. Hier ist durch eine HL7-Kopplung einerseits sicherzustellen, dass das Patientendatenmanagementsystem (PDM) als Mastersystem für die administrativen Patienten- und Falldaten allen anderen Systemen zeitnah die Stamm- und Bewegungsdaten übermittelt, damit alle dokumentierten Daten einen identischen Patienten- und Fallbezug haben (ADT-Nachrichtentyp). Andererseits müssen die genannten DRG-Daten (insbesondere Diagnosen- und Prozedurenkodes) zeitnah wieder ins PDM zurück übermittelt und zusammengeführt werden (BAR-Nachrichtentyp), da üblicherweise dort die § 301-Datenübermittlung an die Kassen sowie die Abrechnung realisiert wird. In Lübeck wird zur Kopplung der Anwendungssysteme der Kommunikationsserver „Datagate" eingesetzt [7]. Außerdem werden mittlerweile über dedizierte DRG-Arbeitsplatz-Module Funktionen vor allem für Medizin-Controller bereitgestellt, um u.a. die genannten Qualitätsmerkmale sicherstellen zu können.

Hinsichtlich der Datenerfassung ist eine möglichst zeitnahe Dateneingabe am Ort der Datenentstehung direkt in das entsprechende Anwendungssystem zur klinischen Basisdokumentation anzustreben, wobei die Daten gleich auf Plausibilität geprüft und ggf. korrigiert werden. Dazu sollten flexible Prüfkriterien und Filter zur Visualisierung definiert werden können. Zur Überwachung und Steuerung von DRG-Fällen sollten DRG-orientierte Arbeitslisten zur gezielten Bearbeitung problematischer Fälle generiert werden können. Für die Basisdokumentation und speziell für die Diagnosen- und Prozeduren-Kodierung sollte ein Mahn- und Berichtswesen informationstechnisch integriert und organisationstechnisch umgesetzt werden. Insbesondere bei stations- und fachabteilungsübergreifenden (Verlegungs-)Fällen sind Freigabe-Mechanismen erforderlich, um auf zuverlässige Falldaten aufsetzen zu können. Das gilt auch für den sogenannten Fallabschluss mit Festlegung einer DRG-Hauptdiagnose nach festgelegten Regeln für die Schnittstelle zur administrativen Abrechnung des Falles. Speziell zur Kodierung von Neben- und Hauptdiagnosen sowie Prozeduren empfiehlt sich der Einsatz von dedizierter Kodiersoftware. Mit entsprechenden Suchhilfen in den Klassifikationen, Hinweisen auf klassifikationsrelevante und DRG-spezifische Kodierregeln sowie den üblicherweise eingebauten DRG-Groupern erhöht sich i.a. die Qualität der Kodierung. Hier sollte auf eine informationstechnisch adäquate Integration der Kodiersoftware in die jeweilige Anwendungssoftware geachtet werden [4]. Dieses gilt unabhängig davon, ob Ärzte oder speziell geschulte Dokumentare die Kodierung vornehmen [1]. An weiteren Arbeitsplätzen (z.B. in der Abrechnung) ist je nach Bedarf die unabhängig verfügbare DRG-Grouper-Software programmtechnisch zu integrieren. Sie wird vom InEK-Institut mit jedem G-DRG-Systemwechsel zertifiziert, um bei gleichen Falldaten die gleichen DRG-Fallgruppen gemäß der komplexen Gruppierungslogik zu garantieren.

In Ergänzung zu den genannten Funktionen wurden in unserem Projekt ein zeitnahes webbasiertes Berichtswesen entwickelt, mit dem stationsbezogen die Kodierungsergebnisse mit verschiedenen Auswertungen rückgekoppelt werden (z.B. durchschnittliche Anzahl unspezifischer Kodes wie „.8er"- und „.9er"-ICD-Kodes, usw.). Weiterhin werden die ermittelten DRG-Fallgruppen mit verschiedenen Auswertungen relevanten Nutzergruppen bereitgestellt [12]. Diese Funktionen werden je nach Weiterentwicklung DRG-relevanter Funktionen in den genannten kommerziellen Anwendungssystemen zum Teil abgelöst. Zum Abschluss dieses Kapitels sei erwähnt, dass neben den genannten informationstechnischen Problemlösungen weitere Aktivitäten zur Verbesserung der Dokumentations- und Kodierqualität erforderlich sind wie Schulung der Mitarbeiter und ein kontinuierliches „Controlling" der Kodierqualität, etwa durch ein Vergleich der elektronischen Basisdokumentation mit der Patientenakte [5]. Insbesondere Mängel im Definieren einer DRG-gerechten Haupdiagnose sowie das Fehlen von Prozeduren und insbesondere Nebendiagnosen lassen sich durch ein Aktenstudium hausspezifisch aufdecken, z.B. würde der obige Fall ohne die kardiologische ICD-10-Diagnose „I48" in die niedriger bewertete Fallgruppe H04B gruppiert werden. Die entsprechende Gefahr eines „Upcoding" im Zusammenhang mit einer weniger klinisch, als vielmehr DRG-orientierten Kodierung wird ausführlich von Lüngen und Lauterbach diskutiert ([8], Kap. 3.4). Der genannte Effekt mittelt sich gemäß zahlreicher Studien nach einer Anfangsphase mit einer gleichzeitig zu beobachteten Qualitätsverbesserung der Kodierung nahezu aus.


4. DRG-orientierte Fallkostenkalkulation

Das Thema einer Fallkostenkalkulation, d.h. eine Ermittlung fallbezogener Behandlungskosten unter Berücksichtigung sämtlicher DRG-relevanter Leistungen auf alle DRG-Fälle (Kostenträgerrechnung), stellt sich aus Sicht eines Krankenhauses zweifach. Einerseits geht es um die bundesweite Kalkulation der Relativgewichte der DRG-Fallgruppen durch das zuständige InEK-Institut und damit zusammen mit dem Basisfallwert um den Preis (Erlös), der mit Zu- und Abschlagsregeln und weiteren Sonderregelungen für die stationäre Leistungserbringung von den Krankenkassen vergütet wird. Die an der Kalkulation teilnehmenden Krankenhäuser liefern dazu fallbezogene Datensätze - bestehend aus Kostendaten und medizinischen Instituten - gemäß § 21 KHEntgG an eine entsprechende Datenannahmestelle.

Gleichzeitig muss jedoch jedes Krankenhaus für sich die realen Kosten ermitteln, die für jeden DRG-Behandlungsfall den oben erwähnten bundesweit einheitlichen Erlösen gegenüberstehen. Erst dann lassen sich interne, aber auch bis zu einem gewissen Grade extern-vergleichende Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen der Leistungserbringung anstellen. Weiterhin lässt sich basierend auf den Kalkulationsergebnissen das Leistungsspektrum durch Analyse unterschiedlichster Patienten- und Fallgruppen kontrollieren, steuern und planen. Bereits vor Einführung des G-DRG-Systems gab es diverse methodische Ansätze zur Aufwandsermittlung insbesondere bei operativen Leistungen [6]. Mit dem DRG-System gibt es allerdings mittlerweile ein Spektrum an Instrumentarien für eine einheitliche Vorgehensweise; sowohl für die Dokumentation (z.B. Deutsche Kodierrichtlinien) als auch für die Kalkulation (z.B. Kalkulationshandbuch). Aufgrund der Komplexität und inhärenten Variabilität bei der Durchführung einer Kostenträgerrechnung wurde in dem Kalkulationshandbuch (mittlerweile Version 2.0, siehe http://www.g-drg.de) eine möglichst einheitliche Kalkulationsmethodik vorgelegt, deren Beachtung gleichzeitig Voraussetzung für die Teilnahme an der obigen bundesweiten Kalkulation durch Krankenhäuser ist.

Zusammen mit dem Medizin-Controlling wurde für das UK S-H (Campus Lübeck) eine solche Fallkostenkalkulation nach dem Kalkulationshandbuch durchgeführt. Es handelt sich um eine Vollkostenrechnung auf Istkostenbasis, wobei die Istkosten der Krankenhäuser aus dem testierten Jahresabschluss abzuleiten sind. Die mit den DRG-relevanten Leistungen in Verbindung stehenden DRG-relevanten Kosten eines Behandlungsfalls werden als Rohfallkosten bezeichnet. In der entwickelten Kalkulationssoftware „KOCL" (Kostenkalkulation im UK S-H, Campus Lübeck) konnten zunächst vergleichsweise einfach die Kostenarten- und Kostenstellendaten aus dem administrativen SAP-System sowie die in Kap. 3 genannten Patienten- und Falldaten aus dem Patientendatenmanagementsystem „medico//s" abgebildet und integriert werden. Dagegen stellt sich die Ermittlung und technische Integration der erforderlichen Leistungsdaten aus den zahlreichen relevanten Anwendungssystemen als äußerst problematisch heraus. Es handelt sich i.a. um eine Vielzahl autonomer Anwendungssysteme (z.B. Stationsmanagement, OP, Labor, Radiologie, Blutbank, usw.) mit heterogenen Leistungsbeschreibungen von erbringenden und anfordernden Kostenstellen bei Verwendung unterschiedlicher Datenstrukturen und -formate. Möller et al. [9] schätzen den Aufwand für diese Teilaufgabe auf etwa 50-60% der gesamten zeitlichen und finanziellen Projektkapazität. Hierzu wurden jeweils Integratoren zum Import der Leistungsdaten entwickelt, teilweise basierend auf vorhandenen entsprechenden HL7-Nachrichtenformaten (DFT-Nachrichtentyp). Darauf basierend wurden dann mit dem Know-How der Medizin-Controller alternative Verfahrensweisen der Kostenabgrenzung und der Kostenstellenverrechnung der vorliegenden Kosten- und Leistungsdaten diskutiert, z.B. Abgrenzung von Arzt-Personalkosten gemäß DRG-orientierter Krankenversorgung versus ambulanter Tätigkeit oder Forschung und Lehre oder Umrechnung von Pflegepersonalzeiten auf einen Behandlungsfall gemäß der dokumentierten PPR-Minuten. Je nach Qualität der vorliegenden Daten müssen solche Abgrenzungs- und Umrechnungsfaktoren erarbeitet werden, um eine möglichst verursachungsgerechte Zuordnung insbesondere der kostenintensiven Personalkosten, aber auch anderer Kostenarten wie Sachleistungen und Materialen realisieren zu können [10]. Die Tabellen 3 [Tab. 3] und 4 [Tab. 4] setzen das Beispiel aus dem vergangenen Kapitel mit den zum Behandlungsfall bereits zugeordneten Leistungsdaten fort.

Neben dem Problem der Datenintegration sowie der algorithmischen Komplexität besteht das Hauptproblem in der Sicherstellung der inhaltliche Korrektheit und Plausibilität der Daten sowie der Festlegung von tauglichen Umrechnungsfaktoren der Kosten auf einen Behandlungsfall bzw. einer DRG-Fallgruppe. Dieses wurde in zahlreichen Sitzungen mit dem Medizin-Controlling entwickelt, geprüft und angepasst. Hier zeigt sich ein wesentlicher Vorteil einer eigenentwickelten Software, nämlich der Möglichkeit, sämtliche Daten bis auf der Einzelleistungsebene hinsichtlich ihrer Qualität beurteilen zu können und sämtliche Parameter hinsichtlich ihrer Wirkung überprüfen und flexibel variieren zu können. Das Ergebnis einer solchen Kalkulation wird gemäß dem genannten Kalkulationsschema in definierte Kostenmodule aggregiert. Tabelle 5 [Tab. 5] zeigt das Ergebnis für den beispielhaften Behandlungsfall. Es handelt sich horizontal um aggregierte Kostenstellen und vertikal um aggregierte Kostenarten.

Die berechneten Kalkulationsergebnisse sind Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Analyse- und Berichtswerkzeugen [12]. Die bereitgestellten Sichten, die üblicherweise bis auf Fallebene verfolgt werden können, richten sich nach dem Auswertungsbedarf der Kollegen des Medizin-Controlling (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Aus Gründen des Umfangs und der Komplexität der Daten wurden OLAP-Techniken zur Visualisierung und Analyse u.a. für die Managementebene bereitgestellt.

Die Kalkulationssoftware KOCL inkl. der Analyse- und Berichtswerkzeuge wird nicht nur intern verwendet, sondern wurde auch während der Fusion der Universitätskliniken Kiel und Lübeck zum UK S-H als Basis für den Vergleich im Leistungs- und Kostenbereich herangezogen. Allerdings erfolgt die Kalkulation nicht zeitnah im Produktivsystem, sondern zeitversetzt basierend auf einer Kopie der Datenbank. Für ein zeitnahes fallbasiertes Leistungs- und Kosten-Controlling sollte eine laufende Kostenkontrolle über die durchgeführten Leistungen anhand der klinischen Basisdokumentation möglich sein. Erst damit werden Aufgaben wie eine interne Budgetverteilung und Haushaltsüberwachung, Investitionsplanung, Beschaffung von Medizinprodukten und Personaldisposition für vergleichbare klinisch relevante Gruppen möglich. Es können Deckungsbeiträge ermittelt und komparativ Bereiche mit unwirtschaftlichem Ressourceneinsatz oder mit hohen Ertragsüberschüssen identifiziert und die Mittelallokation danach gesteuert werden.

Die Angebote DRG-relevanter Funktionen durch die kommerziellen IT-Anbieter im Krankenhaus-Bereich stellen sich vor dem Hintergrund der DRG-Einführungsphase mit immer noch vorhandener Änderungsdynamik uneinheitlich dar. Die Entscheidung für oder gegen KIS(Krankenhausinformationssystem)-integrierte Lösungen, externen kommerziellen Spezialanbietern (etwa aus dem Bereich Data Warehouse) oder eigenentwickelten Lösungen muss hausintern beantwortet werden [9]. Bei der momentanen Einführung der Kostenträgerrechung in Lübeck über das SAP BW (Business Warehouse) kann erstens auf die umfangreiche beschriebene Vorarbeit aufgesetzt werden. Zweitens ist beabsichtigt, auf absehbare Zeit eine parallele Fallkostenkalkulation über das KOCL-System aufgrund der höheren Transparenz und Flexibilität durchzuführen, um die Ergebnisse aus dem SAP BW plausibilisieren zu können.

Eine ähnliche Thematik ergibt sich mit der zunehmenden Präsenz von sogenannten DRG-Arbeitsplätzen im KIS-Umfeld [14]. Dieser uneinheitlich verwendete Begriff äußert sich in mindestens folgenden zwei Varianten: Erstens ist ein ins KIS integriertes Modul gemeint, welches im Sinne von Kap. 3 eine DRG-gerechte Dokumentation am klinischen Arbeitsplatz unterstützten soll. Obwohl die Unterstützung einer vollzähligen, vollständigen, korrekten und rechtzeitigen Dokumentation schon vor der DRG-Einführung eine Muss-Anforderung an klinische Software war oder hätte sein müssen, werden nun solche DRG-orientierten qualitätssichernden Funktionen zum Teil „neu" angeboten.

Zweitens werden unter dem Namen „DRG-Arbeitsplatz" auch Softwaresysteme durch Spezialanbieter speziell für Controlling-Zwecke basierend auf den Kostenmodulen angeboten, die mit dem Kalkulationshandbuch definiert werden. Entsprechende Funktionen werden nicht nur, aber auch durch die bekannten kommerziellen Kodiersoftware-Anbieter (ID GmbH, SBG GbR, 3M GmbH) angeboten, z.B.

• Flexibler Im- und Export (3M- und IMC-Formate, § 21 KHEntgG-Format, ...),

• Prüfroutinen auf formale und inhaltliche Korrektheit,

• Altdatenübernahme, inkl. Kode-Mapping,

• Funktionen für Analyse, Berichtsgenerierung und Benchmarking.


5. Visualisierung und Analyse von IST-Prozessen: Das VIKAP-System

Mit Verweis auf die in Kap. 2 genannten DRG-relevanten Aufgabenstellungen geht es nach Fragen einer Erlös-sichernden Dokumentation in Kap. 3 und einer Fallkostenkalkulation in Kap. 4 in diesem Kapitel um die Sicherstellung der Behandlungsqualität. Dabei kann der mit der Kalkulation entstandene Datenkörper Ausgangspunkt sein für Analysen im Rahmen eines internen Qualitätsmanagements, um interne Auffälligkeiten und Besonderheiten zu identifizieren, zu analysieren und Schwachstellen sukzessive zu beseitigen. In der externen Qualitätssicherung werden kodierte Prozeduren im Zusammenspiel mit anderen Merkmalen (z.B. anamnestische Angaben, Diagnostik, Entlassungsbefund) zur Überprüfung der Indikationsstellung und des Behandlungserfolgs genutzt. Ziel sowohl der internen als auch der externen Qualitätssicherung ist die kontinuierliche Verbesserung der Leistungserbringung. Informationen über den Verlauf von Behandlungsfällen (insb. Diagnose, Therapie, Behandlungserfolg) unterstützen die Entwicklung von Behandlungsstandards sowie Standards bzgl. personeller und apparativer Ausstattung der Einrichtungen im Rahmen der Heilverfahrenssteuerung. Sofern die (externe) Qualitätssicherung als Gegengewicht zur Anreizwirkung gesehen wird, die von der ökonomischen Steuerung des Mitteleinsatzes im Krankenhaus ausgeht, muss die Qualität der Behandlung auch auf die DRG-Entgeltgruppen beziehbar sein [15]. Hierauf wird nicht weiter eingegangen.

Die im vergangenen Kapitel erwähnten kommerziellen Softwareprodukte zur DRG-Datenanalyse beschränken sich primär auf die genannten Kostenmodule. Dabei handelt es sich um fallspezifische, aber weitestgehend auf Kostenebene aggregierte Daten. Das hängt u.a. damit zusammen, dass mit den verfügbaren „Standards" für die Kalkulationsdaten (3M- und IMC-Formate, § 21 KHEntgG-Format) die hinter den Kosten sich verbergenden umfangreichen Leistungsdaten nicht mehr zur Verfügung stehen. Die aus klinischer Sicht interessierenden umfangreichen Personal- und Sachleistungen wurden ja gerade im Rahmen der Kalkulation „verrechnet", d.h. einem Behandlungsfall bzw. der entsprechenden DRG-Fallgruppe als Kosten und weniger Zusatzmerkmale wie z.B. mittlere Verweildauer zugeordnet. Damit gehen die mit den Daten verfügbaren Prozessdaten zum Verlauf jedes Behandlungsfalles mit den wesentlichen Ereignissen (z.B. Leistungs-Inanspruchnahmen, OP, ...), Zeiten und Einzelleistungen verloren. Aus Sicht der genannten kommerziellen Anbieter von DRG-Analysesoftware ist das verständlich, da für den entsprechenden umfangreichen und heterogenen Datenkörper bislang kein Standard-Datenmodell existiert. Im Gegensatz zu den Analysewerkzeugen für Kostenmodule wie in Tabelle 5 [Tab. 5] für Mitarbeiter des Controlling fehlen also bislang adäquate Werkzeuge für die eigentlichen Leistungserbringer im Krankenhaus, die Ärzte und Pflegekräfte.

Aus diesem Grunde wurde das Softwaresystem VIKAP (Generische Visualisierung kalkulierter Patientenfalldaten: Grundlage zur Analyse DRG-orientierter Behandlungsprozesse) im Rahmen einer Diplomarbeit entwickelt [2]. Diese Arbeit konnte aufsetzen auf den im Lübecker Kalkulationsprojekt entstandenen Datenkörper mit pseudonymisierten Patientendaten und sämtlicher in die Kalkulation eingehenden Leistungsdaten stationärer Kliniksaufenthalte. Das System wird über die Funktionsleiste auf der linken Seite in Abbildung 4 [Abb. 4] gesteuert. Man erkennt ganz oben Menü-Punkte, mit denen zwischen zwei grundlegenden Anwendungen gewechselt werden kann. Zunächst wird die aktivierte Hauptanwendung „UK S-H (Lü)" beschrieben. Mit „Neuauswahl" kann jederzeit eine gewünschte Population (i.a. ausgehend von interessierenden DRG-Fallgruppen) definiert werden. Für die selektierten Fälle werden dann entlang einer Zeitachse die wesentlichen Ereignisse (z.B. Aufnahme, OP, Entlassung), die in Anspruch genommenen Einzelleistungen (z.B. Labor, Radiologie) und Personalzeiten (z.B. OP, Pflege) sowie die wichtigsten Merkmale wie Alter, Geschlecht sowie Diagnosen und Prozeduren in verschiedenen zeitlichen und sachlichen Aggregationen zur Laufzeit berechnet und visualisiert. In Abbildung 4 [Abb. 4] erkennt man einen oberen Zeitstrahl, dessen Länge der mittleren Verweildauer für die gewählten Fälle der DRG-Fallgruppe „H04A" entspricht. Mit den vier oberen Menü-Punkten lassen sich maus-sensitiv nähere Details zur ausgewählten Population abrufen. Der mittlere Kasten enthält statistische Details zur gewählten Funktion, z.B. in der linken Hälfte des Kastens ist die Verweildauer dargestellt. Wahlweise kann die Verteilung als Histogramm angezeigt werden. In der linken Funktionsleiste lassen sich dann gemittelte Kennzahlen der Fallgruppe abrufen. Die farbigen Punkte ermöglichen einen Zugriff auf die unterschiedlichen Leistungen für alle Fälle pro Zeitpunkt (hier: Aufnahmetag, OP-Tag, Entlassungstag) bzw. summarisch für definierte Zeitintervalle (hier: Pre-OP, Post-OP, gesamte Verweildauer). Über die farbigen Punkte in der linken Funktionsleiste lassen sich die jeweiligen Leistungen über die gesamte Verweildauer abrufen. Abhängig von der Leistung und dem Zeitpunkt bzw. Zeitintervall werden nach einem Mausklick auf dem jeweiligen farbigen Punkt die Einzelleistungen unten links aufgelistet, hier die nach Mengen und Punkten sortierbaren Laborleistungen über die gesamte Verweildauer. Zu den nicht bekannten DKGNT-Kodes (hier als erweiterte Lübecker Adaptation) lassen sich maus-sensitiv die zugehörigen Texte abrufen („13550000" in Abbildung 4 [Abb. 4]). Aufgrund der möglicherweise sehr unterschiedlichen Verläufe in einer Fallgruppe wird „nur" ein Zugriff für die ersten beiden Aufenthaltstage angeboten. Schließlich lassen sich Verteilungen der verschiedenen Zeitangaben (z.B. Pre-OP-Dauer, OP-Dauer) in Form von Listen oder Histogrammen abrufen. Einer solchen Gruppe lassen sich dann interessierende Einzelfälle etwa mit einer auffällig hohen Verweildauer gegenüberstellen, siehe untere Zeitachse in Abbildung 4 [Abb. 4] sowie dessen in Anspruch genommene Laborleistungen über die gesamte Verweildauer unten rechts.

Beim selektierten Einzelfall handelt es sich wieder um den fiktiven Behandlungsfall „52", der nun bzgl. aller Merkmale mit der zugehörigen Fallgruppe verglichen werden kann. So hat dieser Einzelfall eine sehr viel längere Verweildauer von 20 Tagen im Vergleich zu der mittleren Verweildauer von 8 Tagen der Fallgruppe „H04A". Für diese individuellen Fälle werden nun anders als bei der Fallgruppe für alle Leistungsarten nur diejenigen Punkte pro Tag angezeigt, die auch tatsächlichen Ereignissen entsprechen. Dadurch wird ein schneller Blick auf das Leistungsgeschehen ermöglicht. So kann man sich fragen, warum viele Tage ohne Leistungsinanspruchnahme vergangen sind oder warum die OP so spät erfolgt ist. Zu beachten ist, dass die Aufenthaltstage 3, 4, 10, 11, 17 und 18 Wochenenden waren (siehe Kap. 6). Solche Ausreißer-Fälle lassen sich etwa mit Kennzahlen wie „Alter", „Diagnosen" und „Prozeduren" erklären.

Das VIKAP-System stellt eine zweite Anwendung zur Verfügung, die in der Funktionsleiste oben unter dem Menü-Punkt „InEK" aufgerufen werden kann. Es geht um einen Vergleich der kalkulierten Lübecker Falldaten mit dem bundesweiten Kalkulationsergebnis, welches vom InEK-Institut unter http://www.g-drg.de als Access-Datenbank im Format gemäß § 21 KHEntgG bereitgestellt wird. Wie oben erwähnt wurde, handelt es sich um fallspezifische, aber weitestgehend auf Kostenebene aggregierte Daten. Die kalkulierten Falldaten aus Lübeck stehen auch in diesem Datenformat zur Verfügung. Diese Anwendung erlaubt es den Klinikern im Wesentlichen, für jede interessierende Teilmenge (i.a. wieder definiert über DRG-Fallgruppen) das durchschnittliche Patientenspektrum aus dem Lübecker Universitätsklinikum mit dem durchschnittlichen Patientenspektrum, das in die bundesweite Kalkulation des G-DRG-Systems eingegangen ist, zu vergleichen. Dazu wählt er die Menü-Punkte, die in der Funktionsleiste unter „Kennzahlen" zur Verfügung stehen, z.B. Alter, Geschlecht, Diagnosen und Prozeduren. Die mittlere Verweildauer wird wieder über einen Zeitstrahl dargestellt. Der mittlere „Kasten" enthält weitere statistische Details für beide Gruppen wie Anteile von Normal-, Über- und Unterliegern. Zu beachten ist die Tatsache, dass die Fallzahlen sich i.a. signifikant unterscheiden. In Abbildung 5 [Abb. 5] wird für Fälle, die der DRG-Fallgruppe „H04A" zugeordnet sind, die Verteilung hinsichtlich der PCCL-Schweregrade angegeben. Entsprechende Unterschiede in Verweildauern oder auch Kosten kann u.U. mit Unterschieden im Fallmix erklärt werden.

Die VIKAP-Software wurde mit dem FLASH-Werkzeug der Firma „Macromedia" mit Zugriff auf eine SQL-fähige Datenbank entwickelt. Nach Installation eines frei verfügbaren Flash-Players steht das System für jede Arbeitsplatz mit Web-Browser zur Verfügung. Unter Verwendung einer sogenannten ASP-Turbine konnten Funktionen für den Datenbankzugriff über ASP-Programmierung und für eine anspruchsvolle Visualisierung der Daten verwendet werden. Aufgrund des qualitativ und quantitativ komplexen Datenkörpers ist eine gut durchdachte SQL-Programmierung der zum Teil mächtigen Anfragen erforderlich. Eine Berechnung etwa der mittleren Pre-OP-Dauer einer selektierten Gruppe von Behandlungsfällen verlangt die Aggregation relativer Zeitangaben, wohingegen die Zeitangaben zu Aufenthalten einerseits und Ereignissen wie Operationen oder Radiologieleistungen andererseits in der Datenbank absolut vorliegen. Die Ermittlung von statistischen Mittelwerten (geometrisch und arithmetisch) erfolgt möglichst transparent mit den üblichen Lage- und Streuungsmaßen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit Hilfe des VIKAP-Systems die realen Prozessdaten eines oder mehrerer Behandlungsfälle in kompakter und ergonomisch anspruchsvoller Weise analysiert werden können. Der „Benchmark-artige" Vergleich mit dem InEK-Datensatz erlaubt eine Einschätzung der Analyseergebnisse vor dem Hintergrund der Lübecker Patienten, z.B. mittlere Verweildauer, durchschnittliches Alter oder der Case-Mix. Ausgehend von einer solchen Betrachtung von IST-Prozessen lassen sich in einer weiteren Ausbaustufe SOLL-Prozesse, d.h. klinische Pfade definieren.


6. Diskussion

Alle drei in Kap. 2 genannten DRG-relevanten Aufgabenstellungen müssen in ihrer Wechselwirkung betrachtet werden, um etwa die Ergebnisse im VIKAP-System interpretieren und Konsequenzen ableiten zu können. Betrachtet man zum Beispiel den Beispiels-Fall „52", so stehen folgende Interpretationsvarianten zur Verfügung:

Suboptimale Falldefinition (siehe Kap. 3):

So kann die Wahl einer falschen Hauptdiagnose dazu führen, dass es sich in Wirklichkeit um einen Fall einer anderen DRG-Fallgruppe handelt und deshalb der Vergleich mit der Fallgruppe „H04A" unsinnig ist. Der gesamte DRG-Datensatz ist hinsichtlich seiner Korrektheit zu hinterfragen. Die Konsequenz aus dieser Beobachtung muss sein, größere Anstrengungen im Bereich der Sicherstellung der Dokumentationsqualität zu unternehmen. Auf absehbare Zeit ist dieser Punkt nach unserer Erfahrung die dominierende Interpretationsvariante.

Suboptimale Prozessabläufe, unsinnige/zu teure Leistungen (siehe Kap. 4 und Kap. 5):

Bei korrekt abgebildeten DRG-Fällen können nicht erklärbare Phänomene auf mangelnder Datenqualität in den Leistungsdaten oder auf Fehler in der Kalkulation beruhen. Im Wesentlichen handelt es sich jedoch um tatsächliche Mängel in den Prozessabläufen. Ein etwaiger Zeitverzug oder unsinniger Verbrauch von Ressourcen muss vor dem Hintergrund weiterer Merkmale des Falls klinisch hinterfragt werden. Als Konsequenz aus dieser Beobachtung muss die jeweilige Klinik sich dieser Phänomene mit Blick auf Kosten und Qualität bewusst werden und entsprechende Handlungen ableiten. Dieses kann die möglichst berufsgruppenübergreifende Definition von klinischen Behandlungspfaden sein.

Suboptimales Leistungsangebot auf Ebene des Krankenhauses:

Selbst bei optimaler Datenqualität, korrekter Kalkulation und nachvollziehbaren Prozessabläufen bleibt eine weitere Interpretationsvariante, die mit inhärent unwirtschaftlichen Leistungen im Vergleich mit Wettbewerbern zu tun hat. Hier ergeben sich strategische Ansatzpunkte des Managements, die über die vorliegende Arbeit hinausgehen, z.B. gezielte Minderung oder Ausweitung bestimmter Angebote, Kooperation mit anderen Häusern, integrierte Versorgung oder Verhandlungen mit den Krankenkassen [8], [10]. Auch für diese Entscheidungen liefern die vorgestellten Werkzeuge eine geeignete Entscheidungsgrundlage.

Die entwickelten Werkzeuge werden in der Routine eingesetzt; zum Teil parallel zu den mittlerweile in den kommerziellen bereitgestellten Funktionen. Insbesondere die in Kap. 4 beschriebene Kalkulationssoftware KOCL erlaubt dem Medizin-Controlling eine flexible und bedarfsgerechte Analyse des Leistungsgeschehens. Erste Erfahrungen mit dem Einsatz des VIKAP-Systems zeigen eine hohe Akzeptanz seitens der Kliniker. Ohne Vorkenntnisse lassen sich ergonomisch anspruchsvoll und „auf einen Blick" eine Fülle von relevanten Daten einsehen und damit die IST-Prozesse in der eigenen Klinik studieren. Obwohl in der jetzigen Version die Kostendaten mit Absicht nicht mit aufgenommen wurden, wollten einige Ärzte die kalkulierten Kosten zur verbesserten Beurteilung der beobachteten Phänomene abrufen können. Diese und weitere Änderungen können leicht im nächsten Release vorgenommen werden.

Momentan greifen die Programme KOCL und VIKAP auf Kopien der Daten des Produktivsystems zu. Damit ist nur eine retrospektive Kalkulation und Visualisierung von Behandlungsfällen möglich. Interessant wäre ein online-verfügbarer Einsatz beider Programme, d.h. es wird direkt auf die Routine-Datenbank zugegriffen. Damit könnte man unmittelbare Steuerungseffekte ermöglichen. Zunächst gibt es nur den Ausweg kürzerer Zeitintervalle, innerhalb derer man die relevanten Daten aus dem Produktivsystem kopiert. Im Sinne des Datenschutzes muss außerdem noch ein Benutzerkonzept mit Zugriffsschutz auf den erstellten Datenkörper realisiert werden.

Weiterhin gibt es das Problem der Datenintegration bzw. Portabilität des Systems, d.h. bei Einsatz des Systems für andere Häuser ist eine Anpassung der Datenstrukturen erforderlich. Hierzu müsste man Datenstruktur-Standards für DRG-Kalkulationsergebnisse nach § 21 KHEntgG erweitern auf sämtliche Leistungsdaten und entsprechende Integrationsroutinen entwickeln, was vor dem Hintergrund der extrem heterogenen IT-Infrastruktur verschiedener Häuser schwer durchzuführen ist. Darüber hinaus wird eine Wiederverwendung einer Kalkulationssoftware in anderen Häusern auch durch verschiedene, hausspezifische Kalkulationslogiken (z.B. Umlageschlüssel) erschwert, die entsprechend angepasst werden müssten.


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