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GMS Journal of Arts Therapies – Journal of Art-, Music-, Dance-, Drama- and Poetry-Therapy

Wissenschaftliche Fachgesellschaft für Künstlerische Therapien (WFKT)

ISSN 2629-3366

Zeigen sich Hinweise auf ein Delir in der Bildsprache? Eine systematische Analyse von Bildwerken geriatrischer Patient:innen mit und ohne Delir mittels RizbA

Does delirium present itself in pictorial works? A systematic analysis of pictorial works by geriatric inpatients with and without delirium

Originalarbeit Kunsttherapie

  • corresponding author Johanna Masuch - Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinik für Innere Medizin II, Nürnberg, Deutschland; Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für Geriatrie, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
  • Leonie Antwerpen - Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinik für Innere Medizin II, Nürnberg, Deutschland
  • Kerstin Schoch - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department für Psychologie und Psychotherapie, Witten, Deutschland; Pop-up Institut Berlin, Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg, Deutschland
  • Simon J. Steiger - Universität Mannheim, Fakultät für Sozialwissenschaften, Mannheim, Deutschland
  • Sibylle Brons - Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinik für Innere Medizin II, Nürnberg, Deutschland
  • Alberto del Palacio Lorenzo - Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinik für Innere Medizin II, Nürnberg, Deutschland
  • Katrin Singler - Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinik für Innere Medizin II, Nürnberg, Deutschland; Institut für Biomedizin des Alterns, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg, Deutschland

GMS J Art Ther 2023;5:Doc03

doi: 10.3205/jat000031, urn:nbn:de:0183-jat0000316

Published: May 24, 2023

© 2023 Masuch et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Ein Delir stellt eine der häufigsten Komplikationen in der Versorgung multimorbider geriatrischer Patient:innen dar. Die in der Kunsttherapie entstandenen zweidimensionalen Gestaltungen von hospitalisierten Patient:innen mit und ohne Delir einer akutgeriatrischen Station legen die Vermutung nahe, dass sich spezifische Hinweise für ein Delir in der Bildsprache der Patient:innen widerspiegeln.

Methode: Unter Anwendung von RizbA wurde eine Expert:innen-Onlinestudie (N=660) basierend auf 653 Bildern von 71 geriatrischen Patient:innen mit und ohne Delir durchgeführt, um mögliche kunsttherapeutische Warnsignale für das Vorhandensein eines Delirs zu bestimmen. Die Diagnose eines Delirs erfolgte bei Vorhandensein eines auffälligen Delir-Screenings (NuDesc) mit nachfolgender ärztlicher Diagnosestellung anhand der DSM-V-Kriterien. Die Anzahl der Bilder und Patient:innen verteilte sich dabei auf 182 Bilder von deliranten Patient:innen und 471 Bilder von Patient:innen ohne Delir. 660 Expert:innen aus künstlerischen Bereichen bewerteten die Bilder retrospektiv, unabhängig voneinander und anonymisiert. Das systematische Rating der Bilder erfolgte im Messwiederholungsdesign, wobei jede:r Rater:in sechs Bilder bewertete. Die statistische Auswertung erfolgte mittels einer Linear Mixed Model-Berechnung (LLM).

Ergebnisse: Die Auswertung der quantitativen Daten zeigt Unterschiede der bildlichen Darstellung zwischen Patient:innen mit und ohne Delir. In vier von sechs ausgewählten Items (Item 4, 18, 19 und 24) des Messinstruments zeigen sich deskriptiv Unterschiede zwischen deliranten und nicht deliranten Patient:innen. Das Bildmaterial von Patient:innen mit Delir zeichnet sich u.a. durch eine abstrakte Darstellungsweise (Item 4), sowie durch eine unruhige (Item 18), wilde (Item 19) und diffuse (Item 24) Bildwirkung aus. Explorativ konnten vier weitere auffällige Merkmale (Item 2, 3, 26 und 26) identifiziert werden. Diese zeichnen sich durch weniger malerische Elemente (Item 2), eine weniger gegenständliche Darstellungsweise (Item 3), eine weniger präzise, exakte Wirkung (Item 25) und eine weniger harmonische Wirkung (Item 26) aus. Die Studienergebnisse zeigen, dass sich das Vorhandensein eines Delirs Einfluss auf die bildnerischen Merkmalen von Arbeiten der betroffenen Patient:innen hat.

Schlussfolgerung: Anhand der Ergebnisse konnten mögliche kunsttherapeutische Warnsignale im bildlichen Ausdruck von akut-geriatrischen Patient:innen in Hinblick auf das Vorhandensein eines Delir aufgezeigt werden.

Schlüsselwörter: Bildanalyse, Bildlicher Ausdruck, Kunsttherapie, Ratinginstrument, Geriatrie

Abstract

Background: Delirium is one of the main complications in the treatment of multimorbid geriatric patients. The two-dimensional pictorial works created by geriatric inpatients with and without delirium during art therapy sessions, suggest that there are delirium specific indicators in the patients' imagery.

Method: To identify possible art therapy specific warning signs for delirium, an online survey was conducted with 660 experts using the RizbA tool. The survey was based on 653 two-dimensional pictorial works of 71 geriatric patients with and without delirium. The presence of delirium was identified using the NuDesc screening tool followed by a medical diagnosis using DSM-V-criteria. The study comprised 182 pictorial works by patients with delirium and 471 by patients without delirium. The consulted 660 experts were art therapists and experts in picture analysis, who assessed the pictorial works retrospectively, independently and anonymously. For the systematic assessment a test-retest design was used, in which each expert rated six pictures using RizbA. Statistical analysis was performed using a mixed linear model (LLM).

Results: The quantitative data analysis yields differences in the pictorial expression of patients with and without delirium. Four of the six selected items of the rating instrument (item 4, 18, 19 and 24) show descriptive differences for patients with and without delirium. The two-dimensional pictorial works created by patients with delirium is characterized by an abstract mode of representation (item 4) and a restless (item 18), wild (item 19) and diffuse (item 24) visual effect. Furthermore, four additional noteworthy items were identified exploratively (item 2, 3, 26 und 26). These four items are characterised by fewer pictorial elements (item 2), reduced figurative representation (item 3), as well as a less precise, accurate (item 25) and reduced harmonious effect (item 26). Thus the study results provide evidence that the presence of delirium influences the two-dimensional pictorial works of affected patients.

Conclusion: The results demonstrate possible art-therapy specific warning signs regarding the presence of delirium in the two-dimensional pictorial expression of geriatric patients in acute care.

Keywords: picture analysis, pictorial expression, art therapy, rating instrument, geriatrics


Einführung

Ein Delir ist ein akut auftretender Verwirrtheitszustand, welcher sich unter anderem durch eine Störung des Bewusstseins (hyper/hypoaktives Delir) definiert und bei älteren Menschen von relevanter prognostischer Bedeutung ist. Meist zeigt ein Delir einen fluktuierenden Verlauf von unterschiedlicher Dauer und wechselnder Intensität [1]. Bei geriatrischen Patient:innen tritt das Delir mit einer Prävalenz von bis zu 60% auf [2]. Nach Walcher haben 25% der akut deliranten Patient:innen zusätzlich eine zugrundeliegende Demenz, etwa 30% der Patient:innen, welche ein Delir entwickeln, erkranken innerhalb von drei Jahren an einer Demenz [3]. Erschwerend kommt hinzu, dass die 1-Jahresmortalität eines unbehandelten Delirs bei bis zu 30% liegt [4]. Da das Delir als eine der häufigsten Komplikationen älterer Krankenhauspatient:innen gilt, gibt es einen grundlegenden Bedarf an weiterführender Forschung in diesem Bereich [5]. Das Delir als ein negativer Verlaufsprädiktor wird mit zahlreichen, teilweise langfristigen Auswirkungen auf Kognition, Funktionalität und Autonomie der Betroffenen Patient:innen assoziiert. Die Delir-Diagnose und die therapeutischen Maßnahmen stellen für alle behandelnden Personen eine Herausforderung im klinischen Alltag dar. Je früher ein Delir erkannt wird, die Ursachen evaluiert und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können, desto besser ist die Prognose des Gesamtverlaufes. Die Evidenz zur Delirprävention bei stationären Krankenhauspatient:innen ist nach wie vor begrenzt [5]. Die Notwendigkeit der Integration von nicht-medikamentösen Therapieansätzen im Delirmanagement wird in der Literatur mehrfach benannt [6], [7]. Kunst und Künstlerische Therapien können als nicht-medikamentöser Behandlungsansatz sowie präventiv die psychische und physische Gesundheit unterschiedlicher Patient:innengruppen stärken [4]. Zur Identifizierung eines Delirs bei älteren Menschen kommen verschiedene validierte Screening-Instrumente, wie z.B. der 4AT-Test und der Nu-DESC zum Einsatz [8], [9]. Von 2017 bis 2019 wurde innerhalb der randomisierten und kontrollierten PAINT-Studie (Preventive Art INtervention Therapy) der Bedarf an nicht-medikamentösen Therapieoptionen bei geriatrischen Patient:innen aufgegriffen und untersucht. Hierbei konnten im Verlauf der kunsttherapeutischen Intervention neben ermutigenden therapeutischen Maßnahmen formale bildnerische Unterschiede und Veränderungen im Bildmaterial von Patient:innen mit Delir beobachtet werden [10].

Innerhalb der kunsttherapeutischen Forschung stellt sich allgemein die Frage, inwiefern systematische Analysen bildnerischer Arbeiten von Patient:innen und Klient:innen zum Verständnis ihrer jeweiligen Lebenssituation und als Ausdruck differentialpsychologischer Variablen beitragen [11]. Eine grundlegende Annahme der Kunsttherapie ist es, dass das Gestaltete etwas mit der oder dem Gestaltenden zu tun hat [12]. Hierzu gehören innere Repräsentationen und Persönlichkeitsdimensionen sowie klinische Diagnosen [13]. In vorherigen Arbeiten zur vergleichenden Bildanalyse mit RizbA zwischen Gruppen mit einer spezifischen klinischen Diagnose im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne klinische Diagnose, konnte bereits gezeigt werden, dass sehr wahrscheinlich Zusammenhänge zwischen formal-ästhetischen Kriterien und spezifischen Erkrankungen auf der Bildebene vorhanden sind. Zum Beispiel legt die Arbeit von Janßen 2018 [14] nahe, dass Patient:innen mit chronischem Schmerzsyndrom häufig über eine abstrakte Darstellungsweise (Item 4), eine leuchtende Farbgebung (Item 6) und eine eckige Linienführung (Item 13) verfügen. Eine weitere Arbeit mit RizbA von Epstein 2019 [15] zeigte, dass Bilder von Patient:innen mit der Diagnose rezidivierende Depression als weniger leuchtend (Item 6) bewertet wurden und weniger Komplementärkontraste aufwiesen (Item 15). Somit zeigt sich anhand der vorhandenen Studienlage, dass spezifische Merkmale in Abhängigkeit der jeweiligen Diagnosen mittels RizbA aufgezeigt und identifiziert werden können.

Vor diesem Hintergrund ergab sich die in der vorliegenden Studie bearbeitete Fragestellung, inwieweit in dem vorliegenden Bildmaterial von Patient:innen einer akutgeriatrischen Station, welche alle ein erhöhtes Delir-Risiko aufwiesen, Hinweise für ein Delir auf der Bildebene erkennbar sind und ob sich diese systematisch durch Anwendung eines Messinstrumentes zur Evaluierung zweidimensionaler Arbeiten (RizbA) erheben lassen.


Methodik

Entstehung des Bildmaterials

Auf einer akut-internistisch-geriatrischen Station wurde bei 71 multimorbiden Delir-Risiko-Patient:innen (≥70 Jahre) zweimal täglich eine an den individuellen Bedürfnissen adaptierte Kunsttherapie durchgeführt. Da die Patient:innen aufgrund ihrer akuten Gesundheitsprobleme und ihres schlechten Allgemeinzustandes nicht in der Lage waren einen Kreativraum zu besuchen, fand die Kunsttherapie am Patient:innenbett statt. Das Material bestand aus einem Malbrett, dicken und dünnen farbintensiven Filzstiften in den Farbtönen (gelb, grün, blau, rot, braun und schwarz), Bleistift, Kugelschreiber, Radiergummi, Spitzer und weißem DIN A4 Papier. Für die Bildgestaltung standen den Patient:innen zwei Vorlagen mit Grundformen (Kreis, Quadrat) in der Mitte des Blattes zur Verfügung (Abbildung 1 [Abb. 1]). Die bildnerischen Arbeiten wurden – mit Einverständnis der Patient:innen – fotografiert und digitalisiert und konnten so als Untersuchungsgegenstand für die Beurteilung verwendet werden [16]. Die Diagnose eines Delirs erfolgte bei Vorhandensein eines auffälligen Delir-Screenings (NuDesc) mit nachfolgender ärztlicher Diagnosestellung anhand der DSM-V-Kriterien. Ausgehend von dieser Differentialdiagnostik inkl. Delirdauer wurde das gesamte Bildmaterial in Bilder mit Delir und Bilder ohne Delir eingeordnet.

Messinstrument

Das Ratinginstrument für zweidimensionale bildnerische Arbeiten (RizbA) [17], [18], [19] ist ein aus 26 Items bestehender Fragebogen mit dem Ziel einer möglichst wertfreien und objektiven Erfassung bildlichen Ausdrucks [13]. Dieser Fragebogen misst sowohl den bildlichen Ausdruck als auch Inhalte der formalen Bildanalyse wie Darstellung, Farbe, Form, Raum, Bewegung und Komposition. Das Antwortformat besteht aus einer sechsstufigen Likert-Skala (trifft überhaupt nicht zu – trifft nicht zu – trifft eher nicht zu – trifft eher zu – trifft zu – trifft vollkommen zu) [20]. RizbA kann, wie in bisherigen Arbeiten gezeigt werden konnte, sowohl auf Arbeiten von Lai:innen, Gegenwartskunst oder Patient:innenbilder angewendet werden [13], [19], [20]. Der Fragebogen mit Erläuterungen ist als Open Methodology Tool frei verfügbar und kann von Kunsttherapeut:innen oder von Menschen mit künstlerischer Expertise ausgefüllt werden [18], [21].

Vor diesem Hintergrund stellte sich die Forschungsfrage, ob sich Bildwerke von Patient:innen mit Delir von Bildwerken aus der Kontrollgruppe (Patient:innen ohne Delir) signifikant unterscheiden. Nullhypothese: Bilder von Patient:innen mit Delir unterscheiden sich nicht von Bildwerken aus der Kontrollgruppe (Patient:innen ohne Delir). Alternativhypothese: Bilder von Patient:innen mit Delir unterscheiden sich von Bildwerken aus der Kontrollgruppe (Patient:innen ohne Delir). Aufgrund fehlender vergleichbarer Theorien in diesem Arbeitsfeld wird in der vorliegenden Arbeit auf ein induktives Vorgehen inkl. Hypothesenbildung zurückgegriffen [16]. Dadurch kann eine spezifizierte statistische Analyse erfolgen und der Forschungsgegenstand umfassend beleuchtet werden. Zwei Kunsttherapeut:innen formulierten orientiert an dem Fragebogen (RizbA) und basierend auf klinischen Erfahrungswerten in der Arbeit mit deliranten Patient:innen folgende Vermutungen hinsichtlich spezifischer bildnerischer Merkmale bei deliranten Patient:innen:

1.
Die Darstellungsweise von deliranten Patient:innen ist abstrakt (Item 4).
2.
Bilder von deliranten Patient:innen haben weniger bearbeitete Flächen (Item 14).
3.
Bilder von deliranten Patient:innen sind frei von Perspektive (aperspektivisch) (Item 17).
4.
Bilder von deliranten Patient:innen sind unruhig (Item 18).
5.
Bilder von deliranten Patient:innen sind wild (Item 19).
6.
Bilder von deliranten Patient:innen wirken diffus (Item 24).

Neben den hier benannten Merkmalsausprägungen soll im Rahmen der explorativen Analyse untersucht werden, ob es weitere diskriminierende Variablen auf Basis der Itembeschreibung zwischen den beiden Gruppen gibt. Diese sollen mittels explorativer Analysen erhoben und untersucht werden.

Studiendesign

Im Messwiederholungsdesign wurde über fünf Monate (07.05.2020 bis einschließlich 07.10.2020) hinweg eine Onlinestudie über SoSci Survey durchgeführt [8]. Die Onlinestudie wurde über fachspezifische Hochschulen und Soziale Medien beworben und geteilt. Expert:innen aus künstlerischen Bereichen (Kunstwissenschaft, Bildwissenschaft, Kunstgeschichte, Kunstpädagogik, Kunsttherapie, Freie Kunst, Grafikdesign, Restaurierung u.a.) beurteilten dabei die zweidimensionalen bildnerischen Arbeiten. Ausschlusskriterium für die Teilnahme waren Menschen ohne Expertise in den oben benannten Fachbereichen. Zunächst erhielten die Teilnehmenden eine kurze Studienbeschreibung, die über die Studie, die freiwillige Teilnahme, den RizbA-Fragebogen sowie über die Dauer aufklärte und Instruktionen zur Bearbeitung gab. Nachdem die Teilnehmenden in die Speicherung und Auswertung der anonymisierten Daten zu wissenschaftlichen Zwecken eingewilligt hatten, wurden soziodemografische Daten (Alter, Geschlecht, Studiengang, Hochschule, Hochschulabschluss) erhoben. Den Rater:innen der Onlinestudie wurden nacheinander sechs bildnerische Arbeiten aus dem Gesamtbildmaterial randomisiert und anonymisiert präsentiert. Die Rater:innen beurteilten jedes dieser Bilder mittels RizbA [18], [21]. Im Rahmen eines Messwiederholungsdesigns wurden zwei Erhebungen durchgeführt. Zwei Wochen nach dem ersten Messzeitpunkt bewertete jede:r Rater:in erneut sechs Bilder im Retest. Für dieses Modell ist es notwendig, die ausgewählten sechs Items zu einem gemittelten Wert zusammenzufassen [9]. Jedes Bild unterlag somit einer Mehrfachbeurteilung. Vollständig bearbeitete Bildbewertungen der Onlinestudie beider Messzeitpunkte gingen in die Datenauswertung ein.

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung gliedert sich in zwei Schritte. Im ersten Abschnitt wird die (Alternativ-)Hypothese, dass Bilder von Patient:innen mit Delir höhere Werte auf den sechs a priori ausgewählten Items (4, 14, 17, 18, 19, 24; siehe Methodik) aufweisen getestet. Um multiples Testen zu vermeiden, werden die sechs Items gemittelt [21]. Es wird anschließend untersucht, ob es auf diesem Mittelwert Unterschiede zwischen den Bildern von Patient:innen mit Delir und ohne Delir gibt.

Im zweiten Abschnitt wird explorativ untersucht, auf welchen der sechs ausgewählten Items sich besonders auffällige Unterschiede zwischen den Bildern von Patient:innen mit und ohne Delir zeigen. Schließlich werden die übrigen, im ersten Schritt nicht untersuchten Items, explorativ betrachtet. Dieser zweite Schritt dient nicht der Hypothesentestung, sondern der Hypothesengenerierung für zukünftige Studien. Aufgrund seines explorativen Charakters werden keine Signifikanztests durchgeführt.

Die statistische Auswertung wurde mit R (Version 4.0.2; R Core Team, 2020) inklusive der Funktion lmer durchgeführt (package Ime4, Version 1.1-23) [9]. Varianzinflationsfaktoren wurden mit der Funktion vif berechnet (package car, Version 3.0-9) [22].

Hypothesentest

Um zu überprüfen, ob die Bilder von Patient:innen mit Delir höhere Werte auf dem Mittelwert der sechs a priori ausgewählten Items (4, 14, 17, 18, 19, 24) aufweisen, wurde ein lineares gemischtes Modell (Linear Mixed Model; LMM) genutzt [23]. Dieses Modell erlaubt es zu kontrollieren, dass Bilder ein und derselben Person sich ähnlicher sind als die einer anderen Person. Um multiples Testen zu vermeiden ist es nötig, die ausgewählten sechs RizbA Items (Itemnummer 4, 17, 18, 19, und 24) zu einem gemittelten Wert zusammenzufassen [9]. Diese Items wurden theoriegeleitet vor der Datenanalyse ausgewählt. Der feste Effekt der Diagnose Delir („vorhanden“, „nicht vorhanden“) auf den Mittelwert der RizbA-Itemauswahl repräsentiert die Kernfrage dieser Untersuchung: Weisen Patient:innen mit Delir signifikant höhere Mittelwerte der RizbA-Itemauswahl auf als Patient:innen ohne Delir?

Weiterhin werden im Modell die Effekte von Alter, Geschlecht und die Diagnose Demenz kontrolliert, um deren potenziellen Einfluss auf den Mittelwert der sechs ausgewählten Items zu kontrollieren. Über diese Effekte hinaus beinhaltet das Linear Mixed Models (LMM) die pseudonymisierte Patient:innen-ID als Zufallseffekt. Dies ist notwendig, da anzunehmen ist, dass die Bilder eines oder einer Patient:in größere Ähnlichkeiten aufweisen als die Bilder verschiedener Patient:innen. Die Patient:innen-ID als Zufallseffekt kontrolliert so deren potenziell verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse. Das Signifikanzniveau wurde auf α=0.05 festgelegt.

Explorative Analyse

Für explorative Analysen auf Itemebene wurden Boxplots der Mittelwerte der Bilder von Patient:innen mit Delir und ohne Delir verglichen. Dies dient dazu, um Items zu identifizieren, auf denen der Unterschied zwischen Bildern von Patient:innen mit und ohne Delir besonders auffällig ist.


Ergebnisse

Hypothesentest

Insgesamt haben 1.274 Rater:innen die Onlinestudie begonnen. Hiervon bearbeiteten 660 Rater:innen die Umfrage vollständig. Daraus resultierten 660 vollständige Datensätze für die statistische Analyse. Die Teilnehmer:innen (N=660) der Onlinebefragung waren im Mittel 39.33 Jahre alt (SD=15.40). 21,9% befanden sich in einer Hochschulausbildung und 34,4% besaßen bereits einen zertifizierten Hochschulabschluss. Es nahmen 394 Frauen, 46 Männer und vier Personen mit diversen Geschlechtsidentitäten teil, während 216 Personen keine Angaben diesbezüglich machten. Von den Teilnehmenden studierten 132 Kunsttherapie, 75 Freie Kunst, 54 Kunstpädagogik, 45 Kunstgeschichte, 24 Grafikdesign, 22 Design, sieben Restaurierung und sechs Kunstwissenschaft. Weitere 79 Personen gaben an, einen anderen Studiengang studiert zu haben, während 216 Personen keine Angabe zur Aus- und Weiterbildung machten, wie Abbildung 2 [Abb. 2] visualisiert.

In einer methodischen Untersuchung sollte zukünftig überprüft werden, ob Teilnehmer:innen aller Fachbereiche die bildnerischen Merkmale mithilfe von RizbA gleich bewerten. Da sämtliche Teilnehmer:innen dieser Studie hohe künstlerische Expertise aufweisen, ist für die Zwecke der hier vorliegenden Analyse jedoch davon auszugehen, dass eine ausreichende Interraterreliabilität vorliegt.

Das mit RizbA bewertete Bildmaterial bestand aus 653 Bildern, die von 71 Patient:innen gestaltet wurden. Die Anzahl der Bilder und Patient:innen verteilt sich wie folgt: 182 Bilder von deliranten Patient:innen und 471 Bilder von Patient:innen ohne Delir, wie Abbildung 3 [Abb. 3] zusammenfassend darstellt.

Die Ergebnisse des LMM (Linear Mixed Model) zeigen, dass die Diagnose Delir einen klaren Einfluss auf die spezifischen bildnerischen Merkmale hat, die dem Mittelwert der sechs ausgewählten Items (4, 17, 18, 19, 24; siehe Methodik) abgebildet werden (full-null model comparison: Χ2=4.265, d=3, p=0.039). Das Bildmaterial von Patient:innen mit Delir weist einen signifikant höheren Mittelwert auf als das Bildmaterial von Patient:innen ohne einem Delir (Koeffizient±Standardfehler 0.198±0.097, p=0.046).

In dem Modell ist der Effekt der Kontrollvariablen Geschlecht und Demenzdiagnose nicht signifikant, während der Effekt der Kontrollvariable Alters signifikant ist (–0.031±0.087, p=0.720 vs. 0.014±0.006, p=0.039). Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst.

Da die zuvor beschriebene Analyse keinen Rückschluss darauf erlaubt, auf welchem der in den Werten gemittelten Items sich Patient:innen mit und ohne Delir signifikant unterscheiden erfolgt im nächsten Schritt eine explorative Analyse.

Explorative Analysen

In dieser explorativen Analysen wurden Boxplots der Mittelwerte der Bilder von Patient:innen mit Delir und ohne Delir verglichen. Diese sind in Abbildung 4 [Abb. 4] visualisiert. Mittels dieser Analyse konnten vier der sechs Items (4, 18, 19, 24), welche einen auffälligen Unterschied aufweisen identifiziert werden.

Die Boxplots zeigen auffällige Unterschiede zwischen den Bildern der Patient:innen mit und ohne Delir auf den Items 4, 18, 19, und 24 (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Das Bildmaterial von Patient:innen mit Delir unterscheidet sich dementsprechend deskriptiv zu dem Bildmaterial von Patient:innen ohne Delir, indem die Bilder abstrakter (Item 4), unruhiger (Item 18), wilder (Item 19) und diffuser (Item 24) wirken. Es zeigen sich keine Unterschiede in der Größe der bearbeiteten Flächen im Bild (Item 14) und darin, wie aperspektivisch das Bildmaterial ist (Item 17). Tabelle 2 [Tab. 2] zeigt eine Übersicht der ausgewählten Items mit einer Zusammenfassung der Befunde.

In einem weiteren explorativen Analyseschritt wurden die Verteilungen der übrigen Itemscores betrachtet (alle Items außer Item 4, 14, 17, 18, 19, 24). Die explorative Betrachtung der übrigen 20 Items legt nahe, dass sich die Bilder von Patient:innen mit Delir von Patient:innen ohne Delir in den Items 2, 3, 25 und 26 unterscheiden. Somit grenzt sich das Bildmaterial von Patient:innen mit Delir von Patient:innen ohne Delir in folgenden vier Merkmalsausprägungen ab: enthält malerische Elemente (Item 2), ist weniger gegenständlich (Item 3), wirkt weniger präzise und exakt (Item 25) und wirkt weniger harmonisch (Item 26). Abbildung 5 [Abb. 5] stellt diejenigen der übrigen Items dar, auf denen der Unterschied zwischen Bildern von Patient:innen mit und ohne Delir besonders auffällig ist. Auf den nicht abgebildeten Items zeigte sich kein auffälliger Unterschied zwischen den Bildern von Patient:innen mit und ohne Delir (Tabelle 3 [Tab. 3]).

Abschließend können folgende Merkmalsausprägungen (Tabelle 4 [Tab. 4]) in der bildlichen Darstellungsweise von deliranten Patient:innen als Warnhinweise für die Entstehung eines Delir in die kunsttherapeutische Arbeit integriert und einbezogen werden.


Diskussion

Die Ergebnisse der vorliegenden Onlinestudie weisen signifikante Unterschiede in der Bildsprache von Patient:innen mit Delir im Vergleich zu Patient:innen ohne Delir auf. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich ein Delir auf der Bildebene erkennen lässt und somit die Forschungsfrage bestätigt werden kann. Die Nullhypothese: Bilder von Patient:innen mit Delir unterscheiden sich nicht von Bildwerken aus der Kontrollgruppe (Patient:innen ohne Delir) konnte somit widerlegt werden. Die Alternativhypothese: Bilder von Patient:innen mit Delir unterscheiden sich von Bildwerken aus der Kontrollgruppe (Patient:innen ohne Delir) konnte hingegen mit signifikantem Ergebnis belegt werden. Zur Identifizierung eines Delir bei älteren Menschen kommen verschiedene validierte Screening-Instrumente wie z.B. der 4AT-Test und der Nu-DESC zum Einsatz [24], [25]. Trotz validierter Screening-Instrumente wird das Delir nach wie vor häufig fehldiagnostiziert, zu spät erkannt oder in weit über 60% der Fälle übersehen [24]. Die vorliegende Datenlage eröffnet eine zusätzliche Möglichkeit der Erkennung von Warnsignalen eines Delir auf der Bildebene. Die Diagnose Delir hat einen klaren Einfluss auf die Gestaltungen dieser Patient:innengruppe und spiegelt sich in der Bildsprache wider. Das Bildmaterial von Patient:innen mit Delir zeigt auffällige Unterschiede zu Patienten ohne Delir und zeichnet sich u.a. durch eine abstrakte Darstellungsweise (Item 4) sowie durch eine unruhige (Item 18), wilde (Item 19) und diffuse (Item 24) Bildwirkung aus. Explorativ konnten vier weitere auffällige Merkmale im Bildmaterial von deliranten Patient:innen identifiziert werden, die sich durch weniger malerische Elemente (Item 2), eine weniger gegenständliche Darstellungsweise (Item 3), eine weniger präzise, exakte Wirkung (Item 25) und eine weniger harmonische Wirkung (Item 26) auszeichnen. Die auffälligen Merkmalsausprägungen entsprechen zudem den in der Literatur benannten Beschreibungen des Delirerlebens von Patient:innen [20] und decken sich mit den klinischen Beobachtungen und der kunsttherapeutischer Dokumentation im Rahmen der PAINT-Studie [10].

In der Kunsttherapie werden kunsttherapeutische Prozesse sowie die Gestaltung zur Erweiterung des Ausdruckes und der zusätzlichen Kommunikation genutzt [26]. Diese Potentiale werden u.a. in der kunsttherapeutischen Arbeit im Bereich der palliativen Versorgung oder in der Arbeit mit Menschen mit Demenz verstärkt in den Fokus gestellt [27], [28]. Somit kann mittels Prozess- und Bildebene ein spezifischer Einblick in die Patient:innensicht gegeben und in den Behandlungsverlauf integriert werden. In qualitativen Interviews beschreiben Patient:innen retrospektiv das individuelle Erleben ihres Delirs als belastende und unangenehme Erfahrung, geprägt von Gefühlen wie z.B. Angst und Unruhe [20]. Diese beschriebenen Gefühle sind mit den spezifischen bildnerischen Merkmalen deliranter Patient:innen (Item 18, 19 und 24) kongruent. Die bildnerische Darstellung ermöglicht Patient:innen mit Delir, bei welchen häufig auch die sprachlichen Fähigkeiten eingeschränkt sind, ihre psychische Belastung nicht nur retrospektiv zu verbalisieren, sondern zeitgleich und unmittelbar auf der Bildebene zu thematisieren [21]. Dies ist u.a. für die Früherkennung eines Delirs von zentraler Bedeutung, da diese direkt mit dem weiterführenden Management und dem Outcome korreliert [4]. Das Delir als eine akute, meist reversible fluktuierende Störung der Aufmerksamkeit, der Kognition und des Bewusstseinsniveaus, ist bei älteren multimorbiden Patient:innen eine der am häufigsten Komplikationen während eines Krankenhausaufenthaltes [2]. Neben der Behandlung der Delir-Ursache, sofern möglich, stehen bislang nur wenige therapeutische Optionen zur Verfügung [6]. Einen präventiven Effekt nicht-medikamentöser Therapiemaßnahmen im Delirmanagement konnten bislang nur wenige Studien zeigen [29]. Allerdings ist aus empirischen Daten bekannt, dass durch den Einsatz von multimodalen, nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen das delirante Syndrom um ca. 30–40% verringert werden kann [30]. Der Einsatz von Kunsttherapie wurde bislang nur bedingt bei akut erkrankten Delir-Risiko-Patient:innen eingesetzt und beschrieben [16].

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse für die kunsttherapeutische Arbeit mit geriatrischen Delir-Risiko-Patient:innen von großer Bedeutung. Mittels der identifizierten Bildmerkmale kann von Warnsignalen in der kunsttherapeutischen Arbeit mit diesem Störungsbild gesprochen werden. Diese kunsttherapeutischen Warnsignale im bildlichen Ausdruck von akut-geriatrischen Patient:innen mit Delir, können somit in die kunsttherapeutische Behandlung integriert und in multiprofessionelle Behandlungsansätze einbezogen werden. Weiterhin verdeutlichen die Ergebnisse grundlegende Aspekte für die kunsttherapeutische Arbeit mit Delir-Risiko-Patient:innen, ermöglichen gezielte weiterführende Forschung auf diesem Gebiet und führen zu einer Sensibilisierung für dieses Störungsbild.


Limitationen

Als Studiendesign wurde eine Onlinestudie mittels RizbA als Ratinginstrument gewählt bei dem das Bildmaterial von insgesamt 1.274 Rater:innen bewertet wurde. Onlinebefragungen bieten die Möglichkeit, die Auswertung von Daten zu beschleunigen, da diese bereits dem System vorliegen und nicht aus verschiedenen Befragungskanälen zusammengeführt werden müssen. Ein weiterer Vorteil von Onlinebefragungen ist die Aktualität der Ergebnisse. Zwischenergebnisse können jederzeit erfasst und interpretiert werden. Die erfassten Daten sind von hoher Qualität und es entfallen Fehlerquellen, die bei der Übertragung von Offline-Daten häufig anfallen. Nachteile einer Onlinebefragung sind häufig hohe Abbruchraten. Dies ist auch in der vorliegenden Befragung der Fall, da 48,2% (N=614) der Teilnehmenden die Umfrage abgebrochen haben. Insgesamt wurde von Somit nahmen zwar 1.274 Rater:innen die Befragung begonnen, aber nur 660 Rater:innen schlossen die Befragung vollständig ab. Zusammenfassend brach jede:r zweite Rater:in die Befragung vorzeitig ab. Mehrfachteilnahmen konnten ausgeschlossen werden [8]. Von den Teilnehmenden studierten 132 Kunsttherapie, 75 Freie Kunst, 54 Kunstpädagogik, 45 Kunstgeschichte, 24 Grafikdesign, 22 Design, sieben Restaurierung und sechs Kunstwissenschaft. Weitere 79 Personen gaben an, einen anderen Studiengang studiert zu haben, während 216 Personen keine Angabe zur Aus- und Weiterbildung machten. Somit muss hinsichtlich der Beurteilung des Bildmaterials durch die Rater:innen von einer Verzerrung der Ergebnisse ausgegangen werden, da nicht alle Expert:innen gleichermaßen in der Lage sind den bildnerischen Ausdruck von Patient:innenbildern zu bewerten.

In dem für diese Untersuchung vorliegenden Bildmaterial wurden strukturgebende Vorlagen (Kreis und Quadrat) und ein reduzierter Materialstamm verwendet. Dies ermöglichte insbesondere den akut verwirrten Delir-Risiko-Patient:innen einen leichteren Zugang zur Kunsttherapie sowie einen aktiven und selbstbestimmten Zugang in die Gestaltungsphase [16]. Der Kreis als Formvorlage evoziert eine innere strukturierende und zentrierende Wirkung auf die Gestalter:innen [31], während das Quadrat die Gestaltungsfläche in einen strukturierten Innen- und Außenraum teilt und klare Grenzen setzt [32]. Inwiefern die Delir-Risiko-Patient:innen dadurch in ihrer künstlerischen Ausdruckmöglichkeit eingeschränkt wurden, stand nicht im Fokus der kunsttherapeutischen Intervention, ist allerdings nicht auszuschließen. Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Bildmaterial von Delir-Risiko-Patient:innen basiert auf den innerhalb der PAINT-Studie entstandenen Bildwerken, weshalb z.B. unbearbeitete Flächen im Bild durch die Vorlagenformen und die dadurch nicht klar definierten entstandenen Leerräume kritisch hinterfragt werden sollten. Limitationen in Bezug auf eine Verzerrung der Ergebnisse finden sich z.B. in Bezug auf einzelne Itembeschreibungen, wie „Bilder von deliranten Patient:innen haben weniger bearbeitete Flächen“ (Item 14). Diese Unklarheiten bezüglich der Flächengestaltung im Bildmaterial wurden auch von Seiten der Rater:innen während der Onlineumfrage zurückgemeldet. Daher kann das Ergebnis von Item 14 nur eingeschränkt interpretiert werden, da das Bildmaterial zu formalen Verzerrungen in der Beurteilung geführt hat. Item 17 (Bilder von deliranten Patient:innen sind frei von Perspektive (aperspektivisch) wies ebenfalls keine deskriptiven Hinweise auf. Somit konnte dieses Item bei deliranten Patient:innen nicht als ein spezifisches bildnerisches Merkmal identifiziert werden. Der beobachtete fragmentarische Duktus bei Delir-Risiko-Patient:innen wurde anhand zweier Items erfasst (Item 18 und Item 24). Dieser spezifische Zeichencharakter konnte anhand der beiden Items nicht vollständig abgedeckt und somit nicht umfassend untersucht werden. Der aus der Arbeit mit Demenz-Patient:innen bekannte kindlich-naive und teilweise fragmentarische Duktus konnte durch die 26 Items von RizbA ebenfalls nicht ermittelt werden [24]. Daher wäre eine Adaption dieses Messinstruments in Hinblick auf spezifische Arbeitsbereiche (z.B. Geriatrie) und bildnerische Diagnostik von Bedeutung.

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist, dass die Ergebnisse des Messinstruments RizbA in der kunsttherapeutischen Anwendung immer im Gesamtkontext der vielschichtigen kunsttherapeutischen Faktoren zu betrachten sind. Das Instrument erhebt nicht den Anspruch, den gesamten kunsttherapeutischen Kontext abzubilden. RizbA legt den Fokus nur auf einen spezifischen Aspekt, den bildlichen Ausdruck [13]. Die Ergebnisse der hier vorliegenden Untersuchung sollten daher immer in Ergänzung zu weiteren Instrumenten und unter Verwendung verschiedener Zusammenhänge einbezogen werden.


Fazit

Eine grundlegende Annahme der Kunsttherapie ist es, dass das Gestaltete etwas mit der/dem Gestaltenden zu tun hat [12]. Vor diesem Hintergrund wurde mittels RizbA im Rahmen einer Onlinestudie der Frage nachgegangen, ob sich in zweidimensionalen Arbeiten von Delir-Risiko-Patient:innen erste Hinweise auf das Vorhandensein eines Delir zeigen. In der Analyse wiesen im Vergleich zwischen deliranten und nicht-deliranten Patient:innen acht Items des RizbA-Fragebogens auffällige Unterschiede auf formal-ästhetischer bildnerischer Ebene. Zusammenfassend zeigt sich ein signifikanter Unterscheid zwischen den beiden Bildergruppen. Diese sind für die Erkennung eines Delirs auf der Bildebene sowie die Durchführung einer individuell adaptierten effektiven kunsttherapeutischen Intervention bei geriatrischen Patient:innen von grundlegender Bedeutung. Diese Erkenntnisse können ferner zu einer Sensibilisierung für den kunsttherapeutischen Umgang mit diesen Patient:innen beitragen. Die Ergebnisse aus der Onlinestudie legen ein Fundament für die kunsttherapeutische Arbeit auf einer akut-internistisch-geriatrischen Station und stärken die Rolle von Kunsttherapeut:innen als möglicher Teil eines interdisziplinären geriatrischen Teams. Systematische Bildanalysen von geriatrischen Patient:innen leisten einen wichtigen und innovativen Beitrag für fundierte kunsttherapeutische Forschungsansätze und für die kunsttherapeutische Praxis. Die spezifischen und nicht-medikamentösen Potenziale der Kunsttherapie könnten zukünftig als Bestandteil im Delirmanagement etabliert werden.


Anmerkungen

Interessenkonflikt

Die Autor:innenschaft erklärt, dass kein Interessenkonflikt in Zusammenhang mit diesem Artikel besteht.

Ethische Stellungnahme

Die vorliegende Arbeit ist Teil der PAINT-Studie und erfüllt die ethischen und gesetzlichen Bestimmungen der Helsinki-Deklaration. Diese wurde von dem lokalen Studienzentrum sowie der Freiburger Ethikkommission international (Code: 017/1504) genehmigt.

Finanzierung

Zudem wurde die Studie von der Staedtler-Stiftung finanziert. Diesbezüglich liegen keine Interessenskonflikte der Beteiligten vor.


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