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GMS German Medical Science — an Interdisciplinary Journal

Association of the Scientific Medical Societies in Germany (AWMF)

ISSN 1612-3174

Qualitätssichernde Maßnahmen in nicht-interventionellen Studien: Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller

Quality assurance measures in non-interventional studies: Results of a survey among the members of the Association of Research-Based Pharmaceutical Companies

Originalarbeit

GMS Ger Med Sci 2008;6:Doc12

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/gms/2008-6/000057.shtml

Received: July 29, 2008
Revised: October 9, 2008
Published: November 4, 2008

© 2008 Hahn et al.
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Zusammenfassung

Die Erforschung der therapeutischen Wirksamkeit einer Substanz, deren Sicherheit und Verträglichkeit im menschlichen Organismus und ihre Entwicklung zu einem Arzneimittel verläuft nach strengen gesetzlichen Vorgaben und Regeln, die unter anderem im deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) sowie in der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-V) dargelegt sind.

Nach der behördlichen Zulassung und der folgenden Anwendung eines Arzneimittels unter Alltagsbedingungen und an einer Vielzahl von Patienten haben sich nicht-interventionelle Studien (NIS), zu deren häufigster Form in Deutschland die Anwendungsbeobachtung (AWB) zählt, als leistungsfähige Instrumente zur Überprüfung der Sicherheit des Arzneimittels und zur Bestätigung der aus klinischen Prüfungen erlangten Erkenntnisse zu dessen Wirksamkeit erwiesen.

NIS/AWB unterliegen nicht denselben strikten Regelungen wie sie bei der Entwicklung eines Arzneimittels greifen; vielmehr folgen diese den Empfehlungen beispielsweise der Bundesoberbehörden und der Facharbeitsgemeinschaft zu Guter Epidemiologischer Praxis. Weitere Vorgaben zu NIS/AWB ergeben sich aus dem Kodex der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. und dem Gemeinsamen Standpunkt der Verbände der pharmazeutischen Industrie zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern.

Anfang 2007 hat der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) wesentliche Elemente dieser Empfehlungen konsolidiert, um neue Vorgaben ergänzt und als „VFA-Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz von nicht-interventionellen Studien“ veröffentlicht. Diese Empfehlungen machen unter Anderem konkrete Vorgaben zu Maßnahmen im Bereich der Qualitätssicherung in NIS, die diese den Standards für klinische Prüfungen annähern. Gleichfalls werden hierdurch analoge Maßstäbe bezüglich der Transparenz in der Planung und Durchführung von NIS /AWB sowie der Veröffentlichung der Ergebnisse aus diesen Untersuchungen angelegt, wie sie für klinische Prüfungen schon seit längerem gefordert sind.

Anhand einer Umfrage unter den VFA-Mitgliedsunternehmen konnte gezeigt werden, dass die Umsetzung der VFA-Empfehlungen in den Unternehmen, die derzeit NIS /AWB Projekte durchführen, bereits nach wenigen Monaten seit deren Veröffentlichung sehr weitgehend und erfolgreich gelungen ist. Die Anzahl an neu initiierten NIS zeigt dabei eine leicht abnehmende Tendenz, begleitet von einem erhöhten administrativen und logistischen Aufwand sowie einer Verstärkung der Fokussierung auf die medizinisch wissenschaftliche Fragestellung und eine adäquate Untersuchungsmethodik in NIS/AWB.

Schlüsselwörter: Qualitätssicherung, nicht-interventionelle Studie, VFA-Empfehlungen, Anwendungsbeobachtung

Abstract

Research into the therapeutic efficacy of a preparation, its safety and tolerability in the human body, as well as its development into a medicinal product is governed by strict legal provisions and regulations such as those stipulated in the German Drug Law (AMG) and the German Ordinance for Good Clinical Practice in Trials on Medicinal Products for Human Use (GCP-V).

In the post-marketing setting, when drugs are tested under routine conditions and in large numbers of patients, non-interventional studies (NIS), which include Anwendungsbeobachtungen (AWB) as the most common form in Germany, have shown to be effective instruments for assessing the safety of a medicinal product and for confirming the results obtained in clinical trials regarding the efficacy of the drug.

NIS/AWB studies are not subject to the same strict regulations that govern the development of a medicinal product; in fact they follow recommendations such as those issued by the Federal Higher Authorities and the Expert Committee on Good Epidemiological Practice. Further provisions on NIS/AWB are laid down in the “Codex of the Voluntary Self-regulation for the Pharmaceutical Industry” and the “Common point of view of the Associations of the Pharmaceutical Industry on the assessment of criminality in the collaboration between industry, medical institutions and their staff”.

In early 2007, the German Association of Research-Based Pharmaceutical Companies (VFA) consolidated the essential elements of these recommendations, supplemented them by new provisions and published the resulting document as „VFA Recommendations for the Improvement of Quality and Transparency of Non-interventional Studies“. Among other initiatives, these recommendations stipulate specific measures for quality assurance in NIS, approximating NIS standards to those applicable to clinical trials. At the same time NIS are being subjected to transparency criteria with regard to the planning, conduct and publication of the results similar to those that have long been required for clinical studies.

A survey among VFA members showed that the VFA recommendations were implemented widely and successfully by the companies currently conducting NIS/AWB projects only a few months after the recommendations had been published. The number of newly initiated NIS has slightly dropped; this trend comes with an increased administrative and logistic burden, greater emphasis on medico-scientific questions, and a focus on adequate methodologies for the analysis of NIS/AWB.


Einführung

Erkenntnisse über die Sicherheit eines Arzneimittels nach dessen behördlicher Zulassung und Markteinführung zu sammeln und kontinuierlich zu bewerten ist eine der zentralen Verpflichtungen eines pharmazeutischen Unternehmers. Ein probates und bewährtes Instrument hierzu stellen nicht-interventionelle Studien dar, zu deren häufigster Form in Deutschland die Anwendungsbeobachtung zählt. NIS/AWB sind systematische Untersuchungen des Behandlungsalltags an einer Vielzahl von Patienten und ermöglichen u.a. die Erforschung auch seltener Nebenwirkungen von Arzneimitteln oder deren möglicher Wechselwirkungen in Kombination mit anderen Medikamenten oder bestimmten Nahrungsmitteln.

Des Weiteren sind NIS/AWB geeignet, die Erkenntnisse zur Wirksamkeit des Arzneimittels aus den kontrollierten Zulassungsstudien an einem nach dem Markteintritt des Präparates üblicherweise deutlich größeren Patientenkollektiv zu überprüfen. Sowohl die Behandlung wie auch die Diagnose und die Überwachung des Patienten in einer AWB folgen ausschließlich der ärztlichen Praxis und sind strikt getrennt von der Entscheidung zur Verordnung eines Arzneimittels und der Entscheidung, einen Patienten in eine AWB einzubeziehen. Aufgrund ihres wissenschaftlichen epidemiologischen Charakters sind NIS/AWB zudem geeignet, wesentliche Erkenntnisse zu Themen der Versorgungsforschung in einer breiten Patientenpopulation zu erlangen [1].

Ziele von NIS/AWB können zudem der Erkenntnisgewinn über das Verordnungsverhalten und die Verschreibungsgewohnheiten in der ärztlichen Praxis sowie die Beobachtung der Akzeptanz und Compliance bei der Anwendung eines Arzneimittels unter Alltagsbedingungen sein.

NIS/AWB folgen hierbei den Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen in der Fassung von 1998 [2] unter weiterer Berücksichtigung der Entwurfsfassung der Empfehlungen der Bundesoberbehörden (BfArM und PEI) vom Mai 2007 [3], sowie den Vorgaben des Kodex der Mitglieder des Vereins "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V." (FSA-Kodex) [4] und des § 67 (6) AMG [5] hinsichtlich der Meldeverpflichtungen in Deutschland bei der Durchführung von AWB.

Das AMG definiert in § 4 (23) die nicht-interventionelle Studie als "… eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Verwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis". Diese Definition grenzt die NIS gegen die klinische Prüfung der Phase IV nach Zulassung eines Arzneimittels ab, die durch ihre kontrollierten Vorgaben einem anderen Erkenntnisgewinn dient und nicht die ärztliche Routine widerspiegeln soll.

Trotz der hohen wissenschaftlichen Bedeutung und der aus NIS/AWB abzuleitenden Ergebnisse über den Behandlungsalltag, hatte es immer wieder Kritik öffentlicher Institutionen, u.a. der Kassenärztlichen Bundesvereinigung [6], und der Presse [7], [8], an der Wissenschaftlichkeit einiger AWB gegeben. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden kritischen öffentlichen und internen Diskussion veröffentlichte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller im April 2007 "Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz von nicht-interventionellen Studien" [9].

Alle Mitgliedsunternehmen des VFA haben sich im April 2007 in einer Selbstverpflichtung zur Umsetzung und Einhaltung der VFA-Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz von nicht-interventionellen Studien bekannt. Diese wurden, mit Ausnahme der schriftlichen Patienteneinwilligung und der Beratung einer NIS durch eine Ethik-Kommission, im Mai 2008 zusätzlich in den FSA-Kodex aufgenommen; damit kann deren Nicht-Einhaltung entsprechend den Regelungen des FSA sanktioniert werden.


Methodik

Um den Stand der Umsetzung und Einhaltung sowohl der neuen VFA-Empfehlungen wie auch der schon seit Längerem bestehenden Vorgaben und Leitlinien zu erheben, entwarf eine Arbeitsgruppe des VFA-Unterausschusses Klinische Forschung/Qualitätssicherung einen 18 Fragen bzw. Themenbereiche umfassenden Fragebogen zu "Qualitätssicherungsmaßnahmen in NIS/AWB". Gefragt wurde nach Art und Anzahl derzeit durchgeführter NIS/AWB, nach dem Vorhandensein aktueller Verfahrensanweisungen und Standard Operating Procedures (SOP) zu NIS auf internationaler und nationaler Ebene und zu den Schulungsmaßnahmen für die beteiligten Mitarbeiterkreise und vorgesehener Wiederholungen solcher Schulungen. Weiterhin wurden die Überlegungen zur Selektion und Vorauswahl und der Repräsentativität der Studienzentren abgefragt sowie die vorgesehenen Maßnahmen zur Verifizierung der erhobenen Daten und zum Umfang der Einwilligung des Patienten in AWB. Ein weiterer Fragenkomplex erfasste Angaben zu Maßnahmen bei der Auswertung der Ergebnisse und deren Veröffentlichung.


Umfrage

Die Umfrage wurde im Februar und März 2008 unter den Mitgliedsunternehmen des VFA durchgeführt. Von den 44 befragten Unternehmen wurden 24 Rückmeldungen erhalten; dies entspricht einer Quote von 55% Prozent. Von den 24 Unternehmen führten zum Zeitpunkt der Umfrage 18 Unternehmen eine oder mehrere Arten nicht-interventioneller Studien in Deutschland durch. 6 Mitgliedsunternehmen führten keine NIS durch, da bislang noch keines ihrer in der Entwicklung befindlichen Präparate eine Marktzulassung erlangt hat. Der Auswertung der Umfrage liegen die detaillierten Angaben dieser 18 Unternehmen (41% aller Unternehmen) zugrunde.

Sie geben damit ein realistisches Bild der weniger als ein Jahr nach Einführung der VFA-Empfehlungen tatsächlich angewandten Maßnahmen bei NIS wieder.


Ergebnisse

Zu berücksichtigen ist, dass die in den Tabellen 2 bis 6 über die Zahl von N=18 hinausgehenden Gesamtsummen der Antworten durch die Möglichkeit von Mehrfachnennungen bedingt sind.

Art und Anzahl nicht-interventioneller Studien

Die Anzahl der von den befragten VFA-Mitgliedsunternehmen durchgeführten Formen nicht-interventioneller Studien ist der Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen.

Standardarbeitsanweisungen zu NIS

Die Basis eines Qualitätssicherungssystems bilden aktuelle und detaillierte Standardarbeitsanweisungen oder Standard Operating Procedures (SOP) zu NIS. Die SOP regeln einerseits unternehmensweit die Grundlagen zu NIS auf internationaler Ebene sowie in einer adäquaten Weise die spezifischen Verfahrensweisen von der Konzeption über die Durchführung bis zur Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse aus NIS/AWB auf nationaler Ebene.

In allen VFA-Mitgliedsunternehmen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, existieren entweder internationale oder nationale SOP, in 10 Unternehmen sowohl auf internationaler wie auch nationaler Ebene.

Um den Regularien und Empfehlungen bei der Durchführung von NIS in Deutschland eine Verbindlichkeit zukommen zu lassen, müssen diese in den SOP erwähnt sein bzw. muss auf diese Bezug genommen werden. Dies ist in allen befragten Unternehmen entsprechend umgesetzt; in einem Falle stand eine Aktualisierung der SOP hinsichtlich dieser Anforderung unmittelbar bevor.

Schulung

Die Vermittlung der Inhalte der NIS SOP an die beteiligten Mitarbeiter vor der Initiierung neuer NIS ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Regularien und Empfehlungen sowie für deren Einhaltung. Von allen befragten Unternehmen wurden seit Mai 2007 Schulungsmaßnahmen für alle beteiligten Mitarbeiter einschließlich der Pharmaberater durchgeführt. Abhängig von der Größe des Unternehmens und der Zahl beteiligter Mitarbeiter wurden vor der Initiierung neuer Projekte spezifische Teamschulungen durchgeführt oder, falls möglich, einem breiteren Mitarbeiterkreis die Inhalte der NIS SOP vermittelt. Die mehrheitlich gewählte Schulungsmethode waren Präsenzschulungen, interessant erscheint hier aber auch der Einsatz neuerer technologischer Lösungen wie beispielsweise computergestützte eLearning-Systeme in zumindest drei der befragten Unternehmen.

In sechs Unternehmen sind Wiederholungen dieser Schulungsveranstaltungen bzw. -maßnahmen in einem jährlichen Abstand vorgesehen. Dies erscheint in Unternehmen, die eine große Zahl von NIS/AWB durchführen, ein durchaus angemessenes Wiederholungsintervall zu sein. Andere Unternehmen sehen eine projektbezogene Schulung des beteiligten Mitarbeiterkreises mit einer nicht zeitlich festgelegten Wiederholung vor. In jedem Falle ist vorgesehen, auf Änderungen und Aktualisierungen der entsprechenden Empfehlungen unmittelbar mit Schulungsmaßnahmen zu reagieren.

Dieselben inhaltlichen, methodischen und zeitlichen Vorgaben und Überlegungen sollten selbstverständlich auch auf Schulungsmaßnahmen beauftragter Dritter (z.B. Clinical Research Organisations – CRO) Anwendung finden.

Einige durch die VFA-Empfehlungen bedingte Neuerungen in der Durchführung von NIS/AWB betreffen die beteiligten Studienzentren in direkter Weise, wie beispielsweise die Notwendigkeit einer Aufklärung des Patienten über die Erhebung und Verwendung seiner Behandlungsdaten. Auch deshalb würde sich eine geeignete Art der Schulung für die beteiligten Zentren anbieten; in NIS mit einer Vielzahl von Zentren wird dies aus logistischen Gründen jedoch nicht immer möglich sein. Deshalb sollten die NIS/AWB-Unterlagen detaillierte Informationen über die Grundlagen der ordnungsgemäßen Durchführung der NIS beinhalten. Seitens des VFA ist zudem vorgesehen, ein Informationsblatt mit Hinweisen zu den wichtigsten Voraussetzungen und Neuerungen zur Verfügung zu stellen.

Verantwortlichkeit im Unternehmen

Eine Kernforderung der VFA-Empfehlungen sieht die Implementierung und Durchführung von NIS unter der Verantwortung des Leiters der medizinischen Abteilung vor. In allen befragten Unternehmen ist dieser Forderung Rechnung getragen und die Gesamtverantwortung für NIS im Unternehmensbereich Medizin und damit im Verantwortungsbereich des Leiters der medizinischen Abteilung angesiedelt. Dies umfasst die Verantwortung für die wissenschaftliche Konzeption und Fragestellung einer NIS, die Erstellung eines methodengerechten Beobachtungsplanes, eine statistisch fundierte Auswertungsplanung, die Platzierung bei den Studienzentren, die Auswertung der erhobenen Daten bis hin zur zeitgerechten Zusammenfassung der Ergebnisse in einem öffentlich zugänglichen Register und deren Publikation in Fachzeitschriften bzw. deren Präsentation auf medizinischen Fachtagungen und -kongressen.

NIS-Register

Die Veröffentlichung von Informationen über beabsichtigte NIS/AWB vor Studienbeginn und der Zusammenfassung der Ergebnisse innerhalb von zwölf Monaten nach Abschluss der Untersuchung sind Anforderungen [10], die den bereits für klinische Prüfungen geltenden Regelungen entsprechen [11]. Die befragten VFA-Mitgliedsunternehmen nutzen für die Veröffentlichung von Informationen über beabsichtigte NIS/AWB vor Studienbeginn eine oder mehrere der folgenden öffentlich zugänglichen Internetdatenbanken: http://www.clinicaltrials.gov, http://www.vfa.de/de/forschung/nisdb (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Selektion und Repräsentativität der Studienzentren

Überlegungen zur Selektion und Vorauswahl teilnehmender Studienzentren und Ärzte sind zwangsläufig von verschiedenen Faktoren bestimmt, wie beispielsweise der Indikation, in der das zu untersuchende Arzneimittel verordnet wird, der Notwendigkeit zur Einbeziehung medizinischer Fachdisziplinen und -einrichtungen oder auch der vorgesehenen Beobachtungsdauer in einer AWB. Die unterschiedlichen Anforderungen bei der Untersuchung eines Arzneimittels in einer kardiovaskulären Indikation mit einer Vielzahl von Studienzentren und einer breiten geographischen Streuung und der Anwendung eines Präparates in einer onkologischen Indikation an wenigen, spezialisierten Zentren müssen hierbei selbstverständlich Berücksichtigung finden. Der Beobachtungsplan soll hierzu eine angemessene Beschreibung dieser Überlegungen beinhalten, die zur Sicherstellung der Repräsentativität der vorgesehenen Zentren geeignet sind und einem möglichen Selektionsbias vorbeugen können [12].

Auswahl der Studienzentren

In Abhängigkeit von den im Beobachtungsplan beschriebenen Faktoren, die die Selektion und Vorauswahl teilnehmender Studienzentren bestimmen, können sich unterschiedliche logistische und personelle Konzepte bei der Rekrutierung der Studienzentren ergeben. Beispielsweise erfordert die Verteilung der Dokumentationsunterlagen an eine Vielzahl von Studienzentren, die gleichmäßig über das gesamte Bundesgebiet verteilt sein sollen, eine andere Ressourcenplanung als die Verteilung von Unterlagen an eine begrenzte Zahl von teilnehmenden Fach- und Spezialkliniken. Auch unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Erfordernisse werden in den befragten Unternehmen die in Tabelle 3 [Tab. 3] genannten Mitarbeiterkreise in die Rekrutierung mit einbezogen; in allen Fällen geschieht dies aber unter der Federführung der medizinischen Abteilungen.

Honorierung

Die Honorierung eines Studienzentrums für eine NIS/AWB muss sich an der tatsächlich erbrachten Gegenleistung in Form des Dokumentationsaufwandes orientieren und soll den zeitlichen Aufwand bei der Beratung und Aufklärung des Patienten bezüglich der Weitergabe und Verwendung der Daten berücksichtigen. Die Honorierung ist gemäß § 67 (6) AMG so zu bemessen, dass dadurch kein Anreiz zur Verordnung eines Arzneimittels entsteht. Hierbei sollte die Gebührenordnung der Ärzte (GoÄ) zugrunde gelegt werden. Die Höhe der Vergütung ist vertraglich festzulegen und ebenfalls gemäß § 67 (6) AMG dem Spitzenverband der Krankenkassen und den kassenärztlichen Bundesvereinigungen zu melden.

Die Umfrage ergab, dass die Vergütung in allen Unternehmen entsprechend des Aufwandes im Studienzentrum und in Abhängigkeit von der Komplexität der Dokumentation vorgenommen wird, und zwar entweder nach vollständig dokumentierten Seiten (n=14) und/oder Visiten (n=10).

Beratung der NIS durch eine Ethik-Kommission

Die VFA-Empfehlungen wie auch der Entwurf der Empfehlungen des BfArM/PEI sehen – neben der gesetzlich vorgesehenen Anzeigepflicht bei den kassenärztlichen Bundesvereinigungen, dem Spitzenverband der Krankenkassen und der zuständigen Bundesoberbehörde – auch eine Beratung durch eine Ethik-Kommission vor. Danach soll vor der Durchführung einer NIS vom ärztlichen Studienleiter eine Beratung durch eine nach Landesrecht gebildete, unabhängige Ethik-Kommission eingeholt werden.

Diese Beratung erfüllt die bei einigen Ärztekammern schon seit längerer Zeit verankerte berufsrechtliche Verpflichtung zur Beratung der Ärzte in epidemiologischen Forschungsvorhaben. Zudem soll diese Beratung der Beurteilung der datenschutzrechtlichen Aspekte dienen, die für die Durchführung weitergehender Qualitätssicherungsmaßnahmen wie beispielsweise einer vorgesehenen Einsichtnahme in die Originalunterlagen an Studienzentren, von Bedeutung sein können. Des Weiteren wird die durch den Antragsteller vorgenommene Einstufung des vorgelegten Forschungsvorhabens als nicht-interventionelles Studienprojekt zu bestätigen sein.

Der aktuelle Stand der Diskussion über die berufsrechtlichen Notwendigkeiten zu einer Beratung durch die zuständige Ethik-Kommission und zu dem Umfang und der Zielsetzung dieser Beratung lässt sich zudem dem Protokoll der Jahresversammlung des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen vom November 2007 [13] entnehmen.

Patienteneinwilligung und Verifizierung der Daten

Die Erhebung, Speicherung und Auswertung anonymisierter Daten setzt, im Gegensatz zum Umgang mit pseudonymisierten Daten, nach dem Bundesdatenschutzgesetz keine Einwilligung der betroffenen Person hierzu voraus. Ungeachtet dessen soll nach den VFA-Empfehlungen mit der Information des Patienten über seine beabsichtigte Einbeziehung in eine NIS und die vorgesehene Verwendung der zu erhebenden Daten dem Grundsatz der Transparenz in dieser Form der Arzneimittelforschung Rechnung getragen werden.

Die VFA-Empfehlungen sehen für alle ab Mai 2007 neu geplanten, prospektiven NIS/AWB daher eine vorherige schriftliche Patientenaufklärung und -einwilligung verbindlich vor. Die Einwilligung eines Patienten kann hierbei unterschieden werden in eine Information und Zustimmung zur anonymisierten Erhebung und Verwendung der Daten und eine Zustimmung auch zur Einsichtnahme in die Originalunterlagen durch autorisiertes Personal des Auftraggebers.

Für Maßnahmen zur Verifizierung der erhobenen Daten beispielsweise in Form eines Quelldatenabgleichs (Source Data Verification – SDV) ist eine solche erweiterte Zustimmung des Patienten zwingend erforderlich. Maßnahmen, die der Überprüfung der Validität der Daten aus NIS dienen, sind von allen befragten Unternehmen vorgesehen. Genannt wurden, in Abhängigkeit von der Komplexität einer NIS, u.a. Quelldatenabgleich vor Ort bzw. telefonisch, Systemaudits der internen Prozesse und Verfahren oder Audits an einer stichprobenartigen Auswahl von teilnehmenden Studienzentren (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]).

Sind Audits in Studienzentren bei NIS/AWB in der Vergangenheit nur in wenigen Fällen durchgeführt worden, so sehen zumindest 2 Unternehmen diese Art qualitätssichernder Maßnahmen zukünftig vor. Für Untersuchungen in einer überschaubaren Zahl von Studienzentren ist die Durchführung von Audits eine durchaus angemessen erscheinende Art der Sicherstellung der Validität der Daten [12]. In groß angelegten Untersuchungen mit einer hohen Zahl von Studienzentren und Patienten wird jedoch vorab die Frage nach einer statistisch fundierten Stichprobengröße der zu auditierenden Studienzentren und Patientenzahl und nach der Machbarkeit dieser Auditmaßnahmen zu prüfen sein.

Eine seit langer Zeit in vielen Unternehmen praktizierte Form der Überprüfung der Validität, Konsistenz und Plausibilität von Daten aus NIS/AWB stellen die Berichte zu unerwünschten Ereignissen dar. Die Nachverfolgung dieser Berichte dient neben der Sammlung arzneimittelsicherheitsrelevanter Informationen zugleich als Instrument der Datenverifizierung.

Auswertung und Zusammenfassung der Ergebnisse

Sowohl die Leitlinien zu Guter Epidemiologischer Praxis [14] wie auch der Entwurf der Empfehlungen des BfArM/PEI vom Mai 2007 machen detaillierte Vorgaben zum Inhalt eines NIS-Beobachtungs- und Auswertungsplanes. Dieser soll eine dem aktuellen Stand der epidemiologischen und biometrischen Wissenschaften entsprechende Beschreibung der anzuwendenden Erhebungs- und Auswertungsverfahren beinhalten. Beispiele für qualitätssichernde Maßnahmen bei der Datenerfassung, -eingabe und Auswertung in den einzelnen VFA-Mitgliedsunternehmen sind u.a. in der Tabelle 5 [Tab. 5] angeführt. Angemerkt sei hierbei, dass in dieser Umfrage auf einige, wesentlich erscheinende Aspekte der Qualitätssicherung in der Biometrie und dem Datenmanagement eingegangen wurde, eine umfassendere Darstellung jedoch Bestandteil einer weiteren, geplanten Umfrage sein soll.

Veröffentlichung der Ergebnisse

Neben der Veröffentlichung der NIS-Informationen vor Untersuchungsbeginn ergibt sich durch die VFA-Empfehlungen auch die Verpflichtung zur Bereitstellung einer Zusammenfassung der Ergebnisse innerhalb von zwölf Monaten nach dem Untersuchungsende in einer öffentlich zugänglichen Datenbank.

Bevorzugt wollen die befragten Unternehmen hierzu entweder ein firmeneigenes Register nutzen oder die vom Verband der amerikanischen Arzneimittelhersteller (PhRMA) bereits seit längerer Zeit vor allem für Ergebnisse aus klinischen Prüfungen zur Verfügung gestellte Datenbank http://www.clinicalstudyresults.org (siehe Tabelle 6 [Tab. 6]). Zudem wird derzeit diskutiert, zukünftig seitens des VFA das bestehende NIS-Register entsprechend zu erweitern.


Diskussion

Nicht-interventionelle Studien sind anerkannte, leistungsfähige, epidemiologische Instrumente zur Erlangung eines zusätzlichen Erkenntnisgewinns über die Anwendung eines Arzneimittels nach dessen behördlicher Zulassung und Markteinführung. Die Übertragung der Gesamtverantwortung für NIS/AWB innerhalb der Unternehmen an den Leiter der medizinischen Abteilung trägt diesem wissenschaftlichen Anspruch auch auf organisatorischem Gebiete Rechnung.

Die Maßnahmen zur Verifizierung der erhobenen Daten, bei der Dateneingabe und -erfassung, bei der Aufklärung und Einwilligung des Patienten über die anonymisierte Datenerhebung und -weitergabe sowie durch die Beratung der NIS/AWB durch die für den ärztlichen Studienleiter zuständige Ethik-Kommission bilden die Grundlagen für ethische, medizinisch wissenschaftliche und biometrisch fundierte Untersuchungsmethoden in NIS/AWB und stärken das Vertrauen in die Validität der erhobenen Daten und der daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Weiterhin sichert die Veröffentlichung von Informationen über alle neu initiierten NIS/AWB sowie über die Ergebnisse aus abgeschlossenen Studienprojekten in öffentlich zugänglichen Internetregistern die gewünschte Transparenz in dieser Forschungsform.

Die Umfrage konnte zeigen, dass die VFA-Mitgliedsunternehmen in einem repräsentativen Umfang bereits innerhalb des ersten Jahres nach Veröffentlichung der VFA-Empfehlungen im Mai 2007 diese Selbstverpflichtung erfolgreich umgesetzt haben. Dies hat zur Folge, dass von der Planung von NIS/AWB über deren Durchführung bis zur Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse aus diesen Projekten Qualitätsstandards etabliert werden konnten, die denen in klinischen Prüfungen sehr nahe kommen bzw. mit diesen identisch sind.


Schlussfolgerungen

Neue Aspekte wie die hier beschriebenen und tatsächlich durchgeführten Maßnahmen zur Verifizierung der erhobenen Daten, zur Aufklärung und Einwilligung des Patienten über die anonymisierte Datenerhebung und -weitergabe sowie die Beratung durch die für den ärztlichen Studienleiter zuständige Ethik-Kommission bilden die Grundlagen für ethische, medizinisch wissenschaftliche und biometrisch fundierte Untersuchungsmethoden in NIS/AWB und stärken das Vertrauen in die Validität der erhobenen Daten und der daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Der VFA repräsentiert mit seinen Mitgliedsunternehmen und deren Tochter- und Schwesterfirmen mehr als zwei Drittel des deutschen Arzneimittelmarktes und damit auch der Forschungsaktivitäten im Arzneimittelsektor. Die dieser Umfrage zugrunde liegenden Antworten und Daten stammen aus pharmazeutischen Unternehmen, die sowohl hinsichtlich ihrer Forschungstätigkeiten in den großen Therapie- und Indikationsgebieten wie auch bezogen auf ihre Unternehmensgröße zu den führenden Unternehmen in Deutschland zählen. Im Sinne einer Verbesserung der Qualität und Transparenz von nicht-interventionellen Studien in Deutschland bilden die Regelungen der VFA-Empfehlungen eine Basis für Qualitätsstandards, die den Vorgaben für klinische Prüfungen sehr nahe kommen. Es wäre wünschenswert, dass sich die wesentlichen Elemente dieser Initiative als Standard für alle NIS/AWB über den Kreis der VFA-Mitgliedsunternehmen hinaus durchsetzen können.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Keine angegeben.


Literatur

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