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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Stellungnahme der AWMF zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: "Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichenKrankenversicherung" (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz- GKV-VSG)

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2015;12:Doc3

doi: 10.3205/awmf000302, urn:nbn:de:0183-awmf0003029

Received: March 12, 2015
Published: March 25, 2015

© 2015 Müller.
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Zusammenfassung

Nach dem Referentenentwurf liegt der AWMF nunmehr der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der medizinischen Versorgung vor. Zum Referentenentwurf dieses Gesetzes waren mehr als 25 Stellungnahmen einzelner Fachgesellschaften eingegangen. Die AWMF hatte den Gesetzentwurf der Bundesregierung am 22.12.2014 an ihre Mitgliedsfachgesellschaften weitergegeben und diese gebeten, bei zusätzlich gesehenem Bedarf erneut eine eigene Stellungnahme zu verfassen.

Die bis einschließlich 07.03.2015 bei der AWMF eingegangenen sechs Stellungnahmen von Fachgesellschaften zum Regierungsentwurf wurden der Stellungnahme der AWMF ans BMG als Anlage beigefügt, sie sind auf der AWMF-Website unter "Stellungnahmen" dokumentiert.


Text

Im Folgenden werden insbesondere folgende Inhalte des Gesetzentwurfs erneut kommentiert:

  • Die Einholung einer Zweitmeinung
  • Die Förderung von Innovationen und der Versorgungsforschung durch Schaffung eines dafür vorgesehenen Fonds incl. des neu aufgenommenen Expertenbeirates
  • Die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten der Risikoklassen IIb und III
  • Die Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung der Leistungen der Hochschulambulanzen
  • Die Änderung des Gesetzes über ein Informationssystem zur Bewertung medizinischer Technologien

Die anhängenden Stellungnahmen der Fachgesellschaften äußern sich auch zu einigen anderen Aspekten des Gesetzes, die wir zu berücksichtigen bitten.

Zu §27b Einholung einer Zweitmeinung

Die AWMF sieht auch im Regierungsentwurf des Gesetzes in Bezug auf die Einholung einer Zweitmeinung einen Bedarf, grundsätzliche Anforderungen an eine Zweitmeinung zu formulieren. Um die Qualität der Leistungserbringung zu sichern, ist darauf hinzuwirken, dass vor Eingriffen von jedem Arzt sowohl potentieller Nutzen als auch potentieller Schaden einer Maßnahme gut verständlich erläutert werden. Das Angebot einer Zweitmeinung allein stellt, wie Studien aus der Versorgungsforschung belegen, eine patientengerechtere Aufklärung nicht sicher (1, 2).

Durch die Ansiedlung im §27b SGB V und den Wortlaut scheint dem Gesetzgeber daran gelegen zu sein, bestimmte planbare Eingriffe zu vermeiden, also primär Einsparungen zu erzielen. Die Auswirkungen dieses Ziels auf das Arzt-Patientenverhältnis sind zu bedenken und zu überprüfen. Die AWMF bekräftigt, dass explizite, detaillierte Verfahrensregeln dem Vorgang „Einholung einer Zweitmeinung“ und seiner Bedeutung nicht gerecht werden. Die AWMF schlägt weiterhin nachdrücklich vor, die Einführung eines obligatorischen Angebots zur Durchführung einer Zweitmeinung wissenschaftlich und unabhängig über mindestens drei Jahre begleiten zu lassen. Dabei sind patientenberichtete Endpunkte zu berücksichtigen (wie z.B. Qualität der Aufklärung und der Arzt-Patient-Beziehung).

Zu § 92a Innovationsfonds, Grundlagen der Förderung von neuen Versorgungsformen zur Weiterentwicklung der Versorgung und von Versorgungsforschung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss

Die AMWF begrüßt die Einrichtung eines Innovationsfonds zur Förderung neuer Versorgungsformen und der Versorgungsforschung zur Verbesserung der Versorgungsqualität nachdrücklich.

Wir stellen fest, dass unsere Ergänzungsvorschläge beim Regierungsentwurf nicht berücksichtigt wurden und führen sie deshalb nochmals auf.

Insbesondere weisen wir darauf hin, dass das wichtige Thema der Leitlinienimplementierung und –evaluierung zu beiden Kategorien der Versorgungsforschungsansätze (§92a Abs. 1 und 2) gehört.

Alle im Rahmen des Innovationsfonds geförderten Projekte sollten in einem qualitätsgesicherten und aktuell gehaltenen Register transparent gemacht werden.

Zu § 92a Absatz 1:

Bei den Vorhaben nach Abs. 1 sollen die in Satz 5 genannten Organisationen neue Versorgungsformen – im weitesten Sinne - vorschlagen, die durch eine wissenschaftliche Begleitforschung evaluiert werden sollen.

  • Da nicht auszuschließen ist, dass auch Fachgesellschaften neue Versorgungsformen entwickeln, sollten auch sie in den Kreis der in Satz 4 genannten Antragsteller aufgenommen werden.
  • Die wissenschaftliche Begleitung muss nach international anerkannten und wissenschaftlich hochwertigen Kriterien erfolgen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Wahl der patientenrelevanten Endpunkte und der Vergleichsgruppen zu.
  • Bei sektorübergreifenden Ansätzen sind insbesondere auch die Versorgungsbereiche Rehabilitation und soziale Pflege einzubeziehen.
  • Unabdingbar ist eine zieloffene und unabhängige Evaluation, aus der Konsequenzen für die Regelversorgung gezogen werden können. Die Beurteilung der Evaluationspläne, der Prozessqualität der Versorgungsformen und der Evaluationsergebnisse bedarf des wissenschaftlich ausgewiesenen Sachverstands, der u.a. bei Vertretern der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung vorhanden ist.

    Im Übrigen gehört die im Gesetzentwurf in Abs. 1 eingeforderte wissenschaftliche Begleitung zur Versorgungsforschung.
Zu §92 a Absatz 2:

Ziel der Vorhaben nach Abs. 2 soll nach unserer Interpretation des Textes das Auffinden von Verbesserungspotenzialen und deren Realisierung in der bestehenden Versorgung sein. Dass die Inhalte dieser Versorgungsforschungsprojekte nach dem Gesetzentwurf zusätzlich zu den in Satz 4 Abs. 1 genannten Organisationen auch von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen vorgeschlagen werden können, ist sehr zu begrüßen. Zur Qualität der Forschungsvorhaben gilt das unter Absatz 1 Gesagte.


Die AWMF begrüßt sehr, dass im Gesetzentwurf vorgesehen ist, dass Mittel des Innovationsfonds auch für Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung und Evaluation von Richtlinien des G-BA eingesetzt werden können (§92a Abs. 2 Satz 5). Auch für diese Vorhaben müssen die Grundsätze der Zieloffenheit der Fragestellung und der Unabhängigkeit der Evaluation gelten.

In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde nicht angesprochen, wie zukünftige Schwerpunkte der Versorgungsforschung zwischen den Förderern (EU, BMBF, BMG, DFG, DRV, Länder, Innovationsfond etc.) in Deutschland und Europa aussehen und zusammen wirken sollen. Eine entsprechende Absprache erscheint jedoch dringend geboten. Es darf nicht sein, dass von verschiedenen Förderern Versorgungsforschungsprojekte mit unterschiedlichen methodischen Qualitäten akzeptiert und gefördert werden.

Zu §92a Absatz 5

Die AWMF begrüßt die geplante Evaluation des Förderprogramms des Innovationsfonds mit gesetzter Frist. Voraussetzung für eine wissenschaftliche Auswertung ist auch hier neben der Zieloffenheit der Evaluation und der Unabhängigkeit der Evaluatoren auch, dass die einzelnen Fördervorhaben für sich nach international anerkannten und wissenschaftlich hochwertigen Kriterien evaluiert worden sind.

Zu §92b Durchführung der Förderung von neuen Versorgungsformen zur Weiterentwicklung der Versorgung und von Versorgungsforschung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss

Die AWMF hat in der Stellungnahme zum Referentenentwurf dieses Gesetzes eine dauerhafte medizinisch- und versorgungswissenschaftliche Expertise gefordert, die dem Innovationsausschuss bei der Gestaltung des Förderprogramms, der Auswahl der Projekte und deren Evaluation zur Seite steht. In dem vorliegenden Regierungsentwurf wurde der §92b ergänzt: ein maximal 10köpfiger Expertenbeirat soll Empfehlungen zu den Inhalten der Förderbekanntmachungen abgeben. Auch mit der Durchführung von Kurzbegutachtungen der Anträge auf Förderung und der Abgabe von Empfehlungen zur Förderentscheidung soll der Expertenbeirat betraut sein.

  • Die Abgabe von Empfehlungen zur Förderentscheidung erfordert aber neben der Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität eine Kriterien gestützte Priorisierung, die ebenfalls durch den Expertenbeirat gemeinsam festgelegt werden sollte.
  • Eine weitere Voraussetzung für die Entscheidungsfindung ist die Zieloffenheit der Bewertung und die Unabhängigkeit der Experten, die darzulegen ist.
  • Die Mitarbeit von Wissenschaftlern - sowohl der Medizin als auch der Versorgungsforschung – im Expertenbeirat sollte durch das Gesetz weiter konkretisiert werden.
Änderungsvorschlag: § 92b Absatz 5 und Absatz 6 (Ergänzungen kursiv)

Absatz (5) Zur Einbringung wissenschaftlichen und versorgungspraktischen Sachverstands in die Beratungsverfahren des Innovationsausschusses wird ein unabhängiger Expertenbeirat gebildet. Mitglieder des Expertenbeirats sind Vertreter aus Wissenschaft und Versorgungspraxis.

Die Zahl der Mitglieder soll zehn nicht überschreiten. Der Expertenbeirat wird vom Bundesministerium für Gesundheit berufen. Die Interessenkonflikte der Mitglieder des Expertenbeirates sind transparent zu machen und zu bewerten. Die Empfehlungen des Expertenbeirats sind vom Innovationsausschuss in seine Entscheidungen einzubeziehen.

Absatz (6) Der Expertenbeirat hat insbesondere folgende Aufgaben:

1.
Abgabe von Empfehlungen zum Inhalt der Förderbekanntmachungen auf Grundlage von Entwürfen der Geschäftsstelle nach Absatz 3,
2.
Durchführung von Kurzbegutachtungen der Anträge auf Förderung,
3.
Abgabe von im Expertenbeirat abgestimmten Empfehlungen zur Förderentscheidung aufgrund einer Kriterien gestützten und transparenten Prioritätensetzung.
Zu § 117 Hochschulambulanzen

Die AMWF begrüßt die vorgeschlagenen Ergänzungen in §117. Wir verweisen diesbezüglich erneut auf unsere Stellungnahme von 2011, in der die zunehmende Bedeutung von Hochschulambulanzen für die Aufgaben der Universitäten in Forschung, studentischer Lehre und Facharztweiterbildung dargelegt wurde (3). Für Forschung, Lehre und Weiterbildung ist die Diagnostik und die Behandlung von Patienten mit häufig vorkommenden Erkrankungen erforderlich, die typische Symptome und einen typischen Krankheitsverlauf zeigen sowie von Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen können. Diese Patienten sollten in dem für die genannten Aufgaben erforderlichen Maße freien Zugang zu Hochschulambulanzen haben, eine Überweisung sollte explizit nicht erforderlich sein. Andernfalls würde die Tendenz gefördert, vorwiegend Patienten mit aufwändig zu diagnostizierenden und zu behandelnden Krankheitsbildern an die Hochschulambulanzen zu überweisen.

Wir schlagen deshalb erneut vor, Satz 1 wie folgt zu ergänzen.

Änderungsvorschlag: §117, Absatz 1 (Ergänzung kursiv)

(1) Ambulanzen, Institute und Abteilungen der Hochschulkliniken (Hochschulambulanzen) sind zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten und der in § 75 Absatz 3 genannten Personen

1. in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang sowie

2. für solche Personen, die wegen Art, Schwere oder Komplexität ihrer Erkrankung einer Untersuchung oder Behandlung durch die Hochschulambulanz bedürfen ermächtigt. In den Fällen des Satz 1 Nummer 1 ist eine Facharztüberweisung nicht erforderlich. In den Fällen des Satz 1 Nummer 2 kann die ambulante ärztliche Behandlung nur auf Überweisung eines Facharztes in Anspruch genommen werden.

Zu §137h Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten der Risikoklassen IIb und III

Die AMWF hält weiterhin den vorgesehenen Zeitraum von drei Monaten für die Bewertung für zu kurz und schlägt nachdrücklich vor, diesen auf sechs Monate auszuweiten. Die bevorzugte schnelle Bewertung sollte nicht zu Lasten der Medizinprodukte aus den anderen Risikoklassen geschehen.

Zu Artikel 16 Änderung des Gesetzes über ein Informationssystem zur Bewertung medizinischer Technologien

Die AWMF hält das Vorhaben, die Erstellung von sog. Health-Technology-Assessment-Berichten (HTA-Berichten) vollständig auf das IQWiG zu übertragen, weiterhin für nicht angemessen. Zur ausführlicheren Begründung verweisen wir auf die detaillierte Stellungnahme des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin zum Referentenentwurf, aus der wir im Folgenden Eckpunkte wiedergeben:

„Es bedarf auch weiterhin einer öffentlichen Institution, die über entsprechende Kompetenz und Ausstattung verfügt, um Themen der Technologie-Bewertungen im Gesundheitsbereich (HTA) jenseits des Regelungsrahmens des SGB V durchzuführen. […] Es erscheint nicht akzeptabel, dass die alleinige Methodenkompetenz für die Erstellung von Technologiebewertungen in Deutschland beim IQWiG angesiedelt ist. Es braucht den konstruktiven wissenschaftlichen Diskurs, der über diese Monopolisierung geschwächt wird.“

Ansprechpartner/Kontakt:

Dr. med. Monika Nothacker, MPH nothacker@awmf.org

Prof. Dr. med. Ina Kopp, kopp@awmf.org

Prof. rer. biol. hum. Hans Konrad Selbmann,
selbmann@awmf.org