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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Ist zertifizierte Qualität wirklich bessere Qualität?: Über den Nutzen von Krankenhaus- und Praxiszertifikaten

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2013;10:Doc7

doi: 10.3205/awmf000280, urn:nbn:de:0183-awmf0002801

Received: June 19, 2013
Published: June 20, 2013

© 2013 Sailer et al.
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Zusammenfassung

Die Anzahl der Krankenhäuser, Medizinischer Versorgungszentren und Arztpraxen, in deren Wartezimmern und Eingangshallen Zertifikate an den Wänden hängen, ist sprunghaft angestiegen. Daneben schmücken sich immer mehr Brust-, Darm-, Trauma-, Allergie- oder sonstiges-Zentren mit dem Zusatz „zertifiziertes Brustzentrum“, „zertifiziertes Allergiezentrum“ etc. Haben diese Auszeichnungen anfangs ihren Zweck erfüllt, Eindruck auf Patienten und Geschäftspartner zu machen und auf die besondere Qualität der Einrichtung hinzuweisen, werden sie mittlerweile angesichts eines mancherorts ausgerufenen „Zertifizierungswahns“ immer kritischer gesehen. Zu viele Einrichtungen sind mittlerweile zertifiziert und zu wenig durchschaubar ist für den Laien im Medizinbetrieb das System der unterschiedlichen Zertifizierungsverfahren.


Text

Die Frage drängt sich daher auf, welchen Nutzen eine Zertifizierung tatsächlich mit sich bringt und welchen Informationswert Zertifikate überhaupt für die Patienten haben. Sagt ein Zertifikat etwas über die Qualität der ärztlichen Leistung aus? Sind Zertifizierungen bei dem allgegenwärtigen Ruf nach Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung sinnvoll? Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Zertifikate und Verfahren ist außerdem zu fragen, inwiefern die einzelnen Zertifikate miteinander vergleichbar sind und wie verlässlich und unabhängig die Zertifizierungsverfahren sind.

Daneben könnte das Thema Zertifizierung in naher Zukunft noch erheblich relevanter werden als bisher: Mit der Einführung des § 135a des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) wurden die Leistungserbringer im Gesundheitswesen gesetzlich verpflichtet, sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen und einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen. Daher hat sich bereits eine Vielzahl von Krankenhäusern und Arztpraxen zertifizieren lassen. Die Zertifizierungspflicht des Qualitätsmanagementsystems blieb zwar (noch) aus, ist jedoch für die kommenden Jahre im Gespräch.

Angesichts dieser Aktualität des Themas und der Verwirrung, für die die Zertifikate nicht nur bei Patienten bisweilen sorgen, sollen nachstehend die Voraussetzungen einer Zertifizierung sowie die rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe dargestellt und kritisch bewertet werden.


1. Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen

Vorab ist jedoch zu klären, was unter dem Begriff der Qualitätssicherung, der gerade im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung häufig verwendet wird, eigentlich zu verstehen ist und inwiefern er sich vom Begriff Qualitätsmanagement unterscheidet. Mit der Einführung des § 135a SGB V hat der Gesetzgeber die Leistungserbringer zum einen zur Teilnahme an einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherungsmaßnahmen und zum anderen zur Einführung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements verpflichtet. Bei den Begriffen muss dabei differenziert werden: Der Begriff Qualitätssicherung steht allgemein für Maßnahmen, die der Sicherstellung festgelegter Qualitätsanforderungen dienen, dass also eine Leistung ein bestimmtes, vorher festgelegtes Qualitätsniveau erreicht. Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erfolgt durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wie etwa der Qualitätssicherungsrichtlinie Dialyse oder Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen (u. a. zu Schmerztherapie, Koloskopie etc.). Gegenstand der Qualitätssicherung ist damit (auch) unmittelbar die medizinische Behandlung. Für Krankenhäuser gilt daneben die Verpflichtung zur Teilnahme an der externen stationären Qualitätssicherung, welche Aufschluss über die Qualität der Leistungen im Vergleich zu anderen Krankenhäusern, der Referenzgruppe, zulässt.

Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen dagegen bezeichnet alle organisatorischen Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Prozesse und Abläufe innerhalb einer medizinischen Einrichtung führen. Mit der Verpflichtung zur Einführung eines Qualitätsmanagements wird daher darauf abgezielt, durch Schaffung konkreter Strukturen und klarer Handlungsanweisungen (z. B. Regelungen über die Betreuung der Patienten durch das Empfangspersonal, Terminvergabe, klare Arbeitseinteilung zur Vermeidung von doppelten Wegen und Kosten, Abrechnungsverhalten, Dauer der Auswertung von Laborergebnissen etc.) insgesamt zu einer Verbesserung der internen Abläufe und Entscheidungsprozesse zu gelangen. Ein funktionierendes Qualitätsmanagement kann daher in erster Linie dazu führen, dass die Abläufe reibungslos funktionieren und damit Personal und Patienten zufriedener sind. Einen Aufschluss über die Qualität der ärztlichen Behandlung, die insbesondere für den Patienten wesentlich ist, kann es jedoch nicht geben. Bei der Einrichtung des nach § 135a SGB V geforderten Qualitätsmanagements sind die Leistungserbringer auch nicht an bestimmte Vorgaben gebunden. Es ist daher möglich, ein eigenes Qualitätsmanagementsystem zu entwerfen und selbst die Kriterien festzulegen, die einzuhalten sind. Darüber hinaus gibt es auf dem Markt fertige und umfassendere Qualitätsmanagementsysteme, die speziell auf die Anforderungen in der Arztpraxis oder im Krankenhaus zugeschnitten sind, wie etwa KTQ oder QEP (dazu sogleich).

2. Zertifizierungen als Gütesiegel

Die Anforderungen an die Qualität von Produkten und Dienstleistungen nehmen angesichts der steigenden Ansprüche von Verbrauchern, Unternehmen und Gesetzgebern stetig zu. Ob im Umweltschutz, der Lebensmittel- und Elektroindustrie oder dem Bereich Erneuerbare Energien - in diesen wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen sind objektive Prüfungen, Inspektionen und Zertifizierungen von großer Bedeutung. Diese Bewertungen stellen sicher, dass die überprüften Produkte, Verfahren, Dienstleistungen oder Systeme in ihrer Qualität verlässlich sind und die Vorgaben entsprechender Normen, Richtlinien und Gesetze erfüllen.

Auch im Gesundheitswesen wird naturgemäß Wert auf eine hohe Leistungsqualität gelegt, von Patienten und Einrichtungen ebenso wie vom Gesetzgeber.

Anders als Waren oder Dienstleistungen im technischen oder wirtschaftlichen Bereich lassen sich die medizinische Versorgung und die damit zusammenhängenden organisatorischen Abläufe jedoch nicht pauschal mit einem Gütesiegel versehen, da viele unterschiedliche Faktoren den Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung beeinflussen und die Abläufe individuell je nach Patient und Krankengeschichte variieren können. Bei der Zertifizierung von Einrichtungen im Gesundheitswesen handelt es sich daher stets um eine Bewertung der internen organisatorischen Prozesse und Abläufe, nicht aber der Behandlung als solche. Im Fokus steht dabei (teilweise ausschließlich) das Qualitätsmanagement, bei umfassenderen Zertifizierungsverfahren daneben die Themen Sicherheit in der Einrichtung, Brandschutz, Arbeitsschutz, Infektions- und Hygienemanagement etc. Damit trifft das Zertifikat aber keine Aussage über die – für den Patienten letztlich entscheidende – Qualität der ärztlichen Behandlung, sondern eben nur über die organisatorischen Strukturen und Abläufe rund um die medizinische Behandlung herum.

3. Hintergründe zur Zertifizierung

Zertifizierung ist ein freiwilliges Verfahren. Bei der Zertifizierung bestätigt eine unabhängige Zertifizierungsstelle, dass ein Produkt oder System mit bestimmten, vorher festgelegten Anforderungen oder Normen übereinstimmt, das heißt konform ist. Aus diesem Grund wird diese objektive Bestätigung auch Konformitätsbewertung genannt. Der Unterschied zwischen den einzelnen Zertifizierungsverfahren besteht vordergründig in der Norm, d. h. den Kriterien, die für eine Zertifizierung erfüllt sein müssen. Gesetzlich geregelt sind jedoch diese Kriterien und Anforderungskataloge nicht, welche die Grundlage für eine Zertifizierung bilden. Grundsätzlich kann daher etwa jede Fachgesellschaft eigene Konzepte und Kriterien entwickeln und können sich Einrichtungen nach diesen Kriterien zertifizieren lassen. Angesichts der Vielzahl der möglichen Konzepte und Zertifizierungsverfahren erscheint es daher naheliegend, dass eine einheitliche und allgemeingültige Aussage über die Qualität der zertifizierten Einrichtungen nur schwer zu treffen ist.

Ebenfalls gesetzlich nicht geregelt sind die Anforderungen an die Zertifizierungsstellen. Zertifizierungsstelle kann jede Organisation, Fachgesellschaft oder jedes privatwirtschaftliche Unternehmen sein und Zertifikate nach vorhandenen Kriterien ausstellen, solange die Zertifizierungsstellen bestimmte Anforderungen erfüllen. Es gibt zwar internationale Normen, die die Anforderungen an Zertifizierungsstellen von Qualitätsmanagementsystemen festlegen (ISO 17021 der Internationalen Organisation für Normung). Dazu zählen insbesondere die rechtliche Identifizierbarkeit, wirtschaftliche und sonstige Unabhängigkeit sowie Unparteilichkeit, Verantwortlichkeit für die erteilten Zertifikate und Transparenz in der Durchführung der Zertifizierungsverfahren. Einer Zulassung oder Erlaubnis zur Zertifizierung bedürfen die Zertifizierungsstellen jedoch grundsätzlich nicht. Bei vielen Zertifizierungsverfahren werden die Zertifizierungsstellen von der Organisation, Fachgesellschaft etc., welche den Anforderungskatalog für ein Zertifizierungsverfahren herausgibt, jedoch selbst ausgewählt und zur Zertifizierung zugelassen. Gerade in diesen Fällen sind wohl Zweifel an der Unabhängigkeit der Zertifizierungsstellen nicht ganz unbegründet. Denn im Geschäft mit der Zertifizierung verdienen nicht nur die Zertifizierungsstellen, sondern auch die den Kriterienkatalog herausgebenden Stellen kräftig mit.

4. Akkreditierung der Zertifizierungsstellen

Das Vertrauen in Zertifikate steht und fällt jedoch mit der Kompetenz desjenigen, der die Bewertungsleistung erbringt. Viele der Zertifizierungsstellen belegen daher die Qualität ihrer Arbeit durch eine Akkreditierung. Diese ist in einer internationalen Norm (ISO 17011) definiert als „Bestätigung durch eine dritte Seite, die formal darlegt, dass eine Konformitätsbewertungsstelle die Kompetenz besitzt, bestimmte Konformitätsbewertungsaufgaben durchzuführen“.

In diesem freiwilligen Verfahren weisen daher die Zertifizierungsstellen gegenüber einer unabhängigen Akkreditierungsstelle nach, dass sie ihre Tätigkeiten fachlich kompetent, unter Beachtung gesetzlicher sowie normativer Anforderungen und auf international vergleichbarem Niveau erbringen. Die Akkreditierungsstelle begutachtet und überwacht dabei die Struktur und Kompetenz des eingesetzten Personals der Zertifizierungsstelle.

Spiegelbildlich zu der Vielzahl an Zertifikaten und Zertifizierungsstellen existierten jedoch bis vor nicht allzu langer Zeit noch über 20 staatliche und privatwirtschaftliche Akkreditierungsstellen in Deutschland. Daneben „akkreditieren“ die einzelnen Fachgesellschaften ihre Zertifizierungsstellen oftmals selbst. Das eigentliche Ziel, durch Akkreditierung ein durchschaubares und verlässliches Zertifizierungssystem zu gewährleisten, war bei dieser großen Zahl von Akkreditierungsstellen naturgemäß nicht zu erreichen. Nachdem die Akkreditierung von Konformitätsbewertungsstellen im Jahr 2010 von der Europäischen Union zur Staatsaufgabe erklärt wurde, entstand als Reaktion auf die Missstände die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS). Diese ist nunmehr die einzige offizielle Akkreditierungsstelle in Deutschland und nach dem Akkreditierungsstellengesetz (AkkStelleG) allein für die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen zuständig. Daneben führt die DAkkS ein Verzeichnis aller akkreditierten Zertifizierungsstellen. Die Akkreditierung wird auf Antrag der Zertifizierungsstelle durchgeführt. Die Überwachung und Beurteilung erfolgt dabei u. a. durch Einholung von Auskünften des Personals und die Besichtigung der Betriebsräume der Zertifizierungsstelle.

5. Ablauf des Zertifizierungsverfahrens

Will sich eine Einrichtung zertifizieren lassen, wendet sie sich an eine Zertifizierungsstelle ihrer Wahl, welche das gewünschte Zertifizierungsverfahren anbietet, z. B. die WIESO-CERT GmbH für die Verfahren nach KTQ und ISO 9001. Gegenstand des Zertifizierungsverfahrens ist in der Regel zunächst eine Selbstbewertung durch die Einrichtung oder die Praxis selbst, ob die erforderlichen Kriterien erfüllt werden. Als Vorbereitung auf das Zertifizierungsverfahren ist daher eine umfassende Bestandsaufnahme erforderlich. Anschließend erfolgt auf Grundlage der Selbstbewertung die Fremdbewertung durch die Zertifizierungsstelle. Dabei macht sich die Zertifizierungsstelle durch den Besuch von sog. Visitoren einen eigenen Eindruck von der gelebten Realität. Visitoren sind in der Regel speziell geschulte externe Ärzte oder bei größeren Einrichtungen zusätzlich Personen mit kaufmännischer und pflegerischer Qualifikation. Die Visitationen beinhalten die Auswertung der Unterlagen, kollegiale Gespräche, Inspektionen und Besichtigungen. Das Zertifikat wird erteilt, wenn nach der Selbst- und der Fremdeinschätzung übereinstimmend eine gewisse Mindestanzahl an Prüfkriterien des jeweiligen Zertifizierungsverfahrens erfüllt ist.

6. Zertifizierung nach DIN/EN/ISO-Normen

Standardisierung und Normierung sind vor allem in der Industrie und Wirtschaft weit verbreitet. Normen fördern den weltweiten Handel und dienen der Rationalisierung, der Qualitätssicherung, dem Schutz der Gesellschaft sowie der Sicherheit und Verständigung. Es besteht ein fein differenzierendes Netz an Normen für eine Vielzahl an technischen Prozessen, Dienstleistungen und Waren. Die Normen gelten dabei je nach Wirkungsebene international (ISO), europaweit (EN) oder national (DIN). Mit der international geltenden Norm ISO 9001 werden die Anforderungen an die Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen beschrieben. Es besteht daher für niedergelassene Ärzte, MVZ etc. grundsätzlich die Möglichkeit, sich das nunmehr durch § 135a SGB V gesetzlich vorgeschriebene - eigens entworfene oder fertig gekaufte - Qualitätsmanagement zertifizieren zu lassen.

7. Erklärungswert einer Zertifizierung nach ISO 9001

Eine Zertifizierung nach ISO 9001 erklärt aber lediglich, dass die im Vorfeld festgelegten Anforderungen und Kriterien auch eingehalten werden. Über Umfang, Sinnhaftigkeit und damit Qualität der Anforderungen selbst und damit der Norm sagt das Zertifikat dagegen nichts aus. Diesem Zertifikat ist letztlich also nicht anzusehen, ob es sich um ein „Minimalzertifikat“ handelt oder ob ein komplexes Qualitätsmanagementsystem ausgezeichnet wurde.

Da die Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems zudem keine Aussage über die Qualität der medizinischen Behandlung trifft, kann bei Patienten leicht ein falscher Eindruck entstehen, wenn eine Arztpraxis nach ISO 9001 zertifiziert ist. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg (Urteil vom 12.06.2001 – 312 O 144/01) ist daher die (werbende) Darstellung mit einer ISO 9001-Zertifizierung etwa auf dem Briefbogen einer Arztpraxis wettbewerbswidrig. Denn der medizinische Laie könne annehmen, das Zertifikat stehe für eine besondere Qualität der medizinischen Leistung und werde daher in die Irre geführt. Bei dieser Zertifizierung geht es jedoch nicht um die Qualität des Produkts, sondern allein um die Qualität des Verfahrens. Unter Patienten sei es nicht hinreichend bekannt, welche inhaltlichen Anforderungen an das Zertifikat gestellt werden. Der Hinweis auf das Zertifikat ohne erläuternden Zusatz dürfe daher nur im Verkehr mit Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern verwendet werden.

Weiterhin ist zu bedenken, dass es sich bei der ISO 9001 eigentlich um eine Norm handelt, die für Managementsysteme in der Industrie mit der Möglichkeit zuverlässiger Messungen von Prozessabläufen entwickelt wurde. Da die Medizin jedoch nicht nach einem mechanistischen Modell mit immergleichen Abläufen funktioniert, lassen sich die Anforderungen dieser Norm auf die innerbetrieblichen Abläufe in Arztpraxen oder Krankenhäusern nicht exakt übertragen bzw. geben die Prüfergebnisse nicht zwingend realistischen Aufschluss über die tatsächlichen Gegebenheiten. Die Zertifizierung nach dieser Norm spielt daher im Gesundheitswesen insgesamt auch eine untergeordnete Rolle.

8. Sonstige Zertifizierungsverfahren

Im Gesundheitswesen weitaus größere Bedeutung haben dagegen Zertifizierungsverfahren, die speziell auf Krankenhäuser, Praxen etc. zugeschnitten sind. Der Unterschied zu ISO 9001 besteht darin, dass umfassende Konzepte mit umfangreichen Anforderungskatalogen angeboten werden, während nach ISO 9001 auch das rudimentäre, vom Praxisinhaber selbst entworfene Konzept zertifiziert werden kann. Insbesondere Krankenhäuser haben das Qualitätsmanagementsystem KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen), welches unter anderem von der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverbänden der Krankenkassen entwickelt wurde, eingeführt und lassen sich nach diesen Anforderungen auch KTQ-zertifizieren. Dieses Verfahren basiert ebenfalls auf einem Qualitätsmanagementsystem, welches aber nur eines von mehreren Prüfkriterien darstellt. Daneben werden aber auch Anforderungen insbesondere zur Patienten- und Mitarbeiterorientierung, Sicherheit und Führung in Krankenhaus bzw. Praxis, Hygienemanagement, Medizinprodukte, Brandschutz etc. festgelegt. Bereits über 1.500 Einrichtungen haben mittlerweile das Zertifizierungsverfahren der KTQ erfolgreich durchlaufen. Auch Niedergelassene greifen vermehrt auf Verfahren zurück, die speziell auf die Anforderungen in der Arztpraxis zugeschnitten sind. So greifen etwa ein Drittel auf das Produkt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung QEP (Qualität und Entwicklung in Praxen) zurück und lassen es häufig dann auch QEP-zertifizieren. Brustzentren, die erfolgreich das Zertifizierungsverfahren der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Senologie durchlaufen haben, erhalten das Qualitätssiegel „Zertifiziertes Brustzentrum“. Dabei ist neben fachlichen Anforderungen ebenfalls die Einführung eines extern anerkannten Qualitätsmanagements vorgegeben. Auch diese umfassenderen Zertifizierungsverfahren bewerten damit jedoch lediglich innerbetriebliche Strukturen und Prozesse und können somit über die Qualität der Organisation, nicht jedoch über die Qualität der medizinischen Versorgung und ärztlichen Behandlung Aufschluss geben.

9. Kosten der Zertifizierung

Die Kosten der Zertifizierung tragen die Einrichtungen selbst. Diese liegen etwa im Fall der Zertifizierung nach KTQ - die sich im Vergleich als günstig darstellt - je nach Größe der Einrichtung und Dauer der Visitationen bei mehreren Tausend Euro. Nicht berücksichtigt sind dabei aber die Kosten, die einer Einrichtung im Vorfeld und zur Vorbereitung einer Zertifizierung entstehen. In der Regel ist mit einer Zertifizierung ein erheblicher administrativer, personeller und damit weitaus höherer finanzieller Aufwand verbunden. Bei optimaler Durchführung der Zertifizierung und Nutzung als Strukturinstrument können diesen Kosten aber auch beträchtliche Einsparungen durch Abbau überflüssiger Arbeitswege, Neustrukturierung von Abteilungen und Bündelung von Prozessen gegenüberstehen.

Fazit

Durch die Schaffung einer einheitlichen Akkreditierung allein durch die Deutsche Akkreditierungsstelle ist in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung unternommen worden, das Chaos im Geschäft mit der Zertifizierung zu beseitigen. Dadurch ist zumindest gewährleistet, dass die akkreditierten Zertifizierungsstellen kompetent und einheitlich in der Beurteilung vorgehen. Es besteht jedoch nach wie vor keine Verpflichtung zur Akkreditierung, so dass sich längst nicht sagen lässt, dass alle Zertifizierungsstellen tatsächlich unabhängig und kompetent arbeiten. Gerade die Zertifizierungsstellen, die für die eigenen Zertifizierungsverfahren der Fachgesellschaften etc. tätig sind, werden häufig nicht durch die DAkkS akkreditiert, sondern von den Fachgesellschaften selbst bewertet und überwacht. Die Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Zertifizierungsstellen lassen sich damit jedoch nicht beseitigen.

Weiterhin ist aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Zertifizierungsverfahren, die alle nach unterschiedlichen Kriterien beurteilen, den einzelnen Zertifikaten keine verlässliche Aussage zuzuordnen. Während die einen Verfahren die Prozessqualität messen, beurteilen die anderen Verfahren die Ergebnisqualität. In einem Verfahren wird die Erfüllung der einzelnen Anforderungen mit „Ja“ oder „Nein“ angegeben, was klare Feststellungen und Ergebnisse zulässt. Bei anderen Verfahren ist eine Beantwortung durch kurze Texte möglich, so dass die Antworten nur schwer überprüft werden können und die Ergebnisse insgesamt weniger aussagekräftig sind. Tatsächlich vergleichbar sind die einzelnen Zertifizierungsverfahren somit nicht und für den Patienten bei der Wahl der Einrichtung keine Hilfe, sondern eher geeignet, ihn zu irritieren.

Daneben ist aber auch grundsätzlich zu fragen, ob Zertifizierungen im Gesundheitswesen überhaupt einen Nutzen haben. Oberstes Kriterium bei der Beurteilung der medizinischen Versorgung ist doch die Qualität der ärztlichen Behandlung – über die kann ein Zertifikat, das die organisatorischen Abläufe beurteilt, aber keinen Aufschluss geben. Gerade hier gilt aber ohnehin ein hoher Qualitätsmaßstab: Der Facharztstandard stellt sicher, dass die ärztliche Behandlung immer dem medizinischen Standard und dem Qualitätsniveau eines erfahrenen Facharztes entspricht. Durch die einzelnen Berufs- und Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern werden zudem klare Regelungen über die ärztlichen Pflichten getroffen, die eine Sicherung bzw. Steigerung der Qualität der Leistungen bezwecken, wie etwa die Fortbildungspflicht.

Ein wirklicher Bedarf für den Patienten an der Zertifizierung von medizinischen Einrichtungen ist daher - insbesondere aufgrund der mangelnden Aussagekraft und Unterscheidbarkeit – nicht zu erkennen. Für die Einrichtungen selbst kann dagegen die richtige Durchführung eines geeigneten Zertifizierungsverfahrens einen Vorteil durch Motivation des Personals und Verbesserung der internen Strukturen und Prozesse bedeuten. Zertifizierung an sich wäre daher grundsätzlich zu befürworten, sofern einheitliche bzw. vergleichbare Vorgaben und Überprüfungsverfahren gewährleistet wären.