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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Fachübergreifender Bereitschaftsdienst: Ökonomisch notwendig - rechtlich unzulässig ?

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2010;7:Doc11

doi: 10.3205/awmf000209, urn:nbn:de:0183-awmf0002092

Received: May 30, 2010
Published: June 15, 2010

© 2010 Wienke.
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Zusammenfassung

Angesichts allgemein begrenzter Kassen im Gesundheitswesen versuchen auch Universitätskliniken und Krankenhäuser anderer Versorgungsstufen Einsparungen vorzunehmen, welche nicht selten mit den ärztlichen und medizinischen Standards im Widerstreit stehen. Insbesondere Personaleinsparungen sind ein beliebtes Mittel, um Kosten zu dämpfen. In diesem Zusammenhang hat es in jüngster Zeit immer wieder Ansätze dazu gegeben, den Bereitschaftsdienst in Kliniken und Krankenhäusern in Form eines fachübergreifenden Dienstes versehen zu lassen. Dabei stellen sich schnell rechtlich relevante Fragen, etwa nach der Einhaltung des Facharztstandards.


Text

1. Der Facharztstandard als Maßstab in Klinik und Praxis

In Fachabteilungen von Krankenhäusern, insbesondere Universitätsklinika als Kliniken der Maximalversorgung, dürfen Patienten durchgehend den Leistungsstandard des voll weitergebildeten und als Facharzt anerkannten Spezialisten erwarten. Der Arzt schuldet ausnahmslos die im Zeitpunkt der Behandlung berufsfachlich gebotene Sorgfalt.

Der Maßstab für diese erforderliche Sorgfalt richtet sich nach objektiv–typisierenden, nicht nach subjektiv-individuellen Merkmalen. Maßgebend sind die im jeweiligen Facharztgebiet vorausgesetzten Fähigkeiten, die dort zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten, während die dahinter zurückbleibenden persönlichen Möglichkeiten des einzelnen Berufsangehörigen außer Betracht bleiben.

Auch und gerade im Krankenhaus und in Universitätsklinika hat der Patient Anspruch auf eine ärztliche Behandlung, die dem Stand eines erfahrenen Facharztes des jeweiligen Fachgebiets entspricht (BGH, NJW 1996, 779; 1987, 1479; 1984, 655). Dieser Standard ist grundsätzlich über 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr zu gewährleisten.

2. Der Facharztstandard im Bereitschaftsdienst

Dieser fachärztliche Standard ist im Bereitschaftsdienst in gleicher Weise zu gewährleisten und an die personellen, räumlichen und apparativen Handlungsbedingungen der jeweiligen klinischen Einrichtung anzupassen.

So ist abhängig von der Größe der stationären Einrichtung und der Schwere und Komplikationsgefahr der aktuell behandelten Patienten auch die unmittelbare Anwesenheit eines bereits ausgebildeten Facharztes im Bereitschaftsdienst in der Klinik erforderlich. Insbesondere bei Universitätsklinika als klinische Einrichtungen der medizinischen Maximalversorgung wird in der Regel der Bereitschaftsdienst unter Wahrung des Facharztstandards in Fachgebieten der operativen Medizin nur durch die Anwesenheit von Fachärzten vor Ort auszuführen sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn angesichts der aktuellen Behandlungsfälle die Möglichkeit besteht, dass während des Bereitschaftsdienstes Situationen auftreten können, die durch einen medizinischen Komplikations- und Schwierigkeitsgrad gekennzeichnet sind, dass sie durch die Anwesenheit des noch nicht abschließend ausgebildeten Facharztes nicht beherrscht werden. Nur wenn solche besonderen Versorgungs- und Komplikationsfälle ausgeschlossen werden können, reicht es aus, einen in Rufbereitschaft stehenden Facharzt der jeweiligen Abteilung und einen in der Weiterbildung zum jeweiligen Facharzt stehenden Assistenzarzt in der Klinik vorzuhalten.

3. Der fachübergreifende Bereitschaftsdienst

Angesichts wirtschaftlicher und personeller Engpässe erwägen Krankenhäuser und Universitätsklinika zunehmend, den Bereitschaftsdienst (vor Ort) in Form eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes zu organisieren, bei dem Fachärzte „verwandter“ Fachgebiete fachübergreifend eingesetzt werden. Solche Umstrukturierungen sind aus ökonomischen Gründen vielleicht verständlich, bergen aber regelmäßig erhebliche Haftungsrisiken für den jeweiligen Klinikträger sowie die verantwortlichen und handelnden Ärzte in sich.

a) Weiterbildungs- und berufsrechtliche Implikationen

Beim fachübergreifenden Bereitschaftsdienst soll ein Facharzt (z.B. Internist) in Bereitschaftsdienstzeiten Patienten bei Krankheitsbildern versorgen, die nicht zu seinem eigenen Fachgebiet zählen. In all diesen Fällen wird der zum Bereitschaftsdienst eingeteilte Arzt also in einem für ihn fremden Fachgebiet tätig. Nach dem Facharztbeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972 und der Differenzierungen der Weiterbildungsordnungen und der Berufsordnungen der Landesärztekammern hat sich der Arzt aber grundsätzlich auf das Fachgebiet zu beschränken, für welches er sich qualifiziert hat. Zwar gilt dieses Gebot nur grundsätzlich und lässt insbesondere im Hinblick auf die Teilnahmepflicht aller niedergelassenen Ärzte am allgemeinen Not- und Bereitschaftsdienst Ausnahmen zu; solche Ausnahmen kommen jedoch bei einer systematischen Neuordnung des klinischen Bereitschaftsdienstes, insbesondere in Universitätsklinika, nicht in Betracht.

Bereits weiterbildungs- und berufsrechtlich bestehen daher erhebliche Bedenken gegen die Einführung fachübergreifender Bereitschaftsdienste an klinischen Einrichtungen, insbesondere Universitätsklinika. Diejenigen Ärzte, die ihre Fachgrenzen in solcher Weise überschreiten, und diejenigen, die sie hierzu im Wege der Diensteinteilung veranlassen, setzen sich berufsrechtlichen Sanktionen aus.

b) Zivil- und strafrechtliche Implikationen

Viel bedeutender ist jedoch die erheblich gesteigerte Gefahr der zivilrechtlichen Haftung aus Übernahmeverschulden und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Jeder Arzt hat - unabhängig von etwaigen dienstlichen Anweisungen - bei Übernahme der Behandlung eines Patienten stets zu prüfen, ob er selbst die erforderlichen praktischen und theoretischen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse besitzt, die Behandlung nach dem jeweils aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Standard, also - juristisch gesprochen - mit der jeweils objektiv erforderlichen Sorgfalt des jeweiligen Fachgebiets, durchzuführen. Wer als Arzt an die Grenzen seines Fachgebietes oder seiner persönlichen Fähigkeiten gelangt, muss entweder Konsiliarärzte hinzuziehen oder den Patienten an einen anderen fachspezifischen Arzt überweisen oder die Behandlung unterlassen oder einschränken.

Zutreffend weist auch die Rechtsprechung darauf hin, dass der Arzt - abgesehen von den genannten weiterbildungs- und berufsrechtlichen Implikationen – in zivil- und strafrechtlicher Hinsicht zwar nicht auf sein Fachgebiet festgelegt ist; wenn er sich aber auf ein anderes Fachgebiet begibt, muss er regelmäßig dessen aktuellen Standard in allen Ausprägungen gewährleisten (z.B. BGH NJW 1982, 1049 für die Behandlung von Tbc durch einen Urologen). Erfordert die Art der Erkrankung die Behandlung durch einen Spezialisten, ist eine solche ärztliche Behandlung oder Versorgung aber nicht gewährleistet, liegt ein Übernahmeverschulden stets dann vor, wenn keine Versorgung durch einen entsprechenden Spezialisten eingeleitet oder veranlasst wird (vgl. BGH NJW 1982, 2121, 2123). Der jeweils verantwortliche Arzt muss diejenigen Maßnahmen ergreifen (können), die in der gegebenen Situation von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachgebiets vorausgesetzt und erwartet werden (BGH NJW 2000, 2737). Auch in strafrechtlicher Hinsicht kommt es stets auf die Frage an, wie sich ein umsichtiger und erfahrener Arzt derselben Fachrichtung in gleicher Situation verhalten hätte. Maßgebend ist allein der “Standard eines erfahrenen Facharztes“ (BGH JZ 1987, 879; OLG Oldenburg MDR 1993, 955).

Das Landgericht Augsburg hat in einer im vorliegenden Zusammenhang viel beachteten Entscheidung vom 30.09.2004 den Chefarzt einer chirurgischen Abteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil dieser einen Assistenzarzt der Abteilung für Innere Medizin zum chirurgischen Bereitschaftsdienst eingeteilt hatte und es durch die fehlerhaften und zu spät veranlassten Maßnahmen des Assistenzarztes zu schweren Komplikationen bei einem Patienten nach einer Schilddrüsenoperation gekommen war. Auch der Assistenzarzt war in das dem Strafverfahren vorangegangene staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren involviert, da ihm eine strafrechtlich relevante Mitverantwortung aus Gründen des Übernahmeverschuldens vorgeworfen worden war.

4. Zusammenfassung

Angesichts der vielerorts beschränkten wirtschaftlichen und personellen Rahmenbedingungen sind organisatorische Umstrukturierungen in Krankenhäusern und Universitätsklinika sicher verständlich und in verschiedenen Bereich auch notwendig. Die Einführung eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes allerdings ist unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht akzeptabel. Fachübergreifende Bereitschaftsdienste erhöhen das zivil- und strafrechtliche Risiko der beteiligten Ärzte, aber auch der verantwortlichen Krankenhausträger erheblich und vermindern die Qualität der ärztlichen Leistung zu Lasten der jeweiligen Patienten nachhaltig.