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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

BVG stärkt die Wissenschaftsfreiheit medizinischer Hochschullehrer: Strukturelle Änderungen in Universitätsklinika nur unter Beachtung der Wissenschaftsfreiheit zulässig

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc19

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Received: August 28, 2008
Published: September 1, 2008

© 2008 Wienke.
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Zusammenfassung

Mit seinem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 02.07.2008 hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) erneut die Wissenschaftsfreiheit medizinsicher Hochschullehrer und die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung betont. Hintergrund der Verfassungsbeschwerde eines medizinischen Hochschullehrers und Klinikdirektors war die beabsichtigte Schließung einer von ihm geleiteten Bettenstation an einem nordrhein-westfälischen Universitätsklinikum.


Text

Bereits in seinem Beschluss vom 27.11.2007 – 1 BvR 1736/07 – hatte das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt, dass medizinische Forschung, Lehre und Krankenversorgung in den Einrichtungen der Universitätsklinika in vielfältiger Weise miteinander verflochten, größtenteils sogar untrennbar miteinander verknüpft seien. Die Universitätsklinika dienten wegen ihrer spezifischen Funktion und ihres gesetzlichen Auftrages der Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben der medizinischen Fachbereiche an den Universitäten. Auch bei einer organisatorischen Trennung von Universität (medizinischem Fachbereich) und Universitätsklinikum sei der Wissenschaftsfreiheit der medizinischen Hochschullehrer angemessen Rechnung zu tragen.

Das Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen und die hier maßgebliche Klinikumsverordnung normieren ein Einvernehmenserfordernis zwischen Universität und Universitätsklinikum bei Entscheidungen des Universitätsklinikums, welche zugleich die Bereiche von Forschung und Lehre betreffen. Da dieses Einvernehmenserfordernis eine Sicherungsfunktion gerade für die individualgrundrechtliche Wissenschaftsfreiheit des medizinischen Hochschullehrers entfalte, komme diesem Verfahrensrecht schützende Wirkung zu Gunsten des einzelnen medizinischen Hochschullehrers zu. Dieser habe daher einen Anspruch darauf, dass Organisationsmaßnahmen des Universitätsklinikums im Bereich der Krankenversorgung, soweit diese zugleich Forschung und Lehre betreffen, nicht ohne Einvernehmen des Fachbereichs Medizin und damit unter Wahrung seiner insoweit bestehenden Einflussmöglichkeiten auf den organisierten Wissenschaftsbetrieb erfolgen. Die Mittelausstattung für Forschung und Lehre, die der Hochschullehrer wegen der organisatorischen Verselbständigung des Universitätsklinikums in seinem Verhältnis zur Universität und deren Fachbereich Medizin geltend machen müsse, würde gegenüber dem Universitätsklinikum gerade durch das Einvernehmenserfordernis sichergestellt. Für die Verwirklichung des individualgrundrechtlichen Schutzes der Wissenschaftsfreiheit sei daher die Wahrung des erforderlichen Einvernehmens von zentraler Bedeutung.

In seiner jetzigen Entscheidung vom 02.07.2008 führt das Bundesverfassungsgericht ergänzend aus, dass ein von strukturellen Änderungen betroffener medizinischer Hochschullehrer die Wahrung seiner (Teilhabe-)Rechte aus Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes auch gegenüber dem Fachbereich Medizin und der Universität einfordern und ggf. gerichtlich durchsetzen müsse. Insoweit könne ein von strukturellen Änderungen im Bereich der Krankenversorgung betroffener medizinischer Hochschullehrer vom Fachbereich Medizin einfordern, dass dieser das Einvernehmenserfordernis gegenüber dem Universitätsklinikum geltend mache. Das Einvernehmenserfordernis soll die ihm im Hinblick auf das ihm übertragene Fach zu gewährende Mittelausstattung sicherstellen. Für den konkreten Umfang dieser Mittelausstattung bedürfe es vor allem entsprechender Festlegungen durch den für Angelegenheiten der Forschung und Lehre primär zuständigen Fachbereich Medizin. Denn der Anspruch auf Teilhabe an den zur Verfügung stehenden Forschungsmitteln sei Ausdruck einer im organisierten Wissenschaftsbetrieb stattfindenden Koordination der grundrechtlich gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit aller an einem Fachbereich tätigen Hochschulprofessoren.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.07.2008 spiegelt eine begrüßenswerte Entwicklung der im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Rechtsprechung wieder. So hatte auch das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Urteil vom 25.10.2007 – 2 C 30.07 – unmissverständlich darauf hingewiesen, dass bei der Umbildung oder Neuorganisation einer Körperschaft einem Beamten ein amtsangemessener Tätigkeitsbereich verbleiben müsse. Konkretisierend hatte der VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 18.05.2004 – 4 S 760/04 – hervorgehoben, dass ein Universitätsklinikum nicht befugt sei, einen Universitätsprofessor von der Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Krankenversorgung zu entbinden, wenn dieser Aufgabenbereich Inhalt des dem Universitätsprofessor übertragenen Amtes sei. Die Krankenversorgung zähle zum essenziellen Aufgabenbereich des Hochschullehrers im Fachbereich Medizin, so dass eine Entbindung von den Aufgaben in der Krankenversorgung mit den Teilhaberechten des Hochschullehrers und seiner Wissenschaftsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren sei.

Die deutliche Tendenz der Rechtsprechung zum Schutze der Wissenschaftsfreiheit medizinischer Hochschullehrer unterstreicht die Sonderstellung der Hochschulmedizin. Danach dürfen sich Universitätsklinika nicht auf eine Aufgabenerfüllung im Bereich der Krankenversorgung beschränken; vielmehr müssen regelmäßig und gleichwertig auch die Aufgaben und Teilhaberechte in den Bereichen Forschung und Lehre berücksichtigt werden. Daher sind Universitätsklinika Einrichtungen der Hochleistungsmedizin, die dem Fachbereich Medizin der Universität zur Erfüllung seiner Aufgaben in Forschung und Lehre dienen.

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.07.2008 - 1 BvR 1165/08 -)