gms | German Medical Science

GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Bundesrat stimmt der Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztlichesPersonal zu - Pflegereform verabschiedet

Mitteilung

Search Medline for

GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc10

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/awmf/2008-5/awmf000153.shtml

Received: April 28, 2008
Published: April 29, 2008

© 2008 Wienke.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 25. 04. 2008 dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Pflegereform zugestimmt und sich damit zugleich für die von der Bundesregierung geplante Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal ausgesprochen. Damit hat der Bundesrat seine noch im Gesetzgebungsverfahren geäußerten grundsätzlichen Bedenken aufgegeben und sich dem Diktat der Großen Koalition gebeugt. Lediglich geringfügige Korrekturen konnten in den Beratungen durch den Gesundheitsausschuss noch eingefügt werden. Diese werden es jedoch nicht verhindern, dass das Tor zu einer maßgeblichen Einschränkung des Arztvorbehalts und zu einer grundlegenden Veränderung des gewachsenen Arztbildes weit geöffnet wurde.


Text

Mit den von der Bundesregierung geplanten Neuregelungen in § 63 Abs. 3 c SGB V können zukünftig in Modellvorhaben ärztliche Tätigkeiten, bei denen es sich um die selbständige Ausübung von Heilkunde handelt, auf Pflegekräfte übertragen werden. Voraussetzung ist der Nachweis einer qualifizierten Ausbildung nach dem Kranken- oder Altenpflegegesetz. Qualifizierte Pflegefachkräfte treten dann - so die Gesetzesbegründung - als eigenständige Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung auf, so dass hieraus eine Erweiterung der Leistungserbringerseite erfolgt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde angesichts der anfänglichen Widerstände des Bundesrats und zahlreicher Eingaben ärztlicher Organisationen eine Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bestimmung übertragbarer ärztlicher Tätigkeiten eingefügt. Dies ist als ein gewisser Korrekturfaktor zwar grundsätzlich zu begrüßen; eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal im Sinne einer eigenverantwortlichen ärztlichen Tätigkeit durch nicht approbierte Personen (Substitution) widerspricht aber dem gewachsenen Arztbild und führt zu einer Zersplitterung der einheitlichen Heilkundeausübung. Zudem steht die grundgesetzliche Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit einer Heilkundeausübung entgegen, die im Rahmen von Modellversuchen erworben werden kann und einem weitestgehend individuell definierten Umfang unterliegt.

Außerdem wird der im Heilpraktikergesetz verankerte Arztvorbehalt ohne Not für in erster Linie sozialversicherungsrechtliche Zwecke geopfert. Es ist keine Veranlassung und auch keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ersichtlich, Berufszulassungsregelungen im Rahmen der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung und damit im Bereich des Sozialversicherungsrechts zu verändern.

Schließlich weisen die von der Bundesregierung initiierten Neuregelungen ausdrücklich auf eine Akademisierung der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen hin. Es bestehen beachtliche Zweifel, ob und inwieweit diese Verlagerung der Ausbildung auf die Hochschulen überhaupt zulässig und gewollt ist, zumal dies unweigerlich mit kapazitären Auswirkungen verbunden ist und zulasten der bereits derzeit schon zulassungsbeschränkten medizinischen Studiengänge geht. Angesichts des allerorten steigenden Ärztebedarfs ist dies nicht nachzuvollziehen.

So hat es künftig der Gemeinsame Bundesausschuss - als Einrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung und verlängerter Arm der Gesundheitspolitik - in der Hand, den Inhalt dessen, was unter dem Vorbehalt der ärztlichen Heilkundeausübung steht, näher zu bestimmen. Mit dieser Neuordnung folgt der Gesetzgeber für den Bereich der ärztlichen Berufsausübung Beispielen anderer Berufsfelder: Die Novellierung der Handwerksordnung hat das Meisterprivileg im Handwerk eingeschränkt; und zuletzt hat die Bundesregierung mit der Verabschiedung des Rechtsdienstleistungsgesetzes das Beratungsmonopol der Rechtsanwälte aufgebrochen und u. a. Banken, Versicherungen, Mietervereinen und Kfz-Werkstätten Rechtsberatung erlaubt. Die Liberalisierung und Neuordnung vieler historisch gewachsener Berufsbilder wird die Gesellschaft vor eine neue Orientierung stellen. Gleichzeitig wird die Gesellschaft dabei zu prüfen haben, ob mit der Aufgabe bestimmter Qualifizierungsprozesse die Gewähr für eine gleich bleibende Qualität der einzelnen Leistungen fortbesteht.

In diesem Sinne ist der Gemeinsame Bundesausschuss gut beraten, vor dem Erlass seiner Richtlinien zur Übertragbarkeit ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal fachspezifische Stellungnahmen bei der Bundesärztekammer und den einzelnen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften einzuholen und diese in die Richtlinienentscheidung mit einzubeziehen. Nur hierdurch kann ansatzweise gewährleistet werden, dass auch im Rahmen der Ausübung ehemals originär ärztlicher Tätigkeiten durch nicht-ärztliches Personal die vom Patienten bei der Gesundheitsversorgung zu Recht erwarteten medizinischen Standards eingehalten werden. Gleichzeitig besteht durch die Einbeziehung der Bundesärztekammer und der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in den Entscheidungsprozess Anlass zu der Annahme, dass eine Risikoerhöhung für die Patienten im Rahmen der Durchführung ärztlicher Tätigkeiten durch nicht-ärztliches Personal weitestgehend vermieden wird. Einige medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften haben hierzu in jüngster Zeit bereits sachdienliche Stellungnahmen abgegeben, auf die der Gemeinsame Bundesausschuss bei seinen Beratungen zurückgreifen sollte.

Bei der Übertragung ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal ist auch zukünftig der Facharztstandard und die von den medizinisch-wissenschaftlichen Standards geprägte Qualität der Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Ärztliche Leistungen dürfen demnach nicht an nicht-ärztliches Personal delegiert werden, soweit die betreffende Maßnahme „gerade dem (Fach-) Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt“ (BGH, Urteil vom 24. 06. 1975 - VI ZR 72/74 -). Die Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal und erst recht nicht die Substitution des Arztes durch nicht-ärztliches Personal dürfen in keinem Fall zu einer Risikoerhöhung für den jeweiligen Patienten führen. Verrichtungen, die wegen ihrer Schwierigkeiten, ihrer Gefährlichkeit oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen ärztliches Fachwissen voraussetzen und deshalb vom Arzt persönlich durchzuführen sind, sind nicht delegationsfähig, erst recht nicht substitutionsfähig.