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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

AWMF: Übergangsfrist zum Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) verlängern!

Mitteilung

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GMS Mitteilungen aus der AWMF 2005;2:Doc33

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/awmf/2005-2/awmf000071.shtml

Received: November 21, 2005
Published: November 24, 2005

© 2005 Müller et al.
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Zusammenfassung

Die AWMF hat sich mit einer Stellungnahme an alle zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder gewandt mit der Aufforderung, die Übergangsfrist zum Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) so zu verlängern, dass schädliche Folgen für die klinische Forschung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch eine geeignete langfristige Lösung vermieden werden können.

Im Folgenden ist der vollständige Text der Stellungnahme dokumentiert:


Text

Stellungnahme der AWMF zu den Folgen der Beendigung der Übergangsfrist zum Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG)

Am 31. 12. 2005 endet die erste Übergangsfrist des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), die die besonderen Schwierigkeiten der Krankenhäuser und Kliniken in der Dienstplanregelung für die Mitarbeiter berücksichtigen sollte. Danach ist das ArbZG grundsätzlich in allen klinischen Bereichen und damit auch in den Universitätskliniken anzuwenden.

Die Probleme, die für den Bereich der Krankenversorgung aus der Anwendung dieses Gesetzes entstehen werden zu einer erheblichen Beeinträchtigung der klinischen Abläufe führen und die Patientensicherheit gefährden (fehlende Kontinuität in der Ärztlichen Behandlung, Defizite in der Informationsweitergabe mit vermehrtem Fehleranfall in Diagnostik und Therapie etc.). Besonders für sog. „Kleine Fächer" ergibt sich die Situation, dass eine fachspezifische Versorgung kaum noch aufrecht zu erhalten sein wird. Auf die Stellungnahme des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) die Krankenversorgung betreffend wird insoweit verwiesen.

In § 14 Absatz 2 des ArbZG ist ausgeführt, dass eine Tätigkeit in Lehre und Forschung nicht unter die Arbeitszeitregelung fällt. Allerdings sagt Absatz 3, dass die Einbeziehung auch von solchen Tätigkeiten nicht dazu führen darf, dass innerhalb von 6 Monaten eine Arbeitszeit von im Mittel 48 Stunden überschritten wird.

Die AWMF will die Probleme, die sich für die akademische Lehre durch das ArbZG ergeben, nicht näher beleuchten, da dieser Sachverhalt in die Verantwortung der medizinischen Fakultäten gehört. Die AWMF möchte gemäß ihrer Aufgabenstellung vor allem auf die Probleme für die Forschung hinweisen, die durch die Anwendung des ArbZG entstehen werden. Die AWMF betont mit dem allergrößten Nachdruck, dass eine erfolgreiche Forschung nicht in einer Arbeitszeit von 48 Wochenstunden durchgeführt werden kann, und noch nie in einer solchen Zeit durchgeführt werden konnte. Offenbar hat das ArbZG die Gegebenheiten in der Forschung und die Notwendigkeiten für die Wissenschaft übersehen und dadurch eine für die Forschung unhaltbare Situation geschaffen. Es ist ein völlig illusionärer Ansatz des Gesetzgebers entstanden, der im europäischen Ausland und in den USA nur auf Unverständnis und Spott trifft.

Gilt diese Aussage schon für Wissenschaftler, die in theoretischen Instituten ausschließlich in der Forschung tätig sind, muss sie noch viel mehr auf die klinisch tätigen Wissenschaftler zutreffen, die in der krankheits- und patientenorientierten klinischen Forschung tätig sind, und die gleichzeitig mit ihrer Forschungstätigkeit auch erhebliche klinische Verantwortlichkeiten haben. Diese Wissenschaftler, die eine besonders wichtige Rolle für die Weiterentwicklung der klinischen Forschung spielen, werden durch das ArbZG in eine praktisch unlösbare Konfliktsituation gelangen, da für sie eine Trennung von Krankenversorgung und Forschung nicht möglich ist.

Die Förderung der Forschung und insbesondere der klinischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland wird mit Recht gefordert und immer wieder angemahnt. Das ArbZG wird aber alle Aktivitäten in diese Richtung zunichte machen, und gerade die aktiven jüngeren Wissenschaftler aus Deutschland vertreiben, weil diese einerseits durch das ArbZG gezwungen werden, sogar die Forschung in der Freizeit einzustellen, andererseits aber erleben müssen, dass ihr Einsatz im Interesse von Forschung und Krankenversorgung nicht gewürdigt wird, weil nach dem ArbZG untersagt, andererseits für ihre Tätigkeit nur ein unzureichendes Entgelt erhalten.

Die AWMF weist außerdem daraufhin, dass nach dem Grundgesetz Lehre und Forschung „frei" sind. Sie sind frei nicht nur in ihrer Themenwahl, sondern auch in der eigenen freien Entscheidung des Forschers wann und wo er seiner Wissenschaft nachgehen will. Dieser letzte Aspekt ist in der bisherigen Diskussion nach Auffassung der AWMF unzureichend gewürdigt worden.

Die AWMF appelliert an alle zuständigen Institutionen in der Bundesrepublik, sich um eine dauerhafte wissenschaftsfreundliche Lösung dieser nicht aus der Wissenschaft selbst herrührenden Probleme zu bemühen. Es wäre fatal, wenn die klinische Forschung am ArbZG zerbrechen würde. Für die Medizin, insbesondere die Universitätskliniken, ist das ArbZG völlig ungeeignet. Es schützt niemanden, sondern kriminalisiert Wissenschaftler, die ihre Arbeitskraft mit Enthusiasmus für die Allgemeinheit und zum Nutzen der Kranken einsetzen möchten.

Die AWMF fordert die verantwortlichen Gremien auf, umgehend entsprechende Regelungen für die medizinische und klinische Forschung zu veranlassen, die den Besonderheiten dieser Berufszweige entsprechen und - unter Beachtung der Vorgaben der EU - eine grundsätzliche Klärung der arbeitsrechtlichen Situation in den Forschungseinrichtungen mit dem Ziel einer Stärkung der Forschungsaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Schon jetzt verlassen pro Jahr mehr als 3000 in Deutschland ausgebildete Nachwuchsmediziner wegen miserabler Honorierung, aber auch wegen der Behinderungen durch bürokratische Vorgaben und damit zunehmender Perspektivlosigkeit unser Land. Damit gehen mindestens 500 Mill. €, die in die Ausbildung dieser Studenten geflossen sind, der deutschen Wissenschaft und dem deutschen Gesundheitswesen verloren.

Die AWMF ist der Auffassung, dass dieser Zustand nicht hinnehmbar ist und fordert die zuständigen Gremien auf, nach der jetzt anstehenden Verlängerung der Übergangsregeln des ArbZG für eine grundsätzliche und dauerhafte Klärung dieser Probleme Sorge zu tragen und hierbei sowohl für die notwendige Entscheidungsfreiheit als auch für eine angemessene Honorierung der Nachwuchswissenschaftler Sorge zu tragen.

Prof. Dr. med P. v. Wichert

stv. Präsident der AWMF