gms | German Medical Science

Jahrestagung der Vereinigung Westdeutscher Hals-Nasen-Ohren-Ärzte 2025

07.03. - 08.03.2025, Solingen

Varizella zoster vermittelte Polyneuritis cranialis – von der „Ohrentzündung“ zur Liquorpunktion

Meeting Abstract

Vereinigung Westdeutscher HNO-Ärzte. Jahrestagung der Vereinigung Westdeutscher Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Solingen, 07.-08.03.2025. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2025. Doc35

doi: 10.3205/25wdhno35, urn:nbn:de:0183-25wdhno356

Veröffentlicht: 6. März 2025

© 2025 Nachtsheim et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung: Ein 52-jähriger, bis auf eine positive Migräneanamnese nicht vorerkrankter Patient stellte sich mit Hörminderung und Otalgie sowie bilateraler Odynophagie im Rahmen eines grippalen Infektes vor. Hausärztlich war er mit Amoxicillin anbehandelt worden, wobei es zu keiner Beschwerdebesserung kam. Die klinische Diagnostik ließ zunächst eine Otitis externa bei Schwellung des Gehörganges ohne Effloreszenzen und Tragusdruckschmerz vermuten. Das Trommelfell war aufgrund der Schwellung des Gehörganges zu diesem Zeitpunkt nicht einsehbar. Es wurde ein Gentamycin-Betamethason-Streifen eingelegt und Analgetika verordnet.

Methoden: Drei Tage später stellte sich der Patient jedoch mit einer inkompletten Fazialisparese rechts (House-Brackmann Grad IV) bei konstantem Lokalbefund in domo vor. Die Labordiagnostik zeigte keine Auffälligkeiten. Audiometrisch imponierte eine ipsilaterale, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Zudem zeigten sich Spontannystagmen zur Gegenseite. Bei Verdacht auf Panotitis mit Beteiligung des äußeren Ohres wurde eine CT-Bildgebung veranlasst. Diese zeigte Zeichen einer chronischen Otitis media. Es wurde daraufhin umgehend eine Mastoidektomie mit Fazialisdekompression, Tympanoskopie und Gehörgangserweiterung rechts durchgeführt. Ein Cholesteatom zeigte sich intraoperativ nicht. Postoperativ waren die Schmerzen deutlich regredient. Die Fazialisparese blieb jedoch bestehen.

Zwei Tage später berichtete der Patient jedoch über progrediente Dysphagie und Schwindel. Es imponierte ein rechtsseitiges Kulissenphänomen und Stimmlippenstillstand, sodass serologische Diagnostik und weitere bildgebende Diagnostik eingeleitet wurde.

Ergebnisse: CT und MRT zeigten postoperative Veränderungen sowie ein Weichteilplus im Pharynx ipsilateral, jedoch keinen Hinweis auf eine Osteomyelitis. Der Patient wurde bei unsicherem Fokus zur konsiliarischen Mitbeurteilung in der benachbarten Neurologie vorgestellt. Hier imponierte in der Liquordiagnostik eine Pleozytose von 48/µl (Ref.: 0-5/µl), ein erhöhter Laktatwert von 1,6 mmol/l (0,5-3,2 mmol/l) und der Nachweis von Varizella Zoster im Meningitis-Panel. Auch die am Folgetag ausgewertete Blutserologie bestätigte eine deutliche Erhöhung der IgM und IgA Antikörper gegen Varizella Zoster (VZV). Es wurde daher die Diagnose einer Polyneuritis cranialis bei VZV-Infektion gestellt und eine intravenöse Therapie mit Aciclovir begonnen. Unter dieser Therapie kam es zu einer deutlichen Besserung des klinischen Bildes und Regredienz nahezu aller Hirnnervenausfälle. Lediglich die Fazialisparese zeigte sich zwar rückläufig, aber letztlich persistierend (HB III).

Diskussion: Bei Fazialisparese oder Polyneuritis cranialis sollten, auch bei zunächst typischen Symptomen einer komplizierten Otitis, neurotrope Erreger als Genese in Erwägung gezogen werden. Eine frühzeitige serologische Testung ist daher auch ohne das Vorliegen typischer Effloreszenzen anzuraten.