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Analyse des IST-Zustandes und Modellierung eines SOLL-Prozesses zum klinischen Forschungsdatenmanagement mit BPMN2.0

Meeting Abstract

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  • Stefan Bodoehl - Universitätsklinikum Jena
  • Cord Spreckelsen - Universitätsklinikum Jena; SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative

SMITH Science Day 2022. Aachen, 23.-23.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP11

doi: 10.3205/22smith22, urn:nbn:de:0183-22smith229

Veröffentlicht: 31. Januar 2023

© 2023 Bodoehl et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung und Zielstellung: Forscher an einer Universitätsklinik erheben eine Vielzahl sehr heterogener Daten an verschiedenen Untersuchungsobjekten (z.B. in vitro, tierexperimentell, am Menschen).

Die Arbeit soll ermitteln, wie das Management der Erhebung und Speicherung der Daten über verschiedene forschende Arbeitsgruppen hinweg organisiert ist.

Durch Prozessmodellierung soll aus der Analyse des IST-Zustandes und formulierten Bedarfen der Forschenden ein basaler Anforderungskatalog an einen SOLL-Prozess zum Forschungsdatenmanagement abgeleitet werden, der die FAIR Grundprinzipien (findable, accessible, interoperable, reusable) berücksichtigt.

Methoden: Für die Analyse des IST-Zustandes wurde ein standardisiertes Experteninterview erarbeitet. Eine Vorab-Version wurde an 2 Forschenden getestet. Ihrem Feedback entsprechend entstand die finale Version mit 41 Fragen (offene Fragen, Bewertung einzelner Aspekte auf einer Skala 1–10); die Ergebnisse der Vorabversion wurden nicht weiter ausgewertet.

Anschließend wurden 20 komplette Interviews (35–45 min) mit Forschern verschiedener Arbeitsgruppen der Klinik für Neurologie am UKJ telefonisch durchgeführt. Die Antworten wurden anonymisiert. Abgefragt wurden Aspekte zur Datenerhebung, -speicherung, -auswertung, der IT-Infrastruktur sowie allgemeine Aspekte (Forschungstätigkeit etc.). Bestandteil jedes Interviews war die klare Formulierung aktueller Probleme und Anforderungen. Bei jedem Interview wurde eine detaillierte Beschreibung des gesamten Ablaufs von der Datenerhebung bis zum Auswerten finaler Daten erhoben. Die Forschenden arbeiteten dabei an unterschiedlichsten Aspekten der Neurologie (u.a. Grundlagenforschung, Zellforschung, Mikroskopie, klinische Studien, Bildgebung, experimentelle Studien).

Entsprechend dem Konzept des PDCA-Zyklus [1] und der Prozessmanagementbrille nach BPM&O [2] wurden aus den Bedarfen der Mitarbeiter konkrete Anforderungen abgeleitet und operative Prozessziele formuliert. Anschließend wurden konkrete Maßnahmen formuliert, um diese Ziele umzusetzen.

Ergebnisse:

Auswertung des IST-Zustandes und Formulierung von Anforderungen an den SOLL-Prozess: Aus den insgesamt 20 Interviews konnten 217 Anforderungen abgeleitet werden, welche wiederum in 30 Anforderungen und 11 Hauptkategorien zusammengefasst werden konnten (siehe Abbildung 1, links [Abb. 1]). Um die gestellten Anforderungen umzusetzen, wurden 10 Maßnahmen erarbeitet (siehe Abbildung 1, rechts [Abb. 1]).

Identifikation von Quick-Wins: Ein übliches Vorgehen bei Formulierung von Zielen und Maßnahmen ist die Identifikation von Maßnahmen, die schnell konkret umsetzbar sind und viele relevante Anforderungen adressieren (Quick-Wins). Die Analyse ergab die folgenden Quick-Wins:

1.
Schaffung einer transparent dokumentierten Speicher/Ordnerstruktur (15% aller Anforderungen)
2.
Ernennung eines AG internen Datenbeauftragten (12% aller Anforderungen).

Rollen und Formulierung eines SOLL-Prozesses: Durch Analyse der Interviews bzw. der Anforderungen wurden eine Vielzahl von User-Stories formuliert, um die Modellierung eines konkreten Prozesses vorzubereiten. Hier ergaben sich folgende vier Rollen:

  • Collector (erhebt die Daten)
  • Analyst (wertet die Daten aus)
  • Data Manager (unterstützt beim Datenmanagement)
  • Projekt-Koordinator (leitet das Experiment).

Mit Blick auf den idealen Ablauf bei der Durchführung eines Forschungsprojektes wurde mit BPMN2.0 der erste Prototyp eines SOLL-Prozesses formuliert.

Diskussion: Anhand der Auswertung der Experteninterviews konnten verschiedene IST-Zustände unterschiedlicher Arbeitsgruppen erhoben werden. Wie erwartet, zeigte sich hier starke Heterogenität bei allen Schritten der Erhebung, Auswertung und Speicherung von Forschungsdaten. Dennoch gelang es, die aus den 20 Interviews erhobenen 217 Anforderungen in letztlich nur 31 zusammenzufassen und sie mit nur 10 konkreten Maßnahmen zu adressieren. Besonders relevant sind hier die Aspekte transparenter Strukturen, klarer Standards und eines konkreten Ansprechpartners. 27% aller Anforderungen lassen sich durch Etablierung eines Forschungsdatenbeauftragen sowie die Dokumentation von Abläufen zum Speichern und Ordnerstrukturen adressieren.

Der erarbeitete SOLL-Prozess kann nur als ein erster Entwurf dienen. Aus den Interviews ergab sich große Heterogenität bei allen Abläufen, welche sich teils auch nicht einfach ändern lassen (z.B. müssen Daten an einem Mikroskop gemessen werden und dann zur Auswertung an einen weiteren Rechner transportiert werden). Unabhängig davon ist der Vorteil der Rolle eines Daten-Managers bei der Entwicklung und Umsetzung von Standards innerhalb einer Forschungsgruppe erkennbar. Eine sinnvolle Integration könnten regelmäßige Kick-Off-Veranstaltungen zu Beginn und während eines laufenden Projektes sein, um das Datenkonzept vorzustellen und ggf. im laufenden Betrieb anzupassen.

Limitationen: Auch wenn viele unabhängige Forschungsgruppen untersucht wurden, ist aus dieser Umfrage kein generelles Bild der Forschungslandschaft an deutschen Universitätskliniken möglich. Der Umgang mit Forschungsdaten kann hier weder als besonders gut noch besonders schlecht bezeichnet werden. Auch ist, trotz eines breiten Spektrums an Forschungsschwerpunkten, nicht das ganze Spektrum der medizinischen Forschung vertreten gewesen.

Fazit: Die Autoren waren überrascht, wie viele Arten des Umgangs mit Forschungsdaten in der Praxis zu beobachten waren, wie wenig strukturiert bisher der Umgang ist und wie sehr man an einigen Punkten von klaren Abläufen profitieren könnte. Zusammenfassend zeigte sich klar, dass es einen enormen Bedarf für strukturiertes Forschungsdatenmanagement gibt.


Literatur

1.
Aguayo R. Dr. Deming: The American who taught the Japanese about quality. New York: Simon and Schuster; 1991.
2.
Knuppertz T, Feddern U. Prozessorientierte Unternehmensführung: Prozessmanagement ganzheitlich einführen und verankern. Stuttgart: Schäffer-Poeschel; 2011.