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Unterstützung lokaler Datennutzungsprojekte am Beispiel Intensivmedizinischer Forschung an der Universitätsmedizin Halle

Meeting Abstract

  • Daniel Tiller - Datenintegrationszentrum der Universitätsmedizin Halle, Germany
  • Diana Pietzner - Datenintegrationszentrum der Universitätsmedizin Halle, Germany
  • Ssuhir Alaid - Datenintegrationszentrum der Universitätsmedizin Halle, Germany
  • Jan Christoph - Datenintegrationszentrum der Universitätsmedizin Halle, Germany; AG (Bio-) medical Data Science, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, Germany
  • Julia Schumann - Forschungslabor der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsmedizin Halle (Saale), Germany

SMITH Science Day 2022. Aachen, 23.-23.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP8

doi: 10.3205/22smith20, urn:nbn:de:0183-22smith204

Veröffentlicht: 31. Januar 2023

© 2023 Tiller et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Zielstellung: Das Datenintegrationszentrum (DIZ) des Universitätsklinikums Halle (Saale) (UKH) bereitet Daten der medizinischen Versorgung für die medizinische Forschung auf und stellt diese nach der Prüfung der Datenqualität und Datenschutz den Wissenschaftler:innen zur Verfügung. Die Ergebnisse aus dieser Forschung fließen in die Versorgung zurück. Die Datennutzung kann von Wissenschaftler:innen innerhalb und außerhalb des UKH beantragt werden. Das DIZ arbeitet eng mit der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am UKH zusammen und die ersten Projekte laufen seit dem 01.07.2022. In diesem Abstract wird der Datenbereitstellungsprozess anhand von zwei konkreten lokalen Beispielen vorgestellt.

Das Projekt I „Auswirkung extrakorporaler Unterstützungssysteme (ECMO, Impella) auf die neuronenspezifische Enolase (NSE)“ und das Projekt II „Vergleich von unfraktioniertem Heparin (UFH) und Argatroban zur therapeutischen Antikoagulation unter ECMO-Therapie bei Patient:innen mit schwerem Sars-CoV-2- und Nicht-Sars-CoV-2-bedingtem ARDS“ werden unter der Leitung von apl. Prof. Dr. Julia Schumann durchgeführt. Beide Projekte adressieren wissenschaftliche Fragen durch die Auswertung von intensivmedizinischen, klinischen Routinedaten des Universitätsklinikums Halle (Saale), welche durch das DIZ zur Verfügung gestellt werden.

Methoden:

Voranfrage: Die Wissenschaftler:innen stellen ihre Anfragen direkt an die Transferstelle des DIZ. Darauf folgt ein persönliches Beratungsgespräch, um die Parameter der gewünschten Datensätze zu definieren. Zur Erstellung des Catalogue of Items (COI) und zur weiteren Kommunikation wird eine gemeinsame Kollaborationsplattform (Confluence) genutzt.

Machbarkeitsanalyse: Anhand der bereitgestellten Ein- und Ausschlusskriterien ermittelt das DIZ die Größe des verfügbaren Datensatzes im Sinne einer Machbarkeitsanfrage.

Datenbeantragung und -bereitstellung: Die Aufbereitung (und ggf. zusätzliche Extraktion) der Forschungsdaten erfolgt, nachdem das Datennutzungsprojekt nach einem definierten Freigabeprozess (gemäß Nutzungsordnung des DIZ Halle [1]) beantragt und durch das Data Use & Access Committe (UAC) genehmigt wurde. Das UAC prüft nach vorgegebenen Kriterien die wissenschaftliche Plausibilität sowie die Rechtmäßigkeit der Datennutzung. Vor der Datenlieferung schließen die Beteiligten eine entsprechende Vereinbarung zur Datennutzung ab.

Ergebnisse: Die Daten für das Projekt I wurden aus dem Patientendatenmanagementsystem (Dräger ICM®) extrahiert und in anonymisierter Form an die Wissenschaftler:innen übergeben. Die Analysen werden aktuell durchgeführt und die Publikation vorbereitet. Die Daten für das Projekt II werden aktuell aus dem PDMS ausgeleitet und für die Datenlieferung vorbereitet (Plausibilitätsprüfung, Anonymisierung etc.).

Projekt I „Auswirkung extrakorporaler Unterstützungssysteme (ECMO, Impella) auf die neuronenspezifische Enolase (NSE)“: Die neuronenspezifische Enolase (NSE) ist ein Enzym des Glukosestoffwechsels, welches aufgrund der vorwiegenden Expression in neuronalen Geweben, insbesondere Neuronen, zur Prognosebeurteilung bei Hirnschädigungen genutzt wird. Neben Neuronen wird die NSE jedoch auch durch Erythrozyten und Thrombozyten freigesetzt. Bereits eine milde Hämolyse kann zur einer Erhöhung von NSE-Werten führen, was bei der Laboranalyse sowie der klinischen Interpretation von Relevanz ist. Entsprechend bestehen Hinweise, dass es bei extrakorporaler Zirkulation zu einem Anstieg der NSE-Werte kommt, wobei bei der Anwendung dauerhafter Herzunterstützungssysteme die NSE-Werte mit hämolysetypischen Parametern korrelieren. Bei temporärer extrakorporaler Zirkulation im Rahmen einer akuten ECMO-und/oder Impella-Therapie ist dieser Zusammenhang jedoch nicht ausreichend untersucht, so dass der prädiktive Wert der NSE hinsichtlich des neurologischen Outcomes nicht abschließend abgeschätzt werden kann. Entsprechend klinischen Beobachtungen könnten erhöhte NSE-Werte (vorrangig) hämolysebedingt sein und müssen nicht zwangsläufig Ausdruck einer unmittelbaren Hirnschädigung mit der Konsequenz eines vorzeitigen Entzugs lebenserhaltender Maßnahmen („withdrawal of life-sustaining treatments“) sein. Dies ist gerade im akuten Setting, d.h. Implantation einer extrakorporalen Einheit und Notwendigkeit einer tiefen Sedierung, von Bedeutung, da unter diesen Umständen die neurologische Beurteilung des Patienten oftmals nur ungenügend möglich ist. Entsprechend befasst sich die Studie mit der Frage, ob die Bestimmung der NSE-Konzentration im Kontext einer möglichen Hämolyse ein verlässlicher Parameter zur Abschätzung einer potentiellen Hirnschädigung bei ECMO-Patienten ist.

Projekt II „Vergleich von unfraktioniertem Heparin (UFH) und Argatroban zur therapeutischen Antikoagulation unter ECMO-Therapie bei Patient:innen mit schwerem Sars-CoV-2- und Nicht-Sars-CoV-2-bedingtem ARDS“: Bei Patient:innen mit schwerem ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrom), die an eine ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung) angeschlossen werden müssen, ist eine suffiziente Antikoagulation zur regelrechten Funktion der ECMO essentiell. Bei COVID-19-bedingtem ARDS kommt erschwerend hinzu, dass aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion per se ein prothrombogener Zustand vorliegt, der zusätzlich eine effektive Antikoagulation erfordert. Als „Standard of Care“ wird zur therapeutischen Antikoagulation unter ECMO-Therapie unfraktioniertes Heparin (UFH) verwendet, auch wenn es keine Daten aus großen randomisierten Studien gibt. Die Behandlung mit alternativen Antikoagulantien, wie dem direkten Thrombininhibitor Argatroban, hat bisher keinen regelhaften Einzug in die tägliche Praxis gefunden, wird aber in einigen Kliniken im Sinne einer „good clinical practice“ durchgeführt. Aus pharmakologischer Sicht ist Argatroban aufgrund folgender Aspekte eine interessante Alternative im Vergleich zu UFH und wird daher von einigen behandlungsleitenden Ärzt:innen trotz fehlender Evidenz bevorzugt: 1) kein Auftreten einer HIT (Heparin-induzierte Thrombozytopenie), 2) fehlende Abhängigkeit von Antithrombin, 3) Bindung von zirkulierendem und Gerinnsel-gebundenem Thrombin, 4) durch direkte Thrombinhemmung verminderter „thrombin burst“ mit geringerer Aktivierung thrombozytärer Rezeptoren und konsekutiv geringerer Thrombozytenaggregation. In der Studie werden die beiden Antikoagulationsregimes bei ARDS-Patient:innen, die an eine ECMO angeschlossen wurden, hinsichtlich möglicher Unterschiede in Hinblick auf Gesamtsterblichkeit, Thrombogenität und Blutungskomplikationen verglichen. Ziel ist die Generierung von Evidenz bezüglich der Antikoagulation unter ECMO-Therapie bei COVID-19- und nicht-COVID-19-bedingtem ARDS.

Diskussion/Schlussfolgerung: Für eine optimale intensivmedizinische Versorgung ist es unabdingbar, die Forschung voran zu bringen, um neues Wissen zu schließen. Die Durchführung klinischer Studien ist bei kritisch erkrankten Personen allerdings nur eingeschränkt durchführbar und ethisch vertretbar. Mithin sind Gesundheitsdaten für die Forschung in der Intensivmedizin von besonderem Wert. Die Zusammenarbeit von Datenintegrationszentrum (DIZ) und Forschungslabor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin an der Universitätsmedizin Halle ermöglicht die effektive und zielgerichtete wissenschaftliche Nutzung von Gesundheitsdaten aus dem klinischen Alltag. Die Aufbereitung gesammelter Daten und Zusammenführung für eine retrospektive Auswertung liefert einen bedeutenden Beitrag für die klinische Forschung. Die vorgestellten aktuellen Projekte sind konkrete Beispiele für eine Beantwortung von Anwendungsfragen aus der intensivmedizinischen Praxis mit dem Ziel, die Patientenversorgung zu verbessern. Weitere Projekte sind in Planung, um den bislang ungenutzten Datenschatz zu heben und zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.


Literatur

1.
Nutzungsordnung des Datenintegrationszentrums Halle zum Austausch von Patientendaten, Analysemethoden und -routinen im Rahmen der Medizininformatik-Initiative.