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ICU Virtual Patient Modeling Framework

Meeting Abstract

  • Konstantin Sharafutdinov - Institute for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; Joint Research Center for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany
  • Sebastian Johannes Fritsch - SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany; Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Universitätsklinikum Aachen, Germany; Jülich Supercomputing Centre, Forschungszentrum Jülich GmbH, Germany
  • Richard Polzin - Institute for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; Joint Research Center for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany
  • Hannah Mayer - SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany; Systems Pharmacology & Medicine, Bayer AG, Leverkusen, Germany
  • Chadi Barakat - SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany; Jülich Supercomputing Centre, Forschungszentrum Jülich GmbH, Germany; School of Engineering and Natural Sciences, University of Iceland, Reykjavík, Iceland
  • Gernot Marx - SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany; Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Universitätsklinikum Aachen, Germany
  • Johannes Bickenbach - SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany; Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Universitätsklinikum Aachen, Germany
  • Andreas Schuppert - Institute for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; Joint Research Center for Computational Biomedicine, RWTH Aachen University, Germany; SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative, Leipzig, Germany

SMITH Science Day 2022. Aachen, 23.-23.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocP3

doi: 10.3205/22smith15, urn:nbn:de:0183-22smith153

Veröffentlicht: 31. Januar 2023

© 2023 Sharafutdinov et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung und Zielstellung: Modelle des maschinellen Lernens (ML) haben ihre Leistungsfähigkeit und Anwendbarkeit in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens bereits bewiesen [1]. Die Anwendung von ML-Modellen in der Intensivmedizin wird jedoch durch eine Reihe von Faktoren erschwert, die für diese Disziplin spezifisch sind. Dies gilt auch bei der Modellierung des pulmonalen Systems. Erstens bestehen die auf der Intensivstation (intensive care unit, ICU) gesammelten Daten aus globalen Indizes und Parametern, die den Zustand der Lunge als Ganzes widerspiegeln, wie z.B. Blutgasanalyse-Werte oder Beatmungseinstellungen. Diese Merkmale stellen jedoch in Wirklichkeit Surrogatmarker für den tatsächlichen pathophysiologischen Zustand der Lunge dar, was zu einer erheblichen Simplifizierung der klinischen Realität führt. Der zweite wichtige Faktor ist die große Anzahl medizinischer Maßnahmen im Rahmen der Intensivpflege, wie z.B. die Verabreichung von Medikamenten oder die maschinelle Beatmung, die wiederum einen Einfluss auf den Patienten haben. Solche Maßnahmen können sich zwischen verschiedenen Krankenhäusern erheblich unterscheiden, was einen zusätzlichen Bias aufgrund der Herkunft der Daten in die Datensätze einbringen kann. In der Folge könnten daher relevante medizinische Signale über den Zustand eines Patienten durch entsprechende Verzerrungen abgeschwächt bzw. vollständig überdeckt werden. So weist die menschliche Lunge beispielsweise inhomogene Merkmale wie strukturelle Asymmetrien und regionale Schwankungen bei der Ventilation und Perfusion auf, die mit Standard-Diagnoseverfahren nicht erfasst werden können [2].

Es gibt jedoch Modelle, die komplex genug sind, um heterogene pathophysiologische Zustände zu modellieren. Diese werden als „virtuelle Patientenmodelle“ oder „In-silico-Patienten“ bezeichnet [3].

In unserer Studie haben wir ein Framework für die individuelle virtuelle Patientenmodellierung (VP) für reale ICU-Daten entwickelt. Ein komplexes mechanistisches Modell [4], das das pulmonale System repräsentiert, wird im Optimierungsverfahren an die Daten individueller Intensivpatienten angepasst. Wir zeigen, dass der VP-Modellierungsansatz verwendet werden kann, um eine große (>1.000 Patienten) Kohorte virtueller Patienten zu erstellen, die auf retrospektiven Beobachtungsdaten von Intensivpatienten aus verschiedenen Krankenhäusern basiert. Die Patientendaten sind mittels Optimierung auf individualisierte Modellparameter abgebildet, die krankheitsauslösende Mechanismen darstellen. Diese Parameter bestehen aus modellbasierten gefilterten Daten und können z.B. genutzt werden, um medizinisch relevante Patienten-Subpopulationen zu entdecken. Daher stellt die VP-Modellierung in Kombination mit ML eine Möglichkeit, medizinisch relevante Informationen zu extrahieren.

Methoden: Der in dieser Studie verwendete Simulator enthält ein umfassendes Simulationsmodell des pulmonalen Systems, das auf mechanistischen Modellen der Ventilation und des Gasaustauschs basiert [4]. Hierbei wird die Lunge mit 100 alveolären Kompartimenten modelliert, von denen jedes einzelne unterschiedliche Eigenschaften aufweisen kann. So können die Störungen des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses modelliert werden, was die Simulation von bestimmten Zuständen, wie z.B. eines akuten Lungenversagens (ARDS), ermöglicht.

Der Simulator wurde an individuelle Patientendaten angepasst, die im Rahmen des Projekts „Algorithmic surveillance of ICU patients with acute respiratory distress syndrome“ des SMITH-Konsortiums gesammelt wurden [5]. Um einen Simulator an diese intensivmedizinischen Daten anzupassen und eine Kohorte virtueller Patienten zu erstellen, wurden nur Patienten ausgewählt, bei denen spezifische Beatmungsparameter, Blutgasanalysen und andere Parameter sowohl vor dem mutmaßlichen Eintritt eines ARDS als auch danach aufgezeichnet wurden. Die endgültige Anzahl der Patienten, die diese Kriterien erfüllten, umfasste 1.007 Patienten.

Zu den Modellparametern, die in der Optimierungsprozedur identifiziert wurden, gehörten selten gemessene physiologische Parameter sowie Parameter, die die Verteilungen der Eigenschaften der alveolären Kompartimente definieren. Die Entwicklung des ARDS wurde anhand der Anzahl der geschlossenen Alveolarkompartimente modelliert, was die Bildung von Atelektasen repräsentiert. Es wurde eine Konfiguration von Modellparametern gefunden, die die Differenz zwischen den Modellergebnissen und den beobachteten Patientendaten (arterielle Blutgaswerte) minimiert.

Ergebnisse: Auf der Grundlage der Simulatorergebnisse und der im Optimierungsverfahren gefundenen Parameter wurde für jeden der Patienten eine Liste von Parametern berechnet, die aus modellbasierten gefilterten Daten mit insgesamt 18 Features bestand. Diese modellbasierten gefilterten Daten können entweder für die Entdeckung von Subpopulationen mit unüberwachten ML-Methoden oder direkt als neue Feature in überwachten ML-Methoden verwendet werden. Zum Beispiel kann die Anzahl der geschlossenen Kompartimente als Biomarker für die Entwicklung von ARDS verwendet werden.

Diskussion: In diesem Beitrag zeigen wir, wie ein Framework für virtuelle Patientenmodellierung auf große ICU-Patientenkohorten aus verschiedenen Krankenhäusern angewendet werden kann, um medizinisch relevante Informationen zu extrahieren. Wir zeigen, wie ein mechanistisches VP-Modell verwendet werden kann, um modellbasierte gefilterte Daten einzelner Patienten mit Verdacht auf ARDS zu generieren. Diese Daten können weiter genutzt werden, Patientendaten auf medizinische Relevanz zu untersuchen oder Modelle für die ARDS-Prognose zu entwickeln.

Unsere Ergebnisse betonen die Haupteigenschaft der VP-Modelle, nämlich die Fähigkeit, relevante Datenmuster zu identifizieren und verborgene medizinische Informationen aus den zugrundeliegenden Daten zu extrahieren, indem bekannte mechanistische Prinzipien der Physiologie genutzt werden, während gleichzeitig ein übermäßiger Detailgrad vermieden wird. Insgesamt lässt die kontinuierliche Entwicklung hybrider Modellierungsansätze, die verschiedene Rechentechnologien integrieren, die kontinuierliche Steigerung der Rechenleistung und die ständig wachsende Zahl verfügbarer Datensätze erwarten, dass diese Technologien einen bedeutenden Beitrag zur Präzisionsmedizin mit Vorteilen für Patienten, Ärzte und das Gesundheitssystem als Ganzes leisten werden.


Literatur

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