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Use Case ASIC ‒ Daten und detaillierte Analyse

Meeting Abstract

  • Gernot Marx - Uniklinik RWTH Aachen Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care
  • Andreas Schuppert - Uniklinik RWTH Aachen, Institute for Computational Biomedicine
  • André Scherag - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften (IMSID), Universitätsklinikum Jena
  • Joyce Kao - Uniklinik RWTH Aachen Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care
  • Andreas Bleilevens - Uniklinik RWTH Aachen Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care
  • Volker Lowitsch - Healthcare IT Solutions
  • Johannes Bickenbach - Uniklinik RWTH Aachen Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care

SMITH Science Day 2022. Aachen, 23.-23.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV2

doi: 10.3205/22smith02, urn:nbn:de:0183-22smith022

Veröffentlicht: 31. Januar 2023

© 2023 Marx et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung und Zielstellung: Ziel des Use Cases „Algorithmische Surveillance von ICU Patienten mit akutem Lungenversagen (ASIC)“ ist es, durch Nutzung bereits vorhandener, klinischer Routinedaten eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu erreichen.

Das akute Lungenversagen (acute respiratory distress syndrome, ARDS) ist ein vital bedrohliches, intensivmedizinisches Krankheitsbild mit einer bereits vor Jahren beschriebenen Mortalität von etwa 45% [1]. In einer neueren, multizentrischen Studie zur Inzidenz des ARDS sowie zum Outcome unter lungenprotektiver Beatmung, also dem Einsatz niedriger Tidalvolumina und der Begrenzung von Beatmungsdrücken, konnte eine Inzidenz von 7,2/100.000 Einwohner pro Jahr nachgewiesen werden. In dieser ersten prospektiven Untersuchung konnten erstmalig vorteilhafte Daten unter lungenprotektiver Beatmung gegenüber konventioneller maschineller Beatmung mit weitaus höheren Beatmungsdrücken gezeigt werden. Trotz dieser eigentlich Outcome-verbessernden Strategie ist allein die ICU-Letalität mit über 40% noch immer ernüchternd hoch [2]. Mögliche Gründe dafür sind unter anderem prozessuale Defizite, die durch intelligente Lösungen optimiert werden können. Des Weiteren erfolgt die Diagnosestellung des ARDS oftmals gar nicht oder erst verspätet [3], obwohl mit der sogenannten Berlin-Definition klare Kriterien (siehe Tabelle 1) für die Diagnose vorliegen [4].

Die Definitionskriterien teilen sich in 4 Bereiche auf:

  • Zeitpunkt ist definiert als „Beginn innerhalb einer Woche“
  • Bildgebung der Lunge: Bilaterale Verdichtungen (nicht alleine auf Ergüsse, Atelektase oder Rundherde erklärbar)
  • Ursprung des Lungenödems: Respiratorisches Versagen nicht alleine erklärbar durch Herzinsuffizienz (Echokardiographie) oder Hyperhydration
  • Grade der Oxygenierungsstörung teilt sich in 3 Kategorien:
    • Mild: PaO2/FiO2: 201‒300 mmHg bei PEEP ≥ 5 cm H2O
    • Moderat: PaO2/FiO2: 101‒200 mmHg bei PEEP ≥ 5 cm H2O
    • Schwer: PaO2/FiO2≥ 100 mmHg bei PEEP ≥ 5 cm H2O

Methoden und Ergebnisse: Im Use Case ASIC wurde eine Quality Improvement Strategy (QIS) [5] durchgeführt, um den Nutzen eines klinischen Entscheidungsunterstützungssystems (Clinical Decision Support Systems, CDSS) in Form einer mobilen Anwendung zu untersuchen, die Ärzte bei der rechtzeitigen Diagnosestellung und Leitlinieneinhaltung in der ARDS-Behandlung unterstützt. Für die Analyse wurden im Voraus wichtige Leistungindikatoren (auch Key perfomance Indikatoren, KPI) definiert. Acht Universitätskliniken in ganz Deutschland mit insgesamt 31 Intensivstationen wurden im Rahmen des QIS 12 Clustern zugewiesen, die ein dreiphasiges, stufenweises, cluster-randomisiertes Design hatten. Die teilnehmenden Ärzte der 12 Cluster wurden auf die Anwendung der ASIC-App anhand von Präsenz- und Onlineterminen geschult, eingewiesen und trainiert. Zusätzlich wurde ein Monitoring Tool entwickelt, um die Anwenderfreundlichkeit und Anwendung der App im ärztlichen Alltag zu begleiten und zu überprüfen. Dazu gehörten u.a. standortbezogene wöchentliche Berichte. Außerdem wurde zur Sicherstellung einer guten störungsfreien App-Nutzung ein technischer Support durch direkte Ansprechpartner bereitgestellt und ein Ticketsystem eingeführt, um mögliche Fehler zu melden.

Im Rahmen der QIS wurden insgesamt 14.833 Patienten mit ARDS-relevanten Datenpunkten klinikübergreifend eingeschlossen, die derzeit zu den primären Key-performance-Indikatoren (KPI) Diagnoserate und Leitlinienadhärenz für lungenprotektive Beatmung ausgewertet werden. Zusätzlich zu den primären KPIs wurde die ASIC-App auch hinsichtlich sekundärer KPIs bezüglich Benutzerakzeptanz und der Benutzerfreundlichkeit bewertet.

Nach ersten Analysen zeigt sich eine Steigerung der ARDS-Diagnoserate von ca. 8% gegenüber der vorangegangenen Kontrollphase (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Parallel zum QIS mit der ASIC-App wurden auch Untersuchungen zum Potenzial klinischer Daten durchgeführt, wobei sowohl der öffentlich verfügbare MIMIC-Datensatz als auch die im QIS mit der ASIC-App erhobenen Daten verwendet wurden. Dieser als ASIC-System bezeichnete Teil des Use Cases befasst sich mit der Entwicklung des Diagnostic Expert Advisor (DEA), einer Plattform, die maschinelles Lernen für die Prognose auf der Intensivstation ermöglicht, sowie des Virtual Patient, der medizinische Informationen aus realen Evidenzdaten extrahiert. Die Arbeiten in beiden Zweigen des ASIC-Systems zeigen vielversprechende Aussichten auf den Nutzen und die Realität des maschinellen Lernens in CDSSs (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).


Literatur

1.
Phua J, Badia JR, Adhikari NK, Friedrich JO, Fowler RA, Singh JM, Scales DC, Stather DR, Li A, Jones A, Gattas DJ, Hallett D, Tomlinson G, Stewart TE, Ferguson ND. Has mortality from acute respiratory distress syndrome decreased over time?: A systematic review. Am J Respir Crit Care Med. 2009 Feb 1;179(3):220-7. DOI: 10.1164/rccm.200805-722OC Externer Link
2.
Villar J, Blanco J, Añón JM, Santos-Bouza A, Blanch L, Ambrós A, Gandía F, Carriedo D, Mosteiro F, Basaldúa S, Fernández RL, Kacmarek RM; ALIEN Network. The ALIEN study: Incidence and outcome of acute respiratory distress syndrome in the era of lung protective ventilation. Intensive Care Med. 2011 Dec;37(12):1932-41. DOI: 10.1007/s00134-011-2380-4 Externer Link
3.
Fröhlich S, Murphy N, Doolan A, Ryan O, Boylan J. Acute respiratory distress syndrome: Underrecognition by clinicians. J Crit Care. 2013 Oct;28(5):663-8. DOI: 10.1016/j.jcrc.2013.05.012 Externer Link
4.
Ranieri VM, Rubenfeld GD, Thompson BT, Ferguson ND, Caldwell E, Fan E, Camporota L, Slutsky AS; ARDS Definition Task Force. Acute respiratory distress syndrome: The Berlin Definition. JAMA. 2012 Jun 20;307(23):2526-33. DOI: 10.1001/jama.2012.5669 Externer Link
5.
Marx G, Bickenbach J, Fritsch SJ, Kunze JB, Maassen O, Deffge S, Kistermann J, Haferkamp S, Lutz I, Voellm NK, Lowitsch V, Polzin R, Sharafutdinov K, Mayer H, Kuepfer L, Burghaus R, Schmitt W, Lippert J, Riedel M, Barakat C, Stollenwerk A, Fonck S, Putensen C, Zenker S, Erdfelder F, Grigutsch D, Kram R, Beyer S, Kampe K, Gewehr JE, Salman F, Juers P, Kluge S, Tiller D, Wisotzki E, Gross S, Homeister L, Bloos F, Scherag A, Ammon D, Mueller S, Palm J, Simon P, Jahn N, Loeffler M, Wendt T, Schuerholz T, Groeber P, Schuppert A. Algorithmic surveillance of ICU patients with acute respiratory distress syndrome (ASIC): Protocol for a multicentre stepped-wedge cluster randomised quality improvement strategy. BMJ Open. 2021 Apr 8;11(4):e045589. DOI: 10.1136/bmjopen-2020-045589 Externer Link