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Symposium Idiopathische Intracranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri)

07.10.2017, Düsseldorf

Wie aussagekräftig ist der Papillenbefund für Diagnosestellung und Verlaufsbeurteilung?

Meeting Abstract

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  • Renate Unsöld - Düsseldorf

Symposium Idiopathische Intracranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri). Düsseldorf, 07.-07.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. Doc17siih04

doi: 10.3205/17siih04, urn:nbn:de:0183-17siih046

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/siih2017/17siih04.shtml

Veröffentlicht: 30. November 2017

© 2017 Unsöld.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Ophthalmologische Symptome sind häufig die Initialsymptome, die zur Abklärung und Diagnosestellung einer intracraniellen Hypertension führen. Am häufigsten sind Stauungspapillen als Zufallsbefund bei einer ophthalmologischen Routineuntersuchung. Andere ophthalmologische Symptome erhöhten Hirndrucks sind Obskurationen (Verdunklungen), positive Lichtempfindungen wie Flimmern, Sternchen, Schlieren, etc. und in selteneren Fällen das Wahrnehmen eines Gesichtsfeldausfalles oder einer akuten Sehminderung, sowie einer Doppelbildwahrnehmung, meist bei Lähmungen des VI. Hirnnerven.

Bei den meisten Patienten mit intracranieller Hypertension besteht eine Papillenschwellung, wobei man häufig ophthalmoskopisch erkennen kann, ob es sich um eine frische Papillenschwellung (meist hohe Prominenz der Papillen, gelegentlich Blutungen) oder um eine chronische Papillenschwellung mit einer meist weniger ausgeprägten Prominenz und sekundären Veränderungen auf der Papille handelt. In Fällen mit sehr langanhaltendem Hirndruck weisen die chronischen Stauungspapillen häufig keine Exsudation in der Fluoreszenzangiographie auf; hier besteht die Gefahr der Fehlinterpretation der Stauungspapille als Anomalie.

Wichtig ist zu wissen, dass nach einer vorausgegangenen Stauungspapille bzw. bei sehr lange anhaltendem erhöhten Hirndruck offenbar im Bereich der Papille gewebliche Veränderungen eintreten, die eine erneute Schwellung und Exsudation bei Wiederanstieg des Hirndruckes nach initialer Senkung durch Medikamente verhindern. Dies bedeutet aber, dass sich in diesen Fällen der Papillenbefund nicht mehr als Kriterium für die Verlaufsbeobachtung eignet. Auch bei einem Wiederanstieg des Hirndruckes durch Therapieversagen oder bei nicht verlässlicher Tabletteneinnahme oder bei nicht ausreichender Funktion eines Stents oder eines Shunts, kann der Papillenbefund nur dann als Hinweis auf eine erneute Hirndrucksteigerung angesehen werden, wenn eine deutliche Stauungspapille besteht. Hierbei ist es hilfreich, wenn zeitnah nach erfolgter medikamentöser Therapie oder Applikation eines Stents oder Shunts, die Papille kontrolliert und fotodokumentiert wird. Ist zunächst ein Rückgang und dann eine erneute Zunahme der Stauungspapille erkennbar, so ist dies als Hirndruckzeichen zu werten. Besteht aber keine wesentliche Papillenschwellung, schließt dies aufgrund der oben beschriebenen geweblichen Veränderungen im Bereich der Papille einen erhöhten Hirndruck nicht aus.

1

In einer Studie von 86 Patienten mit intracranieller Hypertension mit sehr langen klinischen Beobachtungszeiten (63% über 4 Jahre, 48% über 6 Jahre, 26% über 8 Jahre) zeigt sich, dass nur bei wenigen Patienten eine Optikusatrophie in Folge chronischer Stauungspapillen auftritt. In der vorliegenden Studie war bei 71 von 86 Patienten keine Optikusatrophie ophthalmoskopisch sichtbar. In 4 Fällen kam es zu einer leichten beidseitigen, in 8 Fällen zu einer leichten einseitigen Optikusatrophie. Eine deutliche Optikusatrophie bestand in 3 Fällen, in 2 Fällen beidseitig und in 1 Fall einseitig. Dies korrespondiert gut mit den Ergebnissen der Untersuchung der Gesichtsfelder. Bei 14 Patienten bestanden keinerlei Gesichtsfeldausfälle, bei 46 Patienten lagen leichte relative Bogenskotome und/ oder ein vergrößerter blinder Fleck vor; sie waren in 32 Fällen beidseitig und in 14 Fällen einseitig und zeigten in 42 Fällen eine deutliche bis vollständige Rückläufigkeit nach Hirndrucksenkung. Sie waren in 2 Fällen gleichgeblieben und in 1 Fall war eine geringe Verschlechterung eingetreten. Zu ausgeprägten konzentrischen Gesichtsfeldausfällen korrespondierend mit einer ausgeprägten Optikusatrophie kam es lediglich in 6 Fällen. Das heißt, dass auch ein langanhaltender erhöhter Hirndruck in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht zu einem wesentlichen Sehnervenschaden oder bleibenden Gesichtsfeldausfällen führt. Dies ist wahrscheinlich den Veränderungen im Bereich der Papille zuzuschreiben, die häufig nach einer Stauungspapille auftreten. Sie führen dann nicht nur dazu, dass sich keine erneute Stauungspapille ausbildet, sondern scheinen auch einen Schutzeffekt hinsichtlich einer Nervenfaserschädigung durch den erhöhten Hirndruck darzustellen.

Es ist noch unklar, warum es in einer kleineren Anzahl von Patienten zu ausgeprägten Nervenfaserschäden kommt. Von uns beobachtet und auch in der Literatur beschrieben ist, dass dies bei kleinen Papillen eintritt, bei denen es bei Schwellungen rasch zu Durchblutungsstörungen kommt sowie bei Drusenpapillen etc.. Inwieweit ein hoher Druckgradient zwischen intracraniellem Druck und Augendruck eine Rolle spielt, muss prospektiv näher untersucht werden. Für die Diagnostik wichtig ist, dass eine einseitige Stauungspapille, die meist nicht in Zusammenhang mit einer möglichen intrakraniellen Hypertension gesehen wird, recht häufig ist. In der vorliegenden Studie waren es 10 von 86 Fällen. In 8 von 86 Fällen entwickelten sich überhaupt keine Stauungspapillen trotz zum Zeitpunkt der Untersuchung eindeutig erhöhten Hirndrucks und einer bds. erweiterten Optikusscheide. Das heißt, dass, auch wenn keine Papillenschwellung oder eine einseitige Papillenschwellung vorliegen, eine intracranielle Hypertension nicht ausgeschlossen werden kann. In den vorliegenden Fällen ist es durch geringe Randunschärfe, Prominenz ohne Exsudation, das Vorliegen einer einseitigen Papillenschwellung oder das Fehlen einer Papillenschwellung bds. in 25 von 86 Fällen zu einer Fehleinschätzung der Situation mit erheblicher Verzögerung der Diagnose gekommen.

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Ein häufiges augenärztliches Symptom einer intracraniellen Hypertension ist die Wahrnehmung visueller Obskurationen (Verdunkelungen). Sie waren in der vorliegenden Studie in 33 von 86 Fällen diagnoseweisend. Aber auch andere Formen der Sehstörung mit positiven entoptischen Phänomenen wie der Wahrnehmung von Flimmern, Sternchen, Schlieren etc. werden beobachtet und können Ausdruck einer beginnenden Sehnervenschädigung durch eine Stauungspapille sein. Seltenere Symptome wie die Wahrnehmung eines Gesichtsfeldausfalles, einer akuten Sehstörung oder von Doppelbildern meist in Folge einer Abducenzparese, sollten den Augenarzt an das Vorliegen eines erhöhten Hirndruckes denken lassen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

1.
Stauungspapillen gehören zu den häufigsten Symptomen einer intracraniellen Hypertension. Sie sind häufig Zufallsbefund einer augenärztlichen Routineuntersuchung.
2.
Bei chronischen Stauungspapillen ist die Papillenschwellung häufig wenig ausgeprägt, so dass Randunschärfe und geringe Prominenz bei fehlender Exsudation häufig als Papillenanomalie eingeordnet werden. Für die Verlaufsbeobachtung wichtig ist, dass in Fällen nach chronischem Hirndruck und vorausgegangener Stauungspapille häufig in Folge von Umbauvorgängen im Bereich der Papille, sich keine erneute Stauungspapille ausbildet. Insofern ist der Papillenbefund nur bedingt zur Verlaufsbeobachtung geeignet. Nur wenn eine eindeutige Papillenschwellung mit Venenstauung vorliegt, ist dies als Hirndruckzeichen zu werten.
3.
Erfreulicherweise finden sich in Folge derselben Umbauvorgänge auch bei über Jahre bestehendem erhöhten Hirndruck keine wesentlichen bleibenden Sehnervenschäden.
4.
Das Vorliegen visueller Obskurationen ist in der Regel Ausdruck einer chronischen Stauungspapille und macht den Ausschluß einer intracraniellen Hypertension unbedingt erforderlich. Sie sind aber nicht als ungünstiges prognostisches Zeichen zu werten, da sie sich fast immer unter medikamentöser Hirndrucksenkung zurückbilden.Sie sind daher keine Indikation für eine sofortige invasive Intervention.

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