gms | German Medical Science

Symposium Idiopathische Intracranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri)

07.10.2017, Düsseldorf

Ergebnisse einer retrospektiven Studie von 86 Patienten mit idiopathischer intrakranieller Hypertension unter besonderer Berücksichtigung der Langzeitverläufe

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Andrea Gaudchau - Mainz
  • Susanne Pitz - Frankfurt/Main
  • Renate Unsöld - Düsseldorf

Symposium Idiopathische Intracranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri). Düsseldorf, 07.-07.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. Doc17siih03

doi: 10.3205/17siih03, urn:nbn:de:0183-17siih038

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/siih2017/17siih03.shtml

Veröffentlicht: 30. November 2017

© 2017 Gaudchau et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Analysiert wurde das Krankengut von Patienten mit idiopathischer intrakranieller Hypertension (IIH) der Neuro-ophthalmologischen Schwerpunktpraxis Prof. Unsöld, Düsseldorf aus den Jahren 2002–17. Es handelte sich um 86 Patienten, davon 66 Frauen, 12 Männer, 8 Kinder. Die Kinder waren normalgewichtig. Der mittlere BMI betrug 35 (Spanne 21–64,8). Die Anzahl von Frauen mit einem BMI von mind. 30 betrug 50 (BMI 28-32: N = 16; 32-36: N = 16; 36-40: N = 8; >40: N = 18.

Der klinische Beobachtungszeitraum der 86 Patienten betrug im Mittel 84 Monate/7 Jahre (1–251 Monate). Bei 59 Patienten betrug das Zeitintervall zwischen dem Auftreten erster Symptome und der Diagnosestellung <1 Jahr (bei 40 Pat. wurde sie innerhalb eines Monats gestellt, bei 51 innerhalb von 6 Monaten). Bei den verbleibenden 27 Patienten betrug die Latenz demgegenüber bis zu 12 Jahren (im Mittel: 5 Jahre).

Das Initialsymptom, das zur Abklärung und Diagnose führte, war bei 24/86 Patienten eine im Rahmen einer routinemäßigen ophthalmologischen Kontrolle zufällig festgestellte Stauungspapille; Obskurationen bestanden ebenfalls bei 24 Patienten; dahingegen waren nur bei 21 Kopfschmerzen das diagnostisch richtungsweisende Initialsymptom. 44 Patienten litten unter Kopfschmerzen, 42 Patienten hingegen hatten nie Kopfschmerzen. 61 Patienten wiesen initial Sehstörungen im weiteren Sinne auf. Bei dieser Symptomverteilung ist allerdings zu bedenken, dass etwa 2/3 der Patienten primär augenärztlich, 1/3 neurologisch gesehen wurde. Dies mag das Überwiegen ophthalmologischer Initialsymptome erklären.

Papillenbefunde (Details hierzu Vortrag Prof. Unsöld).

Insgesamt wiesen 78 Patienten eine Stauungspapille auf. Sie war in 68 Fällen beidseitig, in 10 Fällen einseitig .Dabei handelte es sich in 43 Fällen um eine frische und in 35 Fällen um eine chronische STP. 15 Fälle mit chronischer STP wiesen keine Exsudation in der Fluoreszenzangiographie auf. Bei 8 Patienten bestand überhaupt keine STP bei gleichzeitig hohem Hirndruck und erweiterter Optikusscheide. In 71 von 86 Fällen war ophthalmoskopisch keine Optikusatrophie sichtbar, in 4 Fällen eine leichte beidseitige, in 8 Fällen eine leichte einseitige. Eine deutliche einseitige Optikusatrophie bestand bei einem Patienten, eine schwere beidseitige in 2 Fällen.

Radiologische Befunde (Details hierzu Vortrag PD Dr. Lutterbey).

Therapie: 23 Patienten (Details hierzu Vortrag Prof. Henkes) wurden mit stents versorgt (7 einseitig, 16 bds.); von diesen waren im Langzeitverlauf 17 erfolgreich, 3 gebessert und 3 ungünstig verlaufen.

Shunt: Insgesamt 13/86 wurden mit shunts versorgt (Details hierzu Vortrag Prof. Scholz): 11 vetrikulo-peritoneale (VP), 2 lumboperitoneale (LP) shunts; 2 Patienten wurden sekundär mit einem shunt versorgt (nach stent-Thrombose und nach VP shunt Versagen); an Komplikationen wurden 2 shunt-Infektionen und 1 shunt-Insuffizienz gesehen.

Eine medikamentöse Therapie erfolgte bei 50/86 Pat. Sie war bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten nur bei erheblicher Gewichtsreduktion wirksam. 20 Patienten waren nach medikamentöser Therapie klinisch symptomfrei; allerdings war nur bei 4 Patienten eine abschließende Liquordruckkontrolle erfolgt.

Vierzehn Patienten entzogen sich weiteren Kontrollen. Von ihnen hatte die Hälfte eine Traumatisierung durch vorrausgegangene Lumbalpunktionen, 4 von ihnen wiesen Anzeichen einer Hirnleistungsstörung auf (Details hierzu Vortrag Prof. Arendt).

Die medikamentöse Therapie konnte bei 16 Patienten nicht erfolgreich abgeschlossen werden, bei 15 von diesen bestand keine Gewichtsreduktion.

Fazit: Die retrospektive Studie von 86 IIH mit größtenteils langer Nachbeobachtung ergab folgende klinisch relevante Gesichtspunkte:

  • Bei 24/86 Patienten war eine im Rahmen von augenärztlichen Routinekontrollen aufgefallene STP ohne subjektive Sehstörungen Erstsymptom der IIH.
  • Es besteht keine klare Korrelation zwischen Grad und Dauer der Hirndruckerhöhung und dem Ausmaß der beobachteten Gesichtsfeldausfälle.
  • Nach vorausgegangener STP ist der Papillenbefund kein verlässliches Kriterium für die Verlaufskontrolle. Nur eine deutliche Papillenschwellung mit Venenstauung spricht für eine erneute Hirndrucksteigerung, ihre Abwesenheit schließt sie nicht aus (Details im Referat Prof. Unsöld).
  • Auch nach jahrelanger Hirndruckerhöhung wies die überwiegende Mehrzahl der Pat. keine oder nur geringe GF Ausfälle auf. Warum es bei einem kleineren Prozentsatz rasch zu einem erheblichen Sehnervenschaden kommt, ist unklar und sollte prospektiv geklärt werden.
  • Eine beunruhigend große Zahl (23/86) von Patienten entzog sich im Lauf der Behandlung den vereinbarten Kontrollen. 21/86 Pat. wehrten sich wegen traumatischer Vorerfahrungen gegen weitere Liquordruckkontrollen. Dies stellte ein Hindernis für die Beurteilung der Effektivität der verschiedenen Therapieformen und eine Hauptursache für die häufigen Therapieabbrüche dar.
  • Die gravierendste und u.E. bisher nicht diskutierte Komplikation einer IIH ist das Auftreten einer Hirnleistungsstörung (20/86). Sie erwies sich in 6 Fällen als weitgehend reversibel und trat bei Pat. mit einer langjährigen Anamnese und dem Befund einer empty sella auf. Das Auftreten von Hirnleistungsstörungen bedarf dringend einer weitergehenden Abklärung durch eine prospektive Studie (Details hierzu Vortrag Prof. Arendt).
  • Eine erfolgreiche medikamentöse Therapie gelingt in der Mehrzahl der Fälle nur bei erheblicher Gewichtsabnahme.
  • Bei Patienten, bei denen die Gewichtsabnahme nicht gelingt, erscheint eine intensivere psychosoziale und psychotherapeutische Unterstützung indiziert. Auch chirurgische Maßnahmen zur Gesichtsreduktion sollten frühzeitig erwogen werden. Angesichts der Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie und der wahrscheinlich drohenden Hirnleistungsstörung sollte eine invasive Therapie früher als bislang üblich erwogen werden.
  • Die Häufung prothrombotischer Faktoren lässt eine breitere hämostasiologische Abklärung sinnvoll erscheinen. Die Gabe gerinnungshemmender Substanzen zusätzlich zu einer medikamentösen Therapie muss im Einzelfall erwogen werden. (Details hierzu Vortrag PD Dr. Zotz.)
  • Bei einem Drittel der Patienten wurde die Diagnose erst Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome gestellt. Das beruht v.a. auf nicht ausreichenden Kenntnissen der Erkrankung und Defiziten in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Beides lässt die Versorgung in spezialisierten Zentren sinnvoll erscheinen.