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Süddeutscher Kongress für Kinder- und Jugendmedizin

65. Jahrestagung der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gemeinsam mit der Süddeutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. – Landesverband Hessen

20. - 21.05.2016, Bad Nauheim

Verborgene Werturteile bei Entscheidungen zur Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen in der Neonatologie

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker A. Kidszun - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie, Mainz, Deutschland
  • N.W. Paul - Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Johannes-Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland

Süddeutscher Kongress für Kinder- und Jugendmedizin. 65. Jahrestagung der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gemeinsam mit der Süddeutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. – Landesverband Hessen. Bad Nauheim, 20.-21.05.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. Doc16sgkjFV05

doi: 10.3205/16sgkj05, urn:nbn:de:0183-16sgkj054

Veröffentlicht: 6. Mai 2016

© 2016 Kidszun et al.
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Gliederung

Text

In der modernen neonatologischen Intensivmedizin ist es möglich, auch sehr unreife Frühgeborene und schwerstkranke Neugeborene längere Zeit am Leben zu halten, und in den meisten Fällen erfolgreich kurativ zu behandeln. Für einen Teil dieser Kinder kann Intensivmedizin aber auch Leidensverlängerung, Herauszögern des Todes oder ein Überleben mit schwersten neurologischen Schäden bedeuten. Duff und Campbell beschrieben 1973 erstmals Kinder deren Prognose so schlecht eingeschätzt wurde, dass keine Aussicht auf ein „sinnhaftes“ Leben bestand und daher auf „weitere“ Therapie verzichtet wurde. Diese Entwicklung zur bewussten Begrenzung von intensivmedizinischen Therapien hat sich seither fortgesetzt. Wenn heutzutage ein Kind im Bereich der neonatologischen Intensivmedizin verstirbt, geht dem in aller Regel eine Entscheidung zur Therapiebegrenzung voraus.

Aus ethischer und juristischer Sicht obliegen diese schwierigen Entscheidungen primär den Eltern des Kindes. Die Bürde der Verantwortung kann und darf jedoch nicht ohne weiteres allein an diese übertragen werden. Im idealen Modell der Entscheidungsfindung erarbeitet und trägt die Entscheidung das medizinisch verantwortliche Personal gemeinsam mit den Eltern (shared decision making). Um Eltern diese Kompetenz zu verleihen, ist eine umfassende und möglichst wertneutrale Darstellung aller therapeutischen Optionen eine notwendige Grundvoraussetzung.

Die vorliegende Arbeit exploriert wie verborgene Werturteile die autonome Meinungsbildung der involvierten Personen jenseits von validen statistischen Prognosen beeinflussen. Gut erkenntlich werden solche ethischen Urteile bei der Verwendung wertbeladener sprachlicher Ausdrücke - beispielsweise „mit dem Leben nicht vereinbar“. Dieser Ausdruck suggeriert, und zwar unabhängig von der Intentionalität, dass eine lebenserhaltende Behandlung nicht nur medizinisch aussichtslos, sondern auch moralisch nicht einfach zu rechtfertigen ist. Die Wahl der palliativen Therapieoption erscheint dadurch gegenüber einer lebenserhaltenden Option als moralisch präferiert. Verborgene Werturteile finden sich nicht nur in (1) der verwendeten Sprache, sondern ebenso in (2) der Darstellung von therapeutischen Optionen und Prognosen, (3) der Auswahl prognostischer Parameter sowie in (4) lokalen und nationalen Leitlinien.

Das Wissen um diese Problematik ist von wesentlicher Bedeutung für das Gelingen einer adäquaten Beratung und Entscheidungsfindung bei schwerstkranken Früh- und Neugeborenen.