gms | German Medical Science

1. Kooperationsforum Intelligente Objekte und Mobile Informationssysteme im Gesundheitswesen

Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS

19.05. - 20.05.2010, Erlangen

Ausbreitungsmuster nosokomialer Infektionen

Meeting Contribution

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  • corresponding author Christoph Höser - IHPH - Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit/Public Health, WHO CC für Wassermanagement und Risikokommunikation zur Förderung der Gesundheit, AG Medizinische Geographie und Public Health, Universität Bonn, Bonn

1. Kooperationsforum Intelligente Objekte und Mobile Informationssysteme im Gesundheitswesen. Erlangen, 19.-20.05.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc10iis08

doi: 10.3205/10iis08, urn:nbn:de:0183-10iis085

Veröffentlicht: 4. Juli 2011

© 2011 Höser.
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Gliederung

Text

Nosokomiale Infektionen verursachen neben gesundheitlichen Nachteilen erhebliche ökonomische Kosten. Der Handlungsbedarf ist bekannt, wird aber durch Hygienemaßnahmen einerseits und Surveillance andererseits nicht vollständig erfüllt, denn Infektionsgeschehen lassen sich nicht vollständig unterbinden. Die dann trotzdem auftretenden Infektionsketten stellen ein gefährliches Potential dar und sind teilweise geeignet, sich epidemiehaft zu verbreiten. Eine wirksame und effiziente Unterbrechung der Infektionskette kann allerdings nur erreicht werden, wenn dies frühzeitig geschieht. Ist eine Diagnose an einem Patienten bekannt geworden, müssen dessen Kontakte aus der Vergangenheit bisher mühsam und zeitaufwändig rekonstruiert werden. Über die Liste der Kontakte können potentielle Vektoren identifiziert werden.

Das vorgestellte Verfahren bedient sich einer Technik zur Aufzeichnung der Bewegungsprofile, aus denen die besuchten Orte bei Bedarf ad hoc zur Verfügung stehen. An diesen Orten kann die Verteilung von Infektionspotentialen berechnet werden: die sicher als Vektoren identifizierten Patienten gehen mit ihrem Bewegungsprofil in die Berechnung ein. Sie hinterlassen im Krankenhaus eine Spur, die sowohl räumlich festgelegt, als auch mit unterschiedlichem Potential attribuiert ist. Die Ausprägung lässt sich anhand ihrer infektiösen Phase und der spezifischen Affinität der Orte für den beobachteten Erregertyp berechnen. Hieraus entsteht als Zwischenschritt eine virtuelle, spatiotemporale Kontaminationslandschaft, die wertvolle Informationen über das räumliche Ausbreitungsmuster enthält und eine Modellierung des Infektionsgeschehens zulässt. Die Berechnung erfolgt für jedes aufgetretene Infektionsgeschehen erneut, abhängig von der jeweils individuellen Datenlage. Die Technik zur Erfassung steht bspw. per RFID-Erfassungsmethoden im Krankenhausbetrieb erprobt zur Verfügung.

Dieses Berechnungsverfahren kann den Infizierten ab dem Zeitpunkt der Diagnose in die Zukunft hinein auf seinem Bewegungsprofil begleiten und rechnerisch ein Infektionspotential in Real-Time auf der Karte bzw. im System erzeugen. Mit diesem Verfahren wird Dokumentationspflicht aus § 23 IfSG erfüllt, insbesondere da gleichzeitig durch die Modellierung die geforderte Bewertung vorgenommen wird. D.h., über die quantitative Feststellung hinaus erfolgt eine qualitative Einordnung der konkreten Situation. Zutrittskontrollen können mit dieser Anwendung verknüpft werden: falls für einen Infektionsträger eine Isolation nicht vorgesehen werden muss, so kann dennoch der Zutritt zu bestimmten Bereichen untersagt sein.

Die in der Vergangenheit aufgezeichneten Bewegungsprofile werden ebenfalls herangezogen, wobei der Zeitraum ab dem vermuteten Beginn der infektiösen Phase betrachtet wird – ggf. ab Einlieferung in das Krankenhaus. Stellt man bspw. fest, dass ein Patient mit MRSA infiziert ist, kann der komplette bisherige Weg des Patienten verfolgt werden. Die Abbildung der auf diesem Weg zurückgelassenen Infektionspotentiale liegt stationsübergreifend als Kontaminationslandschaft vor; sollte der Patient zwischenzeitlich verlegt worden sein, muss nicht auf das Erinnerungsvermögen des Personals zurückgegriffen werden.

Mit dieser dynamischen Kontaminationslandschaft, erzeugt aus den Bewegungsprofilen eines potentiellen Donors, werden die Bewegungsprofile aller Teilnehmer am System konfrontiert, so dass, ausgehend vom Primärinfizierten, die möglichen Infektionsketten modellierbar sind. Diese Teilnehmer sammeln mit ihren individuellen Bewegungsprofilen in der Kontaminationslandschaft individuelle Potentiale, wobei ihre jeweilige Suszeptibilität berücksichtigt wird und eine unmittelbare Begegnung mit dem Donor nicht immer notwendig ist, bspw. falls das vom Donor zurückgelassene Potential einer Schmierinfektion am jeweiligen Ort in Betracht kommt. Teilnehmer, die in der Summe den höchsten Potentialen begegnet sind, werden als Glieder einer Infektionskette identifiziert und vorgeschlagen für eine Diagnose. Damit kann wirksam in die Infektionskette eingegriffen werden, da das bereits stattgefundene aber bislang verdeckte Ausbreitungsmuster der Infektionskette erkennbar wird.

Die im IfSG § 23 geforderte Bewertung der Situation wird erst mit dieser Rückschau sinnvoll. Ohne diese Retrospektive würde lediglich festgestellt, dass man sich an einem unbekannten Punkt in einem Infektionsgeschehen befindet und dokumentiert von dort an. Für die Aufklärung des Infektionsgeschehens und im Sinne einer Vermeidung weiterer Infektionen ist die Rekonstruktion unerlässlich.

Die Aussagen erfolgen personenscharf und erlauben effiziente und personenscharfe Interventionen, die ökonomisch sinnvoll eine Eindämmung des Infektionsgeschehens ermöglichen. Diese Methode ist kein Ersatz für notwendige Hygiene-Maßnahmen oder Surveillance, sondern setzt diese voraus und baut darauf auf.

Die Modellierung der Kontaminationslandschaft als auch deren Rekombination mit den Bewegungsprofilen potentieller Rezipienten bedarf einer Kalibration, da für die Modellierung personenscharfer Ausbreitungsmodelle die üblichen statistischen Verfahren und Wahrscheinlichkeitsberechnungen, die für große Populationen erfolgreich angewendet werden, nicht eingesetzt werden können. Hier ist es erforderlich, medizinisches Detailwissen aus der Praxis zu integrieren, um die Berechnung von Ansteckungspotentialen für Personengruppen und Umgebungsbedingungen möglichst exakt abzubilden und zu personenscharfen Aussagen kommen zu können. Das System der Erfassung der Bewegungsprofile läuft dabei zunächst parallel und stets automatisch und ohne den Klinikbetrieb zu belasten. Im Fall eines Infektionsgeschehens kann eine Modellierung erfolgen, wobei erwartet werden darf, dass die Modellierungsergebnisse schneller vorliegen als die Ergebnisse des Massenscreenings. Ein Vergleich wird die eventuellen Schwächen der Modellierung aufdecken und das parametergesteuerte Verfahren kann angepasst werden, so dass das berichtete Ergebnis des Screenings möglichst erreicht wird. Iterativ wird daraus mit jedem Abgleich ein sich stetig optimierendes System, dessen Schärfe bekannt ist. Letztendlich wird durch den Einsatz des Verfahrens eine Vorschlagsliste für die Infektionsbekämpfung erzeugt, welche die am ehesten gefährdeten Personen ausweist, so dass diese zuerst informiert und untersucht werden können.

Die Parametersätze zur Steuerung der Modellierung umfassen spezifische Aspekte von Pathogenen, Räumen, Geräten und Personengruppen. Die Personengruppen unterscheiden dabei bspw. Alter, Suszeptibilität, Funktion (Patient, medizinisches Personal, technisches Personal, ..), so dass für die Auswertung lediglich Bewegungsprofil und Gruppentyp benötigt wird, die Berechnung also anonym erfolgen kann. Weiterhin erfolgt die Aufzeichnung stets vorbeugend, aber die Auswertung wird nur im Fall einer tatsächlichen Gefährdungslage erfolgen. Selbst die Liste der abschließend ausgewiesenen Gefährdeten ist auf die RFID-Chipnummern beschränkt. Dies bedeutet, neben weiteren Konzepten im Sinne des Datenschutzes, dass erst dann, wenn die tatsächliche Gesundheitsgefahr für einen Einzelnen als wahrscheinlich angenommen werden muss, ein fallweiser Abgleich mit den Listen der Träger der RFID-Chips erfolgen kann, um die tatsächliche Identität festzustellen. Dieser letzte Schritt erfolgt nicht automatisch und nicht systemintern, da im Verfahren neben der RFID-Nummer keine personengebunden Daten verfügbar sind.

Die Modellierung der Ansteckungsgefahr berücksichtigt individuelles Potential von Personen, Räumlichkeiten, Pathogenen und Infektionstypen und verknüpft dies mit den aufgezeichneten Bewegungsprofilen. Darauf setzt eine temporale Gewichtung auf und ermöglicht es so, effizient – und bereits nach den ersten Diagnosen – in das Ausbreitungsmuster einer Epidemie einzugreifen. Frühzeitig, im Idealfall noch vor dem Auftreten der Symptome bei den gefährdeten Personen, wird der Kreis dieser potentiell Infektionsgefährdeten ermittelt und geeignete Maßnahmen können durch medizinisches Personal effizient und personenscharf ergriffen werden.


Literatur

1.
Kistemann T, et al. Nutzung Geographischer Informationssysteme für die Krankenhaushygiene. Hygiene & Medizin. 2009;34(12):482.