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Familienmedizin in der Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen
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Veröffentlicht: | 22. April 2022 |
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Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen (Severe Mental Illness, SMI) haben ein hohes Risiko für komorbide somatische Erkrankungen [1]. 67% der SMI-Betroffenen versterben infolge einer komorbiden somatischen Erkrankung [2]. Es wird eine reduzierte Lebenserwartung von sechs bis zwölf Jahren gegenüber Menschen, die nicht an SMI erkrankt sind, geschätzt [2]. Risiken für Komorbidität und Mortalität werden bei psychisch Kranken durch sozioökonomische Probleme und assoziierte Lebensstilfaktoren erhöht. So sind sie häufig aufgrund der schweren psychischen Erkrankung auch von z.B. Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Isolation betroffen. Mit der psychischen Erkrankung assoziierter ungesunder Lebensstil wie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum, ungesunde Ernährung, körperliche Inaktivität und ungeschützte Sexualkontakte wirken ebenfalls negativ auf die Risiken somatischer Komorbiditäten.
Das Gesundheitsverhalten der Betroffenen wird einerseits erheblich durch ihr familiäres System mit beeinflusst, andererseits wirken sich psychische Erkrankungen und ihre Folgen häufig auch stark auf die familiären Systeme aus. Eine den sozialen Kontext einbeziehende Versorgung der Bevölkerung erfordert Wissen um die familiären Lebensbedingungen. Hinzu kommt, dass bei schwer psychisch Kranken besondere Barrieren bestehen, somatische Diagnostik, Prävention und Therapie zu organisieren und anzunehmen [3]. Hier wirken schwierige diagnostische und therapeutische Konstellationen, die sich im Zusammenspiel von psychiatrischer und somatischer Morbidität häufig ergeben [4], zusätzlich belastend auf das Individuum und auch das familiäre System.
In der familienmedizinischen Begleitung von Menschen mit SMI ist im Sinne des erweiterten Familienbegriffs neben der Kern- oder erweiterten Großfamilie auch das primäre Lebensumfeld der Patient*innen von großer Bedeutung. So gilt es auch Menschen in das familiäre System einzubeziehen, die mit den Patient*innen bspw. über eine Lebensgemeinschaft oder in Wohn- oder Hausgemeinschaft leben und emotional aufeinander bezogen sind [5]. Auch Angehörige/Familienmitglieder, die nicht in der gleichen Praxis behandelt werden, tragen nicht selten ihre Sorgen, Anliegen, Versorgungswünsche und -ideen an die Hausärzt*innen heran. Hieraus ergeben sich multiperspektivisch zusammengetragene Informationen, aber unter Umständen auch herausfordernde Situationen (z.B. Schweigepflicht) und Moderationsaufgaben.
Wie in den Zukunftspositionen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) benannt, nimmt eine familienmedizinisch orientierte Hausarztpraxis eine sozial integrierende Funktion in der Gesellschaft ein (DEGAM Zukunftsposition Nr. 5). Sowohl in der ärztlichen Diagnostik, Therapie als auch Begleitung von SMI-Patient*innen ist es hilfreich, familiäre Problemlagen aber auch Ressourcen zu identifizieren und zu berücksichtigen [6]. In der familienmedizinischen hausärztlichen Versorgung kann so den systemischen Verflechtungen von Gesundsein und Kranksein auch für SMI-Patient*innen begegnet werden.
Literatur
- 1.
- Hewer W, Schneider F. Somatische Morbidität bei psychisch Kranken. Nervenarzt. 2016;87:787-801.
- 2.
- Schneider F, Erhart M, Hewer W, Loeffler LA, Jacobi F. Mortality and medical comorbidity in the severely mentally ill – a German registry study. Dtsch Arztebl Int. 2019;116:405-11.
- 3.
- De Hert M, Correll CU, Bobes J, Cetkovich-Bakmas N, Cohen D, Asai I, Detraux J, Gautam S, Möller HJ, Ndetei DM, Newcomer JW, Uwakwe R, Leucht S. Physical illness in patients with severe mental disorders. World Psychiatry. 2011;10(1):52-77.
- 4.
- Jones S, Howard L, Thornicroft G. “Diagnostic overshadowing”: Worse physical health care for people with mental illness. Acta Psychiatr Scand. 2008;118(3):169-171.
- 5.
- Kalitzkus V, Vollmar HC. Familienmedizin in der Hausarztpraxis. Eine Delphi-Studie zur Entwicklung einer gemeinsamen Arbeitsdefinition. Zeitschrift für Allgemeinmedizin. 2016;92 (5):208-212.
- 6.
- Kalitzkus V, Reddemann O, Wilm S. Checkliste Nr. 84 Familienproblematik – Bild familiär bedingter Beschwerden. In: Mader FH, Brückner T, Hrsg. Programmierte Diagnostik in der Allgemeinmedizin. 92 Checklisten nach Braun für Anamnese, Untersuchung und Dokumentation. 6. Aufl. Berlin: Springer; 2019. S. 248-250.