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6. Wissenschaftlicher Kongress "Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft"

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf

11. Mai 2022, Düsseldorf

FamGesund – ein Bürgerforschungsprojekt zu Familien mit einem Elternteil mit schwerwiegender körperlicher chronischer Erkrankung

Meeting Abstract

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  • Birgit Behrisch - Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Kompetenzzentrum für Familiengesundheit, Berlin, Deutschland
  • Yvonne Adam - Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Kompetenzzentrum für Familiengesundheit, Berlin, Deutschland
  • Uwe Klein - Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin, Krankenhaus Hedwigshöhe, Zentrum für Familiengesundheit, Berlin, Deutschland
  • Tuja Pagels - Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin, Krankenhaus Hedwigshöhe, Zentrum für Familiengesundheit, Berlin, Deutschland

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf. 6. Wissenschaftlicher Kongress „Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft“. Düsseldorf, 11.-11.05.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22ifam08

doi: 10.3205/22ifam08, urn:nbn:de:0183-22ifam080

Veröffentlicht: 22. April 2022

© 2022 Behrisch et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Chronische Erkrankungen stellen Familien in den Worten von Doris Schaeffer und Martin Moers unter Umständen vor Herausforderungen im Sinne eines „abgetrotzten Lernprozesses“ ([1], S. 129). Diesbezüglich gibt es in den Bildungs- wie in den Gesundheitswissenschaften bisher nur geringe Erkenntnisse darüber, wie diese Prozesse des Erwerbs und Nicht-Erwerbs von Kompetenzen sich gestalten. Die wenigen Studien beziehen sich meist auf Personen mit Erkrankung, zu den familialen Wechselwirkungen besteht eine Forschungslücke. Das Projekt „Familiale Gesundheitskompetenz als Bildungsherausforderung“ (FamGesund) möchte untersuchen, welche Lernprozesse in Familien stattfinden, welches Wissen Familienmitglieder neu erwerben oder wie in der Familie über die Erkrankung kommuniziert oder auch geschwiegen wird. Im Fokus stehen die Familiensituation und der Familienalltag von Familien mit Kindern bis 21 Jahren, in denen ein Elternteil mit einer schwerwiegenden körperlichen chronischen Erkrankung (Krebs-, Herz-, Gelenk- oder Atemwegserkrankungen und Stoffwechselstörungen) lebt. Das Projekt gliedert sich in vier Forschungsphasen: vom Aufbau einer „Familienforschungsgruppe“ und gemeinsamen Entwicklung des Forschungsdesigns über zwei Zyklen der Datenerhebung und -auswertung bis zum Abschluss eines Transfers in die Praxis. FamGesund ist ein hochgradig partizipatives Projekt: Sechs Mütter mit unterschiedlicher schwerwiegender körperlicher chronischer Erkrankung forschen zusammen mit zwei Wissenschaftlerinnen und einer Praktikerin in der „Familienforschungsgruppe“. Im weiteren Verlauf werden Gruppen- und Familieninterviews im Kanon der Qualitativen Sozialforschung erhoben und ausgewertet. Auf der Basis der empirischen Forschungsergebnisse werden in einer späteren Projektphase entsprechende Angebote für die Familienbildung entwickelt und mit Familien durchgeführt. Zentraler Bestandteil des Projektes ist zudem der Aufbau eines „Familienwissenschaftsladens“ (FamWiLa), der weiterführend einen nachhaltigen Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Bürger:innen zum Thema Familiengesundheit ermöglicht.

FamGesund ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (Kompetenzzentrum für Familiengesundheit) und den Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin, Krankenhaus Hedwigshöhe (Zentrum für Familiengesundheit, FamWiLa). Es wird im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. FamGesund ist zudem als Projekt mit PartNet, dem Netzwerk Partizipative Gesundheitsforschung verbunden. Das Projekt hat eine Laufzeit vom 15.01.2021 bis 31.12.2024.

Fragestellung Forschung: Was braucht es, damit es Familien mit einem Elternteil mit schwerwiegender körperlicher chronischer Erkrankung gut geht?

1.
Welche Lern- und Bildungsprozesse werden in diesem Zusammenhang von Familien und/oder Familienangehörigen selbst beschrieben?
2.
Welche Unterstützung und Hilfen sind in diesem Zusammenhang für Familien und/oder Familienangehörige wichtig und angemessen?

Fragestellung Projekt: Welchen Beitrag leistet partizipative Forschung im Forschungsbereich Familie, chronische Erkrankung und Bildung?

Ziel ist es neben einem Beitrag zu erziehungswissenschaftlichen Grundlagen hinsichtlich familialen Übergängen bei schwerwiegenden Erkrankungen als relevante Bildungsherausforderung auch einen anwendungsorientierten, interdisziplinären Beitrag zur Familiengesundheitsbildung zu leisten.

Methoden: Peerforschungsansatz der partizipativen Forschung: Tandems von Wissenschaftlerinnen und Bürgerinnen erheben gemeinsam Forschungsdaten, wobei ausschließlich Gruppenmethoden (Gruppendiskussionen für die verschiedenen Familienperspektiven wie von betroffenen Müttern und Vätern, Partner:innen, Kinder im Erwachsenenalter, Großeltern, Freund:innen/Bekannten; Familieninterviews; Photovoice mit Kindern und Jugendlichen) Anwendung finden.

Ergebnisse: Die erste Forschungsphase konnte Ende März 2022 erfolgreich abgeschlossen werden. In 12 Forschungswerkstätten hat die Familienforschungsgruppe einen gemeinsamen Sprachraum eröffnet, das Forschungsthema eingegrenzt, die zentrale Forschungsfrage formuliert, ein Gesamtdesign für die Erhebungsphase abgestimmt und einen Leitfaden für die Gruppeninterviews entwickelt. Bei der Berliner Werkstatt für Partizipative Forschung konnte ein Poster-Beitrag zum Thema „Co-Forschende mit Erwerbsminderungsrenten: Ethische und planerische Herausforderungen der partizipativen Forschung“ präsentiert werden.

Diskussion: In der Tradition der Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen ist es eine große Chance, dass Betroffene selbst ihre (Lern-)Erfahrungen mit einer chronischen Erkrankung in die Generierung von Forschungsdaten und -ergebnissen einbringen. Dadurch leisten sie einen Beitrag, Angebote für andere Betroffene zu verbessern. In der Familienforschungsgruppe besteht die Möglichkeit, gemeinsam und voneinander zu lernen. Das Besondere bei FamGesund ist, dass die gesamte Familie mit ihren Lernprozessen im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Dadurch wird Wissen erarbeitet, das über ein versorgungsbezogenes (Be-)Handeln der erkrankten Person hinausgeht und Aspekte familiärer Lebensqualität und Wohlbefinden im Alltag thematisiert. Die Situation von Familien mit körperlich schwerwiegender chronischer Krankheit soll im Mittelpunkt stehen, da hier – im Gegensatz zum Bereich psychischer Erkrankungen – wenige Forschungsbefunde vorliegen. Für die Praxis wirkt FamGesund impulsgebend für neue Formen der Familienbildung und -begleitung sowie für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften verschiedener Professionen (Lehrer:innen, Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Kinder- und Hausärzt:innen) mit dem Ziel, für die Herausforderungen und Bedarfe von Familien in dieser Situation zu sensibilisieren.


Literatur

1.
Schaeffer D, Moers M. Abschied von der Patientenrolle? Bewältigungshandeln im Verlauf chronischer Krankheit. In: Schaeffer D, Hrsg. Bewältigung chronischer Krankheit im Lebenslauf. Bern: Huber; 2009. S. 111-131.
2.
Hammel G, Woll S, Baumann M, Scherz C, Maia M, Behrisch B, Borgmann SO, Eichinger M, Gardecki J, Heyen NB, Icks A, Pobiruchin M, Weschke S. Bürgerwissenschaftliche Forschungsansätze in Medizin und Gesundheitsforschung. Ausgewählte Begriffe mit Fokus auf den Beteiligungsgrad. TATuP. 2021;30(3): 63-69. Verfügbar unter: https://www.tatup.de/index.php/tatup/article/view/6933/11665 Externer Link
3.
Nittel D, Seltrecht A, Hrsg. Krankheit: Lernen im Ausnahmezustand? Brustkrebs und Herzinfarkt aus interdisziplinärer Perspektive. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013.