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6. Wissenschaftlicher Kongress "Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft"

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf

11. Mai 2022, Düsseldorf

Möglicher Beitrag Systemischer Familientherapie für eine familienorientierte Primärversorgung von Morgen

Meeting Abstract

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  • Markus Herrmann - Institut für Allgemeinmedizin, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf. 6. Wissenschaftlicher Kongress „Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft“. Düsseldorf, 11.-11.05.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22ifam05

doi: 10.3205/22ifam05, urn:nbn:de:0183-22ifam050

Veröffentlicht: 22. April 2022

© 2022 Herrmann.
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Gliederung

Text

Systemische Therapie (ST) wurde in Deutschland 2008 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) als Verfahren der Erwachsenen- und der Kinder- und Jugendpsychotherapie wissenschaftlich anerkannt. Seit Juli 2020 ist die ST als Verfahren der ambulanten Psychotherapie für Erwachsene sozialrechtlich zugelassen. Es handelt sich dabei um ein psychotherapeutisches Verfahren, dessen Fokus auf dem sozialen Kontext psychischer Störungen liegt, und das zusätzlich weitere Mitglieder des für Patient*innen bedeutsamen sozialen Systems einbezieht und bzw. oder auf die Interaktionen zwischen Familienmitgliedern und deren sozialer Umwelt fokussiert (vgl. [1]). Systemische Therapie fokussiert auf zirkuläre Wechselwirkungsprozesse auf intrapsychischer, biologisch-somatischer und interpersoneller Ebene ([2]; [1] S. 15). Vor allem charakteristisch ist die Arbeit mit Paaren und Familien im „Mehrpersonensetting“. Darüber hinaus gibt es Einzel-, Gruppen-, Multifamilien-/Paargruppentherapien sowie größere Netzwerkgespräche.

Wenn körperliche Krankheit und deren Auswirkungen auf das persönliche Leben der Patient*innen und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Familie ins Zentrum der Bemühungen gerückt werden, so bewegen wir uns im Feld der Systemischen Familienmedizin. Sie kombiniert biopsychosoziale und familiensystemische Perspektiven und nutzt sie für die gleichzeitige Arbeit mit Patient*innen, Familien, den Mitarbeiter*innen der medizinischen Institutionen, Selbsthilfegruppen und sozialen Diensten auf Gemeindeebene. Als Eckpunkte dienen die konsequente Aktivierung von Ressourcen im primären sozialen Netz. Wurzeln der systemischen Paar- und Familientherapie reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als Sozialarbeiter*innen und Psychiater*innen meist im Rahmen des „social work movements“ begannen, mit Familien zu arbeiten, die durch körperliche Erkrankungen belastet sind. Auch im Rahmen neuer Praxismodelle in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik gab es einzelne Versuche systemische Familienmedizin in Gruppenpraxen unter Einbeziehung von Sozialarbeit zu implementieren.

Familienmedizin spielt eine wichtige Rolle innerhalb der hausärztlichen Praxis. Die Wahrnehmung der Bedeutung von Krankheiten und Kranksein innerhalb der Familie und die Berücksichtigung der Sichtweisen aller Familienmitglieder ermöglicht eine umfassende Beurteilung von Krankheit und Leiden in ihren körperlichen, seelischen und sozialen Bezügen.

Welchen Beitrag können systemische Familienmedizin und Familientherapie für eine familienorientierte Primärversorgung von Morgen leisten? Wie kann eine Umsetzung systemischer Familientherapie in hausärztlicher Versorgung / Primärversorgung von Morgen aussehen?

Im Rahmen eines Workshops des letzten DEGAM-Kongresses – Familienmedizin – Systemische Familienmedizin – Systemische Familientherapie – [3] wurden folgende Punkte diskutiert:

  • Klärung der Unterschiede zwischen Familienmedizin, systemischer Familienmedizin und systemischer Familientherapie
  • Was können wir als Hausärztinnen und Hausärzte durch eine systemische Perspektive im Rahmen einer teamorientierten, familienmedizinischen Praxis gewinnen?
  • Wieweit lassen sich systemische Kompetenzen in den hausärztlichen Alltag integrieren?
  • Wie können Nahtstellen zu systemischen Familientherapeut*innen künftig aussehen?
  • Welchen Beitrag könnte der Erwerb systemischer Kompetenzen im Rahmen einer hausärztlichen Zusatzweiterbildung in Psychotherapie für die allgemein- und familienmedizinische Praxis leisten?

Als mögliche Nahtstellen zwischen systemischer Familientherapie und Familienmedizin wurden zusammengetragen: Überweisung an systemische Familientherapeuten (GKV), Liaisondienste von systemischen Familientherapeut*innen in hausärztlichen Praxen, Supervision (familienmedizinischer Herausforderungen bzw. systemische Teamsupervision), engere Kooperationen mit sozialpädiatrischen Zentren oder Familienzentren (Sprechstunden und Gruppenangebote), PHC-Center mit hausärztlichen und psychosozialen Angeboten, Sprechstunden von systemischen Therapeut*innen in hausärztlichen Praxen oder systemischen Patientengruppen (GKV-finanzierte Sozialarbeit), Förderung von Austausch durch Familien- und Helferkonferenzen.

Als Orte der Integration und Vermittlung systemischer Kompetenzen wurden diskutiert: Wochenendmodule und Summerschoolangebote, stärkere Integration in Kurse der PSGV (z.B. systemische Fallkonferenzen über familienmedizinische Anliegen), Seminare im Kompetenzzentrum Weiterbildung für ÄIW, Online-Forum der AG Psychosomatik, interprofessionelle Qualitätszirkel (ggf. online) als systemische Fallkonferenzen, Erwerb von Zusatzqualifikationen im Rahmen einer Zusatzweiterbildung Psychotherapie.


Literatur

1.
von Sydow K, Retzlaff R. Aktueller Stand der Systemischen Therapie. Psychotherapeut. 2021;66:469-77. DOI: 10.1007/s00278-021-00547-w Externer Link
2.
Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie (WBP) nach § 11 PsychThG. Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Systemischen Therapie. Deutsches Ärzteblatt. 2009 Jan 30;106(5):A208-A211. Verfügbar unter: https://www.wbpsychotherapie.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/WBP/GutachtenSystemischeTherapie20081214-1.pdf Externer Link
3.
Herrmann M, Kalitzkus V, Wilm S. Familienmedizin – Systemische Familienmedizin – Systemische Familientherapie. In: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Lübeck, 16.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocWS-07-01. DOI: 10.3205/21degam284 Externer Link