Artikel
Arztbesuch ohne Krankenversicherung? Eine explorative Querschnittsstudie zur gesundheitlichen Lage und medizinischen Versorgung von Betroffenen in Deutschland
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 8. November 2023 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund: Trotz der geltenden Krankenversicherungspflicht sind einige Menschen in Deutschland nicht oder eingeschränkt krankenversichert. Dazu zählen etwa Bevölkerungsgruppen wie EU-Bürger:innen ohne feste Anstellung, Wohnungslose, Menschen ohne Papiere sowie Personen mit Beitragsschulden bei der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung. Laut internationaler Studien kann eine fehlende Krankenversicherung negative Folgen für die Gesundheit haben, z.B. durch Chronifizierung von Krankheiten. Kenntnisse über die gesundheitliche Lage Betroffener in Deutschland fehlen bislang.
Fragestellung: Wie ist der Gesundheitszustand von Menschen ohne bzw. mit eingeschränkter Krankenversicherung? Inwiefern nehmen sie medizinische Versorgung in Anspruch?
Methode: Im Rahmen des Projekts MoveCitizenS wurde eine mehrsprachige, anonyme Querschnittsbefragung durchgeführt. Befragt wurden Volljährige, die von Februar bis August 2023 eine Beratungsstelle für Menschen ohne bzw. mit eingeschränkter Krankenversicherung (Bielefeld, Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, Mainz und Wiesbaden) aufgesucht haben. Basierend auf teils validierten Messinstrumenten wurde ein Fragebogen im multiprofessionellen Team entwickelt, nach TRAPD-Methode in fünf Sprachen übersetzt und nach Pretests mittels kognitiver Interviews finalisiert. Die Stichprobendaten werden mit repräsentativen Daten der deutschen Allgemeinbevölkerung (GEDA 2019/2020-EHIS) verglichen, um Zusammenhänge zwischen Krankenversicherungsstatus und Gesundheitszustand bzw. Inanspruchnahme medizinischer Versorgung mittels Regressionsanalysen zu untersuchen. Die Prävalenz chronischer Erkrankungen, psychischer und körperlicher Beschwerden, der allgemeine Gesundheitszustand, Impfquoten und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung werden mittels deskriptiver Darstellung von prozentualen Häufigkeiten beschrieben.
Ergebnisse: Insgesamt umfasst die MoveCitizenS-Stichprobe 126 Teilnehmende (Ø 43 Jahre ± 12,8, 23–75; 43,9% männlich). Ein Anteil von 15,1% (n=19) besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, 11,1% (n=14) sind EU-Bürger:innen, 65,1% (n=82) sind Drittstaatsangehörige. Ein Anteil von 64,3% (n=81) gibt einen mäßigen bis sehr schlechten subjektiven allgemeinen Gesundheitszustand, 55,6% (n=70) geben mindestens eine chronische Erkrankung an. 41,3% zeigen Symptome einer Depression und/oder einer generalisierten Angststörung (PHQ2 und/oder GAD2 ≥3P). Ein Anteil von 31,0% (n=39) hat noch nie einen Hausarzt in Deutschland aufgesucht, 42,9% (n=54) haben noch nie eine fachärztliche Versorgung in Anspruch genommen.
Diskussion: Durch die zielgruppenspezifische Erhebung werden erstmalig umfassende Kenntnisse über konkrete Gesundheitsbedarfe der betroffenen Bevölkerungsgruppen gewonnen. Diese können Aufschluss über Unterschiede im Gesundheitszustand und Zugangsbarrieren hinsichtlich des Krankenversicherungsstatus geben.
Take Home Message: Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf einen deutlichen Bedarf an zugänglicher Gesundheitsversorgung für Menschen ohne bzw. mit eingeschränkter Krankenversicherung hin.