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Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft. Wissenschaftlicher Kongress zur Positionsbestimmung der Familienmedizin in Deutschland.

Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten/Herdecke

11.11.2011, Witten

Familiengesundheit und „neue Morbidität“ – zur Notwendigkeit familienorientierter Versorgung in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Jürgen Collatz - Abt. Med. Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft. Wissenschaftlicher Kongress zur Positionsbestimmung der Familienmedizin in Deutschland. Witten, 11.-11.11.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11iaf02

doi: 10.3205/11iaf02, urn:nbn:de:0183-11iaf021

Veröffentlicht: 8. November 2011

© 2011 Collatz.
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Gliederung

Text

Die sozialen Rollen und Wertsysteme von Frauen und Männern, zu Mutter- und Vaterschaft, die Lebenszyklen der Jugend und des Alters, die Bedeutungen und Arten der Familie unterlagen seit Jahrzehnten einem permanenten und dramatischen Wandel. Eines aber bleibt; die Familie, wie auch immer sie definiert wird, ist ein entscheidender Bezugsrahmen für eine gesunde Entwicklung und ebenso für die Entstehung von Krankheiten und deren Bewältigung.

Der immer rasantere globale soziale Wandel ist in den letzten 50 Jahren zunehmend mit ökologischen Katastrophen, Migrationswellen, Wirtschafts- und Finanzkrisen und einer Polarisierung von Armut und Reichtum verbunden. Dabei gingen traditionelle Werte, soziale Errungenschaften und Sicherheiten verloren zugunsten einer rücksichtslosen Mentalität des Gewinnstrebens, einer wachsende Hektik des Alltags und hohen Anforderungen an die Flexibilität der Menschen. In der Folge dieser sozialen und soziodemographischen Entwicklungen weisen epidemiologische Studien auf eine „neue Morbidität“ hin, bei der Erschöpfung, Burn Out, psychische und psychosomatische Störungen, Ängste und Depressionen, chronische Erkrankungen sowie Multimorbidität dominieren. Von Armut und Ausgrenzung und der „neuen Morbidität“ sind besonders (alleinerziehende) Mütter und ihre Kinder, kinderreiche Familien und ältere Menschen betroffen. Sie benötigen besonderen Schutz und nachgehende, umfassende Versorgung (Case management). Die bisherige auf akute Erkrankungen ausgerichtete kurative Versorgung ist hierfür wenig geeignet. Hingegen zeigen internationale Modelluntersuchungen und auch evaluierte Modellvorhaben in Deutschland, dass eine familienorientierte präventive und früh ansetzende rehabilitative Versorgung, die regional entsprechend vernetzt arbeitet und die in prekären Verhältnissen lebenden Patienten integriert, die anstehenden Probleme human und effizient lösen kann.

Die aufgezeigten Entwicklungen verlangen eine inhaltliche Neuorientierung der Gesundheitsversorgung, denn effektiv können viele dieser Gesundheitsstörungen nur in und mit der Familie behandelt werden. In den Expertengutachten wird daher der Umbau zu einer generationenspezifischen, regional organisierten Gesundheitsversorgung gefordert, die sich auf eine familienorientierte häusliche Primärversorgung stützt.

Vor welchen Herausforderungen steht der niedergelassene Allgemeinmediziner? Welche Ansätze gibt es, Familienmedizin zu praktizieren? Welche Vernetzungen können hilfreich sein? Welche gesundheitspolitischen Forderungen müssen durchgesetzt werden?

Zunächst kann hilfreich sein, die Effizienz familienmedizinischer Maßnahmen an einigen Beispielen aufzuzeigen. Hierzu sind die Versorgungsbedürfnisse von Müttern und ihren Kindern einerseits und die Situation älterer Patienten anderseits besonders geeignet. Diese evaluierten Modellbeispiele zeigen auch Wirkungsverläufe und somit leistungsfähige Ansätze für familienspezifische hausärztliche Versorgung auf.