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4. Symposium Health Technology Assessment
Bewertung medizinischer Verfahren

Deutsche Agentur für HTA des DIMDI – DAHTA@DIMDI

13. bis 14.11.2003, Krefeld

Andere Länder – Andere Sitten: HTA und Vergütungsentscheidungen im Vergleich am Beispiel der Uterus-Ballon-Therapie

Vortrag

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Deutsche Agentur für Health Technology Assessment des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information. 4. Symposium Health Technology Assessment - Bewertung medizinischer Verfahren. Krefeld, 13.-14.11.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc03hta10

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/hta2003/03hta10.shtml

Veröffentlicht: 29. April 2004

© 2004 Soskuty.
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Gliederung

Text

Health Technology Assessment (HTA) hat als Instrument zur politischen Entscheidungsfindung bei Konsequenzen, die sich durch den Einsatz von Medizintechnologie ergeben, in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Auch in Deutschland wurde das Verfahren zunehmend institutionalisiert. Mittlerweile wird es auch für die Entscheidungen der Bundesausschüsse als Grundlage bei Vergütungsentscheidung von neuen Therapien genutzt; so, wie es in anderen Industrienationen auch der Fall ist. Zusätzlich zur Funktion als politische Entscheidungshilfe schafft HTA Klarheit bei der Festlegung von Standards und macht es möglich, Aussagen über eine Technologie neutral und auf wissenschaftlicher Grundlage zu treffen.

Dennoch könnte man sich fragen, ob die Informationen, die bei einem HTA gewonnen werden, immer so neutral verwendet werden, wie es wünschenswert und wissenschaftlich notwendig wäre oder ob Entscheidungen nicht letztendlich primär von politischen Tendenzen geleitet werden. In der Definition von HTA der EUR-ASSESS-Arbeitsgruppe (Henshall et al. 1997) wird deutlich auf die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Durchführung und Verwendung von HTA hingewiesen:

„Trotz seiner politischen Zielsetzung muß HTA auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführt werden und sich wissenschaftlicher Methoden bedienen. Der Prozeß der Technologiebewertung muß integer durchgeführt werden und die Ergebnisse müssen valide sein." (Quelle: M. Perleth: Evidenzbasierte Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen, WiKu-Verlag 2003)

Wird HTA zur Entscheidungsfindung genutzt, stehen unter anderen beim retrospektiven Vergleich der Entscheidungen verschiedener Länder folgende Fragen im Vordergrund:

• Stand ein HTA zur Verfügung oder musste eines angefertigt werden?

• Stand ein HTA aus einem anderen Land zur Verfügung und wurde es genutzt?

• Welche Rolle spielte das HTA im Gesamtkontext der Entscheidung?

Das folgende Beispiel illustriert deutlich die unterschiedlichen Situationen in verschiedenen Ländern, die HTA als Entscheidungshilfe nutzen.

Menorrhagie und die Uterus-Ballon-Therapie

Die Menorrhagie ist eine Erkrankung, die sich in verstärkten und/oder verlängerten Monatsblutungen äußert und viele Frauen im reproduktionsfähigen Alter betrifft. Neben organischen Ursachen wie Myomen, Polypen und Endometriumkarzinom (Endometrium = Gebärmutterschleimhaut) ist die Ursache bei etwa acht Prozent aller Frauen zwischen 20 und 50 Jahren in einem hormonellen Ungleichgewicht begründet. Diese von funktioneller Menorrhagie betroffenen Frauen sind durch körperliche Beschwerden wie starke Schmerzen, Schwäche und Blutarmut in Ihrer Lebensqualität z. T. erheblich eingeschränkt. Für viele Frauen wird dies auch zur psychischen Belastung, da sie sich bei Alltagsaktivitäten eingeschränkt fühlen, so dass der Leidensdruck dieser Patientinnen enorm ist.

Im Rahmen der konventionellen Therapien wird meistens zunächst eine hormonelle Therapie durchgeführt. Bei Versagen dieser Therapie oder fehlender Compliance (Therapietreue) der Patientin wird häufig die Abrasio (Ausschabung), z. T. mehrfach pro Jahr, durchgeführt. Sie bewirkt jedoch lediglich eine kurzfristige Besserung der Symptome, da die Gebärmutterschleimhaut nachgebildet wird und erneut entfernt werden muss. Auch die Hysterektomie (Entfernung der Gebärmutter) wird bei funktioneller Menorrhagie angewendet, obwohl keine organischen Ursachen bei diesen Patientinnen vorliegen und alternativ organerhaltend operiert werden könnte.

Die Uterus-Ballon-Therapie ist eine Endometriumablationsmethode der zweiten Generation, die bei funktioneller Menorrhagie indiziert ist. Die dauerhafte Verödung der Gebärmutterschleimhaut erfolgt mittels Wärme, die durch eine in einem Ballon erhitzte Flüssigkeit übertragen wird. Dieser organerhaltende und minimal invasive Eingriff kann bei Lokalanästhesie durchgeführt werden. Die reine Einwirkzeit der Wärme beträgt acht Minuten, der gesamte Eingriff kann in etwa 25 bis 30 Minuten durchgeführt werden. Weltweit wurden bislang mehr als 150.000 Frauen mit dieser Methode behandelt und auch fünf Jahre nach dem Eingriff liegen der dauerhafte Erfolg der Therapie bei ca. 90 Prozent und die Zufriedenheit der Patientinnen bei 96 Prozent.

Bisher durchgeführte Health Technology Assessments

Seit Zulassung und Einführung der Uterus-Ballon-Therapie mittels THERMACHOICE wurden in Europa und den USA insgesamt sechs HTA von unterschiedlichen Gremien durchgeführt.

Nachfolgend eine kurze Übersicht über die zeitliche Abfolge der durchgeführten HTA sowie deren Ergebnisse und Auswirkung auf die Vergütung der Uterus-Ballon-Therapie in dem jeweiligen Land [Tab. 1].

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass außer der in Deutschland durchgeführten Bewertung alle HTA zu dem Schluss kommen, dass es sich bei der Uterus-Ballon-Therapie mit THERMACHOICE um eine wirksame und wirtschaftliche Therapie der funktionellen Menorrhagie handelt. Dies führte in allen Ländern zu einer Empfehlung, das Verfahren in das Vergütungssystem aufzunehmen, in drei der fünf Länder gehört diese Therapie zu den bei funktioneller Menorrhagie standardmäßig eingesetzten Behandlungen und wird vergütet.

Betrachtet man die Datengrundlage, die den verschiedenen Gremien zur Verfügung stand, so lässt sich feststellen, dass alle, abhängig natürlich von Zeitpunkt der Entscheidung, prinzipiell dasselbe Datenmaterial besaßen, das sich aus klinischen Studien, Anwendungsbeobachtungen und Kosten-Nutzen-Berechnungen zusammensetzte. Trotzdem hat jedes Land entweder die verfügbare Literatur erneut gesichtet oder ein neues HTA angefertigt; ein schon existierendes HTA wurde nicht übernommen.

Hier stellt sich die Frage, ob nicht länderübergreifend mehr Informationen ausgetauscht werden könnten. Dies würde Zeit sparen, eine zügigere Bearbeitung sicherstellen und die Ausgangslage für politische Entscheidungen für alle Länder auf ein ähnliches Niveau stellen. Dies hätte vielleicht die Folge, dass Vergütungsentscheidungen verschiedener Länder die gleichen Ergebnisse hätten und Patienten in den unterschiedlichen Ländern gleich behandelt werden. Das Beispiel der Uterus-Ballon-Therapie zeigt deutlich, dass dies heute noch nicht der Fall ist.

Durch die negative Entscheidung des Bundesausschusses 2000 ergeben sich für eine Patientin in Deutschland mit der Diagnose Menorrhagie die folgenden Möglichkeiten:

• Sie kann die Uterus-Ballon-Therapie, die in vielen Fällen eine ambulante Therapie sein könnte, stationär durchführen lassen, was weder im Sinne der Patientin noch im Sinne des deutschen Gesundheitssystems ist.

• Sie kann die Uterus-Ballon-Therapie ambulant durchführen lassen und die gesamte Prozedur aus eigener Tasche bezahlen.

• Es kann eine Abrasio durchgeführt werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit in Abständen von sechs bis zwölf Monaten wiederholt werden muss (s.o.).

• Es kann eine Hysterektomie durchgeführt werden, was dem Schießen von Kanonen auf Spatzen gleich kommt.

• Es kann eine Elektroresektion mit einem Verfahren der ersten Generation durchgeführt werden, das eine höhere Komplikationsrate besitzt.

• Die Patientin kann z.B. nach England reisen und sich dort ambulant im Rahmen des staatlichen Gesundheitsdienstes und somit auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung einer ambulanten Uterus-Ballon-Therapie unterziehen.

Diese Situation erscheint im Lichte der heutigen minimal invasiv geprägten Medizin und des Bestrebens unseres Gesundheitssystems, soviel wie möglich in den ambulanten Sektor zu verschieben, grotesk.

Wo liegt die Lösung? Auf keinen Fall im „Euro-NICE" (NICE, National Institute for Clinical Excellence, Großbritannien); denn so sehr die Notwendigkeit besteht, gleiche Voraussetzungen in den unterschiedlichen Ländern zu schaffen, sollten politische Tendenzen abbildbar sein und die einzelnen Länder eigene Entscheidungen treffen können. Trotzdem würde die Berücksichtigung von Bewertungs- und Vergütungsentscheidungen anderer Länder den Entscheidungen im eigenen Land eine gewisse Neutralität verleihen und außerdem das Verfahren wesentlich beschleunigen. Diskutiert werden könnte in Deutschland die stärkere Einbindung der Industrie, wie das in anderen Ländern (siehe NICE) durchaus üblich ist. Die Industrieunternehmen sind Experten für die jeweilige Technologie und können eventuell mit noch nicht veröffentlichten Daten weiterhelfen, wenn Fragestellungen aus der schon publizierten Literatur nicht beantwortet werden können. Des Weiteren erhöht die Einbindung der Industrie die Transparenz und Akzeptanz des HTA-Verfahrens, beschleunigt die Weiterentwicklung der Technologie und gibt, sofern Zeitpläne für die Bewertung vorgegeben werden, der Industrie eine Planungssicherheit, die zum jetzigen Zeitpunkt in keiner Weise gegeben ist.

Eine zumindest europaweite Harmonisierung wäre jedoch sowohl zum Wohle der Patienten, die aus medizinischer und sozialer Sicht für ihre Therapie in den unterschiedlichen Ländern gleiche Voraussetzungen vorfinden sollten, als auch im Interesse eines sinnvollen und zügigen medizintechnischen Fortschritts notwendig und wünschenswert.