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97. Jahrestagung der Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte

27. - 28.09.2013, Ludwigshafen

Erkrankungen der Halswirbelsäule als Ursache für Dysphagie – Beispiele aus der Praxis

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Ricarda Riepl - HNO-Universitätsklinik, Ulm, Deutschland
  • Thomas Hoffmann - HNO-Universitätsklinik, Ulm, Deutschland
  • author presenting/speaker Johannes Veit - HNO-Universitätsklinik, Ulm, Deutschland

Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte. 97. Jahrestagung der Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte. Ludwigshafen, 27.-28.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. Doc13hnosw29

doi: 10.3205/13hnosw29, urn:nbn:de:0183-13hnosw291

Veröffentlicht: 12. September 2013

© 2013 Riepl et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Erkrankungen der Halswirbelsäule sollten bei Beschwerden wie Dysphagie, Odynophagie oder Bewegungseinschränkung des Halses in der HNO-ärztlichen Praxis differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. Neben einer harmlosen Pharyngitis muss das Vorliegen eines retropharyngealen Abszesses oder einer Meningitis bedacht werden. Ähnliche Symptome können zudem durch einen Bandscheibenprolaps im HWS-Bereich hervorgerufen werden. Seltenere Ursachen können sein: Das Eagle-Syndrom, welches eine Verlängerung des Processus styloideus mit Ossifikation des Ligamentum stylohyoideum beschreibt [1], zudem bei entsprechender Sozial- oder Reiseanamnese auch Verkalkungen im Rahmen einer Tuberkulose [1]. Eine weitere seltene Ursache aus dem orthopädischen Bereich kann bei entsprechenden röntgenologischen Veränderungen das sogenannte „Crowned-Dens-Syndrom (Ablagerung von Calciumpyrophosphatdihydrat-Kristallen im Gewebe um den Dens axis) sein. Großer Wert ist bei jedem Patienten mit neu aufgetretenen stärksten Schluckbeschwerden und entsprechender Noxenanamnese sicherlich auf eine präzise HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung zum Ausschluss eines Tumorgeschehens zu legen.

Methoden:

Fall 1: Eine 35-jährige Patientein stellte sich in unserer Klinik vor mit Nackensteifigkeit, eingeschränkter Beweglichkeit der Halswirbelsäule und Odynophagie.

Die Beschwerden waren spontan und ohne erkennbares Triggerereignis aufgetreten. Eine vorangegangene neurologische wie auch orthopädische Abklärung der Beschwerden ergab keinen Hinweis auf ein Krankheitsgeschehen im Fachbereich. Auf einem extern durchgeführten MRT der Halswirbelsäule stellte sich in Projektion auf den Retropharyngealraum von Clivushöhe bis zur Unterkante von HWK 5 reichend in der T2-Wichtung eine hyperintense, längliche kontrastmittelaufnehmende Struktur, welche vereinbar mit einem entzündlichen Prozess war, dar. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Retropharyngealabszesses wurde die Patientin in die Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde überwiesen. Der HNO-ärztliche Spiegelbefund enoral sowie die Lupenlaryngoskopie ergaben keinen wegweisenden Befund. Die Leukozytenwerte waren normwertig, der CRP-Wert war mit 54 mg/l leicht erhöht. In Zusammenschau aller Befunde und nach Durchsicht der Literatur in Zusammenarbeit mit den Kollegen der Abteilung für Radiologie wurde die Verdachtsdiagnose einer akuten prävertebralen kalzifizierenden Tendinitis unter Beteiligung des. M.longus colli gestellt. Wir behandelten die Patientin mit NSAR (Voltaren dispers) und Glukokortikoiden (SDH, beginnend mit 250 mg i.v.) in absteigender Dosierung. Am zweiten Behandlungstag führten wir eine Verlaufsbildgebung in Form einer Computertomographie der Halswirbelsäule durch. Diese bestätigte den bildmorphologischen Befund einer retropharyngealen Tendinitis mit amorpher Verkalkung prävertebral im Sehnenansatz des M. longus colli. Die initialen Beschwerden waren ebenso wie die Entzündungsparameter im Blut unter Therapie rückläufig und die Patientin konnte nach 48 Stunden entlassen werden. Im Rahmen einer ambulanten Kontroll-Untersuchung präsentierte sich die Patientin beschwerdefrei.

Fall 2: Ein 70jähriger Patient präsentierte sich in unserer Abteilung für Phoniatrie aufgrund einer seit längerer Zeit bestehenden Dysphagie für feste Speisen. Regelhaft käme es zum „Hängenbleiben“ von Nahrungsbestandteilen im Rachen, das Abschlucken von Speise sei erschwert. Dyspnoe wurde nicht angegeben. Im Vorfeld war bereits durch den Hausarzt des Patienten die Durchführung eines Computertomogramms der Halswirbelsäule initiiert worden. In der seitlichen Aufnahme konnten im ventralen Wirbelkörperanteil über die gesamte Länge der Halswirbelsäule ausgeprägte osteophytische Raumforderungen dargestellt werden. Als Korrelat hierzu ließ sich in der Lupgenlaryngoskopie 90°optisch eine Schleimhautvorwölbung der Rachenhinterwand im mittleren Drittel diagnostizieren. Im Schluckversuch mit weicher und fester Kost kam es in genau diesem Bereich zu einer Retention von Nahrungsbestandteilen. Die Ursache für die geschilderte Dysphagie war demnach aus HNO-ärztlicher Sicht in den ausgedehnten osteophytären Anbauten zu suchen.

Ergebnisse: Die akute prävertebrale kalzifizierende Tendinitis ist eine seltene Ausschlussdiagnose in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und bislang wurde nur von wenigen Fällen berichtet. Die am häufigsten berichteten Beschwerden sind: akut auftretender Nackenschmerz, Nackensteife und Odynophagie [2]. Ähnliche Symptome kommen in gleicher Manier bei retropharyngealen Abszessen vor- die Behandlung unterscheidet sich jedoch grundsätzlich, da meist ein operatives Vorgehen zur Vermeidung von Komplikationen präferiert wird [3]. Weitere Symptome wie Dysphagie, eingeschränkte Halsmotilität, Pharynxödem, nasopharyngeales Erythem oder Spasmus der Nackenmuskulatur sind ebenfalls mit dem Krankheitsbild assoziiert [2]. Während sich die eingeschränkte Halsmotilität und die Nackensteife durch Beteiligung des M. longus colli erklären lassen, führt man die zum Teil auftretenden Schluckbeschwerden auf eine Affektion der benachbart liegenden Constrictor-pharyngis-Muskulatur zurück [4]. Der M. longus colli liegt im Prävertebralraum und besteht aus drei Anteilen: Den oberen und unteren schräg verlaufenden sowie den vertikal verlaufenden Fasern.Im Falle einer akuten prävertebralen Tendinitis handelt es sich um einen aseptischen inflammatorischen Prozess, welcher die oberen schräg verlaufenden Fasern betrifft [5]. Prinzipiell kann eine kalzifizierende Tendinitis in sämtlichen Körperregionen auftreten, in absteigender Häufigkeit sind jedoch überwiegend die Gelenke folgender Körperregionen betroffen: Schulter, Hüfte, Ellbogen, Handgelenk, Knie [4]. Der Mechanismus einer Ablagerung von Kalzium-Hydroxyapatit-Kristallen ist bislang ungeklärt, es gibt jedoch die Hypothese, dass wiederholte Traumen, Verletzungen, Gewebsnekrose, Entzündung oder Ischämie eine gewisse Rolle spielen können. Zudem wurden genetische und metabolische Faktoren als mögliche Ursachen angeschuldigt [6]. Die Behandlung mit nicht-steroidalen Antiphlogistika bringt führt in den meisten Fällen innerhalb weniger Tage zu einem deutlichen Beschwerderückgang, unterstützend kann die Gabe von Glukokortikoiden intravenös sowie eine Ruhigstellung der Halswirbelsäule mittels weicher Zervikalstütze von Fall zu Fall diskuziert werden. Osteophytäre Anbauten im ventralen Wirbelsäulenbereich können bei 20-30% eines gesunden Patientengutes beobachtet werden und eine direkte Ursache für Dysphagie darstellen. Zervikale Osteophytosis führt in 17% der Fälle zu Dysphagie [7]. Wirbelkörperosteophyten können über verschiedene Mechanismen zu Schluckproblemen führen: mechanischer Druck auf den Ösophagus, Entzündung und Ödem des umgebenden Gewebes, cricopharyngeale Spasmen und Verbiegung der Epiglottis [7]. Eine besonders ausgeprägte Form der exzessiven Verknöcherung der anterioren Wirbelsäulenligamente stellt DISH (=diffuse idiopathic skeletal hyperostosis) dar. Das Symptom wurde 1950 von Forestier und Rotes-Querol erstmalig beschrieben [8] und ist auch bekannt unter dem Namen Morbus Forestier. Die Ätiologie ist weitestgehend unbekannt, es werden unter anderem mechanische und diätetische Faktoren, metabolische Ursachen und Umweltbedingungen als Auslöser postuliert [8]. Typischerweise sind Männer um das 60. Lebensjahr und älter betroffen [9]. Neben Dysphagie können weitere Symptome im HNO-Bereich durch große Osteophyten hervorgerufen werden: Odynophagie, Fremdkörpergefühl, Stridor, obstruktives Schlafapnoesyndrom und Aspiration für feste und flüssige Nahrungsbestandteile [8]. Die Behandlung kann konservativ oder chirurgisch-interventionell sein. Während sich die konservativen Behandlungsoptionen auf eine medikamentöse Therapie mit anti-inflammatorischen Substanzen, Steroiden oder Muskelrelaxantien erstrecken, kann in schweren Fällen die operative Entfernung der Osteophyten über einen transzervikalen anterioren Wirbelsäulenzugang indiziert sein [10]. Eine enge Zusammenarbeit mit Spezialisten aus dem unfallchirurgischen und orthopädischen Fachbereich erscheint unerlässlich. Die Indikation für ein chirurgisches Vorgehen muss insbesondere bei älteren Patienten mit erhöhter perioperativer Morbidität und Mortalität streng gestellt werden, da es postoperativ zu einer Re-Ossifikation kommen kann und der Patient durch Neuropathien, Hämatombildung, Infektion, Pharynx- und/oder Ösophagusperforation und Fistelbildungen im Rahmen der Intervention gefähredet sein kann [8].

Schlussfolgerung: Orthopädische Krankheitsbilder der Halswirbelsäule sollten differenzialdiagnostisch bei Patienten mit Dysphagie oder Odynophagie berücksichtigt werden. Die akute prävertebrale Tendinitis als Beispiel für ein akutes Krankheitsgeschehen stellt eine seltene Diagnose im HNO-Bereich dar und sollte differenzialdiagnostisch nach Ausschluss anderer Krankheitsbilder in Betracht gezogen werden. Die genaue Inzidenz des Krankheitsbildes ist derzeit unbekannt, es ist jedoch anzunehmen, dass es sehr nicht oder zu spät erkannt oder missgedeutet wird. Als Bildgebung der Wahl empfiehlt sich die Durchführung eines Computertomogramms und zudem eines MRT der Halswirbelsäule, insbesondere zum Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen. Eine aufwändig Biopsiegewinnung zum histologischen Nachweis der Kalziumhydroxyapatit-Kristalle ist bei fehldendem postivem Einfluss auf die Genesung des Patienten nicht erforderlich. Kann die Diagnose anhand der typischen radiologischen Befunde und der charakteristischen Beschwerde- und Laborkonstellation gestellt werden, ist sie selbstlimitierend. Überflüssige medikamentöse oder operative Therapien können dem Patienten hierdurch erspart werden. Auch chronische und degenerative, mit zunehmendem Alter der Patienten gehäuft auftretende Erkrankungen, wie z.B. ein übermässiger osteophytärer Umbau der Halswirbelkörper, können ebenfalls als eine Ursache für Dysphagie in Frage kommen. In Anbetracht der demographischen Entwicklung in Deutschland wird sich auch der HNO-Arzt zunehmend mit Krankheiten im Rahmen degenerativer Entwicklungen konfrontiert sehen.


Literatur

1.
Lehner R, Stoupis C, Roth T, Andreisek G, Tamborrini G. Eine seltene Ursache akuter Nackenschmerzen – Rare cause of acute neck pain. Praxis. 2011;100(22):1371-3.
2.
Hviid C, Salomonsen M, Gelineck J, Rasmussen LR, Jensen KM, Kryger-Baggesen P, Hartvigsen J. Retropharyngeal tendinitis may be more common than we think: a report on 45 cases seen in Danish chiropractic clinics. J Manipulative Physiol Ther. 2009 May;32(4):315-20. DOI: 10.1016/j.jmpt.2009.03.011 Externer Link
3.
Schuler PJ, Cohnen M, Greve J, Plettenberg C, Chereath J, Bas M, Koll C, Scheckenbach K, Wagenmann M, Schipper J, Hoffmann TK. Surgical management of retropharyngeal abscesses. Acta Otolaryngol. 2009 Nov;129(11):1274-9. DOI: 10.3109/00016480802642088 Externer Link
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Paik NC, Lim CS, Jang HS. Tendinitis of longus colli: computed tomography, magnetic resonance imaging, and clinical spectra of 9 cases. J Comput Assist Tomogr. 2012 Nov-Dec;36(6):755-61. DOI: 10.1097/RCT.0b013e318269880c Externer Link
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Zibis AH, Giannis D, Malizos KN, Kitsioulis P, Arvanitis DL. Acute calcific tendinitis of the longus colli muscle: case report and review of the literature. Eur Spine J. 2013 May;22 Suppl 3:S434-8. DOI: 10.1007/s00586-012-2584-5 Externer Link
6.
Hayes CW, Conway WF. Calcium hydroxyapatite deposition disease. Radiographics. 1990 Nov;10(6):1031-48.
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Song AR, Yang HS, Byun E, Kim Y, Park KH, Kim KL. Surgical treatments on patients with anterior cervical hyperostosis-derived Dysphagia. Ann Rehabil Med. 2012 Oct;36(5):729-34. DOI: 10.5535/arm.2012.36.5.729 Externer Link
8.
Krishnarasa B, Vivekanandarajah A, Ripoll L, Chang E, Wetz R. Diffuse Idiopathic Skeletal Hyperostosis (DISH)-A Rare Etiology of Dysphagia. Clin Med Insights Arthritis Musculoskelet Disord. 2011;4:71-5. DOI: 10.4137/CMAMD.S6949 Externer Link
9.
Forestier J, Rotes-Querol J. Senile ankylosing hyperostosis of the spine. Ann Rheum Dis. 1950;9:321-30
10.
Kapetanakis S, Vasileiadis I, Papanas N, Goulimari R, Maltezos E. Can a giant cervical osteophyte cause dysphagia and airway obstruction? A case report. Wien Klin Wochenschr. 2011 May;123(9-10):291-3. DOI: 10.1007/s00508-011-1564-9 Externer Link