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96. Jahrestagung der Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte

28. - 29.09.2012, Koblenz

Schluckstörungen in der HNO-Diagnostik und Therapie

Meeting Abstract

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Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte. 96. Jahrestagung der Vereinigung Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte. Koblenz, 28.-29.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12hnoswF1

doi: 10.3205/12hnosw01, urn:nbn:de:0183-12hnosw011

Veröffentlicht: 11. Dezember 2012

© 2012 Delank.
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Gliederung

Text

Störungen der Schluckfunktion betreffen ca. 20% aller stationär behandlungsbedürftigen Patienten, haben sehr heterogene Ursachen und nehmen traditionell einen breiten Raum in der HNO-Heilkunde ein. Bei über 40% der Pat mit unbehandelten Oro- und Hypopharynxtumoren der Stadien III und IV lässt sich per Videofluoroskopie eine potentiell lebensbedrohliche silent aspiration nachweisen [1]. Eine chronische Dysphagie mündet automatisch in eine Mangelernährung ein, führt zu einer Steigerung der Morbidität sowie der Mortaliät und verschlechtert das outcome der Patienten.

Beim Schluckvorgang handelt es sich um eine komplexe, vom caudalen Hirnstamm koordinierte Bewegungsserie mit dem Ziel, die Nahrung aspirationsfrei und angemessen portioniert zum Magen zu transportieren. Störanfällig ist besonders die pharyngeale Schluckphase, in der der velopharyngeale Abschluss, die anterosuperiore Kehlkopfelevation, die Abdichtung des Kehlkopfes auf Glottis-, Taschenband- und Epiglottisniveau sowie die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters kraftvoll und geordnet in weniger als 1 sec ablaufen müssen. An erster Stelle der Diagnostik steht eine zielgerichtete Anamnese, die sich auf Aspirationszeichen, Auswirkungen der Dysphagie auf das Körpergewicht, Medikamente und Begleiterkrankungen konzentriert. Es folgt die HNO-ärztliche Untersuchung sowie ein Aspirationsscreening, das u.U. eine medikolegale Bedeutung haben kann (z.B. vor Tracheostomaverschluss) [2]. Von den apparativen Untersuchungen hat nach wie vor der Breischluck mit Rö.-Kontrastmittel einen hohen Stellenwert für die statische Beurteilung des oberen Digestivtraktes (postoperative Pharynxfisteln, Zenkerdivertikel, Stenosen). Eine direkte Beobachtung der prä- und postdeglutitiven Phasendynamik ist mit Hilfe der transnasalen, flexiblen Endoskopie möglich (flexible endoscopic evaluation of swallowing FEES) Ein Nachteil der FESS ist die fehlende Sicht auf die wichtige intradeglutitive Phase (Abschluckphase). Diese diagnostische Lücke schließt die videofluoroscopic swallowing study (VFSS) mit isomolaren Kontrastmitteln. Beim Globus pharyngis zeigen sich in über 70% der Fälle pathologische Auffälligkeiten in der VFSS [3].

Für die operative HNO-Heilkunde sind Strukturveränderungen der sog. zervikalen Schluckorgane in Form von angeborenen Fehlbildungen, akuten Entzündungen, Traumen und Tumorerkrankungen besonders relevant [4]. Die kontinuierlichen Weiterentwicklungen der Lasertechnologie sowie der mikroskopischen und der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie haben die operativen Therapieoptionen im Bereich der oberen Schluckstraße revolutioniert. Das gilt in besonderem Maße für die Tumoren der Region. Beispielsweise werden supraglottische Larynxkarzinome der Stadien T1 und T2 sowie viele Oropharynxtumoren heute transoral unter Erhalt der Schluckfunktion und ohne Tracheotomie onkologisch sicher reseziert [5]. Bei größeren Defekten in schlucksensiblen Arealen des Gaumens, des Zungengrundes und des Mundbodens gelten diverse Modifikationen des mikrovaskulären Gewebetransfers inzwischen als Standard. Auch bei benignen und traumatischen Dysphagieursachen konnten enorme Verbesserungen erzielt und teilweise echte Paradigmenwechsel vollzogen werden. Ein inzwischen klassisches Beispiel dürfte die transorale, meist lasergestützte Schwellendurchtrennung sein, die heute auch bei großen Zenker-Divertikeln gegenüber der klassischen, transzervikalen Resektion favorisiert wird.

Die Therapie traumatischer Ursachen von Schluckstörungen, z.B. Perforationen des oberen Ösophagus und des Hypopharynx, sowie die Entfernung von Fremdkörpern mittels starrer Endoskope sind nach wie vor eine Domäne der HNO-Heilkunde.

In den letzten Jahren wurden diverse, psychometrische Verfahren entwickelt mit denen die Auswirkungen von Schluckstörungen auf die Lebensqualität präzise gemessen werden können [6]. Hierzu zählen u.a. der SWAL-QUOL (Swallowing Quality of Life) und der MDADI (MD Anderson Dysphagia Inventory) sowie eine Reihe länderspezischer Modifikationen. Allerdings lassen sich bis heute das Ausmaß und die Dauer einer Dysphagie präoperativ nicht sicher prognostizieren.


Literatur

1.
Rosen A, Rhee TH, Kaufman R. Prediction of aspiration in patients with newly diagnosed untreated advanced head and neck cancer. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2001;127:975.
2.
Neurogene Dysphagien. AWMF 030/111. In: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Aufl. Thieme; 2008. 654.
3.
Walter EK, Hortling N, Behrends K, Schmidt C. Dynamische Bildgebung bei der Diagnostik von Dysphagie und Globus. Laryngol Rhinol Otol. 2000;79(9):543.
4.
Motsch C. Wiederherstellende Verfahren bei gestörtem Schlucken und gestörter Ernährung. Laryngo Rhino Otol. 2005;84:156.
5.
Ambrosch P, Fazel A. Funktionserhaltende Therapie des Kehlkopfes. Laryngo Rhino Otol. 2011;90:83.
6.
Chen AY, Frankowski R, Bishop-Leone J, Hebert T, Leyk S, Lewin J, Goepfert H. The development and validation of a dysphagia-specific quality-of-life questionnaire for patients with head and neck cancer: the M. D. Anderson dysphagia inventory. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2001;127:870.