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13. Grazer Konferenz – Teaching Medicine – an Interprofessional Agenda

24. - 26.09.2009, Innsbruck, Österreich

Einstellungswandel zur Sterbehilfe bei Medizinstudierenden – Folge eines Verlustes ethischer Überzeugungen?

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  • corresponding author Willibald J. Stronegger - Medizinische Universität Graz, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Graz, Austria
  • author Christin Schmölzer - Medizinische Universität Graz, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Graz, Austria

13. Grazer Konferenz - Qualität der Lehre: Teaching Medicine – an Interprofessional Agenda. Innsbruck, Österreich, 24.-26.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09grako22

doi: 10.3205/09grako22, urn:nbn:de:0183-09grako227

Veröffentlicht: 14. Dezember 2009

© 2009 Stronegger et al.
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Gliederung

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Hintergrund: Am Übergang von Mittelalter zur Neuzeit treten erstmals vereinzelt Überlegungen zur Euthanasie Sterbenskranker (z.B. bei Thomas Morus 1516) oder missgebildeter Neugeborener (z.B. bei Martin Luther 1541) in Erscheinung. Jedoch erst zu Beginn des 20. Jh. werden zunehmend Forderungen nach der konkreten Zulassung der Vernichtung von als "unnütz" beurteilten Lebens gestellt (insbesondere von Alfred Ploetz 1895, Adolf Jost 1895, Karl Binding und Alfred Hoche 1920). Seit dem 2. Weltkrieg befindet sich die Einstellung der Bevölkerung zur Zulässigkeit von aktiver Sterbehilfe in den meisten europäischen Staaten in einem deutlichen Wandel. In einem regelmäßig durchgeführten niederländischen Survey (Netherlands Institute for Social Research/SCP) sinkt die Ablehnung der Euthanasie von ca. 50% in den 60er-Jahren auf etwa 10% seit den 90er-Jahren. Die Ausführung der Sterbehilfe wird fast ausnahmslos als eine Aufgabe des ärztlichen Berufs gesehen. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, welche Einstellung zur Sterbehilfe angehende Ärzte und Ärztinnen einnehmen. Die vorliegende Studie analysiert die Einstellung zu unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe bei Medizinstudierenden der Medizinischen Universität Graz. Die Erhebung erstreckte sich über einen Zeitraum von neun Jahren, sodass insbesondere Trends untersucht werden konnten.

Methoden: Grazer Medizinstudierende wurden im Rahmen der Übungen aus Sozialmedizin mittels eines anonymen Fragebogens über ihre Einstellungen zur Sterbehilfe und ihre Erfahrung in Pflege- sowie Sterbebegleitung befragt. Durch die Beantwortung des Fragebogens in Präsenz wurde eine Rücklaufquote von über 95% erzielt. Aus drei Erhebungswellen (Jahre 2001, 2003/04 und 2008/09) stehen die Angaben von 757 Medizinstudierenden zur Verfügung. Zusätzlich wurden in der 2. Welle 68 Personen in Pflegeausbildung befragt. Der Fragebogen enthielt sowohl die in Umfragen üblichen "abstrakten" Fragen zur Akzeptanz der Sterbehilfeformen ("Sind Sie persönlich dafür oder dagegen, dass unheilbar Kranken und schwer leidenden Menschen der Wunsch zum Sterben erfüllt wird, indem..."), als auch konkrete Fallbeispiele, zu welchen jeweils eine offen formulierte Begründung der Akzeptanz oder Ablehnung anführbar war.

Resultate: Die Einstellungen zeigen keine oder nur geringfügige Abhängigkeit von Alter oder Geschlecht der Studierenden, sodass auf eine Alters- oder Geschlechtskorrektur zumeist verzichtet werden konnte. Die Befürwortung der aktiven direkten Sterbehilfe zeigte in der abstrakten Frage eine deutliche Zunahme über die drei Erhebungswellen (16% - 29% - 50%). In einem Fallbeispiel, das für die Anwendung der aktiven Sterbehilfe charakteristisch ist (sehr alter krebskranker Patient mit infauster Prognose, starken Schmerzen und explizitem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe), nimmt die Befürwortung der aktiven Sterbehilfe weniger stark zu (20% - 17% - 33%). In der im Fallbeispiel angefürten Begründung der eigenen Einstellung zeigen sich ebenfalls deutliche Verschiebungen in den drei Wellen. Argumente, die auf Patientenautonomie und Fürsorge Bezug nehmen, werden in der 3. Welle mehr als doppelt so oft angeführt als in der ersten. Ethische Argumente hinsichtlich der Handlung oder der Ärztrolle, die 2001 noch von einem Drittel angegeben wurden, nennen 2008/09 nur mehr 12,8% der Studierenden.

Diskussion: Im Erhebungszeitraum der Jahre 2001-2009 zeigt sich eine massive Veränderung in der Einstellung zur Ärztlichen Sterbehilfe bei den Medizinstudierenden. Diese Veränderung ist bei der Beantwortung einer abstrakten Frage markanter ausgeprägt als bei der Beurteilung eines konkreten Fallbeispiels. Ethische Überzeugungen und ein ethisch geprägtes Ärztliches Rollenverständnis scheinen zugunsten einer höheren Bewertung von Ärztlichem Fürsorgeverhalten als auch der Autonomie des Patienten in den Hintergrund zu treten. Die Resultate legen nahe, dass Einstellungen zur Sterbehilfe nicht mittels einfacher "abstrakter" Fragen gemessen werdensollten, sondern anhand von validierten Skalen, welche z.B. auf ausgewählten Fallbeispielen basieren.