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Bedarfe und Herausforderungen einer elternschaftsbezogenen Intervention („KontextSucht“) für abhängigkeitserkrankte Eltern – Ergebnisse der Machbarkeitsuntersuchung aus den Vergleichskliniken
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Einleitung: In Deutschland leben knapp 10 Millionen Angehörige mit abhängigkeitserkrankten Personen zusammen, darunter ca. 3 Millionen Kinder [1]. Abhängigkeitserkrankungen von Eltern stellen ein erhebliches Risiko für die Entwicklung der betroffenen Kinder dar. Folgen der elterlichen substanzbezogenen Störung für die Kinder sind beispielsweise gesundheitliche Auswirkungen (physisch und psychisch), sozioökonomische Benachteiligung, soziale Ausgrenzung, Trennung der Eltern, Vernachlässigung und häufigere familiäre Konflikte [2]. Das deutsche Suchthilfesystem bietet die Möglichkeit, eine Rehabilitationsbehandlung mit und ohne Begleitkinder durchzuführen. Aufgrund mangelnder evidenzbasierter Konzepte werden Therapiebedarfe abhängigkeitserkrankter Eltern hinsichtlich der Themen „Kinder“ und „Elternschaft“ zwar erkannt, ihnen kann jedoch nicht flächendeckend begegnet werden. An dieser Stelle setzt das Projekt KontextSucht an, dessen Ziel die Entwicklung, Erprobung und Evaluation einer Intervention zur Verbesserung der Stabilität von Eltern (mit und ohne Begleitkinder ≤ 14 Jahren) ist. Auf diese Art und Weise sollen die Gesundheit, Lebensqualität und Funktionalität der betroffenen Familien nachhaltig verbessert werden. Die Studie wird im Rahmen des Modellvorhabens rehapro in Kooperation mit der DRV Mitteldeutschland, der DRV Bund, der MEDIAN Klinik Römhild sowie der Barbarossa-Klinik Kelbra durchgeführt.
Methoden: Die Datenerhebung der Gesamtstudie erfolgt in einem konsekutiven Mixed-Methods Verfahren und ist unterteilt in eine Machbarkeitsuntersuchung und eine Nutzenabschätzung. Die qualitative Datenerhebung der Machbarkeitsuntersuchung erfolgte im ambulanten Sektor, in den zwei Interventionskliniken sowie in fünf Vergleichskliniken ohne evidenzbasierte, familienzentrierte Gesamtkonzepte. In den Vergleichskliniken wurden leitfadengestützte Expert*inneninterviews (n=9) sowie Interviews mit Rehabilitand*innen (n=21) geführt. Ziel der Analysen ist die Beantwortung der Frage, wie die neu entwickelte Intervention KontextSucht verbessert werden kann sowie welche Anforderungen existieren, um die Bedarfe an eine Intervention zur Stärkung der Elternschaft und Abstinenz optimal zu decken. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativ-strukturierender Inhaltsanalyse [3], [4].
Ergebnisse: Die Auswertungen der Expert*inneninterviews zeigen einen Mangel an Therapieangeboten, bei denen abhängigkeitsbetroffene Eltern an ihren elternschaftsbezogenen Aufgaben arbeiten können. Dazu gehören neben inhaltlichen auch strukturelle Aspekte, die es bei einer möglichen Verstetigung zu berücksichtigen gilt. Es fehlt laut den Expert*innen u.a. an Angeboten zur Interaktionsanleitung zwischen Eltern und Kindern, zur Kenntnis der allgemeinen Entwicklung von Kindern (inkl. Verhaltensauffälligkeiten und Auswirkungen der Abhängigkeitserkrankung auf die Kinder), zur Tagesstrukturierung, zur Elternrolle und biografischen Arbeit, aber auch an Angeboten bzgl. der Unterstützung von Eltern und Kindern nach der Rehabilitation (z. B. ambulante Angebote). Die Auswertung der Rehabilitand*inneninterviews zeichnet ein ähnliches Bild. Allgemein wünschen sich die Befragten gemeinsame, professionelle, therapeutisch angeleitete Eltern-Kind-Angebote zur Bindungsstärkung und Erziehungsunterstützung. Konkret gehören dazu u. a. gesonderte Gruppen ausschließlich für Eltern, Angebote zur Wissensvermittlung in Bezug auf Emotionsregulation, Umgang mit Konflikten, Alltagsstrukturierung, Rechte und Pflichten zum Thema Elternschaft sowie Angebote, in denen die Rehabilitand*innen lernen den Kindern ihre Abhängigkeit zu erklären. Auch Wünsche nach Angeboten zum Thema „Umgang mit Rückfällen“ zeigten sich relevant in den Interviews.
Schlussfolgerung: Die vorliegenden Ergebnisse unterstreichen konkrete Bedarfe nach einer evidenzbasierten Intervention der familienfokussierten Entwöhnungsbehandlung und zeigen sowohl inhaltliche als auch strukturelle Potenziale auf, die es während der Machbarkeitsuntersuchung zu implementieren gilt. Die Ergebnisse tragen dazu bei die Intervention KontextSucht und somit zukünftig die Versorgung und daraus resultierend die Gesundheit, Lebensqualität und Funktionalität betroffener Familien maßgeblich zu verbessern.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hrsg. Drogen- und Suchtbericht. Berlin; 2019.
- 2.
- Moesgen D, Klein M, Dyba J. Abhängigkeitserkrankungen und Elternschaft – Herausforderungen und Möglichkeiten der Hilfe. Suchttherapie. 2017;18(02):65–72. DOI: 10.1055/s-0043-103060
- 3.
- Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 13., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel, Grünwald: Beltz; Preselect.media GmbH; 2022. (Beltz Pädagogik).
- 4.
- Pohontsch NJ. Die Qualitative Inhaltsanalyse. Rehabilitation (Stuttg). 2019;58(6):413–8. DOI: 10.1055/a-0801-5465